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Tilo Köhler geht in diesem Roman den Lebensgeschichten der "Comedian Harmonists" nach. Mit großem Einfühlungsvermögen schildert er den kometenhaften Aufstieg von sechs mittellosen Männern, die mit ihrem Vocalensemble Weltruhm erlangten, und deren Karriere durch die Nazis 1935 abrupt beendet wurde.

Produktbeschreibung
Tilo Köhler geht in diesem Roman den Lebensgeschichten der "Comedian Harmonists" nach. Mit großem Einfühlungsvermögen schildert er den kometenhaften Aufstieg von sechs mittellosen Männern, die mit ihrem Vocalensemble Weltruhm erlangten, und deren Karriere durch die Nazis 1935 abrupt beendet wurde.
Autorenporträt
Tilo Köhler, 1955 in Babelsberg geboren, wuchs in Brandenburg auf, lernte Hochseefischer, holte auf dem zweiten Bildungsweg sein Abitur nach, studierte Germanistik, arbeitete als wissenschaftlicher Assistent an der Humboldt-Universität Berlin, als Verlagslektor und freier Journalist. Er starb 2017. Bislang erschien von ihm außer dem Roman ¿Comedian Harmonists¿ (1998) die Trilogie ¿Unser die Straße ¿ unser der Sieg¿ (1993), ¿Kohle zu Eisen ¿ Eisen zu Brot¿ (1994) und ¿Lust am Schaffen ¿ Freude am Leben¿ (1995), ein Buch über Täve Schur und die Friedensfahrt, ¿Der Favorit fuhr Kowalit¿ (1997), sowie ¿Sie werden platziert! Die Geschichte der Mitropä (2002) und ¿Das abgefahrene Tablett¿ (2006).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.01.1998

Mond scheint, Mops bellt
Tilo Köhlers Roman über die "Comedian Harmonists"

Im Berlin der zwanziger Jahre swingt, jazzt und experimentiert die Musikszene. Nach Einführung wahrhaft neuer Töne durch Platten aus Amerika profilieren sich in diesem Jahrzehnt verschiedene deutsche Ensembles in den Clubs, intimen Cafés, in Tanzpalästen, im Admirals- und Ufa-Palast und auf den Bühnen der Hauptstadt. Sie bieten ihrem Publikum Kurioses, sei es Jazz im Stil amerikanischer Gruppen wie der "Ohio Lido Venice Band" und Sam Woodings "Chocolate Kiddies" oder klassische Musik verjazzt und verfremdet wie bei der Darbietung des "Liebestraums" von Paul Whitemanns deutschem Ensemble. Kurioser noch sind die erfolgreichsten unter diesen Erneuerern, ein deutscher Männer"chor", wie es ihn so noch nicht gegeben hat: die "Comedian Harmonists", ein musikalisches Sextett, das oft a cappella, gelegentlich aber auch mit Klavierbegleitung, durch die Ouvertüre zum Barbier von Sevilla oder die Blaue Donau fetzte, den kleinen grünen Kaktus und für Veronika den Lenz besang.

Nicht nur Berlin, ganz Deutschland, ja Europa lag dem Ensemble zu Füßen. Fast eine viertel Million Exemplare des Schlagers "Das ist die Liebe der Matrosen" sollen sich allein in Frankreich verkauft haben. In zahlreichen Filmen traten die Comedian Harmonists auf, unter anderem auch in "Die drei von der Tankstelle". Doch der enorme Erfolg des Ensembles mit dem englischen Namen schützte es nicht vor dem Zugriff der nationalsozialistischen Machthaber. Auf der Höhe des Erfolgs des Ensembles wurde 1935 den drei Mitgliedern jüdischer Abstammung der Eintritt in die Reichsmusikkammer verwehrt. Den drei nichtjüdischen wurde es verboten, je wieder mit den anderen aufzutreten. Nach einem Abschiedskonzert in München flohen die "Nicht-Arier" ins Ausland, und die Ära der Comedian Harmonists war zu Ende.

Genau diese Zeitspanne im Leben der sechs Musiker ist das Thema von Tilo Köhlers historischem Roman "Comedian Harmonists". Im Mittelpunkt steht Harry Frommermann, eine Art Grüner Heinrich des Varietés und der Gründer der Gruppe. Köhler erzählt die Geschichte des Sextetts vom ersten Schöpfergedanken in Harrys Brust ("Das ist es doch! Eine Annonce geb' ich auf . . . Weißt ja, Paps, am Anfang war das Wort, es hieß nur damals noch nicht Anzeige") über die Erfolge des Ensembles bis hin zum Abschiedskonzert. Bei diesem macht sich Harry - der Jude - bewußt zum Sprachrohr eines Hitler-Schergen und verliest dessen Einführungsrede zum Konzert, in der das Publikum gewarnt wird, daß hier auch Juden darbieten werden.

Sodann ("Was kümmert es den Mond, wenn ihn der Mops anbellt") läßt er seine eigene flammende Abschiedsrede auf die "kleine Seligkeit" folgen, die dem Millionenpublikum der Comedian Harmonists von jetzt an vorenthalten wird. Schließlich endet der Roman mit der Welt liebster Metapher für die Vergänglichkeit, auf dem Bahnhof, in einer Abschiedsszene zwischen Harry und den Sängerfreunden, allerdings nicht ohne Harry Frommermann noch schnell mit seiner großen Liebe Erna wiederzuvereinen.

Köhlers Roman leidet an mehreren Schwächen: Die Mitglieder des Ensembles sind recht zweidimensional gezeichnet, und so wirkt es, als spiele jeder im Ensemble und im Leben nur eine fest umschriebene Rolle. Außer Harry, dem schüchternen Künstler, gibt es Erich Collin, der hauptsächlich als Frauenheld erscheint; Roman Cycowski wird zum Vertreter seines Heimatlands Polen reduziert, und Ari Leschnikoff aus Sofia tritt mit kaum anderen Zügen als seiner goldenen Tenorstimme auf; Erwin Bootz, Pianist, fungiert als zuverlässige Stütze der anderen. Die einzige Ausnahme ist Bob Biberti, der nicht nur mit einer wunderschönen Baßstimme begnadet zu sein scheint, sondern darüber hinaus als der Geschäftsmann und Manager des Ensembles arbeitet und mit Harry um die Gunst von Erna kämpft. Doch letztlich wirkt er so unkonturiert wie die anderen.

Köhler versucht - und scheitert daran -, dem Leser die Komik und die Leichtigkeit des Seins der Gruppe zu vergegenwärtigen und zugleich hinter der Komik den zunehmend düsteren Hintergrund des Nationalsozialismus durchscheinen zu lassen. Das Resultat ist eine Erzählweise, bei der die "Komik" der Gruppe hauptsächlich im Dialog ihrer Mitglieder angesiedelt wird, während die Tragik ihres Schicksals (und vor allem der Hauptfigur, Harry Frommermann) durch eine Reihe von Vorfällen illustriert werden soll, in denen Haupt-und Nebenfiguren zu Opfern der ersten Judenverfolgungen werden. Doch klingen die Dialoge angestrengt, und der historische Hintergrund wirkt wie aus dem Bastelbogen ausgeschnitten.

Auch die Rivalität zwischen Harry und Biberti konzentriert sich auf Eifersüchteleien verschiedenster Art und taugt kaum als Beispiel dafür, wie das Zeitgeschehen sich in die engen Bande zwischen den Mitgliedern drängt und bestehende Rivalitäten verschärft, also die Harmonie der Gruppe untergräbt. Von der beklemmenden Dichte, in der Eberhard Fechners großer Dokumentarfilm aus den siebziger Jahren die sechs Lebensläufe zu einer Kollektivbiographie zusammensetzte, die im Nationalsozialismus auseinanderfiel, hat dieser Roman nichts.

Vor allem aber macht der Roman allenfalls nachvollziehbar, daß die "Comedian Harmonists" erfolgreich wurden, nicht aber, warum sie es wurden. Denn der Erfolg beruhte nicht auf ihren menschlichen Qualitäten, deren Stärken und Schwächen Köhler mit unzulänglichen Mitteln zu rekonstruieren versucht, sondern auf der Musikalität der Gruppe, auf ihren Innovationen des Repertoires und vor allem auf ihrer seitdem selten übertroffenen Fähigkeit, ihrem Publikum das Klischeehafte in ihrer Musik unverhohlen und mit einem Augenzwinkern als solches erscheinen und erklingen zu lassen. Ähnlicher Abstand zum Stoff hätte diesem Roman manche seiner Untiefen erspart. MARC A. WEINER

Tilo Köhler: "Comedian Harmonists". Roman. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1997. 297 S., geb. 39,90 DM.

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