Produktdetails
  • Verlag: Gallimard
  • Seitenzahl: 319
  • Erscheinungstermin: Mai 2021
  • Französisch
  • Abmessung: 235mm x 188mm x 22mm
  • Gewicht: 608g
  • ISBN-13: 9782072931765
  • ISBN-10: 2072931762
  • Artikelnr.: 61740627
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.05.2021

„Ich leide geduldig“
Antoine de Saint-Exupéry und seine Frau Consuelo liebten und quälten einander unerbittlich. Jetzt wurden endlich ihre Briefe veröffentlicht
Ein Erbstreit hielt den Briefwechsel zwischen Antoine de Saint-Exupéry und seiner Frau Consuelo jahrzehntelang unter Verschluss. Jetzt ist er endlich da und entfaltet seine paradoxe Pracht. Die meisten ihrer vierzehn Ehejahre verbrachten die beiden getrennt. Und dies nicht nur, weil Antoine als Flugpilot oft abwesend war, sondern mehr noch, weil der gemeinsame Alltag ihnen sofort zur Qual wurde.
Vergebliches Warten des einen auf den anderen, Unberechenbarkeit beiderseits, getrennte Wohnungen, Groll und dann sofort wieder zärtliche Kuschelworte bestimmten ihre Beziehung. „Himmel! Wie weh sie einander taten!“, konstatiert Olivier d’Agay, der Vorsitzende der Erbengemeinschaft Antoine de Saint-Exupéry, im Vorwort des Bandes, der die Briefe jetzt erstmals zugänglich macht.
Kennengelernt haben die beiden einander 1930 in Buenos Aires. Antoine war dreißigjährig und Projektchef für den Aufbau einer Flugverbindung nach Patagonien. Er klagte in seinen Briefen an seine Schwestern, noch keine Frau fürs Leben gefunden zu haben. Ein warmes Nest, in dem eine liebevolle Gattin den Piloten nach seinen Strapazen umsorgt – dieses Klischee gehörte für ihn als Gegenstück zu den Abenteuergeschichten, in der Literatur wie im Leben. Consuelo war noch keine dreißig, aber schon zum zweiten Mal Witwe.
Sie war aus Paris nach Buenos Aires gekommen, um die Erbangelegenheiten ihres zweiten Gatten, des Diplomaten und Schriftstellers Enrico Gómez Carrillo, zu regeln. Nach ein paar Monaten des Turtelns in einem gemeinsam bezogenen Haus am Stadtrand begann für die beiden dann der schicksalhafte Reigen der Trennungen. Auf eine sofortige Heirat verzichteten sie, weil Antoine – sehr richtig – ahnte, dass er seine standesbewusst konservative Familie nicht vor die vollendete Tatsache einer so unkonventionellen Ehe mit einer südamerikanischen Malerin stellen konnte. Consuelo fuhr allein nach Paris zurück und schrieb am 5. Januar 1931 von der Massilia aus dem Geliebten wehmütig, sie sei mit seinem Telegramm in der Hand eingeschlafen: „Sag mir, dass Du glücklich bist, Tonnio, Liebling, und ich leide geduldig.“
Die Jahre in Paris, Nizza und Casablanca nach der Hochzeit waren dann ein ständiges Versteckspiel der beiden voreinander. In den Briefen lässt sich nachverfolgen, wie sehr die für einen Normalalltag Unbegabten das Schwärmen aus der Distanz mit Kosenamen, poetischen Bildern und Märchenszenen brauchten. Consuelo hatte mit ihren Künstlerlaunen von Natur aus einen Hang zu wunderbaren Parallelwelten. Antoine wiederum bekam in dieser schwierigen Beziehung die Unvereinbarkeit seines Doppelverlangens nach einem Hausmütterchen und zugleich nach einem ihm gleichrangigen Schwesterherz zu spüren.
Sterne, Blumen und Tiere bevölkern die Briefe dieses legendären Paars, das durch Antoines Bestseller und seine spektakulären Flugunfälle regelmäßig in die Schlagzeilen kam. Und das, was Consuelo nach seinem Tod 1944 gegen die sie auf Distanz haltende Familie und die sie verachtende Pariser Literaturszene stets geltend machte, dass nämlich die Rose in „Der kleine Prinz“ mit ihren Reizen und ihren Stacheln ganz auf sie gemünzt sei, findet in dieser Korrespondenz reichlich Bestätigung. „Wenn Du wüsstest, was ich am meisten bedaure, Consuelo“, schrieb Antoine im Juni 1943 aus Nordafrika, wo er als Kriegspilot im Einsatz war: „Dass ich den ‚Kleinen Prinzen‘ nicht Dir gewidmet habe.“
Dem launischen Eigensinn Consuelos entsprachen Antoines notorisches Fremdgehen und seine künstlerische Egozentrik. Er habe immer gehofft, unter ihrem bergenden Flügel in Ruhe schreiben zu können, hält der allein zu Hause Sitzende der abwesenden Gattin vor. Von ihren eigenen Klagen will er aber nichts wissen. „Bist Du verloren?“, schreibt Consuelo wiederum 1940 sarkastisch ihrem Mann im Kriegseinsatz und fügt hinzu, sein Pilotenfreund Henri Guillaumet sei abgeschossen worden: „Amen. Und wann bist Du dran?“
Trotz solcher Töne ist die Korrespondenz eine Litanei überbordender Liebesbekundungen. „Ohne Sie ist die Welt grau und monoton, ist alle Musik nur Trauergesang“, schreibt Consuelo 1941 dem bereits nach New York exilierten Gatten. Als sie Ende 1941 jedoch nach New York nachfolgte, quartierte Antoine sie in einer separaten Wohnung ein, und die Spannungen wuchsen bis zu Antoines Rückkehr als Pilot in den Krieg mehr denn je. Interessant ist aber, was diese Briefe bezüglich Antoines Kunsturteil seiner Frau gegenüber zutage bringen. Die mit André Breton, Max Ernst und anderen befreundete Consuelo begann offenbar, surrealistisch zu malen – eine ihrem Gatten ganz fremde Welt.
Dass sie abstrakt male, sei ihm egal, führt dieser ihr in einem langen Brief aus, doch wenn sie wie die Madame André Breton – die Malerin Jacqueline Lamba – sechs Farbflecken auf die Leinwand kleistere und dann erkläre, das sei das Werk, und dies 200 Jahre lang immer weiter so treibe, sei sie auf dem falschen Weg. „Ein Bild pro Stunde, dieses Verfahren empört mich, ich glaube nur an die ständige Arbeit am selben Bild, ein Leben lang.“
In diesen Briefen zeigt sich, wie in den übrigen Schriften, ein in den letzten Jahren zusehends verbitterter Saint-Exupéry. Die New Yorker Jahre mit den Anfeindungen der Exil-Franzosen, weil er Pétains Waffenstillstand nicht verurteilte und de Gaulle gegenüber skeptisch blieb, wurden ihm zur Qual. Das „Arschloch Breton“ und die anderen intellektuellen Schreiberlinge ziehen seinen ganzen Groll auf sich.
Er kämpfe nicht mit Manifesten, sondern im Cockpit eines Kriegsflugzeugs, schimpft er 1943 aus Algier gegenüber Consuelo, „und wenn ich getötet werde, kannst Du zumindest froh sein, dass ich als einziger diese New Yorker Grölbande verlassen habe“. Sein möglicher Tod taucht in den Briefen der letzten Monate immer öfter auf. Er selbst wäre nicht unglücklich darüber, versichert er seiner Frau, „die Menschen von heute entmutigen mich, abgesehen von den Soldaten und den Gärtnern“, seine Ruhe könne er sich nicht mehr anders vorstellen als „in Deinen Armen unter unseren Bäumen“ oder im „endgültigen Schlaf“. Nach Antoine de Saint-Exupérys Verschwinden 1944 blieben diese Briefe und zahlreiche weitere Dokumente aus dem Nachlass des kinderlosen Paars im Besitz Consuelos. Das Verfügungsrecht darüber ging aber an die Erben Saint-Exupéry-d’Agay. Beide Parteien bekämpften einander mit Gerichtsverfahren. José Martinez Fructuoso, Consuelos Vertrauensmann und nach ihrem Tod 1979 ihr Erbe, hatte das Material. Die „Succession Antoine de Saint-Exupéry“, ein weltweit tätiges Kleinunternehmen, hatte die Rechte. Nun haben beide Seiten zusammengefunden und eine schmerzliche Lücke des Gedenkens an dieses virtuos sich quälende Paar geschlossen.
JOSEPH HANIMANN
Das „Arschloch Breton“ und die
intellektuellen Schreiberlinge
ziehen seinen Groll auf sich
Antoine de Saint-Exupéry und seine Frau Consuelo gemeinsam in ihrer Wohnung in Paris.
Foto: Gamma-Rapho/Getty Images
Antoine de
Saint-Exupéry,
Consuelo de Saint-
Exupéry:
Correspondance – 1930-1944. Hrsg.
v. Alban Cerisier.
Gallimard, Paris 2021.
336 Seiten, 27 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr