"Eine der besten Story-Sammlungen der letzten zehn Jahre. Means' Vollblutgeschichten sind aufwühlend und komisch, jede ihrer überraschenden Wendungen überzeugt. Sie sind auf eine Weise lyrisch, dass daneben das meiste, was heute als 'lyrisch' daherkommt, wie Glückwunschkarten klingt. Das ist Nahrung für die Ausgehungerten." Jonathan Franzen
"David Means ist ein Anatom des Desasters." Jeffrey Eugenides
Ohne Umschweife ins Zentrum treffen diese Geschichten, mitten in das gewalttätige Herz einer Beziehung, einer Landschaft, eines Charakters. Sie spielen in der Gegend des großen Seengebietes im nördlichen Michigan, und die Atmosphäre der Landschaften, der Jahreszeiten, der Farben und Wetter kriechen förmlich aus jeder Buchseite. In der Titelerzählung "Coitus" wird Bob an einem heißen Julitag beim außerehelichen Beischlaf plötzlich von Erinnerungen an den Tod seines Bruders eingeholt, der vor Jahren in einem See ertrank. Immer weiter entgleisen die Erinnerungen, bis Denken und Fühlen kollidieren und Bob die heilende Kraft des Erinnerns erkennen muss. In einer weiteren dieser herausragenden Geschichten beendet ein Paar gerade sein Schäferstündchen in einem Auto, als plötzlich Schnee fällt und peitschender Wind aufzieht. Eine Tragödie bahnt sich an, während David Means uns in die Vergangenheit des Mädchens und zu dessen gewaltsamem Ende führt. In höchst poetischer Prosa, in ständig wechselnden Perspektiven zwischen den Realitäten, verbindet David Means seine vielfältigen Erzählungen zu einem komplexen Bild menschlicher Emotionen. Er ist ein "Gestenjäger", ein genauer Beobachter, der den Blick des Lesers auf die Details des Lebens lenkt und nie den Menschen aus dem Auge verliert. Obwohl seinen Figuren teilweise übersinnlich anmutende Begebenheiten widerfahren, erscheinen sie uns vertraut und lebendig und sind bei allen bitteren Lebenserfahrungen wie Verlust, Schmerz und Brutalität vor allem eins: menschlich.
"David Means ist ein Anatom des Desasters." Jeffrey Eugenides
Ohne Umschweife ins Zentrum treffen diese Geschichten, mitten in das gewalttätige Herz einer Beziehung, einer Landschaft, eines Charakters. Sie spielen in der Gegend des großen Seengebietes im nördlichen Michigan, und die Atmosphäre der Landschaften, der Jahreszeiten, der Farben und Wetter kriechen förmlich aus jeder Buchseite. In der Titelerzählung "Coitus" wird Bob an einem heißen Julitag beim außerehelichen Beischlaf plötzlich von Erinnerungen an den Tod seines Bruders eingeholt, der vor Jahren in einem See ertrank. Immer weiter entgleisen die Erinnerungen, bis Denken und Fühlen kollidieren und Bob die heilende Kraft des Erinnerns erkennen muss. In einer weiteren dieser herausragenden Geschichten beendet ein Paar gerade sein Schäferstündchen in einem Auto, als plötzlich Schnee fällt und peitschender Wind aufzieht. Eine Tragödie bahnt sich an, während David Means uns in die Vergangenheit des Mädchens und zu dessen gewaltsamem Ende führt. In höchst poetischer Prosa, in ständig wechselnden Perspektiven zwischen den Realitäten, verbindet David Means seine vielfältigen Erzählungen zu einem komplexen Bild menschlicher Emotionen. Er ist ein "Gestenjäger", ein genauer Beobachter, der den Blick des Lesers auf die Details des Lebens lenkt und nie den Menschen aus dem Auge verliert. Obwohl seinen Figuren teilweise übersinnlich anmutende Begebenheiten widerfahren, erscheinen sie uns vertraut und lebendig und sind bei allen bitteren Lebenserfahrungen wie Verlust, Schmerz und Brutalität vor allem eins: menschlich.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.10.2005Zermahlen zwischen Gottes dummen Kiefern
Unschuld und Grausamkeit: Die rücksichtslosen Stories des Gestenjägers David Means / Von Martin Halter
Liebe und Tod liegen bei David Means so nah beieinander wie Bob und Ellen beim außerehelichen Sex. Es ist ein Augenblick reinen Glücks, aber Bob ist nur halbherzig bei der Sache. Während er seine Geliebte mit abwesender Zärtlichkeit streichelt, schweifen seine Gedanken zu seinem beim Paddeln ertrunkenen Bruder ab. Trauer, Scham und Schuld stehen wie Engel um das Bett der Liebenden, aber ihre Gegenwart wirkt eher erlösend als bedrückend: Zeitlose Lust und postkoitale Tristesse, Wünschen und Erinnern gehören zusammen wie bei Mozart "zwei Themen, die simultan gespielt werden und sich mit vollkommen geläuterter Rücksichtslosigkeit und Grazie zugleich aneinander entfalten".
Mit ebendieser unschuldigen Grazie verschränkt Means Außen- und Innenwelt, Gegenwart und Vergangenheit, Natur- und Industriegeschichte. In magischen Simultanerfahrungen schießen Glück und Unglück, alltägliches Elend und festliche Wonnen, Grausamkeit und Gnade jäh ineinander, um sich wechselseitig zu steigern und in einem von allen irdischen Schlacken und moralischen Rücksichten gereinigten Dritten aufzugehen: Schönheit, Würde, Humanität in einer unmenschlichen Welt. Eine trauernde Witwe zeigt ihrem neuen Freund Pornovideos von der Hochzeitsreise mit ihrem verstorbenen Mann, als wäre es die natürlichste Sache der Welt. In "Der verborgene Goldfisch" spiegelt sich in einem von Algen überwucherten Aquarium eine Familientragödie und im letzten Fisch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. In "Klage am Sleeping Bear Park" trauert ein Junge beim Zelten um seinen Jugendfreund und mehr noch um seinen Verrat an ihm.
Means' Erzählungen sind Totenklagen, Vermißtenmeldungen, zweistimmige Trauergesänge, und fast alle Toten sind Opfer der rauhen, kargen Gegend um die Großen Seen. Wenn der Schmerz der "Mittelpunkt der Welt" ist, dann ist das nördliche Michigan ihr Nabel. Menschen werden von Sanddünen verschüttet und von Eisschollen zerquetscht, ertrinken in reißenden Flüssen, im Dioxinschlamm stillgelegter Papierfabriken oder werden, wie in der gleichnamigen, herzzerreißend traurigen Geschichte, im Schneesturm "Von der Brücke geweht". "Ich will nicht, daß in meinen Geschichten noch irgend jemand stirbt", schreibt Means einmal. "Von jetzt an soll das Leben herrlich sein." Natürlich bleibt es beim frommen Wunsch; denn wilder noch als Klima, Landschaft und Natur ist der Mensch.
Das Indianergebiet am oberen Hudson wurde im neunzehnten Jahrhundert von Eisenbahnen, Werften und Fabriken erobert. Die Industriedenkmäler sind schon wieder verwittert und verfallen, die alten Sagen und Mythen stärker denn je. Beides, Natur und Zivilisation, die kranken Wälder und Seen wie die verwilderte Industriebrache, hat sich tief in die Körper und Seelen ihrer Bewohner eingebrannt. In den verarmten Farmern halten sich noch Reste des alten Pioniergeistes und der puritanischen Ethik; aber mit der Depression kamen die Hobos und Tramps und später die Nomaden der Moderne: Ausflügler, Penner und Pendler aus New York, gestrandete Hippies, traumatisierte Kriegsveteranen, aus der Bahn geworfene Trucker. Der Zusammenprall der Kulturen verläuft nicht selten blutig: In der "Störung" etwa wird ein Obdachloser, der hungrig, frierend und stinkend in eine Hochzeitsgesellschaft platzt, brutal aus dem Hotel geprügelt. In der "Eisenbahngeschichte, August 1995" foltern vier verwahrloste Jugendliche einen BMW-Fahrer, der gerade seine Frau und sein Geld verloren hat, in einem Tunnel zu Tode; in "Hunger" zertreten die drogensüchtige Janet und der schizophrene Jimmy einen alten, stummen Mann samt seinem Sprechapparat.
Means erzählt seine Katastrophen und vermischten Meldungen ohne jede Entrüstung; nur in einigen schwächeren Geschichten schleicht sich gelegentlich ein melodramatischer Unterton ein. "Man würde sich vielleicht wünschen", schreibt er einmal, "es wäre nicht so gewesen, aber nein": Es gibt keine Erklärungen, weder mildernde Umstände noch göttlichen Trost, obwohl die Metaphorik religiös genug ist. Die Mörder wissen, was sie tun; die Opfer sind so allein wie Jesus am Kreuz, wenn sie "zwischen den Kiefern von Gottes dummer Gerechtigkeit" zermalmt werden.
Das "blinde Wüten des Schicksals", die häßliche Fratze der Prädestinationslehre, führt Täter wie Opfer in dieselbe Hölle, und Means treibt wie ein unbewegter Beweger die unerbittliche Vorsehung bis an jene Schmerzgrenze, wo Qual in Gnade umschlägt: Die Selbstverbrennung ist "wunderschön", der Tod im Feuer eines Pyromanen ein "heiliges Ereignis", der Totschlag im Tunnel ein Akt der Würde, und auch der Zugführer, der nicht darüber hinwegkommt, daß er die Leiche überfuhr, bekommt seine Absolution: "Es war eine gute Arbeit, auch wenn die Dinge nicht so liefen, wie sie laufen sollten. Es war eine gute, gute Arbeit." Jeffrey Eugenides nannte Means einmal einen "Anatomen des Desasters"; wahr daran ist jedenfalls, daß er bei aller Emphase und Ekstase seine Toten mit kühler Präzision seziert.
"Wir sind die Sprachlosen, die Schwerfälligen", sagt der "Gestenjäger", der aussterbende, unwiederholbare Gesten vor dem Untergang rettet, "wir sind verrückt vor unersättlicher Sehnsucht nach einem anderen Ort, einer anderen Zeit, nach einem Sinn für Bewegung." Der Gestenjäger Means gibt den entwurzelten Hinterwäldlern, den von Gott und Amerika vergessenen Außenseitern und Drop-outs ihre Sprache zurück.
Es liegt nicht an der Übersetzung von Dirk van Gunsteren, wenn sie nicht immer leicht zu verstehen ist: Zarte lyrische Passagen stoßen sich hart mit schweren soziologischen Brocken wie "Paradigmenwechsel" oder "narrativer Zielorientiertheit", die lakonische Sprache von Zeitungsmeldungen oder Lexikoneinträgen paart sich unversehens mit mystischen Schauern. Means arbeitet mit verwirrenden Perspektivwechseln, Auslassungen und Abschweifungen und wechselt geschmeidig die Tempora. Hin und wieder meldet er sich in Fußnoten zu Wort, die das Erzählte zu beglaubigen vorgeben ("Das ist eine entsetzliche, tragische Tatsache. Es stand in der Times") und damit vollends ins Zwielicht rücken.
Konsequenterweise gibt es daher auch nichts Unmögliches, und selbst das Übersinnliche ist plausibel, etwa daß Jesus im Krämerladen erscheint, Moorleichen oder auch Benzinkanister ihre Geschichte zu erzählen beginnen. Elementare Naturgewalten materialisieren sich in Sagenfiguren wie dem Hitzeteufel oder dem Staubmann, die das Gesicht eines Einstein, Nixon oder Hemingway tragen. Nick Kelley, der "Blitzmann", überlebte angeblich sieben Blitzschläge; während man noch rätselt, was davon Lügenmärchen, religiöser Wahn und neurologischer Defekt ist, spricht Gott zum achten Mal zu ihm, und dieses Mal ist sein Wort tödlich. Means' Erzählungen (die deutsche Ausgabe versammelt zwanzig Stories aus "Assorted Fire Events" und "The Secret Goldfish") sind bestechend präzise "Fallstudien zur Psychologie des Wunderbaren" aus einer Welt, in der es nicht mit rechten Dingen zugeht und die uns dennoch seltsam vertraut vorkommt.
David Means: "Coitus". Stories. Aus dem Englischen übersetzt von Dirk van Gunsteren. DuMont Verlag, Köln 2005. 280 S., geb., 19,90 [Euro].
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Unschuld und Grausamkeit: Die rücksichtslosen Stories des Gestenjägers David Means / Von Martin Halter
Liebe und Tod liegen bei David Means so nah beieinander wie Bob und Ellen beim außerehelichen Sex. Es ist ein Augenblick reinen Glücks, aber Bob ist nur halbherzig bei der Sache. Während er seine Geliebte mit abwesender Zärtlichkeit streichelt, schweifen seine Gedanken zu seinem beim Paddeln ertrunkenen Bruder ab. Trauer, Scham und Schuld stehen wie Engel um das Bett der Liebenden, aber ihre Gegenwart wirkt eher erlösend als bedrückend: Zeitlose Lust und postkoitale Tristesse, Wünschen und Erinnern gehören zusammen wie bei Mozart "zwei Themen, die simultan gespielt werden und sich mit vollkommen geläuterter Rücksichtslosigkeit und Grazie zugleich aneinander entfalten".
Mit ebendieser unschuldigen Grazie verschränkt Means Außen- und Innenwelt, Gegenwart und Vergangenheit, Natur- und Industriegeschichte. In magischen Simultanerfahrungen schießen Glück und Unglück, alltägliches Elend und festliche Wonnen, Grausamkeit und Gnade jäh ineinander, um sich wechselseitig zu steigern und in einem von allen irdischen Schlacken und moralischen Rücksichten gereinigten Dritten aufzugehen: Schönheit, Würde, Humanität in einer unmenschlichen Welt. Eine trauernde Witwe zeigt ihrem neuen Freund Pornovideos von der Hochzeitsreise mit ihrem verstorbenen Mann, als wäre es die natürlichste Sache der Welt. In "Der verborgene Goldfisch" spiegelt sich in einem von Algen überwucherten Aquarium eine Familientragödie und im letzten Fisch die Hoffnung auf eine bessere Zukunft. In "Klage am Sleeping Bear Park" trauert ein Junge beim Zelten um seinen Jugendfreund und mehr noch um seinen Verrat an ihm.
Means' Erzählungen sind Totenklagen, Vermißtenmeldungen, zweistimmige Trauergesänge, und fast alle Toten sind Opfer der rauhen, kargen Gegend um die Großen Seen. Wenn der Schmerz der "Mittelpunkt der Welt" ist, dann ist das nördliche Michigan ihr Nabel. Menschen werden von Sanddünen verschüttet und von Eisschollen zerquetscht, ertrinken in reißenden Flüssen, im Dioxinschlamm stillgelegter Papierfabriken oder werden, wie in der gleichnamigen, herzzerreißend traurigen Geschichte, im Schneesturm "Von der Brücke geweht". "Ich will nicht, daß in meinen Geschichten noch irgend jemand stirbt", schreibt Means einmal. "Von jetzt an soll das Leben herrlich sein." Natürlich bleibt es beim frommen Wunsch; denn wilder noch als Klima, Landschaft und Natur ist der Mensch.
Das Indianergebiet am oberen Hudson wurde im neunzehnten Jahrhundert von Eisenbahnen, Werften und Fabriken erobert. Die Industriedenkmäler sind schon wieder verwittert und verfallen, die alten Sagen und Mythen stärker denn je. Beides, Natur und Zivilisation, die kranken Wälder und Seen wie die verwilderte Industriebrache, hat sich tief in die Körper und Seelen ihrer Bewohner eingebrannt. In den verarmten Farmern halten sich noch Reste des alten Pioniergeistes und der puritanischen Ethik; aber mit der Depression kamen die Hobos und Tramps und später die Nomaden der Moderne: Ausflügler, Penner und Pendler aus New York, gestrandete Hippies, traumatisierte Kriegsveteranen, aus der Bahn geworfene Trucker. Der Zusammenprall der Kulturen verläuft nicht selten blutig: In der "Störung" etwa wird ein Obdachloser, der hungrig, frierend und stinkend in eine Hochzeitsgesellschaft platzt, brutal aus dem Hotel geprügelt. In der "Eisenbahngeschichte, August 1995" foltern vier verwahrloste Jugendliche einen BMW-Fahrer, der gerade seine Frau und sein Geld verloren hat, in einem Tunnel zu Tode; in "Hunger" zertreten die drogensüchtige Janet und der schizophrene Jimmy einen alten, stummen Mann samt seinem Sprechapparat.
Means erzählt seine Katastrophen und vermischten Meldungen ohne jede Entrüstung; nur in einigen schwächeren Geschichten schleicht sich gelegentlich ein melodramatischer Unterton ein. "Man würde sich vielleicht wünschen", schreibt er einmal, "es wäre nicht so gewesen, aber nein": Es gibt keine Erklärungen, weder mildernde Umstände noch göttlichen Trost, obwohl die Metaphorik religiös genug ist. Die Mörder wissen, was sie tun; die Opfer sind so allein wie Jesus am Kreuz, wenn sie "zwischen den Kiefern von Gottes dummer Gerechtigkeit" zermalmt werden.
Das "blinde Wüten des Schicksals", die häßliche Fratze der Prädestinationslehre, führt Täter wie Opfer in dieselbe Hölle, und Means treibt wie ein unbewegter Beweger die unerbittliche Vorsehung bis an jene Schmerzgrenze, wo Qual in Gnade umschlägt: Die Selbstverbrennung ist "wunderschön", der Tod im Feuer eines Pyromanen ein "heiliges Ereignis", der Totschlag im Tunnel ein Akt der Würde, und auch der Zugführer, der nicht darüber hinwegkommt, daß er die Leiche überfuhr, bekommt seine Absolution: "Es war eine gute Arbeit, auch wenn die Dinge nicht so liefen, wie sie laufen sollten. Es war eine gute, gute Arbeit." Jeffrey Eugenides nannte Means einmal einen "Anatomen des Desasters"; wahr daran ist jedenfalls, daß er bei aller Emphase und Ekstase seine Toten mit kühler Präzision seziert.
"Wir sind die Sprachlosen, die Schwerfälligen", sagt der "Gestenjäger", der aussterbende, unwiederholbare Gesten vor dem Untergang rettet, "wir sind verrückt vor unersättlicher Sehnsucht nach einem anderen Ort, einer anderen Zeit, nach einem Sinn für Bewegung." Der Gestenjäger Means gibt den entwurzelten Hinterwäldlern, den von Gott und Amerika vergessenen Außenseitern und Drop-outs ihre Sprache zurück.
Es liegt nicht an der Übersetzung von Dirk van Gunsteren, wenn sie nicht immer leicht zu verstehen ist: Zarte lyrische Passagen stoßen sich hart mit schweren soziologischen Brocken wie "Paradigmenwechsel" oder "narrativer Zielorientiertheit", die lakonische Sprache von Zeitungsmeldungen oder Lexikoneinträgen paart sich unversehens mit mystischen Schauern. Means arbeitet mit verwirrenden Perspektivwechseln, Auslassungen und Abschweifungen und wechselt geschmeidig die Tempora. Hin und wieder meldet er sich in Fußnoten zu Wort, die das Erzählte zu beglaubigen vorgeben ("Das ist eine entsetzliche, tragische Tatsache. Es stand in der Times") und damit vollends ins Zwielicht rücken.
Konsequenterweise gibt es daher auch nichts Unmögliches, und selbst das Übersinnliche ist plausibel, etwa daß Jesus im Krämerladen erscheint, Moorleichen oder auch Benzinkanister ihre Geschichte zu erzählen beginnen. Elementare Naturgewalten materialisieren sich in Sagenfiguren wie dem Hitzeteufel oder dem Staubmann, die das Gesicht eines Einstein, Nixon oder Hemingway tragen. Nick Kelley, der "Blitzmann", überlebte angeblich sieben Blitzschläge; während man noch rätselt, was davon Lügenmärchen, religiöser Wahn und neurologischer Defekt ist, spricht Gott zum achten Mal zu ihm, und dieses Mal ist sein Wort tödlich. Means' Erzählungen (die deutsche Ausgabe versammelt zwanzig Stories aus "Assorted Fire Events" und "The Secret Goldfish") sind bestechend präzise "Fallstudien zur Psychologie des Wunderbaren" aus einer Welt, in der es nicht mit rechten Dingen zugeht und die uns dennoch seltsam vertraut vorkommt.
David Means: "Coitus". Stories. Aus dem Englischen übersetzt von Dirk van Gunsteren. DuMont Verlag, Köln 2005. 280 S., geb., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
"Kompliziert und wunderbar sinnlich" findet Kai Wiegandt die Erzählungen von David Means, die in Michigan spielen und in denen sich der amerikanische Autor hauptsächlich "am Koitus abarbeitet". In der Titelgeschichte beispielsweise verschränke Means einen Seitensprung mit der "schmerzhaften Erinnerung" eines Mannes an den Tod seines Bruders, und der Rezensent konstatiert beim Thema des durch einen anderen verursachten Tod eine "Obsession" des Autors, weil er häufiger darüber schreibt. Dabei zeigt Means nicht nur inhaltlich, sondern auch "formal" bis in die Syntax seiner Erzählungen hinein, dass "Erinnern eine komplizierte Sache" darstellt, meint Wiegandt eingenommen. Er bewundert die "lyrische Sprache des Autors und es gefällt ihm, dass Means seinen Protagonisten bei der genauen Erkundung ihrer Gefühle und Motivationen einen "Rest Unerklärlichkeit" zugesteht. Vor allem aber findet der Rezensent in Means einen "kleinen Meister" in der Schilderung von Sex, der bei ihm nie "verschwurbelt" und schon gar nicht "pornografisch" dargestellt wird, sondern vielmehr eine "Tür zum Übernatürlichen" öffnet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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