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Just two weeks before his death in January 1999, George L. Mosse, one of this century's great historians, finished writing his memoir, a fascinating and fluent account of a remarkable life that spanned three continents and many of the major events of the twentieth century. Writing about the events of his life through a historian's lens, Mosse gives us a personal history of our century. This is a story told with the clarity, passion, and verve that entranced thousands of Mosse's students and that countless readers have found, and will continue to find, in his many scholarly books. Confronting…mehr

Produktbeschreibung
Just two weeks before his death in January 1999, George L. Mosse, one of this century's great historians, finished writing his memoir, a fascinating and fluent account of a remarkable life that spanned three continents and many of the major events of the twentieth century. Writing about the events of his life through a historian's lens, Mosse gives us a personal history of our century. This is a story told with the clarity, passion, and verve that entranced thousands of Mosse's students and that countless readers have found, and will continue to find, in his many scholarly books. Confronting History describes Mosse's opulent childhood in Weimar Berlin; his exile in Paris and England, including boarding school and study at Cambridge University; his second exile in the U.S. at Haverford, Harvard, Iowa, and Wisconsin; and his extended stays in London and Jerusalem. Mosse also deals with matters of personal identity. He discusses being a Jew and his attachment to Israel and Zionism. He addresses his gayness, his coming out, and his growing scholarly interest in issues of sexuality. This touching memoir, sometimes harrowing, often humorous, is guided in part by Mosse's belief that "what man is, only history tells," and by his constant themes of the fate of liberalism, the defining events that can bring about the generational political awakenings of youth (from the anti-fascism struggles of the 1930s to the campus anti-war movement of the 1960s), the meanings of masculinity and racial and sexual stereotypes, the enigma of exile, and--most of all--the importance of finding one's self through the pursuit of truth, and through an honest and unflinching analysis of one's place in the context of his times.
Autorenporträt
George L. Mosse (1918-2002), Enkel des Pressezaren Rudolf Mosse, wurde in Berlin geboren, musste mit der elterlichen Familie 1933 vor den Nationalsozialisten fliehen. In Cambridge/GB studierte er Geschichte und Politik. Kurz vor dem II. Weltkrieg emigrierte er in die USA und vollendete an der Harvard Universität seine Studien. Jahrzehntelang wirkte er als Professor für Europäische Geschichte in Madison/Wisconsin und lehrte außerdem deutsche Geschichte in Jerusalem. Mosse war einer der unkonventionellsten und produktivsten Historiker des 20. Jahrhunderts.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.10.2003

Lehrstuhl der Bonanza-Ranch
Reich, jüdisch und talentiert: Die Memoiren von George Mosse
Wer in den achtziger Jahren in Jerusalem studiert hat, wird sich an jene Seminare erinnern, in denen man sich ins Wilmersdorf oder Schöneberg der zwanziger Jahre zurückversetzt fühlte. Ältere Damen mit weißen Handschuhen lauschten gespannt einem ebenfalls nicht mehr ganz jungen Herren, der in der Hebräischen Universität in leicht deutsch gefärbtem Englisch über Rathenau und Freud und Tucholsky referierte. Er hätte freilich auch seine eigene Familiengeschichte zum Besten geben können, um den Zuhörern einen tieferen Einblick in die neuere deutsch-jüdische Geistes- und Wirtschaftsgeschichte zu geben.
Aufgewachsen im märkischen Schloss Schenkendorf und einem Berliner Stadtpalais, bewohnte George Lachmann Mosse als Junge einen ganzen Schlossflügel und hatte bereits als Grundschüler seinen eigenen Chauffeur. Der 1918 geborene jüngste Enkel von Rudolf Mosse, dessen Zeitungsimperium (u. a. Berliner Tageblatt) im Kaiserreich kaum Konkurrenz hatte, gehörte zur Elite des Berliner Bürgertums. Die Familiengeschichte der Mosses wurde bereits in einer bedeutenden Studie von Elisabeth Kraus dokumentiert. Ihr Nachwort bereichert diesen Band, an dessen deutscher Ausgabe nur der unglückliche Titel stört.
Die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Welten machte sich in der Stiftungstätigkeit der Familie bemerkbar. In Schenkendorf, wo er als eine Art Gutsherr betrachtet wurde, stiftete der Vater, Hans Lachmann, die Kirchenglocken; in Berlin richtete er Suppenküchen für die verarmte Bevölkerung ein und finanzierte die Fräcke für die Philharmoniker; dem Geiger Bronislaw Huberman schenkte er seine erste Geige, und auch Paul Hindemith griff er unter die Arme; er half bei der Umgestaltung der Liturgie für die Berliner Reformgemeinde und setzte Schallplatten im Synagogengottesdienst ein.
Im Hause Mosse ging die Berliner Prominenz ein und aus, und als den jungen George später im Schweizer Exil ein Hund ins Bein beißt, ist dies natürlich nicht irgendein Straßenköter, sondern das Hündchen von Alfred Kerr. Die spartanische Erziehung im Internat von Salem passte zu den bürgerliche Tugenden, die im Haus Lachmann-Mosse herrschten. Hier wurde George Mosse freilich auch mit einer völkisch-nationalen (wenn auch nicht nationalsozialistischen) Erziehung konfrontiert, über deren Folgen er später seine wichtigsten Bücher verfasste.
Man mag bei den Anfeindungen, die seine Familie erfuhr, an das Wort Max Liebermanns denken: „Ich hatte zu viele Feinde, ich bot ja auch drei Angriffsflächen: Ich war erstens Jude, zweitens reich, und drittens hatte ich auch Talent.” George Mosse war Außenseiter in vielfacher Hinsicht: als Sohn einer der reichsten Berliner Familien, als Jude, als Emigrant, als Homosexueller. Doch wer ihn kannte, weiß, dass Lamentieren nicht seine Stärke war. So stellt er auch in den Memoiren fest, dass er trotz Vertreibung und Neuanfang auf ein erfülltes Leben zurückblicken kann – und dieser Blick erfolgt an keiner Stelle im Zorn.
Nach kurzem Aufenthalt in der Schweiz ging er weiter an ein englisches Internat, studierte im britischen Cambridge und promovierte in Cambridge, Massachussetts, an der Harvard Universität. Seine Karriere als Historiker begann er an der Universität von Iowa als Spezialist für das frühneuzeitliche Europa, bevor er später an seiner langjährigen Heimat, der University of Wisconsin in Madison, seine Interessen immer mehr dem Nationalismus und Totalitarismus zuwandte.
Einmal stellt er lapidar fest: Wäre er in Deutschland geblieben, „ich wäre irgendwann in das Familienunternehmen eingetreten und dort geblieben.” Wir hätten so eine Reihe wichtiger Werke vermisst, über die völkischen Ursprünge des Nationalsozialismus etwa oder über das Verhältnis zwischen Sexualität und Nationalismus, über deutsch-jüdische Intellektuelle und über den Umgang der Menschen mit dem massenhaften Sterben im Ersten Weltkrieg. Es sind zumeist geistes- und mentalitätsgeschichtliche Studien, die in der Bundesrepublik weniger en vogue waren und ihn so in seinem Geburtsland nie auch nur annähernd den Ruf einbrachten, den er in seiner neuen Heimat genoss.
Es spricht keine Unbescheidenheit aus seinen Memoiren, wenn er immer wieder feststellt, dass er weniger auf seine Bücher als auf seine Leistungen als akademischer Lehrer stolz ist. Mit Vergnügen berichtet er von einem Angebot seiner Universität, ihn aufgrund seiner herausragenden Leistungen eine besonders prestigereiche Professur zu verleihen, die nur zwei Stunden Lehrtätigkeit erforderte. Zwar verblieb er an der ihm liebgewonnener University of Michigan, bestand jedoch darauf, mindestens ein volles Lehrdeputat unterrichten zu dürfen. Seine zahlreichen Schüler, von denen eine ganze Reihe mittlerweile selbst klangvolle Namen haben, werden es ihm gedankt haben. Als ihn im Laufe derselben Verhandlungen der Rektor der Universität fragte, welchen Namen er denn für seinen eigenen Lehrstuhl wünsche, schlug er spontan „Cartwright-Chair” vor und belehrte seinen etwas verdutzten Vorgesetzten, er liebe nun einmal die TV-Serie „Bonanza” so sehr.
Stereotypen der Antisemiten
Das Schelmische spricht immer wieder aus diesen Memoiren, und doch liest man zwischen den Zeilen auch von den vielen Barrieren, die sich im Leben eines Menschen auftaten, dem bei seiner Geburt eine sorglose Existenz vorbestimmt zu sein schien. Buchstäblich in letzter Minute flüchtete er zu Beginn der NS-Herrschaft über den Bodensee in die Schweiz, in der Columbia University wird er in den vierziger Jahren explizit abgewiesen, da die „Judenquote” schon erfüllt war und bewegend beschreibt er, wie er zeitweise, einige Stereotypen der Antisemiten verinnerlicht hatte. Erst als er seit den siebziger Jahren regelmäßig als Gastprofessor an der Hebräischen Universität in Jerusalem unterrichtete, hatte er mit seiner jüdischen Herkunft Frieden geschlossen. Schwieriger war für ihn der Umgang mit seiner Homosexualität, den er in seinen Memoiren als ein weiteres identitätsprägendes Moment eingehend schildert.
Die Memoiren des 1999 verstorbenen George Mosse sind zugleich ein Stück deutscher Kultur- wie auch Unkulturgeschichte. Sie berichten vom Leben eines Historikers, der wie nur wenige seiner Kollegen Geschichte erfahren und Geschichte geschrieben hat und mittlerweile selbst Objekt deutscher, jüdischer und amerikanischer Kulturgeschichte geworden ist.
MICHAEL BRENNER
GEORGE L. MOSSE: Aus grossem Hause. Erinnerungen eines deutsch-jüdischen Historikers. Ullstein Verlag, Berlin 2003. 397 Seiten, 24 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.01.2001

Im Entsagen reich, im Ertragen stark, in der Arbeit unermüdlich
Deutsche Bürgertugend im amerikanischen Exil: Der Historiker George L. Mosse hat seinen Bildungsroman hinterlassen, der das vergangene Jahrhundert in wenige Worte faßt

Historiker publizieren selten Memoiren. Schon das macht das letzte, postum gedruckte Buch des bedeutenden deutsch-jüdisch-amerikanischen Historikers George L. Mosse ungewöhnlich. Wenige Wochen vor seinem Tod im Januar 1999 konnte er das Manuskript abschließen. Weshalb soll man die Geschichte eines Historikers lesen? Natürlich erfährt der Leser einiges über die Zeitläufte, erhält nebenbei einen Kurzlehrgang über das amerikanische Hochschulsystem und das Schulungswesen für die amerikanischen Besatzungssoldaten. Der Verfasser, der als passionierter Geschichtswissenschaftler stets die fachlich-methodologische einer politischen Korrektheit vorgezogen hat, weist freilich gleich eingangs darauf hin, daß das Gedächtnis und so auch sein Gedächtnis auswählt, filtert, rationalisiert. Ihm kommt es nicht darauf an, sein Bild der Weimarer Republik, des Nationalsozialismus oder des Exils weiterzugeben, sondern, gleichsam in Nachahmung des deutschen Bildungsromans, nachvollziehbar zu machen, wie "er wurde, was er war". Er will zeigen, welche seiner Erfahrungen und Erlebnisse auf welchem Wege, sei es per Kondensation, Sublimierung oder auch Konfrontation, sei es über kurz oder - mitunter Jahrzehnte - lang seine Persönlichkeit als Mensch wie als Wissenschaftler formten, dies nach dem Wahlspruch: "What you are, your own historical writings will help to tell you". Klar und unprätentiös erzählt er, selbst in der Wiedergabe von Unangenehmem aufrichtig, ohne Redundanzen, oft genug humorvoll. Der Autor nennt sich selbst einen "unkonventionellen" Menschen, und sein Lebensweg war in der Tat für seine Generation, für seine ethnisch-kulturelle Herkunftswelt und sogar für sein Milieu ungewöhnlich.

Im September 1918 wurde er als Enkelsohn des Pressezaren Rudolf Mosse in eine der reichsten und namhaftesten jüdischen Familien Berlins und damit in die gewissermaßen reghettoisierte Welt der jüdischen Elite hineingeboren. Die Verfügbarkeit von Geld und (Frei-)Raum war ihm selbstverständlich. Fernab jeglicher Realität verbrachte Gerhard Lachmann-Mosse seine Kindheit zwischen der elterlichen Villa in Charlottenburg und dem großelterlichen Rittergut in Schenkendorf, mobil dank eines roten, batteriebetriebenen Autos samt Chauffeur für einen noch nicht einmal Zehnjährigen, mit - wie seine beiden älteren Geschwister auch - eigenem Schlaf-, Spiel- und Badezimmer sowie, selbstverständlich, Gouvernanten aus Frankreich und England. Da die Ehe der Eltern - die Verlagserbin und illegitime Tochter von Rudolf Mosse, Felicia, hatte 1909 den an musischen und technischen Entwicklungen sehr, an politischen Prozessen fatalerweise kaum interessierten Hans Lachmann geheiratet - längst zerrüttet war und auch die älteren Geschwister ihre eigenen Wege gingen, fand ein Familienleben kaum statt, was wohl keiner außer dem Jüngsten so recht vermißte.

Der zweite Kindheitsabschnitt zwischen dem zehnten und vierzehnten Lebensjahr vor der Flucht im März 1933 über den Bodensee in die Schweiz versetzte ihn in eine andere Welt. Den sich selbst überlassenen, eigensinnigen und einsamen Jungen, dessen Interessen kaum geweckt worden waren, steckte der Vater in das badische Elite-Internat Salem respektive dessen Vorschule auf dem Hermannsberg. Die dort gelehrten und praktizierten "charakterbildenden" Eigenschaften wie Askese, Pflichtgefühl, Ordnungsliebe, Aufrichtigkeit oder moralischer und körperlicher Mut waren zwar gewöhnungsbedürftig, wurden aber, je länger, je mehr, vom jungen Gerhard im wesentlichen für gut befunden: Sie sorgten für ebenso haltbare wie haltgebende Erlebnisse von Gemeinschaft und freiwilliger Selbstkontrolle. Eine Erziehung im deutsch-nationalen Geist zur Übernahme sogenannter deutscher Tugenden wie Patriotismus, Ehre, sexueller Reinheit und soldatischer Männlichkeit schlug dagegen fehl.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland sah sich die liberale jüdische Verlegerfamilie zur Emigration gezwungen. Ein Großteil des Vermögens war damit verloren, vorerst jedoch nicht die Unternehmensfilialen im Ausland, die der Familie noch für lange Zeit trotz erheblicher Abstriche einen gehobenen Lebensstil ermöglichten. Das eine oder andere Detail der Darstellung, etwa der Abwicklung des bereits im September 1932 eingeleiteten Konkursverfahrens und der späteren "kalten Arisierung" des Verlagshauses, wäre zu korrigieren; hervorzuheben ist die realistische Einschätzung der Fehlleistungen des Vaters, insbesondere in seiner Rolle als Herausgeber des "Berliner Tageblatts", Flaggschiffs des Hauses und publizistischer Speerspitze des (links-)liberalen Deutschland. Die Familie wurde zersprengt; George Lachmann-Mosse verschlug es nach England, wo er im Quäker-Internat Bootham bei York seine Schulausbildung beendete.

Im Gegensatz wohl zu den meisten Flüchtlingen aus Deutschland war für ihn das Exil, zeitgenössisch ohnehin, freilich auch in der Retrospektive, Abenteuer und Herausforderung zugleich, war er nun doch, da nichts mehr vorgegeben, gesichert, geebnet schien, gezwungen, die eigenen intellektuellen und mentalen Ressourcen zu mobilisieren. Neuerlich mußte er sich akkulturieren, diesmal an die Gegebenheiten des Aufnahmelandes. Die Auswanderung beschleunigte die Ablösung vom Elternhaus, schulte ein für das weitere berufliche Fortkommen hilfreiches Orientierungs- und Entscheidungsvermögen.

Von Bootham ging er 1937 nach Cambridge, wo er die Geschichtswissenschaft und die Politik entdeckte. Man stritt über den spanischen Bürgerkrieg, erörterte den Zusammenhang von Nationalismus, Faschismus und Krieg, der ihn an einen Marxismus antitotalitärer, demokratischer Observanz glauben ließ. Von den auch im England jener Zeit - in Amerika war es später nicht anders - virulenten antijüdischen Stereotypen ließ der Neunzehnjährige sich nicht einschüchtern. Ein Jude, wollte man ihm suggerieren, erst recht ein eingewanderter, könne allenfalls Ökonomie studieren, besser aufgehoben wäre er, insbesondere bei diesem familiären Hintergrund, als Journalist, das Studium der - englischen - Geschichte sei für "Einheimische" reserviert.

Der schon Ende 1933 ausgebürgerte George wanderte wenige Wochen vor seinem einundzwanzigsten Geburtstag und damit kurz vor Kriegsausbruch auf dem Visum seines Vaters und mit ihm in die Vereinigten Staaten ein, wo sich die Wege der beiden gegensätzlichen Männer rasch wieder trennten. Hans Lachmann-Mosse ging mit seiner zweiten Frau nach Kalifornien, Felicia Mosse lebte mit ihrer Tochter Hilde in New York, der ältere Bruder Rudolf in Washington. Die familiären Bande, ohnehin seit langem gelockert, konnten und mußten dem jungen Erwachsenen George, der seither den ersten Teil seines Nachnamens zum "middle initial" verkürzt trug, keinen Halt mehr geben. Ehrgeiz, klare Vorstellungen und das Glück des Mutigen führten ihn an das wiederum von Quäkern geleitete Haverford-College in Pennsylvania, wo er 1941 zum "Bachelor" graduiert wurde, weiter nach Harvard, das er 1944 verließ, um seine erste bescheiden dotierte Lehrtätigkeit an der Universität von Iowa aufzunehmen. Die dort verbrachten elf Jahre formten seine Identität als schreibfreudiger Geschichtswissenschaftler, mehr noch aber als ein für das Fach begeisternder Hochschullehrer und brachten ein erstaunliches Talent des eher zierlich und schüchternen jungen Mannes für die mitreißende öffentliche Rede zum Vorschein.

Ende der fünfziger Jahre wechselte er ein zweites und bereits letztes Mal die Hochschule und wurde Professor für europäische Geschichte an der Universität von Wisconsin in Madison, an der er, "endlich zu Hause", wie er schreibt, rund dreißig Jahre lang lehrte. Ein Jahrzehnt lang unterrichtete er zudem deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Sein Verhältnis zum Staat Israel, den er schon 1951 bereiste, war von wohlwollendem Interesse, Respekt und Loyalität getragen. Dem widerspricht es nicht, daß er, so der Titel seines 1984 erschienenen Buches, für eine "jüdische Identität jenseits des Judentums" (judaism) plädierte.

Sein imposantes OEuvre mit zwei Dutzend Büchern weist drei Schwerpunkte auf: zunächst steht im Mittelpunkt die frühneuzeitliche Geschichte Europas, vor allem Englands, im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, die er klassisch-konventionell als Verwaltungs-, Verfassungs- und Religionsgeschichte beschreibt. Hier endete die im Lehrkanon britischer Universitäten seinerzeit angebotene moderne Geschichte, zudem erschien es dem jungen Mosse zum Zwecke der Akkulturation sinnvoll, wenn er denn schon Geschichte studierte, seinen weiteren akademischen Weg vorerst in ein etabliertes historiographisches Feld zu lenken.

Die Beschäftigung mit der völkischen Ideologie, mit Nationalismus und Nationalsozialismus und den entsprechenden, Massen buchstäblich bewegenden Mythen und Symbolen war ein späterer Reflex auf sein persönliches Schicksal, aber auch eine mit geistes-, mentalitäts- und kulturgeschichtlichen Fragestellungen und Methoden geführte Auseinandersetzung mit der Faszination dieser antiliberalen Strömungen, die er selbst in den wenigen Großveranstaltungen und Massendemonstrationen, in die er als junger Mensch in England und Frankreich hineingeraten war, auf irritierende Weise erlebt hatte. Geschichte, Erscheinungsformen und Auswirkungen des vor allem im Nationalsozialismus gepflegten Männlichkeitskults, einer restriktiven, eher kleinbürgerlichen denn bürgerlichen Sexualmoral, zu der auch die noch aus Salem erinnerte Fetischisierung einer kraft- und muskelbetonten Körperlichkeit gehörte, bildeten einen dritten, zudem erst nach seinem Coming-out in den früher achtziger Jahren erschlossenen Forschungsschwerpunkt.

Die Memoiren von George Mosse, denen man eine rasche, gut übersetzte und einfühlsame Bearbeitung für den deutschen Markt wünschen würde, zeigen deutlich seine vielschichtige Identität und sein mehrfaches Außenseitertum - als per Geburt und teilweise auch aus Überzeugung Deutscher, zumindest in der idealtypisch verklärten Existenz als "freischwebender Intellektueller" der Weimarer Zeit, mit einer lebenslangen Liebe für "süddeutschen Barock" und die anmutige Landschaft um Salem und den Hermannsberg; als Jude, der, nie orthodox, auch nicht zionistisch, noch nicht einmal sonderlich gläubig, diese Identität als eine eher von außen an ihn herangetragene Bestimmung empfand, deren Konsequenzen zu tragen er erst lernen mußte und zu der er sich je später, desto bewußter bekannte; als Amerikaner, der die inneramerikanischen Vorurteile kennen- aber nicht teilen gelernt hat, per Zufall zum echten, da westlich des Mississippi lebenden American Boy wurde und die Distanz zur Ostküste nicht nur als eine geographische empfand; als Linksliberaler, unorthodox denkender und handelnder, mit dem Marxismus vertrauter und partiell sympathisierender, dessen Bolschewisierung ablehnender Antifaschist und Demokrat, freilich ohne Parteibuch; als Homosexueller, der die bürgerliche Anständigkeit mit ihren Vorurteilen und Dogmen einerseits zeitlebens kritisch-distanziert beäugte, sich ihr doch andererseits jahrzehntelang unterwarf, damit einen Teil seines Selbst verleugnete und sich obendrein dieses Widerspruchs stets bewußt war. Vielleicht war er der unkonventionellste Historiker des zwanzigsten Jahrhunderts in des Wortes doppelter Bedeutung: ein Kind seines Saeculums, aber auch ein Historiograph der dieses Jahrhundert prägenden Bewegungen, Denkweisen und Kulturen.

ELISABETH KRAUSS

George L. Mosse: "Confronting History". A Memoir. Vorwort von Walter Laqueur. The University of Wisconsin Press, Madison 2000. 219 S., Abb., geb., 27,95 US-Dollar.

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