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Platon, das Höhlengleichnis. Gefangene, die, bis auf menschliche Schatten an der Höhlenwand ihres Gefängnisses, niemals die Wirklichkeit sehen werden. Kinder in einem Keller, die nie die Außenwelt erblickten, bis auf Bilder, die durch ein Antennenkabel vom Himmel auf sie herabfielen. Dieses Gleichnis durchwanderte vierundzwanzig Jahrhunderte, bevor es in einem kleinen Ort in Österreich seine Wiedergeburt erfuhr, mit einem Ingenieur als Komplizen und der unfreiwilligen Mithilfe des Schotten John Logie Baird, der 1926 den ersten Fernsehapparat erfand.

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Produktbeschreibung
Platon, das Höhlengleichnis. Gefangene, die, bis auf menschliche Schatten an der Höhlenwand ihres Gefängnisses, niemals die Wirklichkeit sehen werden. Kinder in einem Keller, die nie die Außenwelt erblickten, bis auf Bilder, die durch ein Antennenkabel vom Himmel auf sie herabfielen. Dieses Gleichnis durchwanderte vierundzwanzig Jahrhunderte, bevor es in einem kleinen Ort in Österreich seine Wiedergeburt erfuhr, mit einem Ingenieur als Komplizen und der unfreiwilligen Mithilfe des Schotten John Logie Baird, der 1926 den ersten Fernsehapparat erfand.
Autorenporträt
Régis Jauffret, 1955 in Marseille geboren, konnte sich als eine der interessantesten Stimmen der französischen Gegenwartsliteratur etablieren. Inspiriert von der Literatur Marcel Prousts, Franz Kafkas und Virginia Woolfs versteht Jauffret es, in den Geist seiner Charaktere einzudringen. Er erforscht das Innerste der menschlichen Psyche und hat sich in seinen Romanen unter anderem in die Gedankenwelten von Vergewaltigern (Histoire d'amour) und Kindsmörderinnen (Clémence Picot) begeben. 2005 wurde er für Asiles de fous mit dem angesehenen Prix Femina ausgezeichnet. Claustria wurde von den französischen Feuilletons als "das Buchereignis" des Frühjahrs 2012 gefeiert und war wochenlang in den französischen Bestsellerlisten. Régis Jauffret ist Vater von zwei Kindern und lebt in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.09.2012

Josef Fritzl in seinem fünften Reich

Der französische Autor Régis Jauffret erzählt die Tragödie einer Familie, deren Fluch sich im französischen Vergangenheitskitsch auflöst: Der Roman "Claustria" ist gescheitert - nicht nur, weil er Österreich zum Paradies eines grünen Faschismus erklärt.

Er war im Taxi gekommen und hatte einen Ball mitgenommen. Zur Tarnung zog er einen weißen Kittel an, wie ein Krankenpfleger wollte er aussehen. Hinter einer Tanne versteckt, wartete er. Bis "Roman" herauskam. Roman ist das Kind und zugleich der Enkel von Josef Fritzl, der ihn mit seiner Tochter gezeugt hat. Zwei Jahrzehnte hatte der Horror im Keller seines Hauses im österreichischen Amstetten gedauert. Im Frühjahr 2008 war die unfassbare Geschichte aufgeflogen - und um sie zu schreiben, begab sich der französische Schriftseller Régis Jauffret im November des gleichen Jahres an den Ort der Handlung.

Auch beim Prozess war er dabei. Noch arbeitete er allerdings hauptsächlich an seinem Roman "Sévère" über die Ermordung des Genfer Bankers Edouard Stern durch seine Mätresse während eines sadomasochistischen Rituals, der 2010 erschien: Zwei Jahre vor dem Buch über den literarischen Tauchgang in die Hölle des Josef Fritzl, das jetzt wenige Monate nach dem französischen Original mit dem gleichen Titel in deutscher Übersetzung herausgekommen ist: "Claustria".

Der als Pfleger verkleidete Ich-Erzähler, hinter dem man niemand anderen als Régis Jauffret vermuten muss, stellt dem Inzest-Kind im Landesklinikum Amstetten-Mauer nach. Es war von den anderen Patienten geräumt worden, um den Angehörigen der Großfamilie Fritzl Platz zu machen. Der Icherzähler hinter der Tanne wirft dem Kind den Ball zu. Der Pfleger, der mit Roman ins Freie kam, bietet dem vermeintlichen Kollegen eine Zigarette an. Sein Akzent verrät den schnüffelnden Eindringling, der kein Wort Deutsch kann und sich später eine Übersetzerin nimmt, die als "Nina" durch den Roman geistert. Der Icherzähler haut ab - Jauffret wird auf diesen ersten Seiten seiner "Claustria" erst einmal selbst zum Gehetzten.

"Außer Atem" erreicht er die Straße, an der es ihm gelingt, einen Wagen zu stoppen. Die Lenkerin gibt Gas, "sicher glaubte sie, dieser komische Pfleger sei auf dem Weg zu einem Notfall". Als sie nach fünfzig Kilometern zum Tanken muss, "machte ich mich aus dem Staub". Im Bus fährt Jauffret "zurück nach Wien, in die Stadt wie eine Opernkulisse, wo man ständig darauf wartet, dass der Vorhang hochgeht". Der erste, dem er begegnet, ist natürlich Hitler, der hier einst "als armer Schlucker mit seinen braunen Ideen herumirrte". Mit Gas, vernimmt man später, habe Fritzl den Bewohnern in seinem Keller gedroht.

Nach dem Prolog im Park der Klinik und dem Irrgang durch Wien rollt Jauffret den Fall im Rückblick aus der Mitte des einundzwanzigsten Jahrhunderts auf. Roman ist der einzige Überlebende der Familie. Außer jenem von Fritzl hat Jauffret alle Namen abgeändert - "Roman", sein Sympathieträger, steht für die Gattung, die er betreibt. Und soll in diesem Werk mit den penetranten Anspielungen wohl auch an Polanski erinnern. Roman hat im Roman einen Roman über seine Lebensgeschichte geschrieben, der aber erfolglos blieb. Ein Bestseller wurde hingegen das Bewältigungsbuch der Tochter, die an Alzheimer erkrankt und stirbt.

Während der Zeit im Keller, über die er intensiv recherchiert haben will, schickt Jauffret Josef Fritzl auch einmal nach Paris in die Peepshow und auf den Eiffelturm in die Peepshow. Um seine Sklaven zu Hause ruhig zu halten, hat er den Strom abgedreht. Am Ende des literarischen Deliriums über das halbe Jahrhundert nach dem Verfahren, das weiß Gott viele Fragen offenließ und für Fritzls Frau mit einem Freispruch endete, wird das Haus gesprengt. Der letzte Besitzer, der einen Nachtklub betrieb, hatte Pleite gemacht. Der Hausbesuch des Icherzählers mit einem Makler ist eine der besten Szenen von "Claustria".

Das Fernsehen ist Fritzls verlässlichste Waffe. Es ermöglicht die totale Entfremdung des "Kellervölkchens" (Jauffret). Für den Autor ist es auch Gegenstand thematischer Erörterungen über die Grenzen von Welt und Wahn. Im Umgang mit ihnen ist er bereits in seinem Roman über die Ermordung des Bankiers Stern durch seine im Leben gedemütigte Domina gescheitert. Aus dem sexuellen Spiel um Macht und Unterwerfung wurde Ernst: der Tod war echt und gleichwohl weder durch einen Unfall noch vorsätzlich erfolgt. Wenn die schlimmste Phantasie Wirklichkeit geworden ist und die Realität wie bei Fritzl jegliche noch so perverse Vorstellungsmacht überfordert, stößt die Fiktion erst recht an ihre Grenzen. Sie scheitert oder produziert ein Meisterwerk. In "Claustria" jedenfalls versagt sie auf der ganzen Linie.

Selbst der Autor räumt in jedem Interview ein, von Fritz nichts verstanden zu haben. Um so krampfhafter betätigt er sich als Ankläger und will zeigen, dass die Nachbarn alles gewusst haben müssen. Reihenweise tischt er Indizien auf. Der Keller war nicht schalldicht. Aber immer haben sie weggehört und weggeschaut. Als "Land des Inzests" und des ebenso verdrängten wie ewigen Faschismus beschreibt Jauffret Österreich. Diese Obsessionen sind stärker als Jauffrets durchaus vorhandene literarische Fähigkeiten und entsprechen einer fast schon klassischen Deutschtümelei, in der inzwischen die Heimat und Hitler und Fritzl Deutschland abgelöst.

Im Deutschlandbild der Franzosen - mit Wagner und Jünger, Nietzsche, Heidegger, Michel Tourniers "Erlkönig" und vielen Faschismusdarstellungen in der Trivialkultur - spiegelte sich ihre eigene Befindlichkeit. Seine Veränderungen standen für die Etappen der Vergangenheitsbewältigung. Mit Jonathan Littell und Laurent Binet, die sich in Kopf und Haut der Naziverbrecher versetzen, sich mit ihnen identifizieren wollen und ohne moralische Skrupel zu verstehen versuchen, hat ihre kriegsbezogene und faschismusbesessene Literatur einen Höhe- oder auch Nullpunkt erreicht. Der "boche" in der französischen Kultur ist überwunden, für die irrationale Deutschtümelei gibt es kein Bedürfnis mehr.

Die nicht ganz überraschende Übertragung auf Österreich hatte begonnen, als die antifaschistischen Intellektuellen in Wien gegen Haider protestierten und noch einmal Hitler zu besiegen vermochten. Ihr Österreich ist jenes von Thomas Bernhard und Elfriede Jelinek. Und ganz besonders der Filme von Michael Haneke, der Fassbinder ablöst. Vielfach sind die Bezüge zwischen Vichy- und Austrofaschismus. Deutlich die Parallelen im Umgang mit der eigenen Verantwortung und ihrer Verdrängung.

Im Prozess der französischen Aufarbeitung wurden die deutschen Pazifisten, die im Voraus vor dem neuen - roten - Totalitarismus kapitulierten, als "Juden des Dritten Weltkriegs" bezeichnet. Die Grünen verkörperten lange die Vorstellung eines "Vierten Reichs". Auch diese Saat geht in "Claustria" auf, Jauffret verklärt Österreich zum Paradies eines grünen Faschismus der politischen Korrektheit: "Heute ist Amstetten eine grüne Stadt. Vom Frühjahr an steht sie in Blüte, die Straßen wurden mit Rasenteppich ausgelegt. Man stellt den Wagen auf dem Parkplatz ab - so, wie man vor einer Moschee die Schuhe auszieht -, bevor man das Allerheiligste betritt, dessen Einwohner ihr schönes Ökosystem anbeten und in die Pedale treten, damit sich die Räder drehen wie Gebetsmühlen." Den staunenden Franzosen hatte Régis Jauffret von seinen heroischen Undercover-Erkundungen im österreichischen Sumpf und seiner Aufklärung in Amstetten erzählt. Die staunenden Österreicher lässt er glauben, in Paris werde er als Flaubert und Dostojewskij gefeiert, der Platons Höhlengleichnis neu geschrieben habe. Den Vergleich mit Truman Capote hat er selbst in die Welt gesetzt - zum Beispiel im Interview mit der französischen First Lady Valérie Trierweiler in der Illustrierten "Paris-Match".

Hätte er sich doch zumindest bei der Methode an sein unerreichbares Vorbild gehalten! Aus der dokumentarischen - und "kalten" - Beschreibung von Josef Fritzls Reich und Wahn wäre ein exemplarisches Werk über den Familienfaschismus, wie er schrecklicher nie öffentlich wurde, entstehen können: mit sexuellen Machtverhältnissen und einem unterirdischen Gefangenenlager, die jegliche zivilisatorische Ordnung außer Kraft setzten. Oder er hätte sich wie Jonathan Littell zum kühnsten ästhetischen Ansatz durchdringen müssen: "Fritzl bin ich." Doch die gewundenen Phantasien, historischen Überhöhungen und ideologischen Obsessionen müssen Österreich irgendwie und um jeden Preis zum fünften Reich des Josef Fritzl machen. Das konsternierende Resultat ist die unwahrscheinliche, unglaubwürdige Tragödie einer Familie, deren Fluch sich im französischen Vergangenheitskitsch auflöst. Auf keiner Seite geht aus "Claustria" die faschistische Wahrheit der österreichischen Gesellschaft hervor. Es gelingt dem Schriftsteller auch nicht, dem Leser in der Figur des Josef Fritzl die eigenen Abgründe vor Augen zu führen. Selbst Österreicher können nach der ermüdenden Lektüre wieder besseren Gewissens schlafen.

JÜRG ALTWEGG

Régis Jauffret: "Claustria".

Roman.

Aus dem Französischen von Gaby Wurster. Verlag Lessingstraße 6, Salzburg 2012. 528 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Erstaunlich viel Platz räumt Jürg Altwegg diesem Machwerk des Franzosen Régis Jauffret ein. Zwar hält sich der Autor für den neuen Truman Capote, literarische Beweise dafür kann Altwegg in diesem Buch allerdings nicht entdecken. Das Vorhaben, Österreich eine faschistische Wahrheit anzudichten, indem er den unsäglichen Fall Josef Fritzl, den Austrofaschismus (Hitler und Fritzl!) und grundsätzliche Fragen nach Welt und Wahn anhand eines Ritts durch das halbe vergangene Jahrhundert erörtert scheitert jedenfalls gründlich. Ermüdender Vergangenheitskitsch, meint Altwegg kopfschüttelnd, mehr nicht.

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