Isolde Ohlbaum bereist seit 2008 die Ukraine und dokumentierte ihre Eindrücke fotografisch. Czernowitz und Lemberg sind Städte mit einer reichen europäischen Tradition, die aber im europäischen Bewusstsein der jüngeren Vergangenheit marginalisiert wurden. Ohlbaums Bilder zeigen diese Prägung, die städtebauliche Wurzel in der K.u.K.-Monarchie, in deren Lücken und Rissen heute das Leben der Ukrainer, gegen alle Widrigkeiten, sehr farbenfroh pulsiert. Sie laden ein, diese zwei Kulturstädte in ihrer alltäglichen Erscheinung zu erkunden. Die Fotos lassen aber auch erahnen, dass große Teile des kulturellen Erbes, etwa der jüdische Friedhof in Czernowitz, dem Verfall nach wie vor ausgesetzt sind. Juri Andruchowytsch lässt in seinem Begleittext die Bedeutung von Czernowitz und Lemberg in seinem Leben und Schreiben Revue passieren, beschreibt die Geschichte ihrer Verbindung und ihre heutige Wahrnehmung in der westlichen Öffentlichkeit. Aus dem Ukrainischen übersetzt von Sabine Stöhr.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2018Stille Post
Es ist nur ein schmales Bändchen mit nicht einmal hundert Seiten, aber dieses Buch hat es in sich. Zunächst mag man ihm wenig Aufmerksamkeit schenken, denn ein Titel wie "Czernowitz & Lemberg" kann zumindest in Deutschland höchstens noch bei der Großväter-Generation etwas zum Klingen bringen - zu weit hinten im Osten liegen heute diese Städte, und zu sehr sind sie, seit 1991 ukrainisch, in den Sog eines Krisenherds geraten, der nun schon seit Jahren die Welt beschäftigt. Längst ist auch vergessen, dass Lemberg 2009 zur europäischen Kulturhauptstadt gekürt wurde, und vom kurzen Ruhm als einem der Austragungsorte während der Fußball-Europameisterschaft 2012 ist nahezu nichts geblieben. Aber sobald man die Bilder von Isolde Ohlbaum betrachtet und den Essay des polyglotten Romanciers und Lyrikers Juri Andruchowytsch liest, wird schnell deutlich, welchen Stellenwert beide Städte besitzen: An den Kreuzungen der Wege durch den Kontinent gelegen, kamen sie zu Reichtum, waren "multikulti" lange bevor dieser Begriff erfunden wurde, und ihre Geschichte ist eine wahrhaft europäische als Schmelztiegel vieler Völkerschaften und unterschiedlichster Kulturen, die alle die politischen Verwerfungen in den vergangenen drei Jahrhunderten schmerzlich ertragen mussten. Heute ist vieles nur noch Erinnerung. Kaum jemand weiß, dass es in Czernowitz die östlichste deutschsprachige Universität gab, hier der Geburtsort der geheimnisvollen Gedichte Paul Celans ist und in dieser "Hochburg der Schlawiner" der Humus für die wunderbaren Geschichten Gregor von Rezzoris gefunden werden kann. Kaum jemand weiß, dass Lemberg einmal als Klein-Paris des Ostens galt und wegen seiner von der Renaissance bis zum Jugendstil reichenden Bausubstanz bei russischen Filmemachern beliebt war, wenn sie Rom oder Venedig als Kulisse brauchten. Aber nun wird mit diesem kleinen Buch gewissermaßen ein Scheinwerfer eingeschaltet: mit Bildern, die viel Verfall und Resignation, aber auch den jungen Aufbruch zeigen, und einem Text, in dem patriotische Zuneigung und nicht zu brechender Optimismus unüberhörbar sind.
tg.
"Czernowitz & Lemberg" von Isolde Ohlbaum (Fotos) und Juri Andruchowytsch (Text). Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2017. 95 Seiten, 86 Fotos. Gebunden, 19,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es ist nur ein schmales Bändchen mit nicht einmal hundert Seiten, aber dieses Buch hat es in sich. Zunächst mag man ihm wenig Aufmerksamkeit schenken, denn ein Titel wie "Czernowitz & Lemberg" kann zumindest in Deutschland höchstens noch bei der Großväter-Generation etwas zum Klingen bringen - zu weit hinten im Osten liegen heute diese Städte, und zu sehr sind sie, seit 1991 ukrainisch, in den Sog eines Krisenherds geraten, der nun schon seit Jahren die Welt beschäftigt. Längst ist auch vergessen, dass Lemberg 2009 zur europäischen Kulturhauptstadt gekürt wurde, und vom kurzen Ruhm als einem der Austragungsorte während der Fußball-Europameisterschaft 2012 ist nahezu nichts geblieben. Aber sobald man die Bilder von Isolde Ohlbaum betrachtet und den Essay des polyglotten Romanciers und Lyrikers Juri Andruchowytsch liest, wird schnell deutlich, welchen Stellenwert beide Städte besitzen: An den Kreuzungen der Wege durch den Kontinent gelegen, kamen sie zu Reichtum, waren "multikulti" lange bevor dieser Begriff erfunden wurde, und ihre Geschichte ist eine wahrhaft europäische als Schmelztiegel vieler Völkerschaften und unterschiedlichster Kulturen, die alle die politischen Verwerfungen in den vergangenen drei Jahrhunderten schmerzlich ertragen mussten. Heute ist vieles nur noch Erinnerung. Kaum jemand weiß, dass es in Czernowitz die östlichste deutschsprachige Universität gab, hier der Geburtsort der geheimnisvollen Gedichte Paul Celans ist und in dieser "Hochburg der Schlawiner" der Humus für die wunderbaren Geschichten Gregor von Rezzoris gefunden werden kann. Kaum jemand weiß, dass Lemberg einmal als Klein-Paris des Ostens galt und wegen seiner von der Renaissance bis zum Jugendstil reichenden Bausubstanz bei russischen Filmemachern beliebt war, wenn sie Rom oder Venedig als Kulisse brauchten. Aber nun wird mit diesem kleinen Buch gewissermaßen ein Scheinwerfer eingeschaltet: mit Bildern, die viel Verfall und Resignation, aber auch den jungen Aufbruch zeigen, und einem Text, in dem patriotische Zuneigung und nicht zu brechender Optimismus unüberhörbar sind.
tg.
"Czernowitz & Lemberg" von Isolde Ohlbaum (Fotos) und Juri Andruchowytsch (Text). Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2017. 95 Seiten, 86 Fotos. Gebunden, 19,80 Euro.
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