24,95 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Sofort lieferbar
payback
0 °P sammeln
  • Gebundenes Buch

Verschiebungen im Ordnungsgefüge des demokratischen Staates Ausgelöst durch die Corona-Krise und die gegen sie gerichteten staatlichen Maßnahmen stellen sich grundlegende Fragen, die nahezu alle Bereiche unserer Demokratie betreffen: Hat sich das Recht in der Krise bewährt oder versagt? Funktioniert das System der Gewaltenteilung und der Föderalismus eigentlich auch in der Krise, sind die Parlamente umgangen worden? Waren die Hilfsmaßnahmen zielführend und ausreichend? Und was war mit Recht und Moral bei der Frage der Zumutbarkeit? War die Grundentscheidung, zur Rettung von Menschenleben…mehr

Produktbeschreibung
Verschiebungen im Ordnungsgefüge des demokratischen Staates Ausgelöst durch die Corona-Krise und die gegen sie gerichteten staatlichen Maßnahmen stellen sich grundlegende Fragen, die nahezu alle Bereiche unserer Demokratie betreffen: Hat sich das Recht in der Krise bewährt oder versagt? Funktioniert das System der Gewaltenteilung und der Föderalismus eigentlich auch in der Krise, sind die Parlamente umgangen worden? Waren die Hilfsmaßnahmen zielführend und ausreichend? Und was war mit Recht und Moral bei der Frage der Zumutbarkeit? War die Grundentscheidung, zur Rettung von Menschenleben wichtige Teile einer Gesellschaft stillzustellen, Bildungsverluste und Vereinsamung in Kauf zu nehmen, in der Abwägung richtig oder wenigstens vertretbar? Wie ist die Rolle der Wissenschaft im demokratischen Regierungssystem? Vertieft sich während der Krise die Spaltung in der Gesellschaft oder entstehen Chancen für eine neue Solidarität? Wie verändern sich Einstellungen zur EU und zur Globalisierung? Steht in der Ferne China als neues Modell der staatlich gelenkten Marktwirtschaft? Das Werk stellt eine hochkarätige Analyse der Verwandlung der liberalen Demokratie in der pandemischen Krise dar und bietet Lösungsansätze für die ebenso vielfältigen wie grundlegenden Fragen.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ausführlich liest Rezensent René Schlott die Bücher zweier ehemaliger Verfassungsrichter, die sich mit der Bewältigung der Corona-Pandemie durch die deutsche Politik befassen. Neben Udo Di Fabios "Coronabilanz" hält er vergleichend Hans-Jürgen Papiers "Freiheit in Gefahr". Beiden attestiert er Meinungsfreudigkeit. Aber während für Di Fabio alles zum besten stehe mit der deutschen Demokratie, sehe Papier doch, wie der Titel schon sagt, einige Gefährdungen der Freiheit: Warum muss man Masken tragen in menschenleeren Straßen? Darüber hinaus hätten die Bücher allerdings manche Ähnlichkeiten. Schlott bemängelt bei beiden Autoren etwas zu kursorische, aber mit großen Gesten vorgetragene historische Herleitungen und einen Hang zum großsprecherisch Diffusen. Beide Autoren kritisierten übrigens den harschen Umgang der Öffentlichkeit mit der Aktion #allesdichtmachen. So bleibt für Schlott als Resümee nur, dass Di Fabio in jeglicher Hinsicht Entwarnung gebe (er war natürlich auch bei offiziellen Expertenräten dabei), während Papier doch die Verhältnismäßigkeit hier und dort verletzt sah.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2021

Gerichte sind keine Ersatz-Gesetzgeber
Der ehemalige Verfassungsrichter Udo Di Fabio stellt dem Staatshandeln in der Corona-Krise ein gutes Zeugnis aus

Niklas Luhmann, zweifellos einer der bedeutendsten Soziologen des vorigen Jahrhunderts, war studierter Jurist und lange Jahre Verwaltungsbeamter. Erst danach wandte er sich der Soziologie zu, promovierte und habilitierte sich fast in einem Zug und wurde kurz darauf Professor in Bielefeld. Der eine Generation jüngere Udo Di Fabio hat einen beruflichen Lebensweg, der dem Luhmanns nicht unähnlich ist. Auch er war zehn Jahre lang Verwaltungsbeamter, studierte dann Rechtswissenschaften, und drei Jahre nach der Promotion fügte er dem juristischen Doktortitel einen sozialwissenschaftlichen hinzu. Di Fabio, der 1999 zum Richter des Bundesverfassungsgerichts berufen wurde, gehört zu jenen deutschen Staats- und Verfassungsrechtlern, die ihr Denken an Luhmanns Systemtheorie geschult haben, das merkt man auch an seinem neuen Buch.

Im Gegensatz zu Luhmann, der mit politischen Äußerungen sparsam war, hat sich Di Fabio als Richter mit politischen Fragen befasst (am BVerfG etwa mit europarechtlichen) und Bücher vorgelegt, die auf ein größeres Publikum zielen: Besonders mit "Kultur der Freiheit" (2005) hat er, wie Kritiker monierten, ein konservatives Manifest geschrieben. Auch seine "Corona-Bilanz", in die die Erfahrungen und Erkenntnisse eingeflossen sind, die er als Mitglied von Armin Laschets "Expertenrat Corona" sammeln konnte, wendet sich an eine breitere Öffentlichkeit.

Das Buch ist, jedenfalls die erste Hälfte, allgemeinverständlich geschrieben und didaktisch geschickt aufgebaut, mit kurzen Kapiteln, die zudem in handliche Abschnitte untergliedert sind. Sie handeln vom "Recht im pandemischen Notstand"; es wird eine Bilanz aufgemacht, ob der Staat sich bewährt hat oder überfordert war; und es gibt ein Kapitel über das intensive Zusammenwirken von Wissenschaft und Politik in der Krise.

Was die Politik in der Pandemie angeht, kommt Di Fabio zu dem Ergebnis, dass - summa summarum - die Organe des Staates adäquat reagiert hätten, auch der Förderalismus sich trotz langwieriger Abstimmungsprozesse bewährt habe: Deutschland ist im Vergleich zu anderen Staaten, auch zu zentralistisch organisierten, ausweislich der Zahl der Infizierten und Toten gut durch diese sanitäre Krise von bisher unbekanntem Ausmaß gekommen. Dabei vertraut Di Fabio den Zahlen keineswegs blind (da darf auch das "Präventionsparadox" nicht fehlen); im Fall der berüchtigten "Übersterblichkeit" nennt er die Unwägbarkeiten bei ihrer Ermittlung und die Notwendigkeit von Differenzierung. Das Kapitel über "Das Recht im pandemischen Notstand" ist ein Musterbeispiel geschliffener, stringenter Argumentation, die sich auch für juristische Laien nachvollziehen lässt. Di Fabio zeigt, dass der Staat, vom Bund über die Länder bis zu den Kommunen, zu seinem Handeln ermächtigt und berechtigt war, vor allem auch, dass der Bundestag, entgegen mancher Kritik, dabei ausreichend beteiligt war.

Im Pandemiefall geht es um das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, das gegen andere Grund- und Freiheitsrechte abzuwägen ist, mit der "Würde des Menschen" als oberstem Verfassungswert, der absolut gilt. Di Fabio weist auf nicht auflösbare Dilemmata hin, die sich bei solchen Abwägungen ergeben können, in der Pandemie in extremis bei der "Triage" auf Intensivstationen. (Ein anderes Beispiel wäre das Karlsruher Urteil zum Luftsicherheitsgesetz.) Er plädiert dort für gesetzgeberische Zurückhaltung, wo eine detaillierte Regelung moralische Zielkonflikte nicht auflöst und, wie im Fall der Medizin, ethisch begründete Standesregeln das Handeln ohnehin leiten.

In gewisser Hinsicht gilt das auch für den Klimaschutz. Mittels eines Zitats übt Di Fabio subtil Kritik am Karlsruher "Klimaurteil": Ein aus gut gemeinten ökologischen Beweggründen gedrosseltes Wachstum in den hoch entwickelten Industrieländern könnte zur Folge haben, dass andere Teile der Welt weiter verarmen und dort noch mehr Menschen sterben. Es ist nicht auszuschließen, dass solche "Kollateralschäden", um dieses verpönte Wort zu gebrauchen, auch im Fall des Gesetzes über Lieferketten auftreten könnten. Überhaupt plädiert Di Fabio mehrfach für "judicial restraint" - Gerichte seien keine Ersatz-Gesetzgeber. Selbst wer da nicht allen Argumenten des Autors folgen will, sollte diese Problematik bedenken.

Im zweiten Teil seines - mit vielen Fußnoten dokumentierten - Essays weitet Di Fabio den Blick über die Pandemie hinaus auf die allgemeine Krise der politischen Systeme der westlichen Gesellschaften, auf die Finanzwirtschaft, auf das Verhältnis von Staat und Wirtschaft, das sich in der Corona-Krise zu ändern scheint - hin zu mehr Dirigismus. Hier könnte sich mancher Leser, der mit der funktionalen Differenzierung und Spezialisierung sozialer Systeme und systemtheoretischem Jargon nicht so vertraut ist - besonders ausgeprägt in dem abschließenden Gespräch mit dem Münchener Soziologen Armin Nassehi - überfordert fühlen.

Um nur ein Beispiel zu nennen: Annalena Baerbock, die Kanzlerkandidatin der Grünen, sagte vor einiger Zeit im Bundestag sinngemäß, der "Markt" kümmere sich nicht um die Menschen. Das ist insofern richtig, als er, seiner spezifischen Funktion nach, am Gewinn von Unternehmen ausgerichtet ist. Dagegen hebt Di Fabio die Eigenlogik des Marktes, ganz gemäß ordoliberaler Denkweise, als Instrument des Wandels, der Innovation und als Reaktion auf neue Herausforderungen hervor. Ohne seine Leistungsfähigkeit würden auch andere Subsysteme, etwa die Wissenschaft, leiden und in ihrer Leistungskraft gemindert. Man kann da ohne Weiteres an die privatwirtschaftliche, wenn auch durch öffentliche Gelder mitfinanzierte, ungemein schnelle Entwicklung von Impfstoffen gegen Covid-19 denken - BioNTech lässt grüßen.

Di Fabio ist ein erklärter Gegner der "Lust am Neo-Dirigismus", weil der auf Entdifferenzierung hinausläuft und damit die Leistungskraft des gesamten Systems bedroht - was Nassehi im Gespräch auf die Formel bringt, wer den Kapitalismus abschaffe, schaffe auch dessen Leistungsfähigkeit und Kreativität ab. Di Fabio ist entschiedener Anhänger eines Staates, der einen Ordnungsrahmen vorgibt und - da spricht der Praktiker und Realist - beim Auftreten von Problemen durchaus korrigierend eingreift, etwa mit seiner Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, aber in Maßen. Auch wer diesem liberal-konservativen Ansatz nicht in letzter Konsequenz folgen will, sollte dieses Buch lesen, als sachkundige Durchdringung der Pandemie-Krise wie als intellektuelle Herausforderung für Politik, Wissenschaft und Bürger. GÜNTHER NONNENMACHER

Udo Di Fabio: "Coronabilanz". Lehrstunde der Demokratie.

C. H. Beck Verlag, München 2021. 217 S., geb., 24,95 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr