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Claudio Monteverdi ist in Deutschland ebenso bekannt wie unbekannt: Bekannt ist er durch seine Werke, die in Opernhäusern, Konzertsälen und CD-Regalen zum festen Repertoire gehören; unbekannt ist er im Hinblick auf den kompositions-, ideen- und sozialgeschichtlichen Kontext und Hintergrund seines Schaffens, über das seit drei Jahrzehnten keine Monographie in deutscher Sprache mehr erschienen ist.Das vorliegende Werk füllt jedoch nicht nur eine Lücke - es offenbart zugleich eine faszinierend neue Sicht, einen Einblick 'von innen' in die tragenden Voraussetzungen von Monteverdis Schaffen,…mehr

Produktbeschreibung
Claudio Monteverdi ist in Deutschland ebenso bekannt wie unbekannt: Bekannt ist er durch seine Werke, die in Opernhäusern, Konzertsälen und CD-Regalen zum festen Repertoire gehören; unbekannt ist er im Hinblick auf den kompositions-, ideen- und sozialgeschichtlichen Kontext und Hintergrund seines Schaffens, über das seit drei Jahrzehnten keine Monographie in deutscher Sprache mehr erschienen ist.Das vorliegende Werk füllt jedoch nicht nur eine Lücke - es offenbart zugleich eine faszinierend neue Sicht, einen Einblick 'von innen' in die tragenden Voraussetzungen von Monteverdis Schaffen, ideelle ebenso wie kompositionstechnische und kulturgeschichtliche.Ein ausführlicher Bildteil ergänzt die textliche Darstellung.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Silke Leopold, geboren 1948, Studium der Musikwissenschaft, Theaterwissenschaft, Germanistik und Romanistik in Hamburg und Rom; Promotion 1975; nach Forschungsaufenthalt in Rom als Mitarbeiterin von Carl Dahlhaus bis 1991 an der Technischen Universität Berlin tätig; von 1991 - 96 Ordinaria an der Musikhochschule Detmold, seit 1996 an der Universität Heidelberg; zahlreiche Veröffentlichungen, vor allem zur Musik des 17. und 18. Jahrhunderts.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.05.2017

Jubel und Duft
der Töne
Zwei neue Bücher über Claudio Monteverdi,
der vor 450 Jahren getauft wurde
VON REINHARD J. BREMBECK
Im Sommer 1643 reiste ein alter Mann von Venedig nach Mantua, um dort seine seit 35 Jahren ausstehende Pension einzufordern. Das war – wieder einmal – vergeblich. Zurück in Venedig und erschöpft von der Reise starb er wenig später im Alter von 77 Jahren. Es war der gleiche Musiker, der auch schon im Juli 1612 seinen Chef in Mantua falsch eingeschätzt hatte und wegen mangelnden Respekts kurzerhand auf die Straße gesetzt worden war, als alleinerziehender Vater zweier minderjähriger Söhne.
Mit 45 Jahren war es aber selbst für einen Meistermusiker wie Claudio Monteverdi nicht einfach, sofort eine angemessene Stelle zu finden. Doch ein Jahr später starb mit Giulio Cesare Martinengo der glücklose Musikchef von Venedigs Staatskirche San Marco, schon drei Monate später trat Monteverdi die Nachfolge an. Venedig war eine trubelig lebensfrohe Weltstadt, in einem Druck von 1574 werden sogar die ortsansässigen 215 Kurtisanen minutiös aufgelistet. Sein Posten aber war angesehen und mit etlichen Privilegien versehen. Das Gehalt, es war höher als in Mantua, wurde pünktlich ins Haus gebracht. Und Musik war den Venezianern überaus wichtig. Sie sollte in San Marco genauso prächtig sein wie die in Gold gefassten Mosaiken der Kirche, die jeden Touristen überwältigen.
Welche Musik Monteverdi an San Marco und bei den großen Festen der Serenissima aufführte, ist ein Rätsel. Denn obwohl er 30 Jahre lang auf seinem Posten blieb, erschienen nur 50 seiner Kirchenstücke im Druck. Die legendäre Marienvesper, die neben der Oper „Orfeo“ Monteverdis Ruhm begründete, war schon in Mantua entstanden, fast alle anderen Kirchenstücke finden sich in seinem letzten zu Lebzeiten publizierten Großopus, dem erst neuerdings häufiger aufgeführten „Selva morale e spirituale“ von 1641. War das alles? Wie viel ist verloren gegangen?
Am heutigen Montag vor 450 Jahren wurde Monteverdi in Cremona getauft – das Geburtsdatum ist wie das seiner Zeitgenossen Shakespeare und Cervantes unbekannt. Claudio wird in Cremona zum Musiker ausgebildet, er bekommt 1590 seine erste Anstellung am Gonzaga-Hof in Mantua, dann geht es nach Venedig. Weit herumgekommen ist er nicht, aber er hat alles gekannt, was musikalisch von Belang war. Ottaviano Petrucci hatte 1498 in Venedig den Notendruck erfunden, deshalb war alle europaweit relevante Musik dort auch zu haben. Monteverdi selbst hat 16 seiner zu Lebzeiten erschienenen 17 Sammelbände dort drucken lassen. Damit wurde er zum Star unter den Komponisten, der aber bald nach seinem Tod gründlich vergessen wurde.
Erst im 19. Jahrhundert entstand ein Interesse für die damals kaum aufgeführte vorklassische Musik, die Werke von Bach, Händel, Palestrina kamen in ersten Gesamtausgaben heraus. Monteverdi aber entging den Philologen. Es war ein Komponist, der aus Venedig stammende Gian Francesco Malipiero, der zwischen 1926 und 1942 den ganzen Monteverdi edierte und auf eigene Kosten druckte.
Aber die Noten halfen wenig weiter. Sang und spielte man Monteverdi wie damals üblich à la Brahms und Verdi, kam nichts als zähflüssige Langeweile heraus. Es dauerte Jahrzehnte, bis die Musiker heraushatten, wie man diese Musik aufführen muss, mit welchen Tempi, welcher Agogik, auf welchen Instrumenten. Die Marienvesper (1610), deren viele Rätsel bis heute nicht gelöst sind, wurde zum Aushängeschild der jungen historischen Aufführungspraxis, der erste Höhepunkt der Monteverdi-Rezeption war in den Siebzigerjahren der von Nikolaus Harnoncourt dirigierte und von Jean-Pierre Ponnelle inszenierte Monteverdi-Zyklus in Zürich.
Heute ist Monteverdi als einer der großen Klassiker neben Mozart, Rameau und Beethoven eingemeindet. Wie sehr, das zeigt sich daran, dass zum Jubiläum gerade mal zwei Bändchen in Deutschland erschienen sind. Der Dresdner Musikwissenschaftler Michael Heinemann hat eine gediegene Philologenarbeit mit vielen Notenbeispielen vorlegt. Seine Hamburger Kollegin Silke Leopold aber, die weltweit beste Kennerin der Barockmusik, verzichtet völlig auf Notenbeispiele. Sie vertraut, was Klang und Noten angeht, auf die Segnungen des Internet. Dazu liefert sie ein spannendes Zeitbild, durchsetzt mit in den Kern der Stücke vordringenden Analysen.
Gegen Ende seines Lebens schrieb Monteverdi mit „Ulisse“ und „Poppea“ für die – ein Novum – ersten öffentlichen Opernhäuser Venedigs, während seine dramatischen Frühlinge „Orfeo“, „Arianna“ und das Ballet „Ballo delle ingrate“ noch für Adelshochzeiten in Mantua bestimmt waren. Daneben publizierte er viel weltliche Vokalmusik: Erotisches wie Tieftrauriges, Dramatisches und Idyllisches, Komisches und Militaristisches. Alles, was menschlich ist, hat Monteverdi auch komponiert. Die grandiosesten Stücke, Kriegs- wie Liebeslieder, erschienen 1638 im VIII. Madrigalbuch. Obwohl in Mantua als Viola-Spieler beschäftigt – es gab die verschiedensten Formen dieses Instruments, das nichts mit der modernen Bratsche zu tun hat – schrieb er keine Instrumentalstücke, setzte aber in der Vokalmusik zunehmend Instrumente zur Begleitung und für Zwischenspiele ein.
Die Zeit war unruhig, das Individuum rückte verstärkt in den Mittelpunkt. Zudem nahm die wirtschaftliche Bedeutung des Mittelmeerraums und damit Venedigs ab, die Pest von 1630 beschleunigte den Verfall. Die Musik reagierte auf die Unruhe ebenfalls mit einem Umbruch. Nach der undramatischen, zunehmend in den Klang verliebten Chormusik der sich erschöpfenden Renaissance wurde der Einzelne zum Zentrum des beginnenden Barock. Ein kleiner Avantgardezirkel erfand in Florenz die gesungene Textrezitation und die Oper.
Monteverdi beherrschte sowohl die Kompositionstechniken seiner Vorgänger als auch die der Avantgardisten. Anstatt sich aber für einen der beiden Stile zu entscheiden, lieferte er eine Synthese. Das aber hätte nicht viel mehr als eine weltfremde Komponiermeisterschaft bedeutet, wenn Monteverdi nicht auch eine völlig neuartige und bis heute praktizierte Ästhetik der Textvertonung begründet hätte, die ganz auf Wirkung und Ausdruck setzt.
Anstatt wie bisher Texte nur als formale Modelle fürs Komponieren zu nehmen und dabei einzelne bildträchtige Stellen oberflächlich auszudeuten, lässt Monteverdi die Substanz der Texte Musik werden. Er geht wie ein moderner Theaterregisseur vor, der die Texte psychologisch raffiniert ausleuchtet und alles, was ihm relevant scheint, herausstellt. Monteverdi vertont nie den Text, sondern sein Verständnis desselben. Er ummantelt die Verse mit Klängen, die dem Hörer deren Stimmung, Aussage und Subtext schlagartig klarmachen. Vor Monteverdi drang die Musik nie auch nur annähernd so tief in die Texte ein. Diese Synthese aus Musik und Wort funktioniert für den Hörer aber nur, wenn der auch die Texte versteht: Weh dem, der kein Italienisch oder Latein kann.
Ein so brillantes wie berühmtes Beispiel für diese Methode ist „Zefiro torna e di soavi accenti“ (Scherzi musicali, 1632). Mit dem milden Westwind Zephyr kommt der Frühling. Also ist die Musik ganz Jubel, Leichtigkeit, Frische, Gelöstheit und – obwohl das Töne ja eigentlich gar nicht leisten können: Duft. Über der immer gleichen Bassmelodie tanzt minutenlang der Rausch des Neubeginns. Umso radikaler der Bruch, wenn der Dichter unvermittelt seine Verzweiflung ob einer abweisenden Schönheit klagt. Die Musik stürzt harmonisch grell in den tiefsten Schmerz, sie wird dunkel, sie stagniert. Dieser Kontrast ist größer, als ihn je zuvor ein Komponist gewagt hätte. Aber der Hörer erlebt den Text auch intensiver als jeder Leser.
Solche herben Kontraste sind typisch für Monteverdi, dem die Stücke dennoch nie zerbröseln. Und das, obwohl er jeden Moment hochdramatisch ausreizt. Gelegentlich nimmt er sich dabei auch Italiens ersten Großmeisterdichter Petrarca vor. In „Voi ch’ascoltate“ (Ihr, die ihr hört), dem Eröffnungsstück des „Canzoniere“, oder dem noch großartiger vertonten „Hor che’l ciel e la terra“ (Jetzt da der Himmel und die Erde) treffen nicht nur zwei kontrastierende Ebenen aufeinander, sondern drei, vier, sieben, zwanzig.
Besonders raffiniert geht Monteverdi in „Hor che’l ciel“ vor, das einer nächtlichen Idylle die zerrissen aufgewühlte Seele des Dichters kontrastiert, der einerseits selig an die Geliebte denkt, deren Unnahbarkeit ihn andererseits fertigmacht. Die nächtliche Ruhe gerinnt als erstarrt dunkler Akkordsatz, die Schlaflosigkeit und die konfusen Dichtergedanken erregen Gewusel voll gespreizter Intervalle, der Krieg in der Dichterseele trommelt und schießt Tonschrapnelle, Sterben und Schmerz werden pathetisch gedehnt. Fazit des Dichters: Vom Heil sei er unendlich weit entfernt. „Lunge“ (so weit) schreibt Petrarca als letztes Wort, und Monteverdi vertont es in einer Endlosmelodie, die erst ein Solist, dann das ganze Ensemble singt.
Monteverdi bedient sich aller damals geläufigen Kompositionstechniken. Keiner seiner Vorgänger hätte sich getraut, all diese so unterschiedlichen Stile so unbefangen und auf so engem Raum zu präsentieren. Aber Monteverdi will sein persönliches Leseerlebnis bei der Petrarca-Lektüre plastisch in Musik reproduzieren. So dass ihm, dem ersten großen Musikdramatiker, selbst ein winziges Sonett zur großen dramatischen Opernszene gerät.
Silke Leopold: Claudio Monteverdi. Biografie. Carus Verlag, Reclam-Verlag, Stuttgart 2017. 256 Seiten. 28 Euro. E-Book 23,99 Euro.
Michael Heinemann: Claudio Monteverdi. Die Entdeckung der Leidenschaft. Schott Music, Mainz 2017. 178 Seiten, 24, 50 Euro.
Er komponierte Erotisches
wie Tieftrauriges,
Dramatisches und Idyllisches
Er beherrschte die
Techniken seiner Vorgänger
und die der Avantgardisten
 mauritius images (Portrait), Ian Patrick/mauritius images (Handschrift), oh
Claudio Monteverdi, wie ihn Giovanni Grevembroch (1731 – 1807) idealisierte, eine der seltenen Handschriften des Komponisten, die in Malta entdeckt wurde, sowie das Titelblatt seiner Oper „Orfeo“.
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