In Middleway, dem amerikanischen Oxford in der Nähe von Kansas, erwachen vier Frauen am Tag nach einem feministischen Kongress im Haus von Gloria Patter, einer Frauenkämpferin. Alle vier haben eines gemeinsam: Sie haben mit weiblichem Selbstbewusstsein exemplarische Karrieren gemacht und ziehen nun Bilanz. Stück für Stück enthüllen sich in Rückblenden die Lebensgeschichten der vier Frauen, knapp jenseits der Lebensmitte und auf dem Zenit ihrer Karrieren.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.11.1999Das Nashorn auf Freiersfüßen
Paule Constant sagt über Frauen, was alle schon wussten
Welche Positionen können erfolgreiche Frauen heute einnehmen? Vielleicht Universitätsprofessorin, Leiterin einer Tagung (meist mit einem feministischen Thema), Schriftstellerin, Filmstar - diese allerdings nur als schon verflossene Schönheit, weil eine solche Existenz denn doch den Traum von der Emanzipation heutzutage so recht nicht mehr ausdrückt. Vier Frauen in eben dieser Stellung - Ariane, Babette, Gloria, Lola - treffen sich in Paule Constants Buch beim Frühstück, nach einer "einschlägigen" Tagung, erschöpft noch etwas, so dass ihnen die Ungereimtheiten des nächtlichen Albtraums in den Morgen hinein nachhängen und sie verstimmen, ehe sie mit dem Make-up wieder die glatte Erfolgsmaske auflegen.
Was mag die Geschichte sein, die solche Frauen des Nachts bedrückende Träume verschafft? Was haben sie überstanden? Einen Mann, der sie verlassen hat, weil sie zu stark sind; eine Mutter, die sie gründlich hassen; eine andere Mutter, die sie innig lieben, weil diese, aufgewachsen in der patriarchalischen Welt Algeriens, sich der männlichen Führung so willig beugt; eine Tochter, die sich gegen die erfolgreiche Mutter sträubt; einen Weg in den Erfolg, der, zumal wenn man schwarzer Hautfarbe ist, mit Stolpersteinen gepflastert war; ein weißes, aber hässliches Gesicht auf einem verführerischen Körper, was die Einschätzung, wie man auf Menschen wirke, erschwert.
So etwa dürften die Notizen ausgesehen haben, die sich Paule Constant machte, als sie ihren schließlich mit dem Prix Goncourt prämierten Roman plante, den ein Roman zu nennen so recht nicht ist. Welcher der vier Heldinnen man die vorgefertigten Teile aus Standardbiographien zuordnet, bleibt sich gleich: Sie sind ohnehin weiter nichts als Allegorien kleiner biographischer Handicaps, die nicht nur Frauen beim Aufstieg in der Berufswelt zu überwinden haben. Freilich ist Paule Constant gewitzt genug, Bedrückungen und nicht gerade Tragödien aufzudecken, das also, was sich nicht nur bei Romanfiguren, sondern auch bei wirklichen Frauen für kurze Zeit ins Morgenlicht des Bewusstseins drängen könnte. Große Schicksale, das hat sich gezeigt, entstehen heute selbst auf dem Berufsweg von Frauen nicht mehr, und Constant will ihren Leserinnen eben keinen Roman schreiben, den man liest, um sich mit schönem Gruseln in den Schlaf zu wiegen, sondern die Wirklichkeit schildern, aus der und in die sie erwacht sind. Verschwenderisch verstreut sie daher das Unbehagen, das in Frauenherzen nistet, so dass jede Leserin in dem Buch etwas aus ihrem eigenen Repertoire wiederfindet, einmal bei dieser, einmal bei jener der vier Heldinnen.
Diese vier Charaktere, die eher der im neunzehnten Jahrhundert in französischen Zeitschriften so beliebten Physiologie angehören - man könnte sie auf einem Zeitungsblatt skizzieren und in einer Bildunterschrift ihre Eigenschaften aufrufen -, sind exemplarisch - realistisch sind sie nicht. Zwar folgt Constant dem Vorschlag ihres Landsmanns Diderot, der empfahl, einem schönen Gesicht ein Wärzchen zu verpassen, und schon habe es mehr Wirklichkeit! Das Rezept, das heute viele avantgardistische Autoren befolgen, hat dazu geführt, dass Realismus mit Detail und Detail mit Marginalie verwechselt wird. Schmutzige Küchen, wo man Ratten in Gläsern hält, laute Waschmaschinen, lange und langweilige Telefongespräche, ein wetterwendischer Gefühlshaushalt, der Freunde einmal liebt und kurz darauf wieder hasst, eine Frau, die sich nicht um ihr Äußeres kümmert, aber die Nächte unter ihrem Nerz zubringt und eine Brille von Dior trägt, gehören zu den gängigen Widersprüchlichkeiten des Gegenwartsromans, wo sie die Illusion von Wirklichkeit stiften sollen, und sie fehlen auch bei Paule Constant nicht.
Das große Schicksal also kann den Leser in dieser Ödnis des Immerschon-Dagewesenen nicht wachhalten, aber der Witz. Die aparte Kombination der Alltäglichkeiten und eine gelegentliche Absurdität machen Constants Charakterologie zur Humoreske. Es soll doch wohl ein Witz sein, wenn Ariane, die sensible Schriftstellerin, die sich aller Regeln ihrer Kunst und aller Finessen der Gattung bewusst ist, in der sie schreibt - wie die Autorin selbst: des Romans -, bei der Führung durch einen Zoo ihr Herz zwischen einer Männer- und einer Nashornschnauze entdeckt: "Der Konservator hielt ihren Arm fest und führte dann ihre Hand zum Mund des Nashorns. Aurore spürte auf ihrer Handfläche das Maul . . . die breiten, zarten, festen Greiflippen liebkosten sie. Der Atem stockte ihr, ihre Beine waren wie Pudding, sie schwankte zwischen Leben und Tod zwischen Männerkörper und dem Kopf des Nashorns, das in ihrer Hand schnüffelte und auf sie atmete. Ihre Beine gaben nach, sie ließ sich in die Arme des Direktors gleiten. Er küsste sie." Symbol und Allegorie ist alles in diesem Roman. Die Schriftstellerin in den Armen eines Zoodirektors mag also ein Tableau vivant der folgenden Preisverleihung gewesen sein.
HANNELORE SCHLAFFER
Paule Constant: "Vertrauen gegen Vertrauen". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Michael Kleeberg. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 1999. 270 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Paule Constant sagt über Frauen, was alle schon wussten
Welche Positionen können erfolgreiche Frauen heute einnehmen? Vielleicht Universitätsprofessorin, Leiterin einer Tagung (meist mit einem feministischen Thema), Schriftstellerin, Filmstar - diese allerdings nur als schon verflossene Schönheit, weil eine solche Existenz denn doch den Traum von der Emanzipation heutzutage so recht nicht mehr ausdrückt. Vier Frauen in eben dieser Stellung - Ariane, Babette, Gloria, Lola - treffen sich in Paule Constants Buch beim Frühstück, nach einer "einschlägigen" Tagung, erschöpft noch etwas, so dass ihnen die Ungereimtheiten des nächtlichen Albtraums in den Morgen hinein nachhängen und sie verstimmen, ehe sie mit dem Make-up wieder die glatte Erfolgsmaske auflegen.
Was mag die Geschichte sein, die solche Frauen des Nachts bedrückende Träume verschafft? Was haben sie überstanden? Einen Mann, der sie verlassen hat, weil sie zu stark sind; eine Mutter, die sie gründlich hassen; eine andere Mutter, die sie innig lieben, weil diese, aufgewachsen in der patriarchalischen Welt Algeriens, sich der männlichen Führung so willig beugt; eine Tochter, die sich gegen die erfolgreiche Mutter sträubt; einen Weg in den Erfolg, der, zumal wenn man schwarzer Hautfarbe ist, mit Stolpersteinen gepflastert war; ein weißes, aber hässliches Gesicht auf einem verführerischen Körper, was die Einschätzung, wie man auf Menschen wirke, erschwert.
So etwa dürften die Notizen ausgesehen haben, die sich Paule Constant machte, als sie ihren schließlich mit dem Prix Goncourt prämierten Roman plante, den ein Roman zu nennen so recht nicht ist. Welcher der vier Heldinnen man die vorgefertigten Teile aus Standardbiographien zuordnet, bleibt sich gleich: Sie sind ohnehin weiter nichts als Allegorien kleiner biographischer Handicaps, die nicht nur Frauen beim Aufstieg in der Berufswelt zu überwinden haben. Freilich ist Paule Constant gewitzt genug, Bedrückungen und nicht gerade Tragödien aufzudecken, das also, was sich nicht nur bei Romanfiguren, sondern auch bei wirklichen Frauen für kurze Zeit ins Morgenlicht des Bewusstseins drängen könnte. Große Schicksale, das hat sich gezeigt, entstehen heute selbst auf dem Berufsweg von Frauen nicht mehr, und Constant will ihren Leserinnen eben keinen Roman schreiben, den man liest, um sich mit schönem Gruseln in den Schlaf zu wiegen, sondern die Wirklichkeit schildern, aus der und in die sie erwacht sind. Verschwenderisch verstreut sie daher das Unbehagen, das in Frauenherzen nistet, so dass jede Leserin in dem Buch etwas aus ihrem eigenen Repertoire wiederfindet, einmal bei dieser, einmal bei jener der vier Heldinnen.
Diese vier Charaktere, die eher der im neunzehnten Jahrhundert in französischen Zeitschriften so beliebten Physiologie angehören - man könnte sie auf einem Zeitungsblatt skizzieren und in einer Bildunterschrift ihre Eigenschaften aufrufen -, sind exemplarisch - realistisch sind sie nicht. Zwar folgt Constant dem Vorschlag ihres Landsmanns Diderot, der empfahl, einem schönen Gesicht ein Wärzchen zu verpassen, und schon habe es mehr Wirklichkeit! Das Rezept, das heute viele avantgardistische Autoren befolgen, hat dazu geführt, dass Realismus mit Detail und Detail mit Marginalie verwechselt wird. Schmutzige Küchen, wo man Ratten in Gläsern hält, laute Waschmaschinen, lange und langweilige Telefongespräche, ein wetterwendischer Gefühlshaushalt, der Freunde einmal liebt und kurz darauf wieder hasst, eine Frau, die sich nicht um ihr Äußeres kümmert, aber die Nächte unter ihrem Nerz zubringt und eine Brille von Dior trägt, gehören zu den gängigen Widersprüchlichkeiten des Gegenwartsromans, wo sie die Illusion von Wirklichkeit stiften sollen, und sie fehlen auch bei Paule Constant nicht.
Das große Schicksal also kann den Leser in dieser Ödnis des Immerschon-Dagewesenen nicht wachhalten, aber der Witz. Die aparte Kombination der Alltäglichkeiten und eine gelegentliche Absurdität machen Constants Charakterologie zur Humoreske. Es soll doch wohl ein Witz sein, wenn Ariane, die sensible Schriftstellerin, die sich aller Regeln ihrer Kunst und aller Finessen der Gattung bewusst ist, in der sie schreibt - wie die Autorin selbst: des Romans -, bei der Führung durch einen Zoo ihr Herz zwischen einer Männer- und einer Nashornschnauze entdeckt: "Der Konservator hielt ihren Arm fest und führte dann ihre Hand zum Mund des Nashorns. Aurore spürte auf ihrer Handfläche das Maul . . . die breiten, zarten, festen Greiflippen liebkosten sie. Der Atem stockte ihr, ihre Beine waren wie Pudding, sie schwankte zwischen Leben und Tod zwischen Männerkörper und dem Kopf des Nashorns, das in ihrer Hand schnüffelte und auf sie atmete. Ihre Beine gaben nach, sie ließ sich in die Arme des Direktors gleiten. Er küsste sie." Symbol und Allegorie ist alles in diesem Roman. Die Schriftstellerin in den Armen eines Zoodirektors mag also ein Tableau vivant der folgenden Preisverleihung gewesen sein.
HANNELORE SCHLAFFER
Paule Constant: "Vertrauen gegen Vertrauen". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Michael Kleeberg. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt 1999. 270 S., geb., 39,80 DM.
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