Googeln, chatten, surfen – was macht das mit unseren Kindern? – die modernen digitalen Medien haben innerhalb weniger Jahre das Freizeit- und Kommunikationsverhalten komplett revolutioniert. Welche Folgen hat der Medienkonsum für die psychische und körperliche Gesundheit von Kindern und Jugendlichen? Wann kann man von einem Suchtverhalten sprechen? Dieses Buch beschreibt aus klinisch-psychiatrischer Sicht die veränderten Sozialisationsbedingungen, die durch Nutzung digitaler Medien ausgelöst werden, und deren Folgen bei Kindern und Jugendlichen. Nach einem Überblick über die Mediengewohnheiten der "digitalen Generation" gehen die Autoren detailliert auf die Gefahren exzessiver Mediennutzung ein – Beeinträchtigungen des emotionalen Empfindens und der kognitiven Prozesse, Computerspiel- und Internetsucht sowie Cybermobbing. Psychopathologische Risikokonstellationen, z.B. ADHS und Computerspielsucht, werden anhand von Fallbeispielen praxisnah erörtert. Dabei werden die Diagnosekriterien eingehend behandelt. Auf die zentrale Frage, wie eine effektive und nachhaltige Therapie geplant und durchgeführt werden kann, wird ausführlich eingegangen. Beratungsmöglichkeiten, präventive Medienarbeit in Schulen sowie Aspekte des Jugendmedienschutzes runden das Buch ab. Professionelles Wissen zum Umgang mit einer "modernen Sucht": für Kinderärzte, Kinder- und Jugendpsychiater und -psychotherapeuten sowie Sozial- und Heilpädagogen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.03.2012Mit dem unbedingten Willen zur Verführung
Wenn Kinder in Computerspielen versinken und endlos im Netz surfen, sind Eltern schnell alarmiert. Aber was weiß man eigentlich über Spielsucht im Internet? Zwei Bücher sondieren das Terrain.
Amerikanische Teenager simsen am Tag durchschnittlich sechzig Botschaften, manche schaffen locker hundert. Im Videospiel "Medal of Honor" kann man in einem virtuellen Afghanistan wahlweise Taliban oder amerikanische Soldaten töten. Cybermobbing ist zum heißen Thema für Thrillerautoren avanciert. Soziale Netzwerke wie Facebook stehen zunehmend in der Kritik, die Preisgabe intimer persönlicher Daten zu fördern, gar zu fordern. Ein Schüler erledigt Quest für Quest in einem Dungeon, während er die Schule schwänzt. Denn er "ist" jetzt der Magier Osiris. Dieser Avatar, eine Art Alter Ego, hat ihm innerhalb weniger Wochen einen phänomenalen Aufstieg in World of Warcraft ermöglicht und ihm die Anerkennung zahlreicher Mitspieler eingebracht. WoW ist eines der meistgespielten Multiplayer-Online-Spiele, an dem sich weltweit zu seinen besten Zeiten zwölf Millionen Spieler beteiligten und das am häufigsten mit Computerspielsucht in Zusammenhang gebracht wird.
Dass Eltern, die mit diesen Phänomenen oder Begriffen nichts anzufangen wissen, verunsichert sind, ist so offensichtlich wie verständlich. Die Angst vor einem gefährlichen Abdriften der Kinder in Online- oder Computerspielwelten oder vor einem riskanten Umgang mit ihrer Privatsphäre ist zur Genüge geschürt worden, der Boden für Ratgeberbücher mithin bereitet. Aber nicht alle erfüllen die Erwartungen.
Jene Eltern, an die sich das Praxishandbuch "Internet- und Computersucht" explizit richtet, werden vermutlich enttäuscht sein. Die vielen Autoren verderben den Brei schon formal, der eine hat es nicht nötig, Literaturbelege beizubringen, ein anderer entstellt damit seine Sätze bis zur Unkenntlichkeit. Sie widersprechen sich auch inhaltlich. So verweist ein Kapitel darauf, dass der Anteil der Bücherleser unter den Kindern und Jugendlichen trotz exzessiv gestiegener Nutzung von elektronischen Medien im letzten Jahrzehnt gleich geblieben sei. An anderer Stelle heißt es indes, der Anteil der Nichtleser sei weiter gestiegen. Das sind exakt jene Widersprüche, für deren Auflösung Eltern eigentlich zu solchen Büchern greifen.
Ebenso ärgerlich ist die willkürliche Wiederholung mancher Informationen in verschiedenen Kapiteln, etwa zur Häufigkeit der Mediennutzung oder dem Vorkommen von einschlägigen Störungen und Erkrankungen. Es nützt auch wenig, dass man sich bekannter Bedenkenträger als Mitautoren versichert hat, wenn diese sich erkennbar wenig Mühe geben und nur räsonierende Allgemeinplätze beibringen à la: "Für nichts lassen sich Menschen, auch schon als kleine Kinder, mehr begeistern als für das, was wir Glück nennen." Einer der gelungensten Beiträge stammt von einer freien Mitarbeiterin des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen in Hannover. Im Kapitel über das Abhängigkeitspotential bestimmter Computerspiele werden darin das inhärente Risiko und der Verführungswille der Hersteller nicht zuletzt dank gründlicher Recherche plastisch und nachvollziehbar auch unbedarften Eltern vor Augen geführt.
Dass man es bessermachen kann und gleichzeitig Therapeuten, Pädagogen und Eltern anzusprechen vermag, zeigt das ebenfalls neu erschienene Buch "Computer und Internet erobern die Kindheit". Mehr noch als die durchaus hilfreichen Graphiken und Tabellen erleichtert es die gedankliche Strukturierung dem Leser, sich beispielsweise ein Bild über die Verbreitung und Nutzung neuer Medien, Spiele und Kommunikationsformen zu verschaffen. Es fällt insbesondere auf, dass statt des überwiegend kulturpessimistischen Tons, der bei Schlagworten wie Computerspielsucht fast unweigerlich mitschwingt, eine betont wertfreie Darstellung gewählt wurde. Weder sind die Skills, die Fähigkeiten, die Kinder bei einer Webrecherche, beim Online-Spiel, beim Chat oder im Rahmen ihrer Facebook-Kommunikation erwerben, per se gut und wichtig, noch führt es automatisch in eine Suchtexistenz, wenn Teenager sich phasenweise sogar extrem auf diese Mittel einlassen.
Dazu gibt die letztlich dürre und teilweise wenig verlässliche Datenlage auch zu wenig her. Sie ist vielmehr verwirrend, und das Buch traut sich, die ganze Ambivalenz der vergleichsweise neuen Situation einzuräumen, in der auch die Therapeuten stecken. So gibt es zum Beispiel Beobachtungen, wonach mit Hilfe von Computerspielen wie "Tetris" problematische Erinnerungen an traumatische, psychisch verletzende Erlebnisse wegtrainiert werden können. Es ist nicht einmal ausgemacht, inwieweit sogar erkennbar negative Folgen mancher Verhaltensweisen echte Wegbereiter für eine Suchtkarriere sind oder nicht. So lässt sich zwar klar ein ungünstiger Einfluss des Medienkonsums auf schulische Leistungen nachweisen: Kinder schneiden umso schlechter ab, je mehr Zeit sie beispielsweise vor dem Fernseher verbringen. Und ebenso lassen sich Schutzfaktoren benennen: Die Spiel- und Fernsehzeiten sind umso geringer, je anspruchsvoller der besuchte Schultyp und je höher der soziale Status und das Bildungsniveau des Elternhauses sind.
Als behandlungsbedürftig und krankhaft computerspielsüchtig zu bezeichnende Kinder kommen indes aus allen sozialen Schichten, weder die Schulform noch der Bildungshintergrund des Elternhauses sind hierfür ausschlaggebend. Man darf vermuten, dass die Kinder Eigenschaften mitbringen, die jenseits dessen, was sie tun - eben Computerspiele spielen oder fernsehen -, bestimmen, ob sie in eine Sucht schlittern oder nicht. Insgesamt ist trotz der explosionsartigen Verbreitung unterschiedlichster Medien zur Panikmache kein Anlass. Selbst eine jüngste Erhebung an einem Risikokollektiv von Kindern und Jugendlichen an der Universitätsklinik in Köln zeigte, dass der Anteil der tatsächlich Computersüchtigen unter fünf Prozent und damit längst nicht so hoch lag, wie eigentlich erwartet worden war.
Solange es nicht belastbare Untersuchungen gibt, die eindeutigere Antworten zu geben vermögen, können Eltern sich noch am ehesten an den konkreten Handlungsanweisungen orientieren, die das Buch ebenfalls gut strukturiert bereitstellt.
MARTINA LENZEN-SCHULTE
Christoph Möller (Hrsg.): "Internet- und Computersucht". Ein Praxishandbuch für Therapeuten, Pädagogen und Eltern.
Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2011. 282 S., Abb., br., 32,- [Euro].
Jan Frölich, Gerd Lehmkuhl: "Computer und Internet erobern die Kindheit: Vom normalen Spielverhalten bis zur Sucht und deren Behandlung".
Schattauer Verlag, Stuttgart 2012. 206 S., Abb., br., 29,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn Kinder in Computerspielen versinken und endlos im Netz surfen, sind Eltern schnell alarmiert. Aber was weiß man eigentlich über Spielsucht im Internet? Zwei Bücher sondieren das Terrain.
Amerikanische Teenager simsen am Tag durchschnittlich sechzig Botschaften, manche schaffen locker hundert. Im Videospiel "Medal of Honor" kann man in einem virtuellen Afghanistan wahlweise Taliban oder amerikanische Soldaten töten. Cybermobbing ist zum heißen Thema für Thrillerautoren avanciert. Soziale Netzwerke wie Facebook stehen zunehmend in der Kritik, die Preisgabe intimer persönlicher Daten zu fördern, gar zu fordern. Ein Schüler erledigt Quest für Quest in einem Dungeon, während er die Schule schwänzt. Denn er "ist" jetzt der Magier Osiris. Dieser Avatar, eine Art Alter Ego, hat ihm innerhalb weniger Wochen einen phänomenalen Aufstieg in World of Warcraft ermöglicht und ihm die Anerkennung zahlreicher Mitspieler eingebracht. WoW ist eines der meistgespielten Multiplayer-Online-Spiele, an dem sich weltweit zu seinen besten Zeiten zwölf Millionen Spieler beteiligten und das am häufigsten mit Computerspielsucht in Zusammenhang gebracht wird.
Dass Eltern, die mit diesen Phänomenen oder Begriffen nichts anzufangen wissen, verunsichert sind, ist so offensichtlich wie verständlich. Die Angst vor einem gefährlichen Abdriften der Kinder in Online- oder Computerspielwelten oder vor einem riskanten Umgang mit ihrer Privatsphäre ist zur Genüge geschürt worden, der Boden für Ratgeberbücher mithin bereitet. Aber nicht alle erfüllen die Erwartungen.
Jene Eltern, an die sich das Praxishandbuch "Internet- und Computersucht" explizit richtet, werden vermutlich enttäuscht sein. Die vielen Autoren verderben den Brei schon formal, der eine hat es nicht nötig, Literaturbelege beizubringen, ein anderer entstellt damit seine Sätze bis zur Unkenntlichkeit. Sie widersprechen sich auch inhaltlich. So verweist ein Kapitel darauf, dass der Anteil der Bücherleser unter den Kindern und Jugendlichen trotz exzessiv gestiegener Nutzung von elektronischen Medien im letzten Jahrzehnt gleich geblieben sei. An anderer Stelle heißt es indes, der Anteil der Nichtleser sei weiter gestiegen. Das sind exakt jene Widersprüche, für deren Auflösung Eltern eigentlich zu solchen Büchern greifen.
Ebenso ärgerlich ist die willkürliche Wiederholung mancher Informationen in verschiedenen Kapiteln, etwa zur Häufigkeit der Mediennutzung oder dem Vorkommen von einschlägigen Störungen und Erkrankungen. Es nützt auch wenig, dass man sich bekannter Bedenkenträger als Mitautoren versichert hat, wenn diese sich erkennbar wenig Mühe geben und nur räsonierende Allgemeinplätze beibringen à la: "Für nichts lassen sich Menschen, auch schon als kleine Kinder, mehr begeistern als für das, was wir Glück nennen." Einer der gelungensten Beiträge stammt von einer freien Mitarbeiterin des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen in Hannover. Im Kapitel über das Abhängigkeitspotential bestimmter Computerspiele werden darin das inhärente Risiko und der Verführungswille der Hersteller nicht zuletzt dank gründlicher Recherche plastisch und nachvollziehbar auch unbedarften Eltern vor Augen geführt.
Dass man es bessermachen kann und gleichzeitig Therapeuten, Pädagogen und Eltern anzusprechen vermag, zeigt das ebenfalls neu erschienene Buch "Computer und Internet erobern die Kindheit". Mehr noch als die durchaus hilfreichen Graphiken und Tabellen erleichtert es die gedankliche Strukturierung dem Leser, sich beispielsweise ein Bild über die Verbreitung und Nutzung neuer Medien, Spiele und Kommunikationsformen zu verschaffen. Es fällt insbesondere auf, dass statt des überwiegend kulturpessimistischen Tons, der bei Schlagworten wie Computerspielsucht fast unweigerlich mitschwingt, eine betont wertfreie Darstellung gewählt wurde. Weder sind die Skills, die Fähigkeiten, die Kinder bei einer Webrecherche, beim Online-Spiel, beim Chat oder im Rahmen ihrer Facebook-Kommunikation erwerben, per se gut und wichtig, noch führt es automatisch in eine Suchtexistenz, wenn Teenager sich phasenweise sogar extrem auf diese Mittel einlassen.
Dazu gibt die letztlich dürre und teilweise wenig verlässliche Datenlage auch zu wenig her. Sie ist vielmehr verwirrend, und das Buch traut sich, die ganze Ambivalenz der vergleichsweise neuen Situation einzuräumen, in der auch die Therapeuten stecken. So gibt es zum Beispiel Beobachtungen, wonach mit Hilfe von Computerspielen wie "Tetris" problematische Erinnerungen an traumatische, psychisch verletzende Erlebnisse wegtrainiert werden können. Es ist nicht einmal ausgemacht, inwieweit sogar erkennbar negative Folgen mancher Verhaltensweisen echte Wegbereiter für eine Suchtkarriere sind oder nicht. So lässt sich zwar klar ein ungünstiger Einfluss des Medienkonsums auf schulische Leistungen nachweisen: Kinder schneiden umso schlechter ab, je mehr Zeit sie beispielsweise vor dem Fernseher verbringen. Und ebenso lassen sich Schutzfaktoren benennen: Die Spiel- und Fernsehzeiten sind umso geringer, je anspruchsvoller der besuchte Schultyp und je höher der soziale Status und das Bildungsniveau des Elternhauses sind.
Als behandlungsbedürftig und krankhaft computerspielsüchtig zu bezeichnende Kinder kommen indes aus allen sozialen Schichten, weder die Schulform noch der Bildungshintergrund des Elternhauses sind hierfür ausschlaggebend. Man darf vermuten, dass die Kinder Eigenschaften mitbringen, die jenseits dessen, was sie tun - eben Computerspiele spielen oder fernsehen -, bestimmen, ob sie in eine Sucht schlittern oder nicht. Insgesamt ist trotz der explosionsartigen Verbreitung unterschiedlichster Medien zur Panikmache kein Anlass. Selbst eine jüngste Erhebung an einem Risikokollektiv von Kindern und Jugendlichen an der Universitätsklinik in Köln zeigte, dass der Anteil der tatsächlich Computersüchtigen unter fünf Prozent und damit längst nicht so hoch lag, wie eigentlich erwartet worden war.
Solange es nicht belastbare Untersuchungen gibt, die eindeutigere Antworten zu geben vermögen, können Eltern sich noch am ehesten an den konkreten Handlungsanweisungen orientieren, die das Buch ebenfalls gut strukturiert bereitstellt.
MARTINA LENZEN-SCHULTE
Christoph Möller (Hrsg.): "Internet- und Computersucht". Ein Praxishandbuch für Therapeuten, Pädagogen und Eltern.
Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2011. 282 S., Abb., br., 32,- [Euro].
Jan Frölich, Gerd Lehmkuhl: "Computer und Internet erobern die Kindheit: Vom normalen Spielverhalten bis zur Sucht und deren Behandlung".
Schattauer Verlag, Stuttgart 2012. 206 S., Abb., br., 29,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Martina Lenzen-Schulte bespricht zwei Bücher zur Problematik der Computer- und Internetsucht bei Kindern und Jugendlichen, den vorliegenden Band und und das von Christoph Möller herausgegebene Praxishandbuch "Internet- und computerspiele". Möllers Band schneidet dabei wesentlich schlechter ab. Die Rezensentin bemängelt Widersprüche und Redundanzen zwischen den einzelnen Beiträgen des Bandes, die zudem unterschiedlich aufgebaut seien - der eine Text als freier Essay, der andere als wissenschaftliche Abhandlung. Als gelungen hebt sie nur einen Beitrag über das Suchtpotenzial bestimmter Spiele hervor. Viel besser schneidet der Band von Frölich und Lehmkuhl für sie ab, den sie als nüchtern aufklärend beschreibt - und als angenehm frei von allen kulturpessimistischen Tönen, die so gern bei dem Thema angeschlagen werden. Übrigens erscheint es in diesem Band laut Rezensentin fraglich, ob es wirklich so etwas wie "Sucht" bei Computer und Internet gibt, auch wenn klar ist, dass ein zu hoher Konsum den schulischen Leistungen schadet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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