This provocative culmination of Barber's lifelong study of democracy and capitalism confronts the likely consequences of consumerism on our children, our liberty, and our citizenship, and shows finally how citizens can resist and transcend the culture of over-consumption.
"Powerful and disturbing. No one who cares about the future of our public life can afford to ignore this book." â Jackson Lears
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.04.2008Das Buch vom schrecklichen Kapitalismus
Der Bestseller-Politologe Benjamin Barber sieht die Zivilgesellschaft im Konsumismus untergehen. Hat er recht?
Der US-amerikanische Politikwissenschaftler und Bestsellerautor Benjamin R. Barber will in seinem neuen Buch zeigen, „wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Bürger verschlingt”. Barber ist Spezialist für und Propagandist der „Zivilgesellschaft”. Für diese ficht er auch jetzt wieder. Eine Seite vor dem Schluss des Buches allerdings gesteht der Autor zu, dass einem die „globale Bürgerschaft”, die er fordert, wie ein „utopischer Traum” vorkommen mag. Und weiter: „Ein Rezept für ihre Verwirklichung habe ich nicht”.
Das Buch variiert eine einfache Grundthese. Sie lautet: Der Kapitalismus produziert immer mehr überflüssige Güter und Dienste und weckt durch Werbung und Markenprodukte („Branding”) den Wunsch, diese auch tatsächlich zu kaufen. Durch diesen „Konsumismus” geht uns die Zeit verloren, die wir bräuchten, um durch Gemeinwohl-Engagement nicht nur uns selbst, sondern die ganze Welt zu retten. Früher war alles besser: Da hat der Kapitalismus nur dafür gesorgt, dass Waren und Dienste möglichst sparsam („effizient”) und mit unvergleichlich steigender Produktivität hergestellt wurden. Der klassische Kapitalismus diente gewissermaßen der Menschheit (zumindest der westlichen), während wir heutzutage dem globalisierten Kapital dienen. Und zwar einem böswilligen Kapital, das uns bewusst zu infantilisierten Konsum-Idioten macht. Der ungesunde Genuss von Fastfood und seichter Kinounterhaltung sind also keine unbeabsichtigten Nebenfolgen der kapitalistischen Entwicklung, sondern deren bewusste Strategie. (So Barber ausdrücklich auf Seite 19 – um dann allerdings auf Seite 217 das Gegenteil zu konstatieren: der „Konsumtotalismus” liege nicht an einer „Verschwörung des Kapitals”.
Im Detail ist das Buch ein Ärgernis, weil es jede Menge Widersprüche enthält und historische und zeitgenössische Fakten unterschlägt. Wahrscheinlich nicht aus bösem Willen; Barber hat bloß eine ausgesprochen US-zentrierte Weltsicht. Er übersieht unter anderem, dass Markenprodukte nicht erst im Kapitalismus erfunden wurden, sondern „Branding” von hochwertigen Lebensmitteln bereits vor Jahrtausenden in Mesopotamien und Ägypten praktiziert wurde. Sein lokales Weltbild hindert Barber freilich nicht – als vorbildlich belesenen Zögling des US-Bildungs- und Hochschulsystems –, ausgiebig weltgeschichtliches Name-Dropping zu betreiben: von Teddy Adorno bis Max Weber. Und alles, was dazwischen liegt – in alphabetischer Ordnung: Aristoteles, Luther, Marx, Platon, Rousseau, Tocqueville, Trotzki, Voltaire. Lesenswert sind die wenigen Seiten über die von Barber gelobten Muster-Kapitalisten Jakob Fugger, John D. Rockefeller und Bill Gates. Aber der enzyklopädische Schulbuch-Ehrgeiz Barbers weckt den Verdacht, dass man sich auf die Darstellungen im Einzelnen besser nicht verlassen sollte. Ein Beispiel: Papst Benedikt wechselt bei Barber als Kardinal Ratzinger von München direkt in den Vatikan. Die Jahrzehnte als Kurienkardinal haben Barbers Rechercheure offenbar für nicht wichtig befunden.
Widersprüche: Barber betont immer wieder, dass der sinnlose Konsum seinen Landsleuten die Zeit stehle. Um aber auch immer wieder zu betonen, wie fleißig sie arbeiten. Hollywood verblödet uns – bringt aber laut Barber auch immer wieder Meisterwerke hervor. Und einer ur-kapitalistischen Erfindung wie „Starbucks” gesteht Barber zu, dass sie zur Verfeinerung des Geschmacks (zumindest der US-Amerikaner) beigetragen hat. Am Ende hat man den Verdacht, dass der Bestseller-Autor Barber genau dieselbe Strategie betreibt, die er im Kapitel „Identitäten werden Marken: Der Sinnverlust” am Beispiel des Verlagsgewerbes anschaulich beschreibt: Es komme oft nicht mehr auf die Inhalte von Büchern an, sondern „die Bücher produzieren Massenmarkt-Bestsellerautoren. Die neuen Marken sind die Autoren, ob sie nun Belletristik, Sachbuch oder die Mischform aus Fakten und Fiktion (faction) anbieten.”
Ohne Zweifel gilt: Die Zivilgesellschaft und „bürgerschaftliches Engagement” sind für jede Gesellschaft und das „gute Leben” aller Bürgerinnen und Bürger wichtig, ja unerlässlich. Die totale Individualisierung und Vermarktlichung können eine Gesellschaft in der Tat nicht zusammenhalten. Aber es ist offenkundig nicht so, dass 100 Prozent aller Erwachsenen, wie Barber suggeriert, sich ehrenamtlich und politisch engagieren müssten, damit eine Gesellschaft gut oder zumindest ganz ordentlich funktioniert. Wenn heutzutage der Konsum die Zeit auffrisst, die man eigentlich für die Zivilgesellschaft opfern sollte – dann waren es früher (über)lange Arbeitszeiten, die die allermeisten Menschen davon abgehalten haben, sich sozial und politisch zu engagieren. Wenn Barbers Analysen zutreffend wären, dann hätte es niemals die zunehmende politische Freiheit gegeben, die wir heutzutage in vielen Ländern der Erde genießen können. Aber es war – man mag sagen: leider – immer nur eine winzig kleine Gruppe innerhalb einer jeden Gesellschaft, die politisch dachte und vor allem handelte. Die Ur-Demokratien in Griechenland sind ein Musterbeispiel: Fast alle Einwohner waren Sklaven und hatten nichts zu sagen. In der vielgerühmten Polis trafen sich nur die wenigen freien Bürger – also die Sklavenbesitzer, die sich sogar bei der Ausübung ihrer staatlichen Ehrenämter von ihren Sklaven unterstützen ließen.
Einige der großen Arbeiterführer kamen ohne Zweifel aus dem „einfachen Volk”; aber auch am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die allermeisten Menschen nicht politisch oder gesellschaftlich engagiert. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft war gewiss etwas anderes als heutzutage die ADAC-Mitgliedschaft; aber ein hoher Organisationsgrad hat dennoch nicht automatisch persönliches Engagement bedeutet. Die jeweilige Avantgarde hat ausgereicht, musste ausreichen, um den gesellschaftlichen Fortschritt anzutreiben. Aber war in den letzten Jahrzehnten nicht ein Niedergang des Engagements zu verzeichnen? Das suggeriert Barber mit seiner Infantilisierungs-These. Doch nichts deutet darauf hin. Für Deutschland liegen detaillierte Zahlen zur aktiven Beteiligung an der Politik im letzten Vierteljahrhundert vor, beispielsweise in der Langzeitstudie „Sozio-oekonomisches Panel”. Es zeigt sich, dass die ganze Zeit über etwa ein Prozent der Erwachsenen sich aktiv politisch engagiert. Und etwa 20 Prozent betätigen sich regelmäßig ehrenamtlich.
Ein rückläufiger Trend ist nicht erkennbar. Auch Jugendliche engagieren sich unverändert häufig. Natürlich oft nicht auf den angestammten Feldern – traditionelle Gesangsvereine sind vielerorts im Aussterben begriffen. Aber dafür werden neue Vereine gegründet. Und zwar so viele, dass – trotz insgesamt gleichgebliebenen Engagements – viele neue und alte Vereine jeweils über Nachwuchsmangel klagen. Das liegt etwa daran, dass es in vielen Gemeinden heute nicht nur einen Fußball- und einen Turn-und-Sport-Verein gibt, die insgesamt nur zwei Vorstände brauchen, sondern etliche Sportvereine vom Basketball über den Fußball zum Tennis. Und jeder einzelne Verein braucht einen Vorstand.
Es mag sein, dass es gut wäre, wenn viel, viel mehr Menschen sich bürgerschaftlich engagieren würden. Aber es stimmt schlicht und einfach nicht, dass das Engagement in den letzten Jahrzehnten vom „Konsumismus” – wie Barber das nennt – buchstäblich aufgefressen wurde. Da ehrenamtliches und politisches Engagement – und intellektuelle Zeitverwendung – ganz stark mit dem Bildungsniveau zunehmen, wird, zumindest weltweit gesehen, mit steigenden Bildungsraten, die der technisierte Kapitalismus erzwingt, auch die Ausdehnung der sogenannten Zivilgesellschaft zunehmen. Der Kapitalismus wird sich sicherlich nicht von selbst mäßigen; aber die globale Notwendigkeit steigender Bildung könnte sich als „Autoimmunfunktion” (Barber) des Konsumismus erweisen.
Wenn man Benjamin Barbers wirres Buch aus der Hand legt, fällt einem der erste Satz seiner Danksagung ein. Barber betont, dass „Consumed” einen Großteil seiner Zeit „konsumiert” habe. Das ist nicht nur ein Wortspiel, sondern auch ein weiteres Beispiel für die gedanklichen Ungenauigkeiten Barbers: Wenn ein professioneller Autor und Professor an der University of Maryland ein Buch schreibt, sollte man eigentlich erwarten, dass er Zeit investiert, um ein gutes Buch zu schreiben. Wenn freilich Benjamin Barber beim Schreiben nach eigener Einschätzung tatsächlich nur seine Zeit konsumptiv totgeschlagen hat, dann versteht man besser, warum sein Buch ist, wie es ist. GERT G. WAGNER
BENJAMIN R. BARBER: Consumed. Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Bürger verschlingt. Aus dem Englischen von Friedrich Griese.Verlag C. H. Beck, München 2008. 339 Seiten, 24,90 Euro.
Barbers These: Überflüssige Bedürfnisse machen uns zu infantilisierten Konsum-Idioten
Dass der Einsatz fürs Gemeinwohl schwächer geworden sei, ist eine beliebte, aber falsche Behauptung
Der US-Politologe Benjamin R. Barber will das Gestrüpp des freien Marktes beschneiden. Er ist Kommunitarist, hat die Bücher „Strong Democracy” (1984) und „Jihad vs. McWorld” (1995) geschrieben und gerade in einer Reihe von Lesungen sein Buch „Consumed” in Deutschland vorgestellt. Foto: Ekko von Schwichow
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Der Bestseller-Politologe Benjamin Barber sieht die Zivilgesellschaft im Konsumismus untergehen. Hat er recht?
Der US-amerikanische Politikwissenschaftler und Bestsellerautor Benjamin R. Barber will in seinem neuen Buch zeigen, „wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Bürger verschlingt”. Barber ist Spezialist für und Propagandist der „Zivilgesellschaft”. Für diese ficht er auch jetzt wieder. Eine Seite vor dem Schluss des Buches allerdings gesteht der Autor zu, dass einem die „globale Bürgerschaft”, die er fordert, wie ein „utopischer Traum” vorkommen mag. Und weiter: „Ein Rezept für ihre Verwirklichung habe ich nicht”.
Das Buch variiert eine einfache Grundthese. Sie lautet: Der Kapitalismus produziert immer mehr überflüssige Güter und Dienste und weckt durch Werbung und Markenprodukte („Branding”) den Wunsch, diese auch tatsächlich zu kaufen. Durch diesen „Konsumismus” geht uns die Zeit verloren, die wir bräuchten, um durch Gemeinwohl-Engagement nicht nur uns selbst, sondern die ganze Welt zu retten. Früher war alles besser: Da hat der Kapitalismus nur dafür gesorgt, dass Waren und Dienste möglichst sparsam („effizient”) und mit unvergleichlich steigender Produktivität hergestellt wurden. Der klassische Kapitalismus diente gewissermaßen der Menschheit (zumindest der westlichen), während wir heutzutage dem globalisierten Kapital dienen. Und zwar einem böswilligen Kapital, das uns bewusst zu infantilisierten Konsum-Idioten macht. Der ungesunde Genuss von Fastfood und seichter Kinounterhaltung sind also keine unbeabsichtigten Nebenfolgen der kapitalistischen Entwicklung, sondern deren bewusste Strategie. (So Barber ausdrücklich auf Seite 19 – um dann allerdings auf Seite 217 das Gegenteil zu konstatieren: der „Konsumtotalismus” liege nicht an einer „Verschwörung des Kapitals”.
Im Detail ist das Buch ein Ärgernis, weil es jede Menge Widersprüche enthält und historische und zeitgenössische Fakten unterschlägt. Wahrscheinlich nicht aus bösem Willen; Barber hat bloß eine ausgesprochen US-zentrierte Weltsicht. Er übersieht unter anderem, dass Markenprodukte nicht erst im Kapitalismus erfunden wurden, sondern „Branding” von hochwertigen Lebensmitteln bereits vor Jahrtausenden in Mesopotamien und Ägypten praktiziert wurde. Sein lokales Weltbild hindert Barber freilich nicht – als vorbildlich belesenen Zögling des US-Bildungs- und Hochschulsystems –, ausgiebig weltgeschichtliches Name-Dropping zu betreiben: von Teddy Adorno bis Max Weber. Und alles, was dazwischen liegt – in alphabetischer Ordnung: Aristoteles, Luther, Marx, Platon, Rousseau, Tocqueville, Trotzki, Voltaire. Lesenswert sind die wenigen Seiten über die von Barber gelobten Muster-Kapitalisten Jakob Fugger, John D. Rockefeller und Bill Gates. Aber der enzyklopädische Schulbuch-Ehrgeiz Barbers weckt den Verdacht, dass man sich auf die Darstellungen im Einzelnen besser nicht verlassen sollte. Ein Beispiel: Papst Benedikt wechselt bei Barber als Kardinal Ratzinger von München direkt in den Vatikan. Die Jahrzehnte als Kurienkardinal haben Barbers Rechercheure offenbar für nicht wichtig befunden.
Widersprüche: Barber betont immer wieder, dass der sinnlose Konsum seinen Landsleuten die Zeit stehle. Um aber auch immer wieder zu betonen, wie fleißig sie arbeiten. Hollywood verblödet uns – bringt aber laut Barber auch immer wieder Meisterwerke hervor. Und einer ur-kapitalistischen Erfindung wie „Starbucks” gesteht Barber zu, dass sie zur Verfeinerung des Geschmacks (zumindest der US-Amerikaner) beigetragen hat. Am Ende hat man den Verdacht, dass der Bestseller-Autor Barber genau dieselbe Strategie betreibt, die er im Kapitel „Identitäten werden Marken: Der Sinnverlust” am Beispiel des Verlagsgewerbes anschaulich beschreibt: Es komme oft nicht mehr auf die Inhalte von Büchern an, sondern „die Bücher produzieren Massenmarkt-Bestsellerautoren. Die neuen Marken sind die Autoren, ob sie nun Belletristik, Sachbuch oder die Mischform aus Fakten und Fiktion (faction) anbieten.”
Ohne Zweifel gilt: Die Zivilgesellschaft und „bürgerschaftliches Engagement” sind für jede Gesellschaft und das „gute Leben” aller Bürgerinnen und Bürger wichtig, ja unerlässlich. Die totale Individualisierung und Vermarktlichung können eine Gesellschaft in der Tat nicht zusammenhalten. Aber es ist offenkundig nicht so, dass 100 Prozent aller Erwachsenen, wie Barber suggeriert, sich ehrenamtlich und politisch engagieren müssten, damit eine Gesellschaft gut oder zumindest ganz ordentlich funktioniert. Wenn heutzutage der Konsum die Zeit auffrisst, die man eigentlich für die Zivilgesellschaft opfern sollte – dann waren es früher (über)lange Arbeitszeiten, die die allermeisten Menschen davon abgehalten haben, sich sozial und politisch zu engagieren. Wenn Barbers Analysen zutreffend wären, dann hätte es niemals die zunehmende politische Freiheit gegeben, die wir heutzutage in vielen Ländern der Erde genießen können. Aber es war – man mag sagen: leider – immer nur eine winzig kleine Gruppe innerhalb einer jeden Gesellschaft, die politisch dachte und vor allem handelte. Die Ur-Demokratien in Griechenland sind ein Musterbeispiel: Fast alle Einwohner waren Sklaven und hatten nichts zu sagen. In der vielgerühmten Polis trafen sich nur die wenigen freien Bürger – also die Sklavenbesitzer, die sich sogar bei der Ausübung ihrer staatlichen Ehrenämter von ihren Sklaven unterstützen ließen.
Einige der großen Arbeiterführer kamen ohne Zweifel aus dem „einfachen Volk”; aber auch am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die allermeisten Menschen nicht politisch oder gesellschaftlich engagiert. Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft war gewiss etwas anderes als heutzutage die ADAC-Mitgliedschaft; aber ein hoher Organisationsgrad hat dennoch nicht automatisch persönliches Engagement bedeutet. Die jeweilige Avantgarde hat ausgereicht, musste ausreichen, um den gesellschaftlichen Fortschritt anzutreiben. Aber war in den letzten Jahrzehnten nicht ein Niedergang des Engagements zu verzeichnen? Das suggeriert Barber mit seiner Infantilisierungs-These. Doch nichts deutet darauf hin. Für Deutschland liegen detaillierte Zahlen zur aktiven Beteiligung an der Politik im letzten Vierteljahrhundert vor, beispielsweise in der Langzeitstudie „Sozio-oekonomisches Panel”. Es zeigt sich, dass die ganze Zeit über etwa ein Prozent der Erwachsenen sich aktiv politisch engagiert. Und etwa 20 Prozent betätigen sich regelmäßig ehrenamtlich.
Ein rückläufiger Trend ist nicht erkennbar. Auch Jugendliche engagieren sich unverändert häufig. Natürlich oft nicht auf den angestammten Feldern – traditionelle Gesangsvereine sind vielerorts im Aussterben begriffen. Aber dafür werden neue Vereine gegründet. Und zwar so viele, dass – trotz insgesamt gleichgebliebenen Engagements – viele neue und alte Vereine jeweils über Nachwuchsmangel klagen. Das liegt etwa daran, dass es in vielen Gemeinden heute nicht nur einen Fußball- und einen Turn-und-Sport-Verein gibt, die insgesamt nur zwei Vorstände brauchen, sondern etliche Sportvereine vom Basketball über den Fußball zum Tennis. Und jeder einzelne Verein braucht einen Vorstand.
Es mag sein, dass es gut wäre, wenn viel, viel mehr Menschen sich bürgerschaftlich engagieren würden. Aber es stimmt schlicht und einfach nicht, dass das Engagement in den letzten Jahrzehnten vom „Konsumismus” – wie Barber das nennt – buchstäblich aufgefressen wurde. Da ehrenamtliches und politisches Engagement – und intellektuelle Zeitverwendung – ganz stark mit dem Bildungsniveau zunehmen, wird, zumindest weltweit gesehen, mit steigenden Bildungsraten, die der technisierte Kapitalismus erzwingt, auch die Ausdehnung der sogenannten Zivilgesellschaft zunehmen. Der Kapitalismus wird sich sicherlich nicht von selbst mäßigen; aber die globale Notwendigkeit steigender Bildung könnte sich als „Autoimmunfunktion” (Barber) des Konsumismus erweisen.
Wenn man Benjamin Barbers wirres Buch aus der Hand legt, fällt einem der erste Satz seiner Danksagung ein. Barber betont, dass „Consumed” einen Großteil seiner Zeit „konsumiert” habe. Das ist nicht nur ein Wortspiel, sondern auch ein weiteres Beispiel für die gedanklichen Ungenauigkeiten Barbers: Wenn ein professioneller Autor und Professor an der University of Maryland ein Buch schreibt, sollte man eigentlich erwarten, dass er Zeit investiert, um ein gutes Buch zu schreiben. Wenn freilich Benjamin Barber beim Schreiben nach eigener Einschätzung tatsächlich nur seine Zeit konsumptiv totgeschlagen hat, dann versteht man besser, warum sein Buch ist, wie es ist. GERT G. WAGNER
BENJAMIN R. BARBER: Consumed. Wie der Markt Kinder verführt, Erwachsene infantilisiert und die Bürger verschlingt. Aus dem Englischen von Friedrich Griese.Verlag C. H. Beck, München 2008. 339 Seiten, 24,90 Euro.
Barbers These: Überflüssige Bedürfnisse machen uns zu infantilisierten Konsum-Idioten
Dass der Einsatz fürs Gemeinwohl schwächer geworden sei, ist eine beliebte, aber falsche Behauptung
Der US-Politologe Benjamin R. Barber will das Gestrüpp des freien Marktes beschneiden. Er ist Kommunitarist, hat die Bücher „Strong Democracy” (1984) und „Jihad vs. McWorld” (1995) geschrieben und gerade in einer Reihe von Lesungen sein Buch „Consumed” in Deutschland vorgestellt. Foto: Ekko von Schwichow
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