Eine Reise zu den Menschen und Orten, die die Welt des Kletterns bestimmen.Alpines wie sportliches Klettern begeistert immer mehr junge Menschen und ist in den letzten Jahren zu einem globalen Phänomen geworden. Mit atemberaubenden Bildern und Geschichten gibt Cliffhanger einen umfassenden Eindruck dieser Leidenschaft - vom Sport bis zum Lebensgefühl, draußen in der Natur zu kampieren. Dabei stellt das Buch nicht nur besondere Orte vor, sondern begleitet die Menschen an der Wand, die diesen Sport so faszinierend machen. Ob erfahrener Kletterer oder Einsteiger, hier beginnen schon beim Durchblättern die Hände zu schwitzen und das Herz zu rasen.
Rezensentin Tanja Rest kommt ins Schwelgen über die Möglichkeit des Unmöglichen mit Julie Ellisons Bild- und Textband zum Klettersport. Die Besessenheit der porträtierten Kletterer entgeht Rest nicht, aber eben auch nicht ihre Inspiration. Ob am japanischen Mount Hiei oder am Waldkopf bei Sackdilling - Rest spürt den Wahnsinn wie das Mythische, den Spirit. Auch wenn der Band mit seiner fachterminologischen Propädeutik, seinem Equipment-Abc und der Vorstellung der Kletterspots und Athleten vielleicht etwas zu viel will, wie Rest ahnt, gerade im Lockdown lässt sich damit trefflich träumen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine ZeitungFür den Tisch Der Cerro Torre in Patagonien ist einer der am schwierigsten zu besteigenden Berge der Welt. Noch vor 50 Jahren haben sich die besten Bergsteiger die Zähne an dieser über 3000 Meter hohen Granitnadel ausgebissen. Und erst vor acht Jahren gelang es den beiden Österreichern David Lama (siehe auch: Für die Tasche) und Peter Ortner zum ersten Mal, den Berg frei zu erklettern (mit Seil gesichert, aber ansonsten ohne künstliche Hilfsmittel). Und dann passierte etwas Erstaunliches: Plötzlich kamen Kletterer zum Cerro Torre, von denen man noch nie gehört hatte, die aber erstaunlich gut waren. Andrew Rothner zum Beispiel, ein damals 27-jähriger Amerikaner, der an Boulderwänden klettern lernte. Der Cerro Torre war seine erste alpine Route, und doch verhielt er sich so, als wäre die Gipfelwand eine Kunstkletterwand in irgendeiner Großstadt. Das zeigte, wie sehr sich der Klettersport in den vergangenen Jahren verändert hat und wie sich die Parallel-Szene in vielen Boulder- und Kletterhallen und an irgendwelchen Felsen im Flachland entwickelt hat - plötzlich konnten junge Menschen, die noch nie in den Bergen waren, besser klettern als viele, die dort aufgewachsen waren.
Und damit wären wir bei der "neuen Lust am Klettern", wie der Untertitel des Buches "Cliffhanger" lautet. Das spektakulär bebilderte Buch der Amerikanerin Julie Ellison widmet sich dieser Entwicklung und zeigt, wie sich die Kletterszene in den vergangenen Jahren verändert hat. Der Fokus liegt daher nicht nur auf hohen Bergen und wie sie zu bezwingen sind, sondern mehr auf dem "Bouldern", einer Spielart des Kletterns ohne Sicherung und nur bis zu einer Höhe, aus der man noch abspringen kann. Ellison reiste dafür um die ganze Welt: nach Fontainebleau in Frankreich, nach Rocklands in Südafrika und nach Bishop in den USA, nach Mexiko, in den Oman - und nach Deutschland. Aber nicht in die Alpen, sondern ins Frankenjura, um die eigentümliche Sportkletter-Szene dort zu beschreiben. Die überhängenden Sandsteinfelsen sind gerade mal 25 Meter hoch. Aber sie haben ganz eigene Techniken und Kletterer wie Kurt Albert, Wolfgang Güllich und Alexander Megos (unser Bild) hervorgebracht. Dem jungen Deutschen widmet Ellison sogar ein eigenes Porträt in ihrem Buch. Klettern, das geht aus diesem und auch aus vielen anderen von Ellisons Texten hervor, ist für sie selbst und all jene, die sie trifft, nicht nur ein Sport, sondern ein Lebensstil. Ein Lebensstil, der sich auch jenseits der Berge ausleben lässt.
asl.
Julie Ellison: Cliffhanger - Die neue Lust am Klettern, Gestalten 2020, 256 Seiten, Hardcover, 39,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Und damit wären wir bei der "neuen Lust am Klettern", wie der Untertitel des Buches "Cliffhanger" lautet. Das spektakulär bebilderte Buch der Amerikanerin Julie Ellison widmet sich dieser Entwicklung und zeigt, wie sich die Kletterszene in den vergangenen Jahren verändert hat. Der Fokus liegt daher nicht nur auf hohen Bergen und wie sie zu bezwingen sind, sondern mehr auf dem "Bouldern", einer Spielart des Kletterns ohne Sicherung und nur bis zu einer Höhe, aus der man noch abspringen kann. Ellison reiste dafür um die ganze Welt: nach Fontainebleau in Frankreich, nach Rocklands in Südafrika und nach Bishop in den USA, nach Mexiko, in den Oman - und nach Deutschland. Aber nicht in die Alpen, sondern ins Frankenjura, um die eigentümliche Sportkletter-Szene dort zu beschreiben. Die überhängenden Sandsteinfelsen sind gerade mal 25 Meter hoch. Aber sie haben ganz eigene Techniken und Kletterer wie Kurt Albert, Wolfgang Güllich und Alexander Megos (unser Bild) hervorgebracht. Dem jungen Deutschen widmet Ellison sogar ein eigenes Porträt in ihrem Buch. Klettern, das geht aus diesem und auch aus vielen anderen von Ellisons Texten hervor, ist für sie selbst und all jene, die sie trifft, nicht nur ein Sport, sondern ein Lebensstil. Ein Lebensstil, der sich auch jenseits der Berge ausleben lässt.
asl.
Julie Ellison: Cliffhanger - Die neue Lust am Klettern, Gestalten 2020, 256 Seiten, Hardcover, 39,90 Euro
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Süddeutsche ZeitungRock ’n’ Roll
Besessene Fantasten: Der Band „Cliffhanger“ zeigt spektakuläre Klettereien
Wenn man von Krottensee in Richtung Sackdilling fährt, nach zweieinhalb Kilometern am Wanderparkplatz parkt, sich auf dem Fußweg zur Steinernen Stadt links hält und schließlich rechts über einen schmalen Pfad hinaufsteigt, kommt man am Waldkopf vorbei.
Kaum 15 Meter hoch und pilzförmig, unterscheidet ihn auf den ersten Blick nichts von den mehr als tausend anderen Türmchen und Felsmassiven, die ein spendabler Schöpfer mit leichter Hand in die Buchenwälder des nördlichen Frankenjuras gestreut hat; weshalb Wanderer den Kalkklops meist links liegen lassen. Kletterer tun das nicht. Sie wissen, dass an diesem Ort in ihrem Metier Geschichte geschrieben worden ist.
Am 14. September 1991 gelang dem Kletterer Wolfgang Güllich hier die freie Begehung der Linie Action Directe. Sie galt jahrelang als schwierigste Sportkletterroute der Welt, die erste überhaupt im Schwierigkeitsgrad 9a. Wer sich um einen Stammplatz in der exklusiven Riege der 9a-Kletterer bewirbt, pilgert auch heute noch zum Waldkopf und kehrt nach Tagen des Probierens, Stürzens, Scheiterns oft demütig zurück. Die Action Directe verlangt auf einer Länge von 15 Metern um die 15 katastrophal schwere Kletterzüge. Schon der Einstieg ist geeignet, einen rationalen Menschen den Verstand zu kosten: An ein Einfingerloch gekrallt, gilt es in der überhängenden Wand ein scharfes Zweifingerloch, tatsächlich: anzuspringen.
Güllich baute die schwierigsten Züge damals an seiner Trainingswand nach, er brauchte zehn Wochen und unzählige Versuche, bis er alle Bewegungen aneinanderreihen konnte. Das einzige Wort, das einem zu dieser Meisterleistung einfällt, ist Besessenheit.
Besessen sind sie alle, die Vertikalkünstler, die im Bildband „Cliffhanger“ auftreten, aber auf eine inspirierende Weise. Es geht ihnen nicht um Geld, um Ruhm, schon gar nicht um abgegriffene Attribute des Bürgerlichen. Sie treibt einzig und allein die Frage an, die Menschen seit jeher Flügel verliehen hat: Könnte es wider alle Vernunft denn möglich sein …?
Die Nose am El Capitan im Yosemite Valley zu „befreien“, wie es in der Klettersprache heißt, und sich dabei nur am Granit festzuhalten? Als erste Frau der Welt das Boulderproblem Horizon am Mount Hiei in Japan zu lösen? Im norwegischen Rjukan einen frei stehenden, zu klirrendem Eis erstarrten Wasserfall hinaufzuklettern oder den furchterregenden Great Arch of China zu durchsteigen, der auf einer Länge von 400 Metern bis zu 150 Meter überhängt? Es braucht Wahnsinnige, Besessene, letztlich Fantasten, um das zu tun.
Man kann dem Prachtband „Cliffhanger“, herausgegeben von der amerikanischen Kletterin und Journalistin Julie Ellison, manches vorwerfen. Dass er alle Spielarten des Kletterns thematisiert (Bouldern, Sport-, Eis-, Trad- und Big-Wall-Climbing); Fachfremde an die dazugehörige Begrifflichkeit sowie das Equipment heranführen will; die schönsten, mythischsten Felsarenen des Erdballs präsentiert, den dazugehörigen Lifestyle feiert und nicht zuletzt die maßgeblichen Athleten vorstellt (wobei der aktuell weltbeste Kletterer Adam Ondra, seltsamerweise fehlt). Es ist streng genommen ein Buch, das auf seinen immerhin 288 Seiten zu viel will.
Andererseits: der Spirit, das Abenteuer, die beglückende Ästhetik des kleinen Menschenkörpers in einer riesig großen Wand … Wie könnte man dieses Buch aus der Hand legen ohne die Zuversicht, dass sich auch Undenkbares meistern lässt? „Wenn ich klettere, bin ich ganz Fels“, hat Reinhold Messner mal gesagt. Verschmelzungsfantasien – wir hier im Home-Lockdown, dort draußen die große, wilde, senkrechte Natur: Mehr brauchen Träumer heute nicht.
TANJA REST
Julie Ellison:
Cliffhanger.
Die neue Lust
am Klettern.
Aus dem Englischen
von Johannes Schmid.
Gestalten Verlag, 2020. 288 Seiten, 39,90 Euro.
Foto: Joshua E. Larson
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Besessene Fantasten: Der Band „Cliffhanger“ zeigt spektakuläre Klettereien
Wenn man von Krottensee in Richtung Sackdilling fährt, nach zweieinhalb Kilometern am Wanderparkplatz parkt, sich auf dem Fußweg zur Steinernen Stadt links hält und schließlich rechts über einen schmalen Pfad hinaufsteigt, kommt man am Waldkopf vorbei.
Kaum 15 Meter hoch und pilzförmig, unterscheidet ihn auf den ersten Blick nichts von den mehr als tausend anderen Türmchen und Felsmassiven, die ein spendabler Schöpfer mit leichter Hand in die Buchenwälder des nördlichen Frankenjuras gestreut hat; weshalb Wanderer den Kalkklops meist links liegen lassen. Kletterer tun das nicht. Sie wissen, dass an diesem Ort in ihrem Metier Geschichte geschrieben worden ist.
Am 14. September 1991 gelang dem Kletterer Wolfgang Güllich hier die freie Begehung der Linie Action Directe. Sie galt jahrelang als schwierigste Sportkletterroute der Welt, die erste überhaupt im Schwierigkeitsgrad 9a. Wer sich um einen Stammplatz in der exklusiven Riege der 9a-Kletterer bewirbt, pilgert auch heute noch zum Waldkopf und kehrt nach Tagen des Probierens, Stürzens, Scheiterns oft demütig zurück. Die Action Directe verlangt auf einer Länge von 15 Metern um die 15 katastrophal schwere Kletterzüge. Schon der Einstieg ist geeignet, einen rationalen Menschen den Verstand zu kosten: An ein Einfingerloch gekrallt, gilt es in der überhängenden Wand ein scharfes Zweifingerloch, tatsächlich: anzuspringen.
Güllich baute die schwierigsten Züge damals an seiner Trainingswand nach, er brauchte zehn Wochen und unzählige Versuche, bis er alle Bewegungen aneinanderreihen konnte. Das einzige Wort, das einem zu dieser Meisterleistung einfällt, ist Besessenheit.
Besessen sind sie alle, die Vertikalkünstler, die im Bildband „Cliffhanger“ auftreten, aber auf eine inspirierende Weise. Es geht ihnen nicht um Geld, um Ruhm, schon gar nicht um abgegriffene Attribute des Bürgerlichen. Sie treibt einzig und allein die Frage an, die Menschen seit jeher Flügel verliehen hat: Könnte es wider alle Vernunft denn möglich sein …?
Die Nose am El Capitan im Yosemite Valley zu „befreien“, wie es in der Klettersprache heißt, und sich dabei nur am Granit festzuhalten? Als erste Frau der Welt das Boulderproblem Horizon am Mount Hiei in Japan zu lösen? Im norwegischen Rjukan einen frei stehenden, zu klirrendem Eis erstarrten Wasserfall hinaufzuklettern oder den furchterregenden Great Arch of China zu durchsteigen, der auf einer Länge von 400 Metern bis zu 150 Meter überhängt? Es braucht Wahnsinnige, Besessene, letztlich Fantasten, um das zu tun.
Man kann dem Prachtband „Cliffhanger“, herausgegeben von der amerikanischen Kletterin und Journalistin Julie Ellison, manches vorwerfen. Dass er alle Spielarten des Kletterns thematisiert (Bouldern, Sport-, Eis-, Trad- und Big-Wall-Climbing); Fachfremde an die dazugehörige Begrifflichkeit sowie das Equipment heranführen will; die schönsten, mythischsten Felsarenen des Erdballs präsentiert, den dazugehörigen Lifestyle feiert und nicht zuletzt die maßgeblichen Athleten vorstellt (wobei der aktuell weltbeste Kletterer Adam Ondra, seltsamerweise fehlt). Es ist streng genommen ein Buch, das auf seinen immerhin 288 Seiten zu viel will.
Andererseits: der Spirit, das Abenteuer, die beglückende Ästhetik des kleinen Menschenkörpers in einer riesig großen Wand … Wie könnte man dieses Buch aus der Hand legen ohne die Zuversicht, dass sich auch Undenkbares meistern lässt? „Wenn ich klettere, bin ich ganz Fels“, hat Reinhold Messner mal gesagt. Verschmelzungsfantasien – wir hier im Home-Lockdown, dort draußen die große, wilde, senkrechte Natur: Mehr brauchen Träumer heute nicht.
TANJA REST
Julie Ellison:
Cliffhanger.
Die neue Lust
am Klettern.
Aus dem Englischen
von Johannes Schmid.
Gestalten Verlag, 2020. 288 Seiten, 39,90 Euro.
Foto: Joshua E. Larson
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensentin Tanja Rest kommt ins Schwelgen über die Möglichkeit des Unmöglichen mit Julie Ellisons Bild- und Textband zum Klettersport. Die Besessenheit der porträtierten Kletterer entgeht Rest nicht, aber eben auch nicht ihre Inspiration. Ob am japanischen Mount Hiei oder am Waldkopf bei Sackdilling - Rest spürt den Wahnsinn wie das Mythische, den Spirit. Auch wenn der Band mit seiner fachterminologischen Propädeutik, seinem Equipment-Abc und der Vorstellung der Kletterspots und Athleten vielleicht etwas zu viel will, wie Rest ahnt, gerade im Lockdown lässt sich damit trefflich träumen.
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