Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.03.2006Die Menschen machen Wummtata
Der Meister des Verbeulten: Dieter Roths Lyrik und Prosa
Vor Jahren schon gab es einen Versuch, Diether Roth nicht als den bedeutenden Künstler von Zerfall und Verschimmelung, sondern als Autor bekannt zu machen, ihn in die literarische Öffentlichkeit herüberzuholen, wo er (bis zu seinem Tod 1998) doch fast immer nur in der internationalen Kunst- und Galerieszene hochberühmt war: „Frühe Schriften und typische Scheiße” hieß Band 125 der Sammlung Luchterhand, zu dem Oswald Wiener damals einen Essay beisteuerte, der als psychologisches Porträt Roths so bemerkenswert war wie die Schriften Roths.
Jetzt machen Jan Voss und seine drei Mitherausgeber erneut den wichtigen Versuch, den Dichter und Schriftsteller Roth zu etablieren, mit einer Auswahl für eine neue Generation von Lesern, einem Band, der inhaltlich - und das ist gut - ganz ähnlich aufgebaut ist wie der von 1973. Und es zeigt sich: Roth ist als Schriftsteller noch immer von großer Wucht und Irritationskraft, Komik und Destruktivität, von beunruhigender Ängstlichkeit und Bizarrerie. Er begann in den sechziger Jahren in der Nähe der Konkreten Poesie mit radikal reduktionistischen und konstruktivistischen Texten, und dann kam ein wahrhaft toller Ausbruch aus dieser Enge mit einer verschwenderisch vielfältigen und losgelassenen Produktion, deren Anarchie und Verstörung, deren souveräne Missachtung der Gebote von Perfektion, Geschmack und Konsequenz bis heute atemberaubend sind.
Roths Literatur gehört zu der im 20. Jahrhundert reich vertretenen Tradition der kalkulierten Negation des Kunst-Begriffs, zur Tradition des (verkürzt gesagt) Kalauers und des bedeutend misslungenen und ,hässlichen Werks, die von Otto Nebel und Kurt Schwitters bis zu Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Wolfgang Bauer reicht. Die Texte sind gezielt vermurkst, voll verstörender, unauflösbarer Metaphern und Paradoxa. „Wenn ich das Leben sehe werde ich schlecht”, oder „Das Leben ist ein furchtvolles, wütendes Rennen” waren Roths Summen, und der Ernst solcher Sätze besteht darin, dass Roth die Schöpfung für misslungen hielt und daher Wahrheit vorzugsweise im Abgerutschten und Peinlichen, im Komisch-Entstellten, im Zerknüllten, im Grotesk-Barbarischen suchte und fand.
Seine Prosatexte sind explosiv und uneitel, und in seinen Gedichten kriegt er es hin, zugleich pathetisch und unsinnig zu sein. Er atmet großartig tief ein - und dann lässt er dem Gedicht die Luft ausgehen, lässt es einfach zusammenklappen, etwa in „Bei der Nacht”: „Manchmal fallt noch von der Höhe nachts dem Wind aus seinen Händen die Trompete runter, auf den Wassern in der Tiefe einen Marsch zu blasen. Und die Menschen in den dunklen Kammern machen Wummtata.” Ein komisches und unrettbar verzweifeltes Gedicht, dabei eines, das subtil mit bekannten Motiven spielt; kein Wunder, dass Roths Gedichte für viele der jüngeren ,experimentellen Autoren von Franz Josef Czernin bis Reinhard Prießnitz von größtem Einfluss waren, und dass für andere ein Dutzend dieser Gedichte absolut kanonisch sind.
Wie Dieter Roth der Konkretion des sprachlichen und speziell des metaphorischen Materials, auch der Materialität der verschiedenen künstlerischen Medien treu blieb, wie er von der Schreibmaschinenschrift bis zum Kopie-Buch, vom Tipp- und Druckfehler, von der Papierqualität bis zum Erscheinungsbild handschriftlicher Verbesserungen in gedruckten Texten alle Möglichkeiten sich entfalten ließ, das ist einmalig lebendig und hält einen beim Lesen ständig in Trab: Er nimmt sich eine Seite aus Hermann Brochs „Der Tod des Vergil” her und ,lektoriert diese Seite quasi, ,tut ihr etwas an, und dabei lernt man über die Sprache dieses Buches mehr als in manchem Essay. Es ist höchlich zu wünschen, dass sich auf Dieter Roths Literatur endlich so viele (und vor allem jüngere) Leser stürzen wie sich in Hollywood bei seiner Ausstellung 1969 Fliegen auf seine Käseexponate stürzten, nämlich: Abertausende. JÖRG DREWS
DIETHER ROTH: Da drinnen vor dem Auge. Lyrik und Prosa. Hrsg. von Jan Voss, Beat Keusch, Johannes Ullmeier und Björn Roth. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 304 S., 10 Euro.
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Der Meister des Verbeulten: Dieter Roths Lyrik und Prosa
Vor Jahren schon gab es einen Versuch, Diether Roth nicht als den bedeutenden Künstler von Zerfall und Verschimmelung, sondern als Autor bekannt zu machen, ihn in die literarische Öffentlichkeit herüberzuholen, wo er (bis zu seinem Tod 1998) doch fast immer nur in der internationalen Kunst- und Galerieszene hochberühmt war: „Frühe Schriften und typische Scheiße” hieß Band 125 der Sammlung Luchterhand, zu dem Oswald Wiener damals einen Essay beisteuerte, der als psychologisches Porträt Roths so bemerkenswert war wie die Schriften Roths.
Jetzt machen Jan Voss und seine drei Mitherausgeber erneut den wichtigen Versuch, den Dichter und Schriftsteller Roth zu etablieren, mit einer Auswahl für eine neue Generation von Lesern, einem Band, der inhaltlich - und das ist gut - ganz ähnlich aufgebaut ist wie der von 1973. Und es zeigt sich: Roth ist als Schriftsteller noch immer von großer Wucht und Irritationskraft, Komik und Destruktivität, von beunruhigender Ängstlichkeit und Bizarrerie. Er begann in den sechziger Jahren in der Nähe der Konkreten Poesie mit radikal reduktionistischen und konstruktivistischen Texten, und dann kam ein wahrhaft toller Ausbruch aus dieser Enge mit einer verschwenderisch vielfältigen und losgelassenen Produktion, deren Anarchie und Verstörung, deren souveräne Missachtung der Gebote von Perfektion, Geschmack und Konsequenz bis heute atemberaubend sind.
Roths Literatur gehört zu der im 20. Jahrhundert reich vertretenen Tradition der kalkulierten Negation des Kunst-Begriffs, zur Tradition des (verkürzt gesagt) Kalauers und des bedeutend misslungenen und ,hässlichen Werks, die von Otto Nebel und Kurt Schwitters bis zu Konrad Bayer, Gerhard Rühm und Wolfgang Bauer reicht. Die Texte sind gezielt vermurkst, voll verstörender, unauflösbarer Metaphern und Paradoxa. „Wenn ich das Leben sehe werde ich schlecht”, oder „Das Leben ist ein furchtvolles, wütendes Rennen” waren Roths Summen, und der Ernst solcher Sätze besteht darin, dass Roth die Schöpfung für misslungen hielt und daher Wahrheit vorzugsweise im Abgerutschten und Peinlichen, im Komisch-Entstellten, im Zerknüllten, im Grotesk-Barbarischen suchte und fand.
Seine Prosatexte sind explosiv und uneitel, und in seinen Gedichten kriegt er es hin, zugleich pathetisch und unsinnig zu sein. Er atmet großartig tief ein - und dann lässt er dem Gedicht die Luft ausgehen, lässt es einfach zusammenklappen, etwa in „Bei der Nacht”: „Manchmal fallt noch von der Höhe nachts dem Wind aus seinen Händen die Trompete runter, auf den Wassern in der Tiefe einen Marsch zu blasen. Und die Menschen in den dunklen Kammern machen Wummtata.” Ein komisches und unrettbar verzweifeltes Gedicht, dabei eines, das subtil mit bekannten Motiven spielt; kein Wunder, dass Roths Gedichte für viele der jüngeren ,experimentellen Autoren von Franz Josef Czernin bis Reinhard Prießnitz von größtem Einfluss waren, und dass für andere ein Dutzend dieser Gedichte absolut kanonisch sind.
Wie Dieter Roth der Konkretion des sprachlichen und speziell des metaphorischen Materials, auch der Materialität der verschiedenen künstlerischen Medien treu blieb, wie er von der Schreibmaschinenschrift bis zum Kopie-Buch, vom Tipp- und Druckfehler, von der Papierqualität bis zum Erscheinungsbild handschriftlicher Verbesserungen in gedruckten Texten alle Möglichkeiten sich entfalten ließ, das ist einmalig lebendig und hält einen beim Lesen ständig in Trab: Er nimmt sich eine Seite aus Hermann Brochs „Der Tod des Vergil” her und ,lektoriert diese Seite quasi, ,tut ihr etwas an, und dabei lernt man über die Sprache dieses Buches mehr als in manchem Essay. Es ist höchlich zu wünschen, dass sich auf Dieter Roths Literatur endlich so viele (und vor allem jüngere) Leser stürzen wie sich in Hollywood bei seiner Ausstellung 1969 Fliegen auf seine Käseexponate stürzten, nämlich: Abertausende. JÖRG DREWS
DIETHER ROTH: Da drinnen vor dem Auge. Lyrik und Prosa. Hrsg. von Jan Voss, Beat Keusch, Johannes Ullmeier und Björn Roth. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 304 S., 10 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Jörg Drews freut sich über einen neuen Anlauf, das schriftstellerische Werk des 1998 verstorbenen Künstlers Diether Roth einem jüngeren Publikum zu erschließen. Über dreißig Jahre sei die Auseinandersetzung mit dem berühmten Künstler als Schriftsteller vernachlässigt worden, dabei seien die Schriften Roths an "Wucht und Irritationskraft, Komik und Destruktivität" kaum zu überbieten. In der Tradition der negativen Kunstbegriffs stehend, gehöre er in eine Reihe, die von Kurt Schwitters bis Wolfgang Bauer reiche und auch auf die jüngeren experimentellen Lyriker wie Franz Josef Czernin noch Einfluss ausübe. Roth ging es um das gezielte Vermurksen und Misslingen der Texte: "Wenn ich das Leben sehe werde ich schlecht" zitiert Jörg Drews den Autor. Die Gedichte, zugleich pathetisch und unsinnig, werden von großem Atem getragen und klappten dann einfach zusammen, als ginge ihnen die Luft aus. "Einmalig und lebendig und beim Lesen ständig in Trab" sei die Lektüre Diether Roths, dem ein großer Leserkreis zu wünschen übrig bleibe, beschließt der Rezensent.
© Perlentaucher Medien GmbH
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