Produktdetails
- Verlag: Mondadori
- ISBN-13: 9788804579854
- Artikelnr.: 24313840
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.2008Entfesselt wie die Elemente
Pizza Pasolini mit dreierlei Käse: Im Unterschichtroman "Wie es Gott gefällt" lässt Niccolò Ammaniti ein Trio auf Italien los, dem alles misslingt, was nur schiefgehen kann.
Was viele Urlauber nicht wissen: Bella Italia hat ein massives Unterschichtproblem. Niccolò Ammaniti ist sein Zeuge, sein Dante und Dostojewski. Ohne Schulabschluss, Arbeit und Pomade, umzingelt von Umgehungsstraßen und Konsumhöllen, vegetiert in den Vorstädten ein junges Lumpenproletariat dahin, das deutsche Intensivtäter und selbst eingeborene Mafiastrolche wie Waisenknaben aussehen lässt. Zerfressen von Sozialneid und der Wut der Verzweiflung, dröhnen sich junge Italiener mit Grappa aus der Zweiliterflasche und Gras, Adrenalin und Testosteron zu und brüten rassistisches, sexistisches und neonazistisches Gedankengut aus. Dumpf, brutal und körperlich vital, aber von Gott und selbst Padre Pio verlassen, vertreiben sie sich die Zeit mit "geilen Schlampen", Komasaufen, Hundemassakern und Schlägereien; ihre kulturellen Bedürfnisse befriedigen sie mit der "Gazetto dello Sport" und dem Blödsinn des Berlusconi-Fernsehens. Sie greifen subito zum Schlagring, wenn ihre frisierten Roller von den Harleys reicher Schnösel überholt werden, denn: "Wenn Gott jemanden schlägt, trifft es immer den Schwächsten."
Christus kam ersichtlich nicht bis Varrone. Aber drei besonders gottverlassene Unterschichtler hat Ammaniti auserwählt und seiner erzählerischen Gnade teilhaftig werden lassen. Rino, der alleinerziehende Skinhead, hat seine Bruchbude mit Bierdosen, Schusswaffen und Hakenkreuzfahnen dekoriert und zieht sich den Grappa und die Casting-, Koch- und Teleshoppingshows mit nackten Frauen bis zum bitteren Ende rein: "Sollte er nun pissen oder kotzen?" Mit Springerstiefeln, Eisenstangen und wüsten Worten knüppelt er alles nieder, was sein leicht entflammbares Gerechtigkeitsgefühl verletzt: osteuropäische Billiglöhner, schwarze Straßenhändler, reiche "Schnallen", arme Köter. Der Neonazi, selber ein gebranntes Waisen- und Heimkind, hat nur eine schwache Stelle: Cristiano. Rino liebt seinen dreizehnjährigen Sohn mit der brutalen Zärtlichkeit des Totschlägers, der sein Herz auf dem rechten Fleck hat. Der Junge soll es einmal besser haben, und deshalb muss er mit harter Hand erzogen werden: "Du musst so stark sein, dass niemand dir weh tun kann." Cormac McCarthy hat kürzlich in "Die Straße" eine ähnliche Vater-Sohn-Beziehung beschrieben; aber verglichen mit Rino, ist sein postapokalyptischer Endzeit-Cowboy verteufelt human. Auch seinen Freunden ist Rino ein guter Vater, selbst wenn er sie schon mal zum Spaß in der Jauchegrube schmoren lässt. Quattro Formaggi hat seinen Spitznamen von der Pizza und ist auch sonst ein käsiger, ultrahocherhitzter Teigfladen: Seit einem Unfall "langsam im Denken", bastelt der schizophrene Spastiker Krippen und betet Ramona, die Pornoqueen aus dem Müll, an. Auch mit Danilo meinte es Gott nicht gut: Seit seine Tochter durch seine Schuld ums Leben kam und seine Frau ihn verließ, ist er besessen von der fixen Idee, seine Menschenwürde und Teresa mit einem Banküberfall zurückzugewinnen.
Ammanitis infernalisches Trio zieht nicht gerade Sympathien auf sich, obwohl alles, was die drei anfassen, komisch wie im Slapstick-Film schiefgeht. Der große Coup im Blitzlicht einer stürmischen Gewitternacht gerät zum erbärmlichsten Fiasko: Quattro Formaggi vergewaltigt und tötet ein kleines Luder, das ihn an Ramona erinnert, bahrt die Leiche hilflos in seiner Krippe auf und dreht, als Gottes Stimme verstummt, vollends durch. Rino verschläft im Suff seinen Einsatz und fällt ins Koma. Danilo fährt beim Versuch, einen Geldautomaten im Alleingang zu knacken, einen Alfa Romeo zu Schrott; als er sich aufhängen will, reißt der Strick.
Mehr Glück hat Beppe, Rinos sexuell gehemmter Bewährungshelfer. Von Schuldgefühlen geplagt, seit er seine Mama einsam sterben ließ, überfährt der Sozialarbeiter zwar auf dem Heimweg von einem missglückten Liebesabenteuer einen Schwarzen. Aber Gott erhört seine Gebete und Gelübde und macht den Toten wieder lebendig: "In diesen riesigen braunen Augen spiegelte sich für Beppe das Wunder der Dreifaltigkeit." Auch Cristiano kehrt verwandelt aus der reinigenden Gewitternacht zurück: Am Grab des ermordeten Mädchens zeigt er erstmals Zeichen von Reue und Einsicht: "Mein Vater war ein Faschist, aber ein guter Mensch."
"Wie es Gott gefällt" gefällt sich in Unrat und Unflat, im Geräusch krachender Nasenbeine und dem Süßholz wahrer Liebe ("Die Umarmung inmitten der entfesselten Elemente hatte einen Bund zwischen ihnen besiegelt, der nicht mit einem banalen Fick beendet war"), in trivialliterarischen Stummelsätzen ("Unter seinem Schnurrbart machte sich ein gemeines Lächeln breit. Plötzlich lachte er vulgär"), Bibelzitaten und Schmerzensmetaphern. Dass diese rüde Sozialschnulze mit dem Premio Strega ausgezeichnet und ein Bestseller in Italien wurde, ist auch ein kleines Wunder. Gewiss, der schüchterne, gehetzte Cristiano hat anrührende Züge, und Ammaniti hat schon in seinem Erfolgsroman "Ich habe keine Angst" gezeigt, dass er sich väterlich um schwer erziehbare Kinder kümmern kann. Sein Roman hat einige Verdienste als Milieustudie und ist immerhin packend bis zuletzt: Mit harten, schnellen Schnitten und immer neuen Schocks konfrontiert Ammaniti Ober- und Unterwelt und hetzt ihre Repräsentanten in der verhängnisvollen Nacht über zweihundert Seiten hinweg so unausweichlich aufeinander, dass die Katastrophe wie eine Erlösung kommt. Dennoch ist "Wie es Gott gefällt" nur Pasolini für Arme, eine Bewährungsprobe für die Beppes dieser Welt: ein Roman, der schonungslos die nackte, neorealistische Verità zu schildern behauptet, aber über sentimentalen, religiös verbrämten Kitsch, ärgerliche Klischees und Körperflüssigkeit in allen Aggregatszuständen nicht hinauskommt.
MARTIN HALTER
Niccolò Ammaniti: "Wie es Gott gefällt". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Katharina Schmidt. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 488 S., geb., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Pizza Pasolini mit dreierlei Käse: Im Unterschichtroman "Wie es Gott gefällt" lässt Niccolò Ammaniti ein Trio auf Italien los, dem alles misslingt, was nur schiefgehen kann.
Was viele Urlauber nicht wissen: Bella Italia hat ein massives Unterschichtproblem. Niccolò Ammaniti ist sein Zeuge, sein Dante und Dostojewski. Ohne Schulabschluss, Arbeit und Pomade, umzingelt von Umgehungsstraßen und Konsumhöllen, vegetiert in den Vorstädten ein junges Lumpenproletariat dahin, das deutsche Intensivtäter und selbst eingeborene Mafiastrolche wie Waisenknaben aussehen lässt. Zerfressen von Sozialneid und der Wut der Verzweiflung, dröhnen sich junge Italiener mit Grappa aus der Zweiliterflasche und Gras, Adrenalin und Testosteron zu und brüten rassistisches, sexistisches und neonazistisches Gedankengut aus. Dumpf, brutal und körperlich vital, aber von Gott und selbst Padre Pio verlassen, vertreiben sie sich die Zeit mit "geilen Schlampen", Komasaufen, Hundemassakern und Schlägereien; ihre kulturellen Bedürfnisse befriedigen sie mit der "Gazetto dello Sport" und dem Blödsinn des Berlusconi-Fernsehens. Sie greifen subito zum Schlagring, wenn ihre frisierten Roller von den Harleys reicher Schnösel überholt werden, denn: "Wenn Gott jemanden schlägt, trifft es immer den Schwächsten."
Christus kam ersichtlich nicht bis Varrone. Aber drei besonders gottverlassene Unterschichtler hat Ammaniti auserwählt und seiner erzählerischen Gnade teilhaftig werden lassen. Rino, der alleinerziehende Skinhead, hat seine Bruchbude mit Bierdosen, Schusswaffen und Hakenkreuzfahnen dekoriert und zieht sich den Grappa und die Casting-, Koch- und Teleshoppingshows mit nackten Frauen bis zum bitteren Ende rein: "Sollte er nun pissen oder kotzen?" Mit Springerstiefeln, Eisenstangen und wüsten Worten knüppelt er alles nieder, was sein leicht entflammbares Gerechtigkeitsgefühl verletzt: osteuropäische Billiglöhner, schwarze Straßenhändler, reiche "Schnallen", arme Köter. Der Neonazi, selber ein gebranntes Waisen- und Heimkind, hat nur eine schwache Stelle: Cristiano. Rino liebt seinen dreizehnjährigen Sohn mit der brutalen Zärtlichkeit des Totschlägers, der sein Herz auf dem rechten Fleck hat. Der Junge soll es einmal besser haben, und deshalb muss er mit harter Hand erzogen werden: "Du musst so stark sein, dass niemand dir weh tun kann." Cormac McCarthy hat kürzlich in "Die Straße" eine ähnliche Vater-Sohn-Beziehung beschrieben; aber verglichen mit Rino, ist sein postapokalyptischer Endzeit-Cowboy verteufelt human. Auch seinen Freunden ist Rino ein guter Vater, selbst wenn er sie schon mal zum Spaß in der Jauchegrube schmoren lässt. Quattro Formaggi hat seinen Spitznamen von der Pizza und ist auch sonst ein käsiger, ultrahocherhitzter Teigfladen: Seit einem Unfall "langsam im Denken", bastelt der schizophrene Spastiker Krippen und betet Ramona, die Pornoqueen aus dem Müll, an. Auch mit Danilo meinte es Gott nicht gut: Seit seine Tochter durch seine Schuld ums Leben kam und seine Frau ihn verließ, ist er besessen von der fixen Idee, seine Menschenwürde und Teresa mit einem Banküberfall zurückzugewinnen.
Ammanitis infernalisches Trio zieht nicht gerade Sympathien auf sich, obwohl alles, was die drei anfassen, komisch wie im Slapstick-Film schiefgeht. Der große Coup im Blitzlicht einer stürmischen Gewitternacht gerät zum erbärmlichsten Fiasko: Quattro Formaggi vergewaltigt und tötet ein kleines Luder, das ihn an Ramona erinnert, bahrt die Leiche hilflos in seiner Krippe auf und dreht, als Gottes Stimme verstummt, vollends durch. Rino verschläft im Suff seinen Einsatz und fällt ins Koma. Danilo fährt beim Versuch, einen Geldautomaten im Alleingang zu knacken, einen Alfa Romeo zu Schrott; als er sich aufhängen will, reißt der Strick.
Mehr Glück hat Beppe, Rinos sexuell gehemmter Bewährungshelfer. Von Schuldgefühlen geplagt, seit er seine Mama einsam sterben ließ, überfährt der Sozialarbeiter zwar auf dem Heimweg von einem missglückten Liebesabenteuer einen Schwarzen. Aber Gott erhört seine Gebete und Gelübde und macht den Toten wieder lebendig: "In diesen riesigen braunen Augen spiegelte sich für Beppe das Wunder der Dreifaltigkeit." Auch Cristiano kehrt verwandelt aus der reinigenden Gewitternacht zurück: Am Grab des ermordeten Mädchens zeigt er erstmals Zeichen von Reue und Einsicht: "Mein Vater war ein Faschist, aber ein guter Mensch."
"Wie es Gott gefällt" gefällt sich in Unrat und Unflat, im Geräusch krachender Nasenbeine und dem Süßholz wahrer Liebe ("Die Umarmung inmitten der entfesselten Elemente hatte einen Bund zwischen ihnen besiegelt, der nicht mit einem banalen Fick beendet war"), in trivialliterarischen Stummelsätzen ("Unter seinem Schnurrbart machte sich ein gemeines Lächeln breit. Plötzlich lachte er vulgär"), Bibelzitaten und Schmerzensmetaphern. Dass diese rüde Sozialschnulze mit dem Premio Strega ausgezeichnet und ein Bestseller in Italien wurde, ist auch ein kleines Wunder. Gewiss, der schüchterne, gehetzte Cristiano hat anrührende Züge, und Ammaniti hat schon in seinem Erfolgsroman "Ich habe keine Angst" gezeigt, dass er sich väterlich um schwer erziehbare Kinder kümmern kann. Sein Roman hat einige Verdienste als Milieustudie und ist immerhin packend bis zuletzt: Mit harten, schnellen Schnitten und immer neuen Schocks konfrontiert Ammaniti Ober- und Unterwelt und hetzt ihre Repräsentanten in der verhängnisvollen Nacht über zweihundert Seiten hinweg so unausweichlich aufeinander, dass die Katastrophe wie eine Erlösung kommt. Dennoch ist "Wie es Gott gefällt" nur Pasolini für Arme, eine Bewährungsprobe für die Beppes dieser Welt: ein Roman, der schonungslos die nackte, neorealistische Verità zu schildern behauptet, aber über sentimentalen, religiös verbrämten Kitsch, ärgerliche Klischees und Körperflüssigkeit in allen Aggregatszuständen nicht hinauskommt.
MARTIN HALTER
Niccolò Ammaniti: "Wie es Gott gefällt". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Katharina Schmidt. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 488 S., geb., 19,90 [Euro].
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