Spätestens mit Beginn des neuen Jahrtausends hat sich das Computerspiel gesellschaftlich als relevantes ästhetisches Medium durchgesetzt. Mit seiner zunehmenden Anerkennung als ästhetisches und künstlerisches Phänomen stellt sich auch die Frage nach seinen diesbezüglichen Eigenarten. Das vorliegende Buch klärt in philosophischer Perspektive Begriff, Ästhetik und Kunstcharakter des Computerspiels. Dabei lässt es sich von der Annahme leiten, dass die Konturen ästhetischer Medien beständig neuverhandelt werden. Die Lektion des Buches lautet somit, dass derjenige, der sich mit der Ästhetik des Computerspiels befasst, auch über die Ästhetik anderer Medien und Künste nachdenken muss.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als intellektuell mitreißend erfährt Rezensentin Natascha Adamowsky Computerspiele in der Studie von Daniel Martin Feige. Dass der Philosoph auf eine beeindruckende Spielerfahrung zurückblicken kann, lässt das Buch für die Rezensentin interessant werden, auch wenn sie vieles, was Feige in puncto Medialität diskutiert, schon woanders besser gelesen hat. Was ein Computerspiel in ästhetischer Hinsicht eigentlich ist, scheint ihr der Autor trotz enormem begrifflichen Aufwand jedenfalls nur ansatzweise erklären zu können. Erst wenn Feige "aus dem Akt des Spielens heraus" die Kunsterfahrung Computerspiel reflektiert, scheint Adamowsky das Buch Neuland zu betreten und wirklich spannend zu werden.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.04.2016Und hinter lauter Schirmen viele Welten
Was Computerspiele eigentlich ausmacht: Der Philosoph Daniel Martin Feige widmet sich grundsätzlichen Fragen auf dem Feld der Game Studies.
Computerspiele sind charakteristische Spielformen unserer Zeit. Sie üben eine enorme Faszinationskraft aus: Manche wühlen sich tage- und nächtelang durch ihre Kompositionen, andere machen das ganz große Geld damit. Seit gut fünfundzwanzig Jahren beschäftigen sich die Geistes- und Sozialwissenschaften mit dieser neuen Spielkultur, und seit der Jahrtausendwende gibt es die sogenannten Game Studies. Wissenschaftliche Bücher über Computerspiele werden in der Öffentlichkeit zwar immer noch als nichtalltäglich wahrgenommen, doch nach einem Vierteljahrhundert gemeinsamen Nachdenkens sind die Diskussionskulturen selbstredend ausdifferenziert und die Theoriezusammenhänge komplex.
Nachdem die ersten Jahre der wissenschaftlichen Auseinandersetzung von dem Versuch geprägt waren, das seltsame Wesen des Computerspielers zu ergründen, und damit eine Beobachterperspektive das allgemeine Verständnis dominierte, verfügt heute die Mehrheit der Autoren selbst über eine solide Spielerbiographie. Auch der Autor der vorliegenden Studie, Daniel Martin Feige, Professor für Philosophie und Ästhetik an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, kann in dieser Hinsicht aus dem Vollen schöpfen. Seine beeindruckende sechs Seiten starke Gameography liest sich wie eine Best-of-Liste der wichtigsten Computerspiele aller Zeiten, und genau diese Erfahrung ist es auch, auf der die Stärke des Buches in seinen besten Momenten beruht.
Feige tritt gegen den "Beschreibungspluralismus" der Game Studies an. Sein Ziel besteht in einer philosophischen Analyse der ästhetischen Eigenheiten von Computerspielen und nimmt für sich in Anspruch, zu klären, was Computerspiele im Kern eigentlich sind. Aufgeboten werden dafür die philosophische Ästhetik und die Kunsttheorie.
Die Ausgangslage allerdings bildet die Bestimmung von Computerspielen als ästhetische Medien. Diese stehen in spannungsreichen, intensiven wie vielfältigen Austauschbeziehungen mit anderen ästhetischen Medien. Warum Feige sich hier zusätzlich zu den Begriffen der Kunst und Ästhetik auch noch den Medienbegriff ins Boot holt, bleibt indes unklar, stört allerdings auch nicht. Wer nun aber annimmt, im Folgenden auch auf medienwissenschaftliche Einsichten zu treffen, wird enttäuscht. Was sich natürlich sofort aufdrängt, wäre etwa die zwanzig Jahre alte Einsicht, dass Betrachtungen von Einzelmedien nicht sinnvoll sind, weil Medien eben nicht vereinzelt vorkommen, sondern nur in historisch spezifischen Konfigurationen, eben im Modus der Intermedialität. Auch sind die diversen Austauschprozesse zwischen Medien schon oft im Zusammenhang mit den Transformationen alter und neuer Medien diskutiert worden.
Für Feige allerdings sind all diese Konzepte obsolet. Sein Vorschlag ist, statt von intermedialen Einflüssen von einer spannungsreichen Einheit ästhetischer Medien zu sprechen, die in ihren Austauschprozessen wechselseitig bestimmen, was sie selbst und das jeweils andere sind. Inwiefern das nun ein Novum ist, erschließt sich jedoch nicht zwingend. Die Mehrheit der nicht-philosophischen Leser wird anhand von Feiges beispielhaften Ausführungen wahrscheinlich nicht an das Surplus seiner begrifflichen Modellierung herankommen. Seine Beschreibungen der wechselseitigen Beeinflussungen von Film und Computerspiel, Computerspiel und Architektur bleiben zu oft an der Oberfläche und in ihrem Erkenntnisgewinn hinter dem enormen begrifflichen Aufwand zurück.
Spätestens in der Mitte des Buches, wenn mit sokratischer Geste immer noch eine und noch eine potemkinsche Theoriekulisse aufgebaut und dann eingerissen wird, lässt die Geduld nach. Dass Interaktivität kein definierendes Merkmal des Computerspiels sein soll, dass Computerspiele überhaupt als digitale Spiele nicht treffend bestimmt seien - bei aller Sympathie für frischen Wind und neue Besen: Was soll das? Computeranwendungen, die nicht gespielt werden (können), sind keine Computerspiele. Und gerade wenn man, so wie Feige, die Stärken seiner Arbeit einer Aufmerksamkeit für das Spiel verdankt, sollte man die Theorie des Spiels nicht so sträflich vernachlässigen.
Umso glücklicher ist der Umstand zu bewerten, dass Feige zwei grundlegende Einsichten des Spiels offenbar selbstverständlich verinnerlicht hat: Man muss spielen, um über Spiel sprechen zu können, und: Der Witz des Spiels, sein Vermögen toll zu machen, liegt im Spielen selbst. Wenn Feige über das Spielen von Computerspielen spricht, wenn er in den beiden analytisch-exemplarischen Passagen zu Ästhetik und Kunsterfahrung von Computerspielen aus dem Akt des Spielens selbst heraus ästhetische Eigenarten verstehbar macht, dann betritt man mit dieser Arbeit tatsächlich Neuland.
Schon in den Ausführungen zu Computerspielen in ihrem Verhältnis zu Theater und Musik nimmt der Text langsam Fahrt auf. Es folgt eine präzise Bestimmung des Kunstwerks als eine Praxis der Reflexion beziehungsweise der Selbstverständigung, welche zielgenau auf die Frage hinausläuft, ob und wenn ja, in welchem Fall ein Computerspiel Kunst sein könnte. Die erste Antwort lautet, ja, aber es wird sich dabei immer um ein kollektives Ringen in Form einer agonalen Praxis des Streitens handeln. Die zweite sucht die Ebene des Spielens selbst auf. Denn wenn sich, so Feige, mit der Gestaltung der Spielzüge eine Form des Spielens entfaltet, die dem thematischen Modell des Spiels nicht äußerlich ist, kann von einer Kunsterfahrung gesprochen werden.
Am Beispiel der Computerspiele "God of War", "Brothers: A Tale of two Sons", "Bioshock" und "Planescape: Torment" zeigt Feige, in welcher Hinsicht diese Spiele es dem Spieler ermöglichen, seine Handlungsmöglichkeiten im Spiel zu reflektieren. Feige gelingt es hier, in der Diskussion über Computerspiele etwas Entscheidendes sichtbar zu machen, das so vorher noch nicht gesehen und beschrieben wurde. Zudem werden Computerspiele als intellektuell mitreißende Gegenstände erkennbar: Das Buch Daniel Martin Feiges leistet zu dieser Einsicht einen überzeugenden Beitrag.
NATASCHA ADAMOWSKY
Daniel Martin Feige: "Computerspiele". Eine Ästhetik.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 205 S., br., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Was Computerspiele eigentlich ausmacht: Der Philosoph Daniel Martin Feige widmet sich grundsätzlichen Fragen auf dem Feld der Game Studies.
Computerspiele sind charakteristische Spielformen unserer Zeit. Sie üben eine enorme Faszinationskraft aus: Manche wühlen sich tage- und nächtelang durch ihre Kompositionen, andere machen das ganz große Geld damit. Seit gut fünfundzwanzig Jahren beschäftigen sich die Geistes- und Sozialwissenschaften mit dieser neuen Spielkultur, und seit der Jahrtausendwende gibt es die sogenannten Game Studies. Wissenschaftliche Bücher über Computerspiele werden in der Öffentlichkeit zwar immer noch als nichtalltäglich wahrgenommen, doch nach einem Vierteljahrhundert gemeinsamen Nachdenkens sind die Diskussionskulturen selbstredend ausdifferenziert und die Theoriezusammenhänge komplex.
Nachdem die ersten Jahre der wissenschaftlichen Auseinandersetzung von dem Versuch geprägt waren, das seltsame Wesen des Computerspielers zu ergründen, und damit eine Beobachterperspektive das allgemeine Verständnis dominierte, verfügt heute die Mehrheit der Autoren selbst über eine solide Spielerbiographie. Auch der Autor der vorliegenden Studie, Daniel Martin Feige, Professor für Philosophie und Ästhetik an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, kann in dieser Hinsicht aus dem Vollen schöpfen. Seine beeindruckende sechs Seiten starke Gameography liest sich wie eine Best-of-Liste der wichtigsten Computerspiele aller Zeiten, und genau diese Erfahrung ist es auch, auf der die Stärke des Buches in seinen besten Momenten beruht.
Feige tritt gegen den "Beschreibungspluralismus" der Game Studies an. Sein Ziel besteht in einer philosophischen Analyse der ästhetischen Eigenheiten von Computerspielen und nimmt für sich in Anspruch, zu klären, was Computerspiele im Kern eigentlich sind. Aufgeboten werden dafür die philosophische Ästhetik und die Kunsttheorie.
Die Ausgangslage allerdings bildet die Bestimmung von Computerspielen als ästhetische Medien. Diese stehen in spannungsreichen, intensiven wie vielfältigen Austauschbeziehungen mit anderen ästhetischen Medien. Warum Feige sich hier zusätzlich zu den Begriffen der Kunst und Ästhetik auch noch den Medienbegriff ins Boot holt, bleibt indes unklar, stört allerdings auch nicht. Wer nun aber annimmt, im Folgenden auch auf medienwissenschaftliche Einsichten zu treffen, wird enttäuscht. Was sich natürlich sofort aufdrängt, wäre etwa die zwanzig Jahre alte Einsicht, dass Betrachtungen von Einzelmedien nicht sinnvoll sind, weil Medien eben nicht vereinzelt vorkommen, sondern nur in historisch spezifischen Konfigurationen, eben im Modus der Intermedialität. Auch sind die diversen Austauschprozesse zwischen Medien schon oft im Zusammenhang mit den Transformationen alter und neuer Medien diskutiert worden.
Für Feige allerdings sind all diese Konzepte obsolet. Sein Vorschlag ist, statt von intermedialen Einflüssen von einer spannungsreichen Einheit ästhetischer Medien zu sprechen, die in ihren Austauschprozessen wechselseitig bestimmen, was sie selbst und das jeweils andere sind. Inwiefern das nun ein Novum ist, erschließt sich jedoch nicht zwingend. Die Mehrheit der nicht-philosophischen Leser wird anhand von Feiges beispielhaften Ausführungen wahrscheinlich nicht an das Surplus seiner begrifflichen Modellierung herankommen. Seine Beschreibungen der wechselseitigen Beeinflussungen von Film und Computerspiel, Computerspiel und Architektur bleiben zu oft an der Oberfläche und in ihrem Erkenntnisgewinn hinter dem enormen begrifflichen Aufwand zurück.
Spätestens in der Mitte des Buches, wenn mit sokratischer Geste immer noch eine und noch eine potemkinsche Theoriekulisse aufgebaut und dann eingerissen wird, lässt die Geduld nach. Dass Interaktivität kein definierendes Merkmal des Computerspiels sein soll, dass Computerspiele überhaupt als digitale Spiele nicht treffend bestimmt seien - bei aller Sympathie für frischen Wind und neue Besen: Was soll das? Computeranwendungen, die nicht gespielt werden (können), sind keine Computerspiele. Und gerade wenn man, so wie Feige, die Stärken seiner Arbeit einer Aufmerksamkeit für das Spiel verdankt, sollte man die Theorie des Spiels nicht so sträflich vernachlässigen.
Umso glücklicher ist der Umstand zu bewerten, dass Feige zwei grundlegende Einsichten des Spiels offenbar selbstverständlich verinnerlicht hat: Man muss spielen, um über Spiel sprechen zu können, und: Der Witz des Spiels, sein Vermögen toll zu machen, liegt im Spielen selbst. Wenn Feige über das Spielen von Computerspielen spricht, wenn er in den beiden analytisch-exemplarischen Passagen zu Ästhetik und Kunsterfahrung von Computerspielen aus dem Akt des Spielens selbst heraus ästhetische Eigenarten verstehbar macht, dann betritt man mit dieser Arbeit tatsächlich Neuland.
Schon in den Ausführungen zu Computerspielen in ihrem Verhältnis zu Theater und Musik nimmt der Text langsam Fahrt auf. Es folgt eine präzise Bestimmung des Kunstwerks als eine Praxis der Reflexion beziehungsweise der Selbstverständigung, welche zielgenau auf die Frage hinausläuft, ob und wenn ja, in welchem Fall ein Computerspiel Kunst sein könnte. Die erste Antwort lautet, ja, aber es wird sich dabei immer um ein kollektives Ringen in Form einer agonalen Praxis des Streitens handeln. Die zweite sucht die Ebene des Spielens selbst auf. Denn wenn sich, so Feige, mit der Gestaltung der Spielzüge eine Form des Spielens entfaltet, die dem thematischen Modell des Spiels nicht äußerlich ist, kann von einer Kunsterfahrung gesprochen werden.
Am Beispiel der Computerspiele "God of War", "Brothers: A Tale of two Sons", "Bioshock" und "Planescape: Torment" zeigt Feige, in welcher Hinsicht diese Spiele es dem Spieler ermöglichen, seine Handlungsmöglichkeiten im Spiel zu reflektieren. Feige gelingt es hier, in der Diskussion über Computerspiele etwas Entscheidendes sichtbar zu machen, das so vorher noch nicht gesehen und beschrieben wurde. Zudem werden Computerspiele als intellektuell mitreißende Gegenstände erkennbar: Das Buch Daniel Martin Feiges leistet zu dieser Einsicht einen überzeugenden Beitrag.
NATASCHA ADAMOWSKY
Daniel Martin Feige: "Computerspiele". Eine Ästhetik.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015. 205 S., br., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Computerspiele [werden] als intellektuell mitreißende Gegenstände erkennbar: Das Buch Daniel Martin Feiges leistet zu dieser Einsicht einen überzeugenden Beitrag.« Natascha Adamowsky Frankfurter Allgemeine Zeitung 20160406