Karsten Krampitz war von Mai bis September 2010 Klagenfurter Stadtschreiber und sorgte mit Statements zur Kärntner Politik für Aufsehen. Peter Wawerzinek folgte seinem Kollegen als Stadtschreiber und erkundete seine Gastgeber und ihre Umgebung von Mai bis September 2011. Aus ganz unterschiedlichen Perspektiven werfen die beiden grundverschiedenen Berliner Literaten - der eine auch Historiker und Politologe, der andere auch Künstler und Musiker - Blicke hinter die Kulissen der allsommerlichen »Hauptstadt der deutschsprachigen Literatur«. Sie steigen ein in das fremde Leben vor Ort, geben - polemisch, zugeneigt, informativ und selbstironisch - ihren persönlichen »Crashkurs« in die Phänomenologie Klagenfurts und reflektieren nebenbei ihr eigenes Tun als Schriftsteller und Stadtschreiber.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.06.2012Kärntner Phantomschmerz
Hauptsache, Beachvolleyball: Karsten Krampitz und Peter Wawerzinek hadern mit Klagenfurt - finden aber trotzdem ihr Glück am Wörthersee.
Seit die Tage der deutschsprachigen Literatur jeweils mit der "Klagenfurter Rede" eines Schriftstellers eröffnet werden, haben die Institution des Bachmannpreises wie auch die Stadt am Wörthersee so einiges ertragen müssen: Raoul Schrott geißelte die Jury als Stammtisch voller Spießgesellen; Josef Winkler klagte die Kärntner Lokalpolitiker an, dass sie Geld für alles außer Kultur ausgäben. Eine Art Klagenfurter Rede ist auch der Briefwechsel zwischen Karsten Krampitz und Peter Wawerzinek, die beide einen Publikumspreis beim Wettbewerb gewonnen haben (Wawerzinek freilich dazu auch den Hauptpreis), deshalb jeweils fünf Monate als Stadtschreiber in der Kärntner Landeshauptstadt verbringen durften und sich über ihre Erfahrungen ausgetauscht haben. Das daraus entstandene Büchlein nennt sich doppeldeutig "Crashkurs Klagenfurt", ist also eine im weitesten Sinne touristische Informationsbroschüre wie auch teilweise ein Dokument der Kollision - der Untertitel spricht treffend von "Poesie und Propaganda".
Zunächst überwiegt die Poesie. Krampitz schickt, ein Jahr nach seinem Klagenfurter Aufenthalt, dem dort eingetroffenen Wawerzinek zur Begrüßung ein romantisches Landschaftslob verbunden mit der Warnung vor der Schwermut der Kärntner Seele, die sich bereits in ihren Liedern ausdrücke: "Was da Vogl für a Not hat, brauch ihn neama fragen / muaß ja selba mei Traurigkeit übas Wassar tragn", heißt es im Kärntnerlied "Is schon still uman See". Der Adressat antwortet vergnügt, er genieße Möhrenapfelsaft auf dem Markt und dass man neun verschiedene Suppen essen könne.
Dann aber suchen beide Schreiber die Abgründe in Stadt und Region. Einlassungen zu Waffen-SS und Haider-Erbe dürfen nicht fehlen. Wawerzinek warnt: "Wo man singt, da lass dich nicht nieder", ja wittert im Gesang nur "tröstende Ideologie" und die Bereitschaft zu "Übergriff und Willkür". Krampitz greift Winklers Kritik am Klagenfurter Fußballstadion auf, das für drei Partien während der EM 2008 gebaut wurde und in dem heute der lokale Drittligaverein vor leeren Rängen spielt. Zudem beobachtet der Berliner, dass es auf der Homepage des Klagenfurter Bürgermeisters zwar lauter Fotos vom Händeschütteln mit Sportlern und Schlagersängern gebe, aber keines mit der Bachmannpreisträgerin Maja Haderlap, obwohl es nur alle paar Jahrzehnte vorkomme, dass ein ortsansässiger Autor gewinne. Stattdessen: "Klagenfurt, The Capital of Beachvolleyball! Mehr braucht ein Bürgermeister wohl nicht."
Zu den Höhepunkten des Briefwechsels zählt die Beschreibung einer subkulturellen Gegenveranstaltung zum Bachmannpreis, die jedes Jahr in Villach stattfindet: die "Nacht der schlechten Texte". Dazu heißt es: "Dem Sieger winken ein Geldpreis und eine Wochenreise an einen Ort, der aus gutem Grund bis zum Schluss geheim gehalten wird." Lesenswert ist das Buch auch, wenn es seine eigenen Produktionsbedingungen in Frage stellt. Die Debatte um die Stipendienkultur und ihre oft gezwungen wirkenden Ergebnisse greift Wawerzinek auf, der zugibt, ein Schriftsteller müsse sich eigentlich selbst ernähren. Dann aber die geschickte Volte: Klagenfurt habe ihn einfach zu sehr interessiert, um abzusagen.
Das Ergebnis beider Stadtschreiberaufenthalte ist in diesem Fall lohnende Lektüre, auch weil es eine interessante Mischgattung aus Reiseliteratur, Polemik und Poetologie darstellt. Wawerzinek entweicht zum Beispiel eine herrliche Passage über seine Arbeitsweise: "Ich muss, wo immer ich bin, mich zu den Leuten setzen. In ihre Gärten. Auf ihre Ausruhbänke. An ihre kleinen, runden Tische. Ich muss sie werken sehen. Wie ihre Finger an der Angelschnur fummeln, an einem Iltis tasten, den es auszustopfen gilt. Ich muss ihre Speisen in der Nase haben. Ich höre so gern, was sie durchs Haus rufen. Ich will meine Hände an ihren Kittelschürzen abtrocknen."
Die Mischform mag auch als Tradition gewisser Kärntner Autoren in der Luft gelegen haben, man denke nur an Peter Handke - und Wawerzinek wie Krampitz geben inmitten ihrer Dialektik zu, sich mit dem Kärnten-Virus infiziert zu haben. Solange es in Klagenfurt wie auch anderswo weiter möglich ist, Kulturförderung in Anspruch zu nehmen und sie gleichzeitig zu kritisieren, kann das Prinzip nicht ganz schlecht sein.
JAN WIELE
Karsten Krampitz, Peter Wawerzinek: "Crashkurs Klagenfurt".
Verlag Johannes Heyn, Klagenfurt 2012. 125 S., geb. 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Hauptsache, Beachvolleyball: Karsten Krampitz und Peter Wawerzinek hadern mit Klagenfurt - finden aber trotzdem ihr Glück am Wörthersee.
Seit die Tage der deutschsprachigen Literatur jeweils mit der "Klagenfurter Rede" eines Schriftstellers eröffnet werden, haben die Institution des Bachmannpreises wie auch die Stadt am Wörthersee so einiges ertragen müssen: Raoul Schrott geißelte die Jury als Stammtisch voller Spießgesellen; Josef Winkler klagte die Kärntner Lokalpolitiker an, dass sie Geld für alles außer Kultur ausgäben. Eine Art Klagenfurter Rede ist auch der Briefwechsel zwischen Karsten Krampitz und Peter Wawerzinek, die beide einen Publikumspreis beim Wettbewerb gewonnen haben (Wawerzinek freilich dazu auch den Hauptpreis), deshalb jeweils fünf Monate als Stadtschreiber in der Kärntner Landeshauptstadt verbringen durften und sich über ihre Erfahrungen ausgetauscht haben. Das daraus entstandene Büchlein nennt sich doppeldeutig "Crashkurs Klagenfurt", ist also eine im weitesten Sinne touristische Informationsbroschüre wie auch teilweise ein Dokument der Kollision - der Untertitel spricht treffend von "Poesie und Propaganda".
Zunächst überwiegt die Poesie. Krampitz schickt, ein Jahr nach seinem Klagenfurter Aufenthalt, dem dort eingetroffenen Wawerzinek zur Begrüßung ein romantisches Landschaftslob verbunden mit der Warnung vor der Schwermut der Kärntner Seele, die sich bereits in ihren Liedern ausdrücke: "Was da Vogl für a Not hat, brauch ihn neama fragen / muaß ja selba mei Traurigkeit übas Wassar tragn", heißt es im Kärntnerlied "Is schon still uman See". Der Adressat antwortet vergnügt, er genieße Möhrenapfelsaft auf dem Markt und dass man neun verschiedene Suppen essen könne.
Dann aber suchen beide Schreiber die Abgründe in Stadt und Region. Einlassungen zu Waffen-SS und Haider-Erbe dürfen nicht fehlen. Wawerzinek warnt: "Wo man singt, da lass dich nicht nieder", ja wittert im Gesang nur "tröstende Ideologie" und die Bereitschaft zu "Übergriff und Willkür". Krampitz greift Winklers Kritik am Klagenfurter Fußballstadion auf, das für drei Partien während der EM 2008 gebaut wurde und in dem heute der lokale Drittligaverein vor leeren Rängen spielt. Zudem beobachtet der Berliner, dass es auf der Homepage des Klagenfurter Bürgermeisters zwar lauter Fotos vom Händeschütteln mit Sportlern und Schlagersängern gebe, aber keines mit der Bachmannpreisträgerin Maja Haderlap, obwohl es nur alle paar Jahrzehnte vorkomme, dass ein ortsansässiger Autor gewinne. Stattdessen: "Klagenfurt, The Capital of Beachvolleyball! Mehr braucht ein Bürgermeister wohl nicht."
Zu den Höhepunkten des Briefwechsels zählt die Beschreibung einer subkulturellen Gegenveranstaltung zum Bachmannpreis, die jedes Jahr in Villach stattfindet: die "Nacht der schlechten Texte". Dazu heißt es: "Dem Sieger winken ein Geldpreis und eine Wochenreise an einen Ort, der aus gutem Grund bis zum Schluss geheim gehalten wird." Lesenswert ist das Buch auch, wenn es seine eigenen Produktionsbedingungen in Frage stellt. Die Debatte um die Stipendienkultur und ihre oft gezwungen wirkenden Ergebnisse greift Wawerzinek auf, der zugibt, ein Schriftsteller müsse sich eigentlich selbst ernähren. Dann aber die geschickte Volte: Klagenfurt habe ihn einfach zu sehr interessiert, um abzusagen.
Das Ergebnis beider Stadtschreiberaufenthalte ist in diesem Fall lohnende Lektüre, auch weil es eine interessante Mischgattung aus Reiseliteratur, Polemik und Poetologie darstellt. Wawerzinek entweicht zum Beispiel eine herrliche Passage über seine Arbeitsweise: "Ich muss, wo immer ich bin, mich zu den Leuten setzen. In ihre Gärten. Auf ihre Ausruhbänke. An ihre kleinen, runden Tische. Ich muss sie werken sehen. Wie ihre Finger an der Angelschnur fummeln, an einem Iltis tasten, den es auszustopfen gilt. Ich muss ihre Speisen in der Nase haben. Ich höre so gern, was sie durchs Haus rufen. Ich will meine Hände an ihren Kittelschürzen abtrocknen."
Die Mischform mag auch als Tradition gewisser Kärntner Autoren in der Luft gelegen haben, man denke nur an Peter Handke - und Wawerzinek wie Krampitz geben inmitten ihrer Dialektik zu, sich mit dem Kärnten-Virus infiziert zu haben. Solange es in Klagenfurt wie auch anderswo weiter möglich ist, Kulturförderung in Anspruch zu nehmen und sie gleichzeitig zu kritisieren, kann das Prinzip nicht ganz schlecht sein.
JAN WIELE
Karsten Krampitz, Peter Wawerzinek: "Crashkurs Klagenfurt".
Verlag Johannes Heyn, Klagenfurt 2012. 125 S., geb. 17,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als gelungene Mischung aus Reiseliteratur, Polemik und Poetologie bezeichnet Rezensent Jan Wiele den Briefwechsel der beiden Bachmann-Stipendiaten Karsten Krampitz und Peter Wawerzinek. Was die beiden jeder für sich als Kärtner Stadtschreiber erlebt und erlitten haben, erfährt Wiele hier, aber auch örtlich Historisches über Waffen SS und Haider. Besonders beglückt hat Wiele die Beschreibung der "Nacht der schlechten Texte", der Gegenveranstaltung der Klagenfurter Tage, sowie der Umstand, dass beide Autoren über ihre Arbeitsweise Auskunft geben und über die Produktionsbedingungen des Buches, Kritik am Stipendiatenzirkus inklusive.
© Perlentaucher Medien GmbH
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