Im Jerusalem des Jahres 30, drei Tage nach der Kreuzigung seines Herrn, macht sich Judas Thomas, der Zweifler unter den Jüngern, auf die Suche nach der Leiche, dem "Corpus Christi". Er meint dem wirklichen Geheimnis auf der Spur zu sein: einer Gruppe von Unbekannten, die den Körper des Meisters fortgeschafft haben soll. Tatsächlich hat man im Grab des Gekreuzigten eine Frau verhaftet: Tirza, eine Fremde aus Damaskus. Judas Thomas fragt sie aus - und erfährt von ihr Unerhörtes.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.08.2008Eingesperrt mit dem Messias
Patrick Roth liest im Haus am Dom aus "Corpus Christi"
Lange hat Patrick Roth in seinem Tagebuch nach der entsprechenden Stelle gesucht: eine Stelle, die ihn für eine Passage in "Corpus Christi" inspiriert hat. Schließlich hat er sie gefunden. Und bevor er nun im gut gefüllten Frankfurter Haus am Dom aus dem schon 1996 veröffentlichten Buch las, blickte er mit seinen Zuhörern zurück in die Vergangenheit, um so sein Verständnis von Literatur anzudeuten.
In Rom habe der gebürtige Freiburger 1990 ein Tableau eines Abendmahls gesehen, auf dem mehr gezeigt wurde als der Messias inmitten seiner zwölf Apostel: Schergen und Folterer, die von angebauten Zimmerfluchten aus der zentralen Szene zuschauen konnten und Zugang zu ihr hatten. Das Abendmahl, an dem alle teilhaben, diese Feier mit Gerechten und Ungerechten habe ihn an das Fest am Ende aller Zeiten erinnert, sagte Roth. Diesen Eindruck hat der 55 Jahre alte Autor, Übersetzer und Filmemacher, der in Los Angeles lebt, in "Corpus Christi" verarbeitet.
Der Apostel Thomas zweifelt an der Auferstehung Christi und forscht daher nach. Er trifft auf Tirza, eine junge Frau, welche die Ereignisse nach dem Tod Jesu miterlebt hat: Als der Leichnam ins Felsengrab gebracht wurde, war sie mit dabei - allerdings unbemerkt, versteckt in einem Seitenschacht. Allein mit Jesus Christus, spürt Tirza die Wärme seines Körpers, ohne ihn zu berühren. Sie vermutet, er könne noch leben. Sie hebt das frisch gewebte Tuch an, welches auf seinem Körper ruht. In seinem Gesicht erkennt sie die "Sternenflut des Nachthimmels", dann sieht sie "den Menschen, der hier misshandelt zwischen steingehauener Erde und steingehauenem Himmel lag", und schließlich nichts anderes als den gepeinigten Körper mit dem "Spurenwirrwarr" der Folter.
In einer späteren Vision erlebt sie ihren eigenen gewaltsamen Tod und findet sich wieder beim Fest am Ende aller Zeiten, "wo jeder mit seinem Entzweiten war, Hasser und Gehasste, Mordende und Ermordete". Nur als ihr Mörder erscheint, wird die Feier gestört. Jeder fühlt sich durch seinen Zutritt verletzt. Der Herr des Festes versöhnt sich jedoch und alle mit ihm, indem er ihn als den verlorenen Sohn, den Bruder umarmt.
Die Passage aus "Corpus Christi" und seine zuvor geschilderte Begegnung mit einem Kunstwerk hängen für Patrick Roth unmittelbar zusammen. Das Schreiben stellt sich so dar als Dialog zwischen dem Unbewussten und Bewussten. In "Corpus Christi", das in einer Linie mit den vorangegangenen Werken "Riverside" sowie "Johnny Shines oder Die Wiedererweckung der Toten" steht und Roths "Christustrilogie" beschließt, spiegelt sich das in dem explizit biblischen Thema wider. Doch er stellt auch weitere Fragen, zum Beispiel nach der Gegenwart und dem Einfluss der Vergangenheit und nach der Kraft der Erzählung. Für all das braucht Patrick Roth, der im Wintersemester 2001/2002 die Poetikvorlesung an der Universität Frankfurt hielt, nur einen Satz, wenn Tirza die so simpel anmutenden Worte zu Thomas sagt: "Es war so, aber vielmehr ist es so, weil ich es dir erzähle."
alwu.
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Patrick Roth liest im Haus am Dom aus "Corpus Christi"
Lange hat Patrick Roth in seinem Tagebuch nach der entsprechenden Stelle gesucht: eine Stelle, die ihn für eine Passage in "Corpus Christi" inspiriert hat. Schließlich hat er sie gefunden. Und bevor er nun im gut gefüllten Frankfurter Haus am Dom aus dem schon 1996 veröffentlichten Buch las, blickte er mit seinen Zuhörern zurück in die Vergangenheit, um so sein Verständnis von Literatur anzudeuten.
In Rom habe der gebürtige Freiburger 1990 ein Tableau eines Abendmahls gesehen, auf dem mehr gezeigt wurde als der Messias inmitten seiner zwölf Apostel: Schergen und Folterer, die von angebauten Zimmerfluchten aus der zentralen Szene zuschauen konnten und Zugang zu ihr hatten. Das Abendmahl, an dem alle teilhaben, diese Feier mit Gerechten und Ungerechten habe ihn an das Fest am Ende aller Zeiten erinnert, sagte Roth. Diesen Eindruck hat der 55 Jahre alte Autor, Übersetzer und Filmemacher, der in Los Angeles lebt, in "Corpus Christi" verarbeitet.
Der Apostel Thomas zweifelt an der Auferstehung Christi und forscht daher nach. Er trifft auf Tirza, eine junge Frau, welche die Ereignisse nach dem Tod Jesu miterlebt hat: Als der Leichnam ins Felsengrab gebracht wurde, war sie mit dabei - allerdings unbemerkt, versteckt in einem Seitenschacht. Allein mit Jesus Christus, spürt Tirza die Wärme seines Körpers, ohne ihn zu berühren. Sie vermutet, er könne noch leben. Sie hebt das frisch gewebte Tuch an, welches auf seinem Körper ruht. In seinem Gesicht erkennt sie die "Sternenflut des Nachthimmels", dann sieht sie "den Menschen, der hier misshandelt zwischen steingehauener Erde und steingehauenem Himmel lag", und schließlich nichts anderes als den gepeinigten Körper mit dem "Spurenwirrwarr" der Folter.
In einer späteren Vision erlebt sie ihren eigenen gewaltsamen Tod und findet sich wieder beim Fest am Ende aller Zeiten, "wo jeder mit seinem Entzweiten war, Hasser und Gehasste, Mordende und Ermordete". Nur als ihr Mörder erscheint, wird die Feier gestört. Jeder fühlt sich durch seinen Zutritt verletzt. Der Herr des Festes versöhnt sich jedoch und alle mit ihm, indem er ihn als den verlorenen Sohn, den Bruder umarmt.
Die Passage aus "Corpus Christi" und seine zuvor geschilderte Begegnung mit einem Kunstwerk hängen für Patrick Roth unmittelbar zusammen. Das Schreiben stellt sich so dar als Dialog zwischen dem Unbewussten und Bewussten. In "Corpus Christi", das in einer Linie mit den vorangegangenen Werken "Riverside" sowie "Johnny Shines oder Die Wiedererweckung der Toten" steht und Roths "Christustrilogie" beschließt, spiegelt sich das in dem explizit biblischen Thema wider. Doch er stellt auch weitere Fragen, zum Beispiel nach der Gegenwart und dem Einfluss der Vergangenheit und nach der Kraft der Erzählung. Für all das braucht Patrick Roth, der im Wintersemester 2001/2002 die Poetikvorlesung an der Universität Frankfurt hielt, nur einen Satz, wenn Tirza die so simpel anmutenden Worte zu Thomas sagt: "Es war so, aber vielmehr ist es so, weil ich es dir erzähle."
alwu.
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