Der Countdown hat begonnen: Die Erde kann uns nicht mehr lange (er)tragen. Alan Weisman hat 21 Länder bereist und zeigt, wie nur eine drastische Reduzierung der Bevölkerungszahl unser Überleben auf der Erde sichern kann - provokativ und Augen öffnend! Wir können den zeitlichen Wettlauf nicht gewinnen - immer mehr Menschen produzieren immer mehr Müll, verbrauchen mehr Ressourcen und stoßen mehr CO aus. Bisherige Versuche, die großen Umweltkatastrophen abzuwenden, indem wir den Konsum einschränken und auf erneuerbare Energien umsteigen, kommen gegen die Folgen einer stetig wachsenden Bevölkerung nicht an. Einziges Lösungsszenario für unser Überleben ist, dass wir weniger Menschen werden. Aber was bedeutet das für uns persönlich? Können und wollen wir Menschen zwangsverpflichten, kein oder nur ein Kind zu bekommen? Wie kann so eine gravierende Veränderung in verschiedenen Kulturen durchgesetzt werden? Alan Weisman beschreibt packend, wie eine globale Bevölkerungsreduzierung funktionieren kann - politisch, ökonomisch und vor allem auch menschlich!
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 03.12.2013Die vielen
Zuvielen
Wie viel Bevölkerungswachstum verkraftet die Erde?
Der „Countdown“ läuft, meint Alan Weisman
VON PETRA STEINBERGER
Vor etwas mehr als zwei Jahren erklärte der Population Fund der Vereinten Nationen, dass die Weltbevölkerung nun die Sieben-Milliarden-Schwelle überschritten habe. Viele warnten in jenen Tagen vor dem ökologischen, ökonomischen und politischen Kollaps als Folge der Überbevölkerung. Andere hielten dagegen, dass es solche Warnungen wiederholt gegeben habe – und nie hätten sie sich bewahrheitet. Der britische Ökonom Thomas Malthus etwa hatte in seinem Essay „On the Principle of Population“ 1798 die Überbevölkerung als größtes Problem der sich gerade industrialisierenden Welt angesehen – was sich als Sturm im Wasserglas herausstellte. Damals stand die Weltbevölkerung gerade kurz davor, die Milliardenschwelle zu überschreiten.
1968 dann hatte der Stanford-Ökologe Paul Ehrlich gemeinsam mit seiner Frau Anne im Buch „Die Bevölkerungsbombe“ vor gewaltigen Hungerkatastrophen gewarnt, weil die Ressourcen der Erde für die ständig wachsende Menschheit spätestens in den Achtzigerjahren nicht mehr ausreichen würden. Das Gegenteil trat ein, zunächst jedenfalls, denn ein paar Jahre vorher hatte die amerikanische Agrarwissenschaft neue, um ein vielfaches ertragreichere Hochleistungsweizensorten gezüchtet, die zur Grundlage der „Grünen Revolution“ wurden und die weltweite Nahrungsproduktion in den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verdoppelten. Als das Buch der Ehrlichs zur Bibel der Bevölkerungspessimisten avancierte, lebten
3,5 Milliarden Menschen auf der Erde. Heute sind es doppelt so viele.
Kurz: Malthusianer, die Untergangspropheten der Überbevölkerung, werden derzeit eher belächelt. Denn wenn es bisher gutging, kann die Welt es auch schaffen, jene zehn Milliarden Menschen zu ernähren, die bis zum Ende dieses Jahrhunderts von Wissenschaftlern prognostiziert werden, wenn die Reproduktionsrate weiter so bleibt. Vor allem, weil sich die Zahl der Menschen etwa bei dieser Zahl stabilisieren würde.
Nun hat sich der amerikanische Wissenschaftsjournalist Alan Weisman nicht ganz, aber doch in großen Teilen auf die Seite der Bevölkerungspessimisten geschlagen. Zehn Milliarden? So weit, meint er, werden wir wahrscheinlich gar nicht kommen. Schon die sieben Milliarden Menschen von heute schaffen es, die Atmosphäre zu vergiften, den Meerwasserspiegel ansteigen zu lassen und den Lauf des Monsuns zu verändern. Trockenheit, Dürren, Brände, Extremwetterlagen – die zunehmende Unstabilität des Systems Erde ist auch darauf zurückzuführen, dass immer mehr Menschen allein durch ihre Existenz dieses System verändern.
Vor einigen Jahren hat Weisman ein interessantes Gedankenexperiment aufgeschrieben. In „Die Welt ohne uns“ beschreibt er spekulativ, aber basierend auf intensiver Recherche, wie sich die Natur die Erde wieder zurückerobern würde, sollte die Menschheit von einem Tag auf den anderen von ihr verschwinden. Ozeane, neue Urwälder würden die Spuren der menschlichen Zivilisation über Jahrtausende langsam verschwinden lassen und die Wunden, die der Mensch der Erde zugefügt hat, langsam heilen. Das Buch war außerordentlich erfolgreich.
In „Countdown“ hat Weisman nun recherchiert, was passieren wird, wenn die Menschheit auf der Erde bleibt – und wächst und wächst und wächst. Denn das tut sie, aller aussterbenden Deutschen zum Trotz. Das Resultat ist eine fast 600-seitige Reportageleistung, eine Kakofonie von Stimmen, die Weisman in mehr als zwanzig Ländern zusammengetragen hat. Er hat mit Agronomen und Ökonomen gesprochen und mit Politikern, mit Menschenrechtlern, Frauen- und Umweltaktivisten, er hat Ärzte interviewt und Bevölkerungsexperten. Und wo er auch hinkam, fast überall war das eine beherrschende Thema: Es gibt zu viele Menschen. Und alle viereinhalb Tage kommt eine weitere Million dazu. Und die Ursachen liegen oft in an sich positiven Entwicklungen: in besserer medizinischer Versorgung, besserem Saatgut – aber auch in negativen, etwa der mangelnden Versorgung vor allem der Frauen mit Verhütungsmitteln.
Manchmal sind es die denkwürdigen Details, die unter all den erschreckenden Fakten in Erinnerung bleiben. In Israel, wo Weisman seine Reise beginnt, und das doch zu einem großen Teil Wüste ist, geht der Bausand aus – so viel wird in neue Siedlungen gesteckt, vor allem für die vielen Kinder der Ultraorthodoxen. Auch viele Palästinenser sehen eine große Kinderzahl immer noch als mächtige demografische Waffe im Kampf gegen Israel – wobei sich immer mehr Frauen gegen diesen Druck wehren. Inzwischen stößt das Heilige Land an seine Grenzen, was die Bevölkerungszahl betrifft. Der Jordan ist eine Kloake, die Grundwasseraquifer gehen zur Neige.
Im afrikanischen Niger besucht Weisman einen Dorfchef, der sich rühmt,
17 überlebende Kinder zu haben – mit mehreren Frauen, deren jüngste er heiratete, als sie zwölf war. In Pakistan, das eine ungebremste und geradezu unkontrollierbare Bevölkerungsexplosion erlebt und 2050 die viertgrößte Bevölkerung der Erde haben wird, trifft er unter anderem einen Totengräber, der Tausende tote Säuglinge beerdigt hat, die ausgesetzt oder abgetrieben wurden – 890 000 Abtreibungen soll es in Pakistan geben, so genau weiß das keiner. Es ist für viele Frauen das letzte Mittel der Geburtenkontrolle.
Das Muster wiederholt sich: Meist wollen die Männer mehr Kinder, die Frauen würden weniger bevorzugen – wenn sie denn darüber entscheiden könnten. Aber auch Zwang ist kein Weg, wie Weisman an Chinas Ein-Kind-Politik (die jetzt gelockert werden soll) kritisch aufzeigt.
Immerhin: Auch Positives findet er. Die weltweite Fruchtbarkeitsrate sinkt langsam, aber stetig. Und ausgerechnet Iran schaffte es, innerhalb weniger Jahrzehnte die durchschnittliche Kinderzahl von acht auf weniger als zwei pro Familie zu drücken – und das auf freiwilliger Basis, unterstützt von Fatwas der Rechtsgelehrten.
„Entweder beschließen wir, das Bevölkerungswachstum in den Griff zu bekommen“, schreibt Alan Weisman, „oder die Natur wird es für uns tun.“ Man wird sehen, ob sich seine Befürchtungen des Kollapses und seine These – zwei Milliarden als Bevölkerungsoptimum – als richtig herausstellt oder nur eine weitere malthusische Untergangsprophezeiung bleibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Ersteres eintrifft, liegt wohl weit höher.
Es gibt positive Gegenbeispiele:
Iran hat die Kinderzahl auf
unter zwei pro Familie gedrückt
Alan Weisman: Countdown. Hat die Erde eine Zukunft?
Aus dem Englischen von Ursula Pesch, Werner Roller. Piper Verlag, München 2013. 574 Seiten, 24 Euro. E-Book 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Zuvielen
Wie viel Bevölkerungswachstum verkraftet die Erde?
Der „Countdown“ läuft, meint Alan Weisman
VON PETRA STEINBERGER
Vor etwas mehr als zwei Jahren erklärte der Population Fund der Vereinten Nationen, dass die Weltbevölkerung nun die Sieben-Milliarden-Schwelle überschritten habe. Viele warnten in jenen Tagen vor dem ökologischen, ökonomischen und politischen Kollaps als Folge der Überbevölkerung. Andere hielten dagegen, dass es solche Warnungen wiederholt gegeben habe – und nie hätten sie sich bewahrheitet. Der britische Ökonom Thomas Malthus etwa hatte in seinem Essay „On the Principle of Population“ 1798 die Überbevölkerung als größtes Problem der sich gerade industrialisierenden Welt angesehen – was sich als Sturm im Wasserglas herausstellte. Damals stand die Weltbevölkerung gerade kurz davor, die Milliardenschwelle zu überschreiten.
1968 dann hatte der Stanford-Ökologe Paul Ehrlich gemeinsam mit seiner Frau Anne im Buch „Die Bevölkerungsbombe“ vor gewaltigen Hungerkatastrophen gewarnt, weil die Ressourcen der Erde für die ständig wachsende Menschheit spätestens in den Achtzigerjahren nicht mehr ausreichen würden. Das Gegenteil trat ein, zunächst jedenfalls, denn ein paar Jahre vorher hatte die amerikanische Agrarwissenschaft neue, um ein vielfaches ertragreichere Hochleistungsweizensorten gezüchtet, die zur Grundlage der „Grünen Revolution“ wurden und die weltweite Nahrungsproduktion in den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts verdoppelten. Als das Buch der Ehrlichs zur Bibel der Bevölkerungspessimisten avancierte, lebten
3,5 Milliarden Menschen auf der Erde. Heute sind es doppelt so viele.
Kurz: Malthusianer, die Untergangspropheten der Überbevölkerung, werden derzeit eher belächelt. Denn wenn es bisher gutging, kann die Welt es auch schaffen, jene zehn Milliarden Menschen zu ernähren, die bis zum Ende dieses Jahrhunderts von Wissenschaftlern prognostiziert werden, wenn die Reproduktionsrate weiter so bleibt. Vor allem, weil sich die Zahl der Menschen etwa bei dieser Zahl stabilisieren würde.
Nun hat sich der amerikanische Wissenschaftsjournalist Alan Weisman nicht ganz, aber doch in großen Teilen auf die Seite der Bevölkerungspessimisten geschlagen. Zehn Milliarden? So weit, meint er, werden wir wahrscheinlich gar nicht kommen. Schon die sieben Milliarden Menschen von heute schaffen es, die Atmosphäre zu vergiften, den Meerwasserspiegel ansteigen zu lassen und den Lauf des Monsuns zu verändern. Trockenheit, Dürren, Brände, Extremwetterlagen – die zunehmende Unstabilität des Systems Erde ist auch darauf zurückzuführen, dass immer mehr Menschen allein durch ihre Existenz dieses System verändern.
Vor einigen Jahren hat Weisman ein interessantes Gedankenexperiment aufgeschrieben. In „Die Welt ohne uns“ beschreibt er spekulativ, aber basierend auf intensiver Recherche, wie sich die Natur die Erde wieder zurückerobern würde, sollte die Menschheit von einem Tag auf den anderen von ihr verschwinden. Ozeane, neue Urwälder würden die Spuren der menschlichen Zivilisation über Jahrtausende langsam verschwinden lassen und die Wunden, die der Mensch der Erde zugefügt hat, langsam heilen. Das Buch war außerordentlich erfolgreich.
In „Countdown“ hat Weisman nun recherchiert, was passieren wird, wenn die Menschheit auf der Erde bleibt – und wächst und wächst und wächst. Denn das tut sie, aller aussterbenden Deutschen zum Trotz. Das Resultat ist eine fast 600-seitige Reportageleistung, eine Kakofonie von Stimmen, die Weisman in mehr als zwanzig Ländern zusammengetragen hat. Er hat mit Agronomen und Ökonomen gesprochen und mit Politikern, mit Menschenrechtlern, Frauen- und Umweltaktivisten, er hat Ärzte interviewt und Bevölkerungsexperten. Und wo er auch hinkam, fast überall war das eine beherrschende Thema: Es gibt zu viele Menschen. Und alle viereinhalb Tage kommt eine weitere Million dazu. Und die Ursachen liegen oft in an sich positiven Entwicklungen: in besserer medizinischer Versorgung, besserem Saatgut – aber auch in negativen, etwa der mangelnden Versorgung vor allem der Frauen mit Verhütungsmitteln.
Manchmal sind es die denkwürdigen Details, die unter all den erschreckenden Fakten in Erinnerung bleiben. In Israel, wo Weisman seine Reise beginnt, und das doch zu einem großen Teil Wüste ist, geht der Bausand aus – so viel wird in neue Siedlungen gesteckt, vor allem für die vielen Kinder der Ultraorthodoxen. Auch viele Palästinenser sehen eine große Kinderzahl immer noch als mächtige demografische Waffe im Kampf gegen Israel – wobei sich immer mehr Frauen gegen diesen Druck wehren. Inzwischen stößt das Heilige Land an seine Grenzen, was die Bevölkerungszahl betrifft. Der Jordan ist eine Kloake, die Grundwasseraquifer gehen zur Neige.
Im afrikanischen Niger besucht Weisman einen Dorfchef, der sich rühmt,
17 überlebende Kinder zu haben – mit mehreren Frauen, deren jüngste er heiratete, als sie zwölf war. In Pakistan, das eine ungebremste und geradezu unkontrollierbare Bevölkerungsexplosion erlebt und 2050 die viertgrößte Bevölkerung der Erde haben wird, trifft er unter anderem einen Totengräber, der Tausende tote Säuglinge beerdigt hat, die ausgesetzt oder abgetrieben wurden – 890 000 Abtreibungen soll es in Pakistan geben, so genau weiß das keiner. Es ist für viele Frauen das letzte Mittel der Geburtenkontrolle.
Das Muster wiederholt sich: Meist wollen die Männer mehr Kinder, die Frauen würden weniger bevorzugen – wenn sie denn darüber entscheiden könnten. Aber auch Zwang ist kein Weg, wie Weisman an Chinas Ein-Kind-Politik (die jetzt gelockert werden soll) kritisch aufzeigt.
Immerhin: Auch Positives findet er. Die weltweite Fruchtbarkeitsrate sinkt langsam, aber stetig. Und ausgerechnet Iran schaffte es, innerhalb weniger Jahrzehnte die durchschnittliche Kinderzahl von acht auf weniger als zwei pro Familie zu drücken – und das auf freiwilliger Basis, unterstützt von Fatwas der Rechtsgelehrten.
„Entweder beschließen wir, das Bevölkerungswachstum in den Griff zu bekommen“, schreibt Alan Weisman, „oder die Natur wird es für uns tun.“ Man wird sehen, ob sich seine Befürchtungen des Kollapses und seine These – zwei Milliarden als Bevölkerungsoptimum – als richtig herausstellt oder nur eine weitere malthusische Untergangsprophezeiung bleibt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Ersteres eintrifft, liegt wohl weit höher.
Es gibt positive Gegenbeispiele:
Iran hat die Kinderzahl auf
unter zwei pro Familie gedrückt
Alan Weisman: Countdown. Hat die Erde eine Zukunft?
Aus dem Englischen von Ursula Pesch, Werner Roller. Piper Verlag, München 2013. 574 Seiten, 24 Euro. E-Book 18,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Eigentlich weiß Petra Steinberger, dass den Propheten der Überbevölkerung nicht zu trauen ist, immer wieder haben Erde und Menschheit den düsteren Szenarien von Thomas Malthus und Paul Ehrlich getrotzt. Jaha, meint nun Alan Weisman, genau in dieser Sorglosigkeit liegt ja die große Gefahr! Und da er sich für seine Drohszenarien ein besonderen Thrill ausgedacht hat, lockt er Steinberger tatsächlich hinterm Ofen hervor: Er reist nach Israel und in die palästinensischen Gebieten, wo religiöse Eiferer Kinder als demografische Waffe einsetzen, in den Niger, wo hinterwäldlerische Patriarchen mit siebzehn Kindern protzen, oder nach Pakistan, wo weitere Unsympathen für unkontrolliertes Bevölkerungswachstum sorgen. Irgendwie hat er Steinberger damit überzeugt, denn am Ende sieht sie in ihm nicht einen weiteren Untergangspropheten, sondern hofft, dass wir die Bevölkerung auf optimale zwei Milliarden reduziert bekommen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Ein gut lesbares Sachbuch, das sich der schwierigen Frage der Bevölkerungsexplosion widmet.", Computerwoche, 11.12.2013 20151120