»Ich bin der Sonnyboy der deutschen Gegenwartsliteratur. Ein hingeschissenes Fragezeichen.«
Walter Kempowski
Der Lebensweg von Walter Kempowski (1929-2007) führt quer durch die deutsch-deutsche Geschichte. Acht Jahre saß er als vermeintlicher »Spion« in Bautzen ab, bevor er sich in der Bundesrepublik als Schriftsteller den Ruf eines skurrilen Außenseiters erwarb. Viele seine Bücher, von 'Tadellöser & Wolff' bis zum 'Echolot', wurden Bestseller, doch die Anerkennung, die er sich als Spätestheimkehrer erhoffte, blieb ihm versagt.
Von den Kritikern wurde Kempowski jahrzehntelang missachtet und geschmäht. Gerhard Henschel geht der Frage nach, wie es dazu gekommen ist. In dem Porträt, das er von Kempowski zeichnet, finden persönliche Erinnerungen ihren Platz zwischen entlegenen Quellenzeugnissen und zahlreichen bislang unveröffentlichten Dokumenten.
Walter Kempowski
Der Lebensweg von Walter Kempowski (1929-2007) führt quer durch die deutsch-deutsche Geschichte. Acht Jahre saß er als vermeintlicher »Spion« in Bautzen ab, bevor er sich in der Bundesrepublik als Schriftsteller den Ruf eines skurrilen Außenseiters erwarb. Viele seine Bücher, von 'Tadellöser & Wolff' bis zum 'Echolot', wurden Bestseller, doch die Anerkennung, die er sich als Spätestheimkehrer erhoffte, blieb ihm versagt.
Von den Kritikern wurde Kempowski jahrzehntelang missachtet und geschmäht. Gerhard Henschel geht der Frage nach, wie es dazu gekommen ist. In dem Porträt, das er von Kempowski zeichnet, finden persönliche Erinnerungen ihren Platz zwischen entlegenen Quellenzeugnissen und zahlreichen bislang unveröffentlichten Dokumenten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.05.2009So etwas liest man doch
Warum soll man denn immer nur für inhaftierte Chilenen unterschreiben? Gerhard Henschel porträtiert den leidenschaftlich widerborstigen Walter Kempowski.
Der Autor dieser biographischen Annäherung ist zweiundzwanzig Jahre jung, als er mit Walter Kempowski in Berührung kommt. Wie schief das im ersten Anlauf ging, schildert Gerhard Henschel im Vorwort, und wer je mit "Kempo" zu tun hatte, kann nachvollziehen, wie sehr Henschel von seiner Ausladung erschüttert wurde. Eine solche handelte er sich nämlich ein, weil er sich daran gestört hatte, dass der Hausherr in seinem Nartumer Nachwuchspflegestudio die Nationalhymne auf dem Klavier spielte. Nie wieder wolle er in vaterländischen Streitfragen belästigt werden, beschied Kempowski. Henschel blieb eisern, setzte sich immer wieder entschieden für dessen Werke ein.
Nun ist das Ergebnis dieser zwei Jahrzehnte währenden Bewunderung ein Buch geworden, womöglich unter großem Zeitdruck, weil es rechtzeitig zu Kempowskis Achtzigstem vorliegen sollte, der unlängst mit einem großen Symposion in Rostock begangen wurde (F.A.Z. vom 4. Mai). Auch setzt der Band Grundkenntnisse in Kempologie voraus, den verbumfeiten Lebensgang des 1929 geborenen Rostocker Reedersohns sollte man in groben Zügen kennen, etwa warum der junge Mann von einem sowjetischen Militärtribunal zu fünfundzwanzig Jahren Haft verurteilt wurde.
Acht davon saß er bis 1956 in Bautzen ab, dann begann er als Landschullehrer in Norddeutschland neu, wurde als Schriftsteller populär und kommerziell erfolgreich. Die Machthaber des Betriebs stempelten ihn zum Außenseiter. Noch 2005 gestand der österreichische Autor Walter Klier im "Merkur" seine langjährige Anti-Haltung als milieukonform: "So etwas liest man nicht. Alle wussten das, die auf sich hielten." Kempowski sei weder links noch formal avanciert - ein Vorwurf, der noch heute manchen Kritiker daran hindert, die Collagetechnik des "Echolot" (1993 ff.) nicht als eigenständige Leistung anzuerkennen.
In fünf Kapiteln - das Image, die Arbeitsmacke, der Pädagoge, die Schuld und das Haus Kreienhoop - handelt Henschel dieses Leben ab. Im fußnotenreichen Detail wird die leidvolle Rezeptionsgeschichte entwickelt, wie Kempowski spät aus den Fängen einer jahrzehntelang dominierenden Einheitsmeinung befreit wurde. In der Tat ist er immer wieder verkürzt zitiert und absichtsvoll falsch verstanden worden. Zum Beispiel wenn die "Welt" 1976 seine Begründung, warum er PEN-Tagungen meide, so zitiert: "Immer nur Unterschriften leisten für Gefangene, und dann immer Chilenen, da fragt man sich, was man da soll." Es fehlte das Endes Satzes, das lautet: "solange in der DDR unsere eigenen Leute im Gefängnis sitzen." Der Autor selbst musste im "Spiegel" die Dinge geraderücken, weil das Nachrichtenmagazin den Satz aus der "Welt" übernommen hatte: "Es wäre schon grotesk, wenn ausgerechnet ich in den Verdacht geriete, am Schicksal politischer Gefangener desinteressiert zu sein. Wie Sie wissen, habe ich selbst aus politischen Gründen acht Jahre in einem Zuchthaus gesessen."
Wenn es um die Bewertung der Integrität Kempowskis geht, scheut Gerhard Henschel das starke Urteil nicht. Mittlerweile dämmere es manchen, "dass von Christa Wolfs Edelkitsch auf lange Sicht nichts bleiben wird", dass der als "Störenfried" und "Opportunist" geschmähte Kempowski seinen Nachruhm sicher habe - auch durch die Hinterlassung eines gewaltigen Archivs. So wollte der Autor es der Germanistik aufgeben, sich mit ihm zu befassen. Weniger ergiebig ist das Kapitel über den Pädagogen. Es bietet eine Aufbereitung jener fachwissenschaftlichen Strömungen des Jahrhunderts, die den geistigen Horizont Kempowskis auskleideten. Wie zentral die Schulmeisterrolle für ihn war, hätte eine sorgfältigere Ausarbeitung verdient, zumindest "Kempowskis einfache Fibel" (1980), auf die er so stolz war, dürfte in so einem Zusammenhang nicht fehlen.
Nach Dirk Hempels "Walter Kempowski: Eine bürgerliche Biographie" (2004) ist Henschels Buch also einerseits eine Fundgrube von Textstellen, die vorzügliche Werkkenntnis verraten; es lässt andererseits den Wunsch nach einer großen Biographie aufkommen. Man könnte darin auch viel über unseren Jubilar Bundesrepublik erfahren, aber wenn nicht alles täuscht, sitzt derzeit niemand an einem solchen Projekt. Letzte Frage: Warum nur hat man auf dem Umschlag Kempowski, den "stets tadellos gekleideten Chronisten des deutschen Bürgertums" (Henschel), barfuß mit Birkenstock-Sandalen abgebildet?
HANNES HINTERMEIER
Gerhard Henschel: "Da mal nachhaken: Näheres über Walter Kempowski". Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009. 238 S., br., 14,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Warum soll man denn immer nur für inhaftierte Chilenen unterschreiben? Gerhard Henschel porträtiert den leidenschaftlich widerborstigen Walter Kempowski.
Der Autor dieser biographischen Annäherung ist zweiundzwanzig Jahre jung, als er mit Walter Kempowski in Berührung kommt. Wie schief das im ersten Anlauf ging, schildert Gerhard Henschel im Vorwort, und wer je mit "Kempo" zu tun hatte, kann nachvollziehen, wie sehr Henschel von seiner Ausladung erschüttert wurde. Eine solche handelte er sich nämlich ein, weil er sich daran gestört hatte, dass der Hausherr in seinem Nartumer Nachwuchspflegestudio die Nationalhymne auf dem Klavier spielte. Nie wieder wolle er in vaterländischen Streitfragen belästigt werden, beschied Kempowski. Henschel blieb eisern, setzte sich immer wieder entschieden für dessen Werke ein.
Nun ist das Ergebnis dieser zwei Jahrzehnte währenden Bewunderung ein Buch geworden, womöglich unter großem Zeitdruck, weil es rechtzeitig zu Kempowskis Achtzigstem vorliegen sollte, der unlängst mit einem großen Symposion in Rostock begangen wurde (F.A.Z. vom 4. Mai). Auch setzt der Band Grundkenntnisse in Kempologie voraus, den verbumfeiten Lebensgang des 1929 geborenen Rostocker Reedersohns sollte man in groben Zügen kennen, etwa warum der junge Mann von einem sowjetischen Militärtribunal zu fünfundzwanzig Jahren Haft verurteilt wurde.
Acht davon saß er bis 1956 in Bautzen ab, dann begann er als Landschullehrer in Norddeutschland neu, wurde als Schriftsteller populär und kommerziell erfolgreich. Die Machthaber des Betriebs stempelten ihn zum Außenseiter. Noch 2005 gestand der österreichische Autor Walter Klier im "Merkur" seine langjährige Anti-Haltung als milieukonform: "So etwas liest man nicht. Alle wussten das, die auf sich hielten." Kempowski sei weder links noch formal avanciert - ein Vorwurf, der noch heute manchen Kritiker daran hindert, die Collagetechnik des "Echolot" (1993 ff.) nicht als eigenständige Leistung anzuerkennen.
In fünf Kapiteln - das Image, die Arbeitsmacke, der Pädagoge, die Schuld und das Haus Kreienhoop - handelt Henschel dieses Leben ab. Im fußnotenreichen Detail wird die leidvolle Rezeptionsgeschichte entwickelt, wie Kempowski spät aus den Fängen einer jahrzehntelang dominierenden Einheitsmeinung befreit wurde. In der Tat ist er immer wieder verkürzt zitiert und absichtsvoll falsch verstanden worden. Zum Beispiel wenn die "Welt" 1976 seine Begründung, warum er PEN-Tagungen meide, so zitiert: "Immer nur Unterschriften leisten für Gefangene, und dann immer Chilenen, da fragt man sich, was man da soll." Es fehlte das Endes Satzes, das lautet: "solange in der DDR unsere eigenen Leute im Gefängnis sitzen." Der Autor selbst musste im "Spiegel" die Dinge geraderücken, weil das Nachrichtenmagazin den Satz aus der "Welt" übernommen hatte: "Es wäre schon grotesk, wenn ausgerechnet ich in den Verdacht geriete, am Schicksal politischer Gefangener desinteressiert zu sein. Wie Sie wissen, habe ich selbst aus politischen Gründen acht Jahre in einem Zuchthaus gesessen."
Wenn es um die Bewertung der Integrität Kempowskis geht, scheut Gerhard Henschel das starke Urteil nicht. Mittlerweile dämmere es manchen, "dass von Christa Wolfs Edelkitsch auf lange Sicht nichts bleiben wird", dass der als "Störenfried" und "Opportunist" geschmähte Kempowski seinen Nachruhm sicher habe - auch durch die Hinterlassung eines gewaltigen Archivs. So wollte der Autor es der Germanistik aufgeben, sich mit ihm zu befassen. Weniger ergiebig ist das Kapitel über den Pädagogen. Es bietet eine Aufbereitung jener fachwissenschaftlichen Strömungen des Jahrhunderts, die den geistigen Horizont Kempowskis auskleideten. Wie zentral die Schulmeisterrolle für ihn war, hätte eine sorgfältigere Ausarbeitung verdient, zumindest "Kempowskis einfache Fibel" (1980), auf die er so stolz war, dürfte in so einem Zusammenhang nicht fehlen.
Nach Dirk Hempels "Walter Kempowski: Eine bürgerliche Biographie" (2004) ist Henschels Buch also einerseits eine Fundgrube von Textstellen, die vorzügliche Werkkenntnis verraten; es lässt andererseits den Wunsch nach einer großen Biographie aufkommen. Man könnte darin auch viel über unseren Jubilar Bundesrepublik erfahren, aber wenn nicht alles täuscht, sitzt derzeit niemand an einem solchen Projekt. Letzte Frage: Warum nur hat man auf dem Umschlag Kempowski, den "stets tadellos gekleideten Chronisten des deutschen Bürgertums" (Henschel), barfuß mit Birkenstock-Sandalen abgebildet?
HANNES HINTERMEIER
Gerhard Henschel: "Da mal nachhaken: Näheres über Walter Kempowski". Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009. 238 S., br., 14,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
In Gerhard Henschels Buch über Walter Kempowski gewinnt der Schriftsteller als "Zukurzgekommener" und von der Kritik lange Missachte Gestalt, stellt Stephan Speicher fest. Auch wenn der Autor, der mit Kempowski befreundet war, nicht viel aus seinen persönlichen Erlebnissen mit ihm schöpft, sondern das meiste aus Berichten Dritter oder aus Kempowskis Büchern zieht, hat er den Rezensenten mit seiner "lebendigen" Erzählweise und mit interessanten Details gefesselt, wie dieser lobt. Allerdings findet er, dass man zwar viel über die Hafterfahrung in Bautzen und, nach seiner Freilassung in den Westen die Verbitterung über die westdeutsche Kritik lesen kann, über Kempowskis künstlerische Entwicklung aber wenig lerne. Der Rezensent schätzt den Autor für seinen "Gossenreport" über die Arbeitsmethoden der Bild-Zeitung, in dem Henschel seinem ganzen "polemischen Furor" Ausdruck verleiht. Für die bewundernde Zuneigung gegenüber Kempowski aber, stellt Speicher fest, findet der Autor nicht den rechten "Ton". Und so konzentriere er sich auf negative Kritiken zu Kempowskis Werk, was ihn allerdings dem Porträtierten ähnlich mache, wie der Rezensent augenzwinkernd meint.
© Perlentaucher Medien GmbH
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