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The Crimean War one of the fiercest battles in Russia's history, killing nearly a million men and completely redrawing the map of Europe. Bringing to life soldiers in snow-filled trenches, surgeons on the battlefield and the haunted, fanatical figure of Tsar Nicholas himself, this title tells the human story of a tragic war.

Produktbeschreibung
The Crimean War one of the fiercest battles in Russia's history, killing nearly a million men and completely redrawing the map of Europe. Bringing to life soldiers in snow-filled trenches, surgeons on the battlefield and the haunted, fanatical figure of Tsar Nicholas himself, this title tells the human story of a tragic war.
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Autorenporträt
Orlando Figes is Professor of History at Birkbeck College, University of London. He is the author of Peasant Russia, Civil War, A People's Tragedy, Natasha's Dance and The Whisperers. He lives in Cambridge and London. His books have been translated into over twenty languages.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2011

Diese fürchterliche Kriegsfarce

Das Gift der Religion: Orlando Figes führt uns von Jerusalem auf die Schlachtfelder der Krim in den Jahren 1854 und 1855 und dann wieder zurück.

Von Andreas Platthaus

Bis der Krieg die Krim erreicht, dauert es fast dreihundert Seiten, und nach 280 weiteren ist er wieder vorbei, worauf aber noch einmal mehr als hundert Seiten Nachspiel folgen. Man sieht: Orlando Figes will viel mehr beschreiben als die bloße Kampagne von Briten, Franzosen, Türken und Savoyern auf der russischen Halbinsel im Schwarzen Meer, die am 7. September 1854 mit der Ausfahrt der alliierten Flotte in Konstantinopel begann und fast genau ein Jahr später, am 8. September 1855, mit dem Fall des russischen Marinestützpunktes Sewastopol endete - obwohl es dann noch bis zum 16. Januar 1856 dauerte, ehe sich Russland zur Aufnahme von Friedensgesprächen bereit erklärte.

Was Figes will, verrät der Untertitel seines Buchs: "Der letzte Kreuzzug". Tatsächlich definiert Figes den Krimkrieg als historisches Scharnier. Dass es der erste moderne Krieg gewesen ist, weil er Stellungskämpfe, Schnellfeuergewehre, Telegrafie, Fotografie und Massenkommunikation in die Kriegsführung eingeführt hat, ist oft gesagt worden. Dass aber an der Wurzel dieses Massentötens, dem mindestens 800 000 Soldaten zum Opfer fielen (auch dies eine Vorwegnahme der gewaltigen Gefallenenzahlen künftiger Kriege), ein religiöser Konflikt lag, der zurückging auf den immerwährenden Konflikt ums Heilige Land, wurde seltener festgestellt.

Figes sieht aber zugleich in diesem "letzten Kreuzzug" auch den ersten Religionskrieg moderner Prägung: Auf der Krim wurde ausgefochten, was ursprünglich an anderer Stelle Konfliktstoff bot. Das Buch beginnt und endet in Jerusalem, wo der russische Zar die Schutzhoheit über die dort lebenden, meist orthodoxen Christen für sich beanspruchte - und damit über die heiligen Stätten wie Geburts- und Grabeskirche. Damit reizte er nicht nur die osmanische Verwaltung, sondern auch die Vertreter anderer christlicher Konfessionen, deren Angehörige im neunzehnten Jahrhundert nach Jerusalem gekommen waren, um gleichfalls ihren Teil von der Heiligkeit des Ortes abzubekommen.

Die orthodoxen Privilegien, die Zar Nikolaus I. in Jerusalem beanspruchte, führten im Widerstand dagegen muslimische Osmanen, katholische Franzosen und protestantische Briten zusammen. In den Bevölkerungen Frankreichs und Großbritanniens schwenkte die Sympathie immer mehr zu den Türken um, zumal Russland den Franzosen seit Napoleons Niederlage von 1812 und den liberalen Engländern wiederum als "Gendarm von Europa" nicht geheuer war. Gerade erst hatten die kontinentaleuropäischen Revolutionsjahre 1848/49 die russische Macht demonstriert, als nur die Armeen des Zaren den Erhalt der Monarchien zu garantieren vermochten. Russland stand in einer Stärke da, wie bis 1945 nicht wieder.

Figes beschreibt in großer Ausführlichkeit, aber dabei äußerst anschaulich, wie aus einigermaßen nichtigen Anlässen in Palästina große Politik entstand - und ein großes Schlachten. Bernd Rullkötter hat die lebendige Prosa des 1959 geborenen, in London lehrenden Historikers in ein entsprechendes Deutsch übersetzt. Dabei darf man bei deutschen Lesern nicht dieselbe Vertrautheit mit dem Stoff voraussetzen wie in Großbritannien; Preußen wie Österreich hatten sich dem Konflikt ja entzogen (jeweils zur Enttäuschung der kriegführenden Parteien). Im Original kann Figes sein Buch einfach "Crimea" nennen, und jeder weiß, was gemeint ist. Ähnliches ginge in Deutschland nur bei Büchern, die sich Stalingrad oder Verdun widmen würden. Schon dieser Vergleich hat etwas Bezeichnendes. Nur der Schrecken lässt einzelne Orte oder Landschaften aus Kriegskampagnen herausragen.

Der türkische Sultan Abdülmecid I. brauchte einen Krieg, um sich die Russen auf dem Balkan und dem Schwarzen Meer vom Leibe zu halten; der französische Kaiser Napoleon III. brauchte einen Krieg, um dem verhassten und als rückständig betrachteten Zarenreich auf den Leib zu rücken. Dazwischen stand England unter Queen Victoria, und natürlich legt Figes als britischer Historiker den Schwerpunkt bei der Betrachtung der Alliierten auf sein Heimatland. Als Russland-Experte aber, der seit 1996, als "A People's Tragedy" (deutsch "Die Tragödie eines Volkes", 1998) über die bolschewistische Revolution erschien, ein erfolgreiches Buch nach dem anderen zur neueren russischen Geschichte publiziert hat, legt Figes den zweiten Schwerpunkt des neuen Werks auf die innere Situation des Zarenreichs. Hier sorgen sein immenses Wissen und die Quellenkenntnis für eine Dichte der Darstellung, die in der westlichen Historiographie über Russland bislang unbekannt war. Zumal Figes aus seiner Sympathie für die russische Kultur keinen Hehl macht.

Die Krim war im 1853 ausgebrochenen russisch-türkischen Krieg, der sich zunächst nur im Gebiet des heutigen Rumänien abspielte, mehr Symbol als naheliegendes Schlachtfeld. Aber als früheres osmanisches Herrschaftsgebiet, das zum Ausgangspunkt der russischen Ambitionen auf die Meerengen geworden war, nahmen beide Seiten das Symbol höchst wichtig. Und gerade Russland zeigte sich mit Blick auf diese symbolische Bedeutung auf unschönste Weise modern: Entsandten die Alliierten klassische Expeditionsheere, erklärte der Zar die Verteidigung der Krim zur Sache des ganzen Volkes. Er begründete damit den ersten totalen Krieg, für den allerdings just sein Land noch gar nicht die Mittel hatte. Die Mobilisierung auch der Technik und der öffentlichen Meinung - das schafften nur die Alliierten. Dauerte etwa die Übermittlung einzelner Nachrichten von der fernen Krim nach London oder Paris am Anfang des Kämpfens noch Wochen, so sorgte die Verlegung eines Telegrafenkabels während des Kriegs für die erste tagesaktuelle Frontberichterstattung. Auch darin machte der Krimkrieg Epoche.

Figes trägt all diese Innovationen zusammen und vergisst darüber doch nicht die klassische Schlachtenschilderung. Alma, Balaklawa, Ingerman, Sewastopol - in England und Frankreich sind diese Orte jedem Kind bekannt, weil sie Straßen, Plätzen, Wirtshäusern und Denkmälern den Namen gegeben haben. Die im Englischen sprichwörtliche "thin red line" hat ihren Ursprung in der Schlacht von Balaklawa, allerdings als fehlerhaftes Zitat aus dem Bericht des Korrespondenten der "Times", der eine zur Abwehr eines russischen Kavallerieangriffs gebildete, lediglich zwei Mann tiefe Reihe des 93. Regiments der britischen Highlander als "schmalen roten Streifen mit einer Linie aus Stahl darauf" beschrieb. Das war die geradezu impressionistische Beobachtung eines Geschehens, das in den menschenleeren Hügellandschaften oberhalb von Sewastopol mit kalter Grausamkeit ausgetragen wurde. Der überlegenen Waffentechnologie der Alliierten fielen die schlecht ausgerüsteten russischen Soldaten in Massen zum Opfer.

Die gleichfalls erschreckenden Sterberaten der Invasionstruppen (von 310 000 entsandten Franzosen fiel fast ein Drittel, von knapp 100 000 Briten immerhin noch ein Fünftel) hatten ihre Ursache nicht zuletzt in den Seuchen, die Soldatenlager und Schützengräben heimsuchten. Hatte die gegenüber den Briten ungleich bessere Vorbereitung der Franzosen (sie kannten das Problem noch aus dem Jahr 1812) im ersten Kriegswinter 1854/55 noch dafür gesorgt, dass ihre Truppen relativ ungeschoren davongekommen waren, so traf sie der nächste Winter, als der Krieg ja schon gewonnen war, umso härter. Da hatten wiederum die Briten ihre Lektion gelernt, zumal die ersten Presseberichte über die deplorable Lage der Soldaten einen Aufschrei im Heimatland ausgelöst hatten. Wenn das ganze Heldentum im Protestlärm untergeht, wird erfreulicherweise jeder Krieg sinnlos.

Figes konstatiert für England einen massiven Vertrauensverlust in den britischen Adel durch die Sorglosigkeit der Offiziere im Krimkrieg. In Russland wiederum büßte das Zarenregiment drastisch an Ansehen ein, und in Frankreich machte sich angesichts des als triumphal verkauften Sieges und der in Paris durchgeführten Friedensverhandlungen Hybris breit, die in jene Selbstüberschätzung mündete, die ins Desaster von 1870 führen sollte.

Wie die Rekonstruktion der Vorgeschichte ist auch die Analyse der Nachwirkungen des Krimkriegs ein besonderes Meisterstück von Figes. Außer Savoyen, das nur wenige Tausend Soldaten (und die auch noch spät) auf die Krim schickte, hat kein Land vom Krieg langfristig profitiert. Die italienische Einigung wäre ohne das Bündnis von Savoyern und Franzosen nicht denkbar gewesen, und man mag im unerhörten Zusammengehen mit den Türken eine Probe auf die nicht minder überraschende spätere Wendung Frankreichs gegen den Papst sehen.

So weit führt Figes seine Überlegungen nicht, doch im Jahr 1871 wird durch die französische Niederlage gegen die Deutschen alles revidiert, was der Friedensschluss von Paris den Russen 1856 abverlangt hatte. Was bleibt? 800 000 Tote für sechzehn Jahre alliierter Hegemonie im Schwarzen Meer und ein paar läppische territoriale Gewinne - der Krimkrieg war die bitterste Farce der Militärgeschichte. Ausgerechnet sie sollte Schule machen.

Orlando Figes: "Krimkrieg". Der letzte Kreuzzug.

Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter. Berlin Verlag, Berlin 2011. 747 S., Abb., Karten, geb., 36,- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.01.2012

Ritterlichkeit, Dampfschiff und Kriegsberichterstatter
Das erste Beispiel für einen modernen Krieg ist heute beinahe vergessen – Orlando Figes erzählt die Geschichte des Krimkrieges
Kriege hat die Menschheit wahrlich genug erlebt. Dennoch will das gegenseitige Abschlachten nicht enden. Vielleicht liegt dies auch daran, dass es weltweit nur wenige Autoren gibt, die das Grauen auf den Schlachtfeldern derart plastisch und damit abschreckend vor Augen führen können wie Orlando Figes. Zugleich beherrscht der am Birkbeck College in London lehrende Historiker die hohe Kunst, seine Schilderung des Krimkrieges als beinahe zeitloses Abbild menschlicher Gewalt zu verfassen und sich somit von herkömmlichen Kriegserzählungen deutlich abzuheben. Dies ist im Fall des Krimkrieges umso wichtiger, da dieser Konflikt zwischen Frankreich, Großbritannien und dem Osmanischen Reich auf der einen Seite und Russland auf der anderen im kollektiven Gedächtnis Europas praktisch nicht existent ist, obwohl er zu den Schlüsselereignissen des 19. Jahrhunderts gezählt wird. Wer im heutigen friedlich vereinten und zugleich von Staatsschuldenkrisen geschüttelten Euro-Europa weiß schon um die Dimensionen und Hintergründe dieses erbitterten Kampfes um Religion und Territorium, der in den Jahren 1853 bis 1856 rund eine Million Soldaten und zahllosen Zivilisten das Leben kostete?
Zwei Weltkriege überschatten bis heute die hohen Opferzahlen des Krimkrieges. Für die Generationen in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg war er jedoch der größte Konflikt des 19. Jahrhunderts, der bedeutendste Waffengang zu ihren Lebzeiten, so wie die Weltkriege des 20. Jahrhunderts für die heutigen Generationen die vorherrschenden historischen Bezugspunkte darstellen. Dabei waren bereits in den 1850er Jahren die Verluste gewaltig: Mindestens eine Dreiviertelmillion Soldaten wurde im Kampf oder durch Krankheiten und Seuchen getötet, zwei Drittel davon Russen. Frankreich verlor rund hunderttausend Mann, Großbritannien ungefähr zwanzigtausend. Damit kehrte ein Drittel der französischen und ein Fünftel der britischen Streitmacht nicht heim. In den Pfarrbezirken Whitegate, Aghada und Farsid in County Cork in Irland, wo die britische Armee zahlreiche Soldaten rekrutierte, starb beinahe ein Drittel der männlichen Bevölkerung auf der fernen Krim.
Verlässliche Angaben über die Opfer unter der Zivilbevölkerung existieren nicht: Tote durch Bombardierungen, Verhungerte in belagerten Städten, durch von Soldaten verbreitete Krankheiten dezimierte Bevölkerungen, durch Massaker und „ethnische Säuberungen“ ausgelöschte Gemeinschaften – das waren Begleiterscheinungen der Kämpfe im Kaukasus, auf dem Balkan und auf der Krim, die Figes vom „ersten totalen Krieg“ sprechen lassen als einer sich bereits im 19. Jahrhundert abspielenden Version der Kriege des gegenwärtigen Zeitalters, die Zivilisten nicht verschonen und daher humanitäre Krisen verursachen.
Figes beschreibt den Krimkrieg als das erste Beispiel eines modernen Krieges: ausgefochten mit neuen industriellen Techniken, modernen Gewehren, Dampfschiffen und Eisenbahnen, neuen Formen der Logistik und der Kommunikation wie dem Telegraphen, mit wichtigen Innovationen in der Militärmedizin sowie mit Kriegsberichterstattern und Fotografen direkt am Schauplatz des Geschehens. Zugleich war es einer der letzten Kriege, in denen alte Tugenden von Ritterlichkeit beachtet wurden, denn man setzte Parlamentäre ein und vereinbarte Waffenruhen, um Tote und Verwundete von den Schlachtfeldern zu tragen. Zwar unterschieden sich die ersten Kampfhandlungen auf der Krim nicht allzu sehr von den Kampfformen der Napoleonischen Kriege. Aber die Belagerung von Sewastopol – die längste und bedeutendste Phase des Krimkrieges – nahm den industrialisierten Schützengrabenkrieg 1914-1918 vorweg. So hoben Russen, Briten und Franzosen bereits in der fast ein Jahr dauernden Belagerung Sewastopols Gräben von hundertzwanzig Kilometer Länge aus. Und beide Seiten beschossen sich mit hundertfünfzig Millionen Gewehrkugeln und fünf Millionen Bomben und Granaten.
Wie sehr der Krimkrieg auch politisch ein Vorbote der großen Konflikte des 20. Jahrhunderts war, zeigen allein schon seine globalen Ausmaße und die enorme Bedeutung, die er für Europa, Russland und den Großraum vom Balkan bis nach Jerusalem und von Konstantinopel bis zum Kaukasus hatte. Hier stellte sich die Orientalische Frage, das große internationale Problem, das sich durch die allmähliche Auflösung des Osmanischen Reiches ergab. Daher zeigt Figes auch Sympathie für den russischen Begriff „orientalischer Krieg“ und für die Bezeichnung „türkisch-russischer Krieg“, die in vielen türkischen Quellen für den Krimkrieg verwendet wird und ihn in den breiteren historischen Zusammenhang der Jahrhunderte alten Konflikte zwischen Russen und Osmanen stellt. So begann auch der Krimkrieg 1853 zwischen osmanischen und russischen Truppen in den Donaufürstentümern Moldau und Walachei, dem Territorium des heutigen Rumänien, griff dann auf den Kaukasus über, wo Türken und Briten den Kampf der muslimischen Stämme gegen Russland unterstützten, und von dort aus auf die übrigen Schwarzmeergebiete.
Als Großbritannien und Frankreich 1854 auf türkischer Seite intervenierten und Österreich drohte, sich ihrem antirussischen Bündnis anzuschließen, zog Zar Nikolaus I. seine Streitkräfte aus den Fürstentümern an der Donau zurück, und die Kämpfe verlagerten sich auf die Krim. Hinzu kamen 1854/55 weitere Kriegsschauplätze: von der Pazifikküste Sibiriens bis zur Ostsee, wo die Briten einen Angriff auf die russische Hauptstadt St. Petersburg planten, und zum Weißen Meer, wo die Royal Navy im Juli 1854 das Solowki-Kloster bombardierte.
Um die globale Dimension der Kämpfe und die geopolitischen, kulturellen und religiösen Faktoren angemessen veranschaulichen zu können, nutzt Figes gleichermaßen russische, französische, britische und osmanische Quellen – und dies mit großem Gewinn. Erst in der Gesamtschau wird die Bedeutung des Krimkrieges sichtbar: als entscheidender Wendepunkt in der Geschichte Europas, Russlands und des Nahen Ostens, dessen Folgen bis in die Gegenwart reichen.
Durch den Krimkrieg zerbrach die alte konservative Allianz zwischen Russland und Österreich, welche die bestehende Ordnung auf dem europäischen Kontinent gestützt hatte, woraufhin sich neue Nationalstaaten in Italien, Rumänien und Deutschland herausbilden konnten. Ferner ließ dieser Waffengang nach der Analyse von Figes die Russen mit einem tiefen Groll gegenüber dem Westen zurück, dem Gefühl, Opfer eines Vertrauensbruchs zu sein, da die anderen christlichen Staaten Partei für die Türken ergriffen hatten. Hinzu kamen enttäuschte Ambitionen auf dem Balkan, welche die Beziehungen zwischen den Mächten noch in den 1870er Jahren destabilisierten und jene Krisen bewirken sollten, die schließlich zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges führten. Zugleich öffnete der Krimkrieg die muslimische Welt des Osmanischen Reiches westlichen Armeen und Technologien, beschleunigte ihre Integration in die globale kapitalistische Wirtschaft und löste eine islamische Reaktion gegen den Westen aus, die bis heute andauert.
Besonders luzide analysiert Figes das Motivgeflecht der Kriegsparteien aus Nationalismus, imperialen Rivalitäten und religiösen Interessen: Die Osmanen wollten ihr zerbröckelndes Reich in Europa retten und ihre Souveränität gegen den Anspruch Russlands verteidigen, die orthodoxen Christen des Osmanischen Reiches zu repräsentieren. Zugleich ging darum, eine drohende islamische und nationalistische Revolution in Konstantinopel zu verhindern.
Großbritannien wollte Russland als Rivalen in Asien einen Schlag versetzen und den Krieg nutzen, um den eigenen Freihandel und religiöse Interessen im Osmanischen Reich zu fördern. Der französische Kaiser Napoleon III. sah eine Gelegenheit, Frankreich im Ausland wieder Respekt und Einfluss zu verschaffen und die Grenzen Europas neu zu ziehen. Aus Sicht von Briten und Franzosen handelte es sich überdies um einen „Kreuzzug“ zur Verteidigung der Freiheit und der europäischen Kultur gegen die „barbarische“, despotische Bedrohung durch Russland.
Indem Figes in seinem so meisterhaft komponierten wie erzählten Werk immer wieder die religiösen Aspekte des Krimkrieges hervorhebt, dringt er bis zum oft übersehenem Ausgangspunkt vor: der Rivalität im Heiligen Land zwischen Katholiken oder „Lateinern“ – unterstützt von Frankreich – und den Griechen – ermutigt durch Russland – um die Kontrolle über die Grabeskirche in Jerusalem und die Geburtskirche in Bethlehem. Damit zieht Figes schließlich einen Bogen vom heute vergessenen Krimkrieg zu den ebenfalls religiös aufgeladenen Balkankriegen der 1990er Jahre und zum Aufstieg des militanten Islam. Nicht allein im 19. Jahrhundert waren Politik und Glaube in imperialen Rivalitäten eng miteinander verflochten. Auch in der Gegenwart spielt Religion eine zentrale Rolle bei der Anheizung von Konflikten – ein weiterer Grund, warum das Abschlachten nicht enden will.
THOMAS SPECKMANN
ORLANDO FIGES: Krimkrieg. Der letzte Kreuzzug. Aus dem Englischen von Bernd Rullkötter. Berlin Verlag, Berlin 2011. 747 Seiten, 36 Euro.
Die Belagerung von Sewastopol
nahm den industrialisierten
Stellungskrieg vorweg
In diesem Krieg zerbrach die
konservative Allianz des
Habsburgerreiches und Russlands
Nicht zuletzt ging es um die
Kontrolle des Heiligen Landes:
lateinisch oder orthodox?
Auf Kreuzzug gegen die Gefahren eines barbarisch-despotischen Russlands und doch eher skeptisch: Ein britischer Offizier in einem Lager während des Krimkriegs 1855. Foto: Corbis
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