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Götter, Kulte, Rituale - die Macht der Religionen verstehen
Nach langer Zeit liegt mit diesem Buch wieder eine umfassende Theorie der Religionen vor. Anschaulich und anhand vieler Beispiele aus sehr unterschiedlichen Religionen erklärt Martin Riesebrodt, was alle gemeinsam haben und warum Kulte und Rituale für ihre Anhänger so attraktiv sind, daß sie auch vor Gewalt gegen sich selbst und andere nicht zurückschrecken. Ein "Muß" für alle, die die Langlebigkeit religiöser Traditionen und deren neue öffentliche Macht besser verstehen wollen. Alle Religionen versprechen den Menschen, daß sie…mehr

Produktbeschreibung
Götter, Kulte, Rituale - die Macht der Religionen verstehen

Nach langer Zeit liegt mit diesem Buch wieder eine umfassende Theorie der Religionen vor. Anschaulich und anhand vieler Beispiele aus sehr unterschiedlichen Religionen erklärt Martin Riesebrodt, was alle gemeinsam haben und warum Kulte und Rituale für ihre Anhänger so attraktiv sind, daß sie auch vor Gewalt gegen sich selbst und andere nicht zurückschrecken. Ein "Muß" für alle, die die Langlebigkeit religiöser Traditionen und deren neue öffentliche Macht besser verstehen wollen.
Alle Religionen versprechen den Menschen, daß sie durch die Pflege ihrer Beziehungen zu übermenschlichen Mächten Unheil abwehren, Krisen bewältigen und Heil empfangen können. Dieses Heilsversprechen findet Ausdruck in den Liturgien religiöser Festtage und in lebenszyklischen Ritualen, in den radikalen Praktiken von Asketen und den Verheißungen von Propheten. Während sich religiöse Ethiken und Gefühle wandeln und Weltbilder und Mythen irgendwann überholt sind, werden weiter die überlieferten Gebete gesprochen, Liturgien gesungen und Opfer gebracht. Rituale sind das Verbindende zwischen monotheistischen Religionen und antiken Polytheismen, zwischen ostasiatischen Religionen und modernen religiösen Bewegungen. Sie bieten einen einzigartigen Schlüssel, um die alle Aufklärungen überdauernde Anziehungskraft von Religionen zu verstehen.
Autorenporträt
Martin Riesebrodt , geb. 1948, ist Professor für Religionssoziologie an der University of Chicago.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.10.2007

Sicher ruht der Kult in sich selbst

Kann man einen universalen Religionsbegriff noch retten? Martin Riesebrodt über Grenzen zwischen Glaube und Fundamentalismus.

Von Karl-Heinz Kohl

Religionen und religiöse Konflikte stehen im Brennpunkt gegenwärtigen Interesses. Die postkoloniale Diskurskritik hat allerdings auch vor der Kategorie "Religion" nicht haltgemacht. Der Auffassung ihrer Vertreter zufolge kann der Religionsbegriff keinen Anspruch auf Universalität erheben. Er sei wesentlich europäischen Ursprungs und auf scheinbar ähnliche Erscheinungsformen in außereuropäischen Gesellschaften lediglich übertragen worden. Hinduismus, Buddhismus und Konfuzianismus seien nichts weiter als Konstruktionen, mit denen westliche Beobachter aus ihrer Sicht bestimmte Bereiche außereuropäischer Gesellschaften als religiös identifiziert hätten.

Bei dieser grundsätzlichen Kritik setzt Martin Riesebrodt, Religionssoziologe an der Universität von Chicago, mit seiner Neubestimmung des Religionsbegriffs an. Er bestreitet zwar keineswegs, dass es in nur wenigen Kulturen einen dem unseren vergleichbaren, universalen Religionsbegriff gibt. Dies heiße aber nicht, dass eine Unterscheidung zwischen Religiösem und Nichtreligiösem nicht auch in anderen Kulturen vorgenommen werde. Wechselseitige Abgrenzungen etwa zwischen den großen asiatischen Religionen zeigten dies ebenso wie das Konkurrenzverhalten religiöser Akteure, die interreligiöse Polemik, die Assimilation und Übernahme kultischer Praktiken. Die Konfrontation mit dem Westen mag zwar zu einer Systematisierung eigener Glaubensvorstellungen und Kulte geführt haben. Die Annahme aber, dass sich die großen asiatischen Religionen erst als Folge dieses Kontakts konstituiert hätten, weist er mit Nachdruck zurück.

Überdies gilt, dass der Religionsbegriff auch im Westen alles andere als einheitlich war und ist. Von Religionen im Plural wurde in Europa seit dem Zeitalter der Glaubensspaltung gesprochen. Auf nichtchristliche Glaubenssysteme wendete man den Begriff erst später an. Während die Aufklärer Religion mit der göttlichen Gabe der Vernunft gleichsetzten und dementsprechend in Moral und Metaphysik das Wesentliche der Religion sahen, wurde in der Romantik in Reaktion auf den deistischen Rationalismus das Offenbarungserlebnis in den Mittelpunkt gestellt.

In dieser Tradition standen nach Riesebrodt auch noch im zwanzigsten Jahrhundert so unterschiedliche Religionsforscher wie der Theologe Rudolf Otto mit seiner Theorie des Numinosen, der holländische Religionsphänomenologe Gerardus van der Leeuw und der vom Schamanismus in den Bann geschlagene rumänische Religionswissenschaftler Mircea Eliade, der den "archaischen Menschen" zum wahren Homo religiosus stilisierte. Ganz anders dagegen die Ausgangspunkte von religionskritischen Autoren wie Ludwig Feuerbach, Karl Marx oder Sigmund Freud: Sie sahen in der Religion wesentlich Projektionen irdischer Verhältnisse. Als Protowissenschaft, die die naturwissenschaftliche Vorstellung einer determinierten Welt bereits vorwegnahm, haben wiederum einige Ethnologen bestimmte Glaubensvorstellungen gedeutet, während sich die Soziologen den religiösen Phänomenen unter dem Gesichtspunkt näherten, welchen Beitrag sie zum gesellschaftlichen Zusammenhalt leisteten. Neurologen haben Religion neuerdings auf eine bestimmte Gehirnfunktion zu reduzieren versucht und ihre gesundheitsfördernde Wirkung hervorgehoben. Rational-choice-Theoretiker ordnen sie dagegen den weltanschaulichen Marktangeboten zu, aus denen der Einzelne in Entsprechung zu seinen persönlichen Vorlieben seine ganz private Auswahl trifft.

Sollte man angesichts der Vielfalt dieser Auffassungen nicht doch auf einen universalen Begriff von Religion verzichten? Martin Riesebrodt setzt gegen diese Versuchung seine eigene Bestimmung des Begriffs. Ihm liegt die Annahme zugrunde, dass man weder von den unterschiedlichen Inhalten noch von den Funktionen einzelner Religionen ausgehen dürfe, sondern sich am praktischen Handeln der religiösen Akteure orientieren müsse.

Zu diesem Zweck unterscheidet Riesebrodt Religion als ein empirisch gegebenes Handlungssystem von theologisch konstruierten religiösen "Traditionen" auf der einen und von Religiosität als der subjektiven Aneignung von Religion auf der anderen Seite. Für den Autor besteht der Kern von Religion in einem Komplex von Praktiken, die der Kommunikation mit übermenschlichen Mächten dienen und darauf abzielen, Heil zu stiften, Unheil jeder Art abzuwehren und Krisen zu bewältigen. Weltbild, Ethik und Ergriffenheit vom Numinosen, kulturelle Einbettung und sozialintegrative Funktion von Religion erscheinen unter einem solchen Gesichtspunkt nur noch als sekundäre Phänomene. Der Kultus findet seinen Sinn gewissermaßen in sich selbst.

Die Brauchbarkeit seines Ansatzes erbringt Riesebrodt durch einen Exkurs in die Geschichte der Religionen. Behandelt werden zahllose Beispiele aus der Geschichte des Judentums, des Christentums und des Islams, des Hinduismus, des Buddhismus, des Konfuzianismus und des Daoismus. Kalendarische Rituale regeln die Beziehungen des Menschen zu den übermenschlichen Mächten, dienen der Erinnerung an die Heilsgeschichte, setzen Buß- und Fastenzeiten fest, sind Danksagungen und Fürbitten gewidmet. Lebenszyklische Rituale gelten der Bewältigung der Krisensituationen, die sich aus dem Übergang zwischen Lebensphasen oder auch beim Tod eines Angehörigen ergeben. Variable Praktiken erleben vor allem dann eine Konjunktur, wenn es zu Naturkatastrophen, Krankheitsepidemien oder ähnlichen Krisensituationen kommt.

Der von Max Weber geschaffene Begriff des religiösen Virtuosentums steht im Mittelpunkt eines weiteren Abschnitts, der den Praktiken von Asketen, Schamanen und anderen religiösen Spezialisten gilt. In seinen abschließenden Bemerkungen zur Zukunft der Religion wendet sich Riesebrodt vor allem gegen die gängigen Säkularisierungstheorien. Sie krankten daran, dass ihnen kein klarer und einheitlicher Religionsbegriff zugrunde liege. Säkularisierung im Sinne einer Trennung von Staat und Religion müsste von der "Entzauberung" der Welt durch die Wissenschaften, von der Entkirchlichung, von der Verweltlichung und von der Privatisierung der Religion stärker unterschieden werden. Das Beispiel der Vereinigten Staaten zeige, dass die Religionen durch eine staatlich neutrale Politik nicht an Bedeutung verlieren müssten.

Es versteht sich fast von selbst, dass gegen Riesebrodts Neubestimmung des Religionsbegriffs einige Einwände vorgebracht werden können. So ist etwa der Begriff des "Heils" im Deutschen aufgrund seiner Nähe zum "Heiligen" selbst stark religiös konnotiert. Gleichwohl ist die Fokussierung seiner Religionstheorie auf die praktischen religiösen Handlungen triftig. Die Attraktivität, die der Ritualreichtum der katholischen Kirche nach wie vor ausübt, lässt sich als weiterer Beleg anführen. Riesebrodts Buch eröffnet neue Perspektiven auch auf die gegenwärtige Renaissance der Religion.

Martin Riesebrodt: "Cultus und Heilsversprechen". Eine Theorie der Religionen. Verlag C. H. Beck, München 2007. 320 S., geb., 29,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rezensentin Elisabeth von Thadden ist hochzufrieden mit dem neuen Buch des Chicagoer Religionssoziologen. Einerseits. Denn aus ihrer Sicht hat Martin Riesebrodt in seiner "gelassenen" vergleichenden Studie geschickt das Konfliktthema der Wahrheit, die jede Religion für sich beansprucht, untertunnelt und überbrückt. Statt der Schriften und ihre Geschichts- und Fortschrittsmodelle habe er nämlich den Cultus und die Liturgien ins Zentrum seiner Betrachtung gestellt. Dabei folge er im Wesentlichen den drei "großen Entzauberern" Max Weber, Sigmund Freud und Arnold Gehlen und zeige, dass Religion eine symbolische Praxis sei, die die Abwehr von Unheil mit der Heilssuche verbinde. Obwohl ihr das einleuchtet, hätte die Rezensentin gern mehr über die Gewalt als Form religiös motivierter Handlung gelesen.

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