Seit einigen Jahren sind Technologien, die die Folgen des anthropogenen Klimawandels rückgängig machen sollen, in den Klimaschutzplänen des Weltklimarats eingeplant. Es geht längst nicht mehr nur um eine Reduzierung der Emissionen von Treibhausgasen und eine Anpassung an die inzwischen unvermeidbar gewordenen Folgen des Klima-Umbruchs: Um das Schlimmste zu verhindern, werden Projekte für einen »Plan B« entwickelt, mit denen entweder die Sonne zwecks Abkühlung der Erde »abgeschattet«, oder aber das bereits emittierte Kohlendioxid wieder aus der Luft herausgeholt werden soll.Climate Engineering, also das Herumbasteln am Klima, ist nach offiziellen Verlautbarungen inzwischen unverzichtbar geworden. Diese Entwicklung sollte in der Bewegung für Klimagerechtigkeit dringend diskutiert werden! Annette Schlemm geht es um eine gesellschaftspolitische Einschätzung dieser Vorhaben - und das führt gerade aus der Perspektive globaler Gerechtigkeit zu starken Zweifeln an deren Sinnhaftigkeit. Es wird Zeit, dass wir uns kritisch einmischen, sonst werden zur angeblichen »Rettung des Planeten« neue Machtstrukturen installiert, die viel gefährlicher sind als die eingesetzten technologischen Mittel.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Christian Schwägerl ist wenig überzeugt von Annette Schlemms Buch über Versuche, dem Klimawandel mithilfe technologischer Innovationen Herr zu werden. Nicht, dass er die Grundthese rundherum ablehnen würde: die derzeit diskutierten Modelle in diesem Feld bergen in der Tat Risiken: Schwefelpartikel in der Atmosphäre, die die Erhitzung aufhalten sollen, könnten etwa, wenn die Schwefelschicht irgendwann zusammenbricht, gegenteilige Effekte zeitigen. Die Physikerin Schlemm hält sich jedoch, kritisiert der Rezensent, nicht lange mit Sachargumenten auf, sondern diskreditiert die am Thema arbeitenden Forscher pauschal mithilfe einer platten Kapitalismuskritik. Eine ernsthafte marxistische Analyse des Klimaproblems hätte Schwägerl gerne gelesen, bei Schlemm bleibt es jedoch leider bei Hetze gegen Bill Gates und Geschichtsklitterung hinsichtlich der Technologiepolitik im real existierenden Sozialismus.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2024Die Erderwärmung für politische Zwecke kapern
Annette Schlemm unterzieht die Verfahren des "Climate Engineering" einer kritischen Prüfung
In Kalifornien ist vor Kurzem eine kleine Pilotanlage mit einem großen Ziel in Betrieb gegangen: Die Firma Heirloom Carbon Technologies will demonstrieren, wie man mithilfe von zerriebenem Kalkgestein Kohlendioxid aus der Luft entfernen kann. Weitere Verfahren mit derselben Absicht sind schnell gefunden: Öl- und Gasfirmen wollen etwa die Abgase von Kohlekraftwerken einfangen und sie im Rahmen der Förderung fossiler Brennstoffe in den Untergrund verpressen. Das Kohlendioxid soll Öl und Gas nach oben drücken, aber selbst im Untergrund verbleiben. Manche Ölfirmen verkaufen dies als "klimaneutrale" Ölgewinnung.
Immer wieder werden Methoden ins Spiel gebracht, der Erderwärmung entgegenzuwirken: Futuristisch anmutende Ideen für sogenannte "Sonnenstrahlungsmanagements" reichen von riesigen Segeln im Weltall bis zu einer künstlich geschaffenen Schicht von Schwefelpartikeln in der Atmosphäre, um das Licht der Sonne abzuschirmen. Andere wollen riesige Flächen weiß anstreichen, damit mehr Sonnenenergie von der Erdoberfläche ins All zurückstrahlt.
Die Physikerin Annette Schlemm hat diesen Trend zum Anlass genommen, die Hintergründe des "Climate Engineering" auszuleuchten. Sie will einen Überblick über die Verfahren geben und sie bewerten. Wie wichtig das Thema ist, zeigen die Pläne des Weltklimarats IPCC, Kohlendioxid in großem Stil wieder aus der Atmosphäre zu holen und in Pflanzenmaterial oder im geologischen Untergrund zu speichern.
Schlemm verfügt über solides Fachwissen, versagt dem Leser aber eine Einordnung der neuen Technologien - etwa was die Kohlenstoffkreisläufe und -ablagerungen unseres Planeten betrifft. Dafür schlägt sie einen spöttischen Ton an und spricht gleich auf den ersten Seiten von einer "skandalösen Entwicklung" und "eigentlich unverantwortlichen Mitteln" - eine gute Begründung für diese Einordnung bleibt sie schuldig.
Die Autorin führt Akteure ein, ohne deren Funktionen und Kompetenzen vorzustellen; unmissverständlich klar macht sie jedoch, wen sie zu den Bösen zählt. Zum Beispiel David Keith, der als Professor für angewandte Physik an der Harvard School of Engineering Methoden der Kohlenstoffentfernung erforscht. Beim langjährigen IPCC-Vorsitzenden Hoesung Lee reicht schon eine kurze berufliche Station bei einem Ölunternehmen in den Achtzigerjahren, um ihn verdächtig zu machen. Zudem purzeln Spekulationen von Science-Fiction-Autoren und praktisch relevante Ansätze durcheinander.
Tatsächlich gibt es bei jedem diskutierten Verfahren des "Climate Engineering" Risiken und Anlass zum Zweifel: Kohlendioxid in zerriebenem Kalkstein zu binden ist zu energieintensiv. Versuche, das Treibhausgas durch neue Wälder einzufangen, können zu industriellen Plantagen führen, die die Biodiversität gefährden. Wer glaubt, die Erderwärmung durch eine Schwefelschicht hoch oben am Himmel aufhalten zu können, muss auch für den "Terminationsschock" planen, also die abrupte Erhitzung für den Fall, dass so eine Schicht nicht weiter aufrechterhalten werden kann.
Erst sehr spät legt die Autorin die wirklichen Motive hinter ihrer Ablehnung auf den Tisch. Nicht um die Gefahr von Lecks in unterirdischen CO2-Speichern geht es dabei, sondern um die böse Fratze des Kapitalismus, die Schlemm im "Climate Engineering" zu erkennen meint. Unter dem Zwischentitel "Das System ist der Fehler" präsentiert sie eine Analyse, der zufolge hinter allem die "Klasse derer, die die wichtigsten Produktionsmittel besitzen", steckt, die mit CO2-Technologien die Menschheit von sich abhängig machen und endloses Wirtschaftswachstum um jeden Preis verteidigen will. Wie häufig die Autorin dabei den Namen Bill Gates nennt, weil der Unternehmer in Forschung und Firmen des Felds investiert, lässt an Verschwörungsmythen aus der Pandemiezeit denken.
Nun hat jeder Autor das Recht, die Klimapolitik mit dem Rüstzeug des historischen Materialismus zu interpretieren und daraus gesellschaftspolitische Schlüsse zu ziehen. Das hätte aber einer Herleitung wie einer konsequenten Argumentation bedurft. Interessanter, als nur Andeutungen zu präsentieren, wäre es gewesen, die Klimakrise einmal marxistisch durchzudeklinieren und die Parole "Systems Change, Not Climate Change" auf ihre Tauglichkeit zu prüfen.
Lieber fordert Schlemm, eventuelle Versuche des "Climate Engineering" dürften "nicht zum Feld für neue Profitmacherei werden", eventuelle Gewinne müssten "in Ökologie und Soziales reinvestiert werden". Die Autorin versteigt sich sogar zu der Behauptung, die sozialistische Ideologie sei nicht technokratisch gewesen, obwohl von gigantischen Staudämmen bis zu tiefen Bergwerken das Leben im real existierenden Sozialismus genau davon geprägt war und obwohl der Wissenschaftler Vladimir Vernadsky in der Stalin-Zeit als einer der ersten überhaupt geotechnologische Szenarien entwickelt hat.
Das Buch ist einer von vielen Versuchen, die Klimakrise für politische Zwecke zu kapern. Die sachlich begründbaren Bedenken gegen "Climate Engineering" verlieren dadurch allerdings nicht ihre Berechtigung. Dass im Vorfeld von großtechnischen Interventionen darüber diskutiert werden muss, wie man ganz direkt Energie sparen kann, um Kohlendioxidemissionen an der Quelle zu verhindern, und auf welche Auswüchse des Konsums zugunsten der nächsten Generationen verzichtet werden sollte, versteht sich. Und es ist gut möglich, dass man jenen Wissenschaftlern, die auf dem Feld des "Climate Engineering" aktiv sind und die Schlemm als Diener von "Großkapitalisten" bezeichnet, einmal dankbar sein wird. CHRISTIAN SCHWÄGERL
Annette Schlemm: "Climate Engineering". Wie wir uns technisch zu Tode siegen, statt die Gesellschaft zu revolutionieren.
Mandelbaum Verlag, Wien/Berlin 2023.
322 S., br., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Annette Schlemm unterzieht die Verfahren des "Climate Engineering" einer kritischen Prüfung
In Kalifornien ist vor Kurzem eine kleine Pilotanlage mit einem großen Ziel in Betrieb gegangen: Die Firma Heirloom Carbon Technologies will demonstrieren, wie man mithilfe von zerriebenem Kalkgestein Kohlendioxid aus der Luft entfernen kann. Weitere Verfahren mit derselben Absicht sind schnell gefunden: Öl- und Gasfirmen wollen etwa die Abgase von Kohlekraftwerken einfangen und sie im Rahmen der Förderung fossiler Brennstoffe in den Untergrund verpressen. Das Kohlendioxid soll Öl und Gas nach oben drücken, aber selbst im Untergrund verbleiben. Manche Ölfirmen verkaufen dies als "klimaneutrale" Ölgewinnung.
Immer wieder werden Methoden ins Spiel gebracht, der Erderwärmung entgegenzuwirken: Futuristisch anmutende Ideen für sogenannte "Sonnenstrahlungsmanagements" reichen von riesigen Segeln im Weltall bis zu einer künstlich geschaffenen Schicht von Schwefelpartikeln in der Atmosphäre, um das Licht der Sonne abzuschirmen. Andere wollen riesige Flächen weiß anstreichen, damit mehr Sonnenenergie von der Erdoberfläche ins All zurückstrahlt.
Die Physikerin Annette Schlemm hat diesen Trend zum Anlass genommen, die Hintergründe des "Climate Engineering" auszuleuchten. Sie will einen Überblick über die Verfahren geben und sie bewerten. Wie wichtig das Thema ist, zeigen die Pläne des Weltklimarats IPCC, Kohlendioxid in großem Stil wieder aus der Atmosphäre zu holen und in Pflanzenmaterial oder im geologischen Untergrund zu speichern.
Schlemm verfügt über solides Fachwissen, versagt dem Leser aber eine Einordnung der neuen Technologien - etwa was die Kohlenstoffkreisläufe und -ablagerungen unseres Planeten betrifft. Dafür schlägt sie einen spöttischen Ton an und spricht gleich auf den ersten Seiten von einer "skandalösen Entwicklung" und "eigentlich unverantwortlichen Mitteln" - eine gute Begründung für diese Einordnung bleibt sie schuldig.
Die Autorin führt Akteure ein, ohne deren Funktionen und Kompetenzen vorzustellen; unmissverständlich klar macht sie jedoch, wen sie zu den Bösen zählt. Zum Beispiel David Keith, der als Professor für angewandte Physik an der Harvard School of Engineering Methoden der Kohlenstoffentfernung erforscht. Beim langjährigen IPCC-Vorsitzenden Hoesung Lee reicht schon eine kurze berufliche Station bei einem Ölunternehmen in den Achtzigerjahren, um ihn verdächtig zu machen. Zudem purzeln Spekulationen von Science-Fiction-Autoren und praktisch relevante Ansätze durcheinander.
Tatsächlich gibt es bei jedem diskutierten Verfahren des "Climate Engineering" Risiken und Anlass zum Zweifel: Kohlendioxid in zerriebenem Kalkstein zu binden ist zu energieintensiv. Versuche, das Treibhausgas durch neue Wälder einzufangen, können zu industriellen Plantagen führen, die die Biodiversität gefährden. Wer glaubt, die Erderwärmung durch eine Schwefelschicht hoch oben am Himmel aufhalten zu können, muss auch für den "Terminationsschock" planen, also die abrupte Erhitzung für den Fall, dass so eine Schicht nicht weiter aufrechterhalten werden kann.
Erst sehr spät legt die Autorin die wirklichen Motive hinter ihrer Ablehnung auf den Tisch. Nicht um die Gefahr von Lecks in unterirdischen CO2-Speichern geht es dabei, sondern um die böse Fratze des Kapitalismus, die Schlemm im "Climate Engineering" zu erkennen meint. Unter dem Zwischentitel "Das System ist der Fehler" präsentiert sie eine Analyse, der zufolge hinter allem die "Klasse derer, die die wichtigsten Produktionsmittel besitzen", steckt, die mit CO2-Technologien die Menschheit von sich abhängig machen und endloses Wirtschaftswachstum um jeden Preis verteidigen will. Wie häufig die Autorin dabei den Namen Bill Gates nennt, weil der Unternehmer in Forschung und Firmen des Felds investiert, lässt an Verschwörungsmythen aus der Pandemiezeit denken.
Nun hat jeder Autor das Recht, die Klimapolitik mit dem Rüstzeug des historischen Materialismus zu interpretieren und daraus gesellschaftspolitische Schlüsse zu ziehen. Das hätte aber einer Herleitung wie einer konsequenten Argumentation bedurft. Interessanter, als nur Andeutungen zu präsentieren, wäre es gewesen, die Klimakrise einmal marxistisch durchzudeklinieren und die Parole "Systems Change, Not Climate Change" auf ihre Tauglichkeit zu prüfen.
Lieber fordert Schlemm, eventuelle Versuche des "Climate Engineering" dürften "nicht zum Feld für neue Profitmacherei werden", eventuelle Gewinne müssten "in Ökologie und Soziales reinvestiert werden". Die Autorin versteigt sich sogar zu der Behauptung, die sozialistische Ideologie sei nicht technokratisch gewesen, obwohl von gigantischen Staudämmen bis zu tiefen Bergwerken das Leben im real existierenden Sozialismus genau davon geprägt war und obwohl der Wissenschaftler Vladimir Vernadsky in der Stalin-Zeit als einer der ersten überhaupt geotechnologische Szenarien entwickelt hat.
Das Buch ist einer von vielen Versuchen, die Klimakrise für politische Zwecke zu kapern. Die sachlich begründbaren Bedenken gegen "Climate Engineering" verlieren dadurch allerdings nicht ihre Berechtigung. Dass im Vorfeld von großtechnischen Interventionen darüber diskutiert werden muss, wie man ganz direkt Energie sparen kann, um Kohlendioxidemissionen an der Quelle zu verhindern, und auf welche Auswüchse des Konsums zugunsten der nächsten Generationen verzichtet werden sollte, versteht sich. Und es ist gut möglich, dass man jenen Wissenschaftlern, die auf dem Feld des "Climate Engineering" aktiv sind und die Schlemm als Diener von "Großkapitalisten" bezeichnet, einmal dankbar sein wird. CHRISTIAN SCHWÄGERL
Annette Schlemm: "Climate Engineering". Wie wir uns technisch zu Tode siegen, statt die Gesellschaft zu revolutionieren.
Mandelbaum Verlag, Wien/Berlin 2023.
322 S., br., 20,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main