Unser Leben ist immer stärker mit dem Internet verwoben und es werden Unmengen an personenbezogenen Daten gesammelt, die Einblick in unsere Gewohnheiten und Überzeugungen geben und die zu jeder Zeit dokumentieren, in welcher Situation wir uns befinden. Unsere Zahlungsdaten enthüllen, ob man ein
wohlhabender Hausbesitzer oder ein Rentner in prekären finanziellen Verhältnissen ist. Die Sammlung…mehrUnser Leben ist immer stärker mit dem Internet verwoben und es werden Unmengen an personenbezogenen Daten gesammelt, die Einblick in unsere Gewohnheiten und Überzeugungen geben und die zu jeder Zeit dokumentieren, in welcher Situation wir uns befinden. Unsere Zahlungsdaten enthüllen, ob man ein wohlhabender Hausbesitzer oder ein Rentner in prekären finanziellen Verhältnissen ist. Die Sammlung dieser Daten ermöglichen auch Vorhersagemodelle, was man als Nächstes tut oder wie man auf eine politische Provokation reagieren wird. Für jeden, der solche Charakterprofile erstellen möchte, ist Bargeld ein großer Informationsblocker, da es anonym ist und keine Spuren auf der "letzten Meile" hinterlässt.
In "Cloudmoney" beschäftigt sich der britische Journalist Brett Scott mit den drei großen Themenkomplexen Bargeld, "Bankgeld" und Kryptogeld.
Nur Bargeld ist durch die Notenbanken abgesichert. Das "Bankgeld", das Sparer z. B. auf Konten bei Kreditinstituten haben, wird auch nur durch diese abgesichert. Der Staat steht nur bis zur Höhe der Einlagensicherungsgrenze für diese digitalen Gelder gerade. Digitales Geld, das wir privat ausgegeben, ist ein im übertragenen Sinn ein Spielkasinochip der Banken und nur physisches Bargeld ist staatliches Geld, das wir tatsächlich besitzen können. Scott macht unmissverständlich klar: Nur Bares ist Wahres.
In der Realität fällt es uns schwer, eine Grenze zwischen Bargeld und digitalen Bankchips zu ziehen. Scotts Ausführungen zum Thema "Was ist Geld" sind aber so einleuchtend und verständlich erklärt, wie ich es bisher noch in keinem Buch gelesen habe. Man versteht, warum Bargeld aus Sicht der Banken, Zahlungsunternehmen, FinTech-Branche sowie der Staaten und Zentralbanken ein Störfaktor ist und abgeschafft werden muss. Auch hinterfragt Scott die gängigen Narrative in den Medien, die täglich Jubelnachrichten z. B. über spannende Fintech-Apps oder die Vorteile von digitalen Zahlungsmethoden (bequemer, benutzerfreundlicher, sicherer, keimfrei, kostengünstiger...) bringen.
Eigentlich sollte der Grundsatz "Transparenz für die Mächtigen und Schutz der Privatsphäre für die Schwachen" gelten, aber das Gegenteil ist der Fall. Große Institutionen hüllen sich in undurchsichtige Verschwiegenheitserklärungen und komplizierte Vertragskonstrukte, glauben aber dazu berechtigt zu sein, alle andere "nackt" zu sehen.
Der Autor betrachtet in diesem Zusammenhang die vielen Gesichter von Big Brother, nicht nur Finanzinstitute und Staaten, sondern auch im Kleinen z. B. die Überwachung des (Ausgabe-)Verhaltens durch Apps (Haushaltsplanung, "Selbstvermessung") und erklärt, was hintern den neuen Ideen "Big Bouncer" und "Big Butler" steckt.
Wer das Gefühl hat, überwacht zu werden, verändert sein Verhalten. Er kauft bestimmte Dinge nicht mehr, weil sie evtl. den Kreditscore oder die Versicherungsprämie oder die Einstufung in gute und schlechte Bürger (China) beeinflussen. Noch ist unser Zahlungssystem fragmentiert und auf verschiedene physische und digitale Formen aufgeteilt, aber das verändert sich gerade oder ist bereits - wie in China - kein Zukunftsszenario mehr.
Auch das spannende Thema Kryptogeld thematisiert Scott ausführlich und bringt eine sehr gute und verständliche Einführung zur Blockchain, auch wenn die vereinfachte Beschreibung immer noch "intellektuell anspruchsvoll" ist, wie der Autor selbst schreibt. Aber Scott gelingt es mit vielen Metaphern das Thema auch Einsteigern nachvollziehbar näher zu bringen. Insgesamt beurteilt er die "Krypto-Token" - er spricht ungern von Währungen - eher kritisch und sieht sie eher als Tausch- und Sammlerobjekte an.
Scotts "Cloudmoney" hat mich gefesselt, weil er es immer wieder schafft, komplizierte Sachverhalte verständlich und nachhaltig (!) zu erklären, zu analysieren und auf die falschen Narrativen und drohenden Gefahren hinzuweisen. Man sollte kein Kapitel überspringen, auch weil die Beispiele teils aufeinander aufbauen. Ein spannendes, und wie ich finde auch wichtiges Buch.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)