Je komplexer Beruf, Karriere und Arbeitswelt werden, desto mehr suchen wir nach einfachen Lösungen. Je mehr wir aber Komplexität reduzieren, umso mehr laufen wir Gefahr, den Anschluss zu verlieren. Wir wachsen nicht, wenn wir es vorziehen, zu vereinfachen. Innovation erzeugt man nicht durch Routine sondern mit Durchsetzungsfähigkeit und in dem man sich dem Bewährten verweigert. Complicate your life heißt, Ziele komplexer auszurichten, schneller zu handeln und nachjustieren zu lernen. Weber stellt in Complicate your life die Frage, wie man lernen kann, sich auf sich selbst zu verlassen.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.01.2008Wirtschaftsbuch
Überleben im komplexen Alltag
Schade, ein so inspirierendes Buch, aber vollkommen für die Katz. Jedenfalls dann, wenn der Autor, einst selbst Manager und heute Professor für Managementlehre an der Hochschule Mannheim, tatsächlich Manager als Leser im Auge hat. Hat er doch vor einiger Zeit im Rahmen eines Forschungsprojekts die Erkenntnis an Land gezogen: „Das obere Management liest in der Tat kaum Managementbücher . . . es sind vor allem die Kollegen, die das Denken beeinflussen. Manager gehören heute zu der Berufsgruppe, deren Alltag überwiegend durch das Gespräch gekennzeichnet ist.”
Da kann man diesen Chef-Lesemuffeln nur wünschen, dass sie Subalterne finden, die bereitwillig die Lektüre übernehmen und ihnen eine Vorlesung erteilen. Aber Entscheider finden sich längst nicht mehr nur in den Chefetagen, jeder und jede muss sich heute in den netzwerkartigen Strukturen der Arbeitswelt ständig neu entscheiden. Etwa, wie und wann er oder sie welche Prioritäten zwischen Festanstellung, freier Projektarbeit oder selbständiger Existenz setzt. Wer aber die Wahl hat, hat die Qual und nicht selten das Gefühl, in Komplexität zu ersticken.
Und schon sind wir mitten im Buch, mit dessen Titel Winfried Weber einen wohltuenden Kontrapunkt setzt zur ausufernden Ratgeberliteratur à la „Simplify your life” – vereinfache dein Leben. Derartige Strategien, die sich an den altvertrauten kausalen und linearen Erklärungsmodellen orientieren, führen nicht selten in Sackgassen. Wer die Wirklichkeit im wahrsten Wortsinne zu versimpeln versucht, verbissen nach der einzig „richtigen” Wahrheit sucht, verschließt sich Zufällen und damit Chancen zum Experimentieren und Gestalten. Und kommt nie zu einer Entscheidung. So kompliziert sich das anhören mag, so unkompliziert lesen sich die 30 kurzen Kapitel, in denen der Autor der Frage nachgeht, wie man komplex genug handelt, arbeitet, managt und erneuert. Weber, der beim Systemtheoretiker und Soziologen Dirk Baecker an der Universität Witten-Herdecke promovierte, hält es mit dem amerikanischen Management-Vordenker Tom Peters: „Wer sich an die Regeln hält, hat nicht den Hauch einer Chance.” Damit sind schablonierte Denkregeln gemeint – und nicht etwa Anti-Korruptionsvorschriften.
So bewährt es sich in komplexen Situationen eher, erst zu handeln und dann zu schauen, was passiert, um gegebenenfalls nachzujustieren. Anstatt in endlosen Analysen zu versuchen, ein Ziel zu definieren und unbedingt anzusteuern. „‘Complicate your life’ heißt in diesem Sinne dann, sich für Zufälle zu öffnen und sich nicht mehr durch fixe Verhaltensmuster gegenüber Veränderungen zu verschließen”, schreibt Weber. Oder anders: Mit rigidem, regelfixiertem Planungsdenken kommt kein Manager mehr zu guten Ergebnissen.
Was damit gemeint ist, lässt sich vortrefflich an einem Beispiel erklären, das zwar nicht im Buch steht, aber seit drei Jahren im niederländischen Drachten den Paradoxie-Praxistest mit Bravour bestanden hat – und das mittlerweile in anderen Städten Schule macht. Mehrere stark befahrene Straßenzüge und Kreuzungen wurden dort radikal von Verkehrsschildern und Ampeln befreit. Autos, Lastwagen, Radler und Fußgänger teilen sich jetzt gleichberechtigt den Raum und müssen sich gegenseitig im Auge behalten. Der Verkehr ist gefährlicher geworden und damit sicherer. Kaum ein Fahrzeug fährt schneller als 20 Stundenkilometer, doch weil fast niemand mehr anhalten muss, dauert es heute nur etwa zehn Minuten, um das Zentrum von Drachten zu durchqueren, während es früher 20 waren. Und die Zahl der Unfälle hat sich stark reduziert. Ein Schreckensszenario für Kontrollfreaks: Es musste erst komplizierter werden, damit es einfacher geht. Dagmar Deckstein
Winfried W. Weber: Complicate your Life. Verlag Sordon, Göttingen 2007, 190 Seiten, 19,90 Euro.
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Überleben im komplexen Alltag
Schade, ein so inspirierendes Buch, aber vollkommen für die Katz. Jedenfalls dann, wenn der Autor, einst selbst Manager und heute Professor für Managementlehre an der Hochschule Mannheim, tatsächlich Manager als Leser im Auge hat. Hat er doch vor einiger Zeit im Rahmen eines Forschungsprojekts die Erkenntnis an Land gezogen: „Das obere Management liest in der Tat kaum Managementbücher . . . es sind vor allem die Kollegen, die das Denken beeinflussen. Manager gehören heute zu der Berufsgruppe, deren Alltag überwiegend durch das Gespräch gekennzeichnet ist.”
Da kann man diesen Chef-Lesemuffeln nur wünschen, dass sie Subalterne finden, die bereitwillig die Lektüre übernehmen und ihnen eine Vorlesung erteilen. Aber Entscheider finden sich längst nicht mehr nur in den Chefetagen, jeder und jede muss sich heute in den netzwerkartigen Strukturen der Arbeitswelt ständig neu entscheiden. Etwa, wie und wann er oder sie welche Prioritäten zwischen Festanstellung, freier Projektarbeit oder selbständiger Existenz setzt. Wer aber die Wahl hat, hat die Qual und nicht selten das Gefühl, in Komplexität zu ersticken.
Und schon sind wir mitten im Buch, mit dessen Titel Winfried Weber einen wohltuenden Kontrapunkt setzt zur ausufernden Ratgeberliteratur à la „Simplify your life” – vereinfache dein Leben. Derartige Strategien, die sich an den altvertrauten kausalen und linearen Erklärungsmodellen orientieren, führen nicht selten in Sackgassen. Wer die Wirklichkeit im wahrsten Wortsinne zu versimpeln versucht, verbissen nach der einzig „richtigen” Wahrheit sucht, verschließt sich Zufällen und damit Chancen zum Experimentieren und Gestalten. Und kommt nie zu einer Entscheidung. So kompliziert sich das anhören mag, so unkompliziert lesen sich die 30 kurzen Kapitel, in denen der Autor der Frage nachgeht, wie man komplex genug handelt, arbeitet, managt und erneuert. Weber, der beim Systemtheoretiker und Soziologen Dirk Baecker an der Universität Witten-Herdecke promovierte, hält es mit dem amerikanischen Management-Vordenker Tom Peters: „Wer sich an die Regeln hält, hat nicht den Hauch einer Chance.” Damit sind schablonierte Denkregeln gemeint – und nicht etwa Anti-Korruptionsvorschriften.
So bewährt es sich in komplexen Situationen eher, erst zu handeln und dann zu schauen, was passiert, um gegebenenfalls nachzujustieren. Anstatt in endlosen Analysen zu versuchen, ein Ziel zu definieren und unbedingt anzusteuern. „‘Complicate your life’ heißt in diesem Sinne dann, sich für Zufälle zu öffnen und sich nicht mehr durch fixe Verhaltensmuster gegenüber Veränderungen zu verschließen”, schreibt Weber. Oder anders: Mit rigidem, regelfixiertem Planungsdenken kommt kein Manager mehr zu guten Ergebnissen.
Was damit gemeint ist, lässt sich vortrefflich an einem Beispiel erklären, das zwar nicht im Buch steht, aber seit drei Jahren im niederländischen Drachten den Paradoxie-Praxistest mit Bravour bestanden hat – und das mittlerweile in anderen Städten Schule macht. Mehrere stark befahrene Straßenzüge und Kreuzungen wurden dort radikal von Verkehrsschildern und Ampeln befreit. Autos, Lastwagen, Radler und Fußgänger teilen sich jetzt gleichberechtigt den Raum und müssen sich gegenseitig im Auge behalten. Der Verkehr ist gefährlicher geworden und damit sicherer. Kaum ein Fahrzeug fährt schneller als 20 Stundenkilometer, doch weil fast niemand mehr anhalten muss, dauert es heute nur etwa zehn Minuten, um das Zentrum von Drachten zu durchqueren, während es früher 20 waren. Und die Zahl der Unfälle hat sich stark reduziert. Ein Schreckensszenario für Kontrollfreaks: Es musste erst komplizierter werden, damit es einfacher geht. Dagmar Deckstein
Winfried W. Weber: Complicate your Life. Verlag Sordon, Göttingen 2007, 190 Seiten, 19,90 Euro.
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