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Fast wäre es leichter aufzuzählen, was in diesem Roman nicht vorkommt, denn Zurab Karumidze hat alles in sein großes postmodernes Spiel gepackt, dessen er nur irgend habhaft werden konnte. Immerhin aber hat er uns eine zentrale Figur geschenkt, Dagny Juel. Die gab es wirklich, sie wurde am 4. Juni 1901 in Tiflis von einem nicht erhörten Liebhaber erschossen. Sich selbst erschoß er dann auch. Am 8. Juni 1901, ihrem 34. Geburtstag, wurde Dagny in Tiflis beerdigt. Dagny Juel war Norwegerin, sie lernte früh Edvard Munch kennen und wurde sein Modell (etwa für die berühmte "Madonna"). Später traf…mehr

Produktbeschreibung
Fast wäre es leichter aufzuzählen, was in diesem Roman nicht vorkommt, denn Zurab Karumidze hat alles in sein großes postmodernes Spiel gepackt, dessen er nur irgend habhaft werden konnte. Immerhin aber hat er uns eine zentrale Figur geschenkt, Dagny Juel. Die gab es wirklich, sie wurde am 4. Juni 1901 in Tiflis von einem nicht erhörten Liebhaber erschossen. Sich selbst erschoß er dann auch. Am 8. Juni 1901, ihrem 34. Geburtstag, wurde Dagny in Tiflis beerdigt.
Dagny Juel war Norwegerin, sie lernte früh Edvard Munch kennen und wurde sein Modell (etwa für die berühmte "Madonna"). Später traf sie auf August Strindberg, der sie erst liebte und dann in einem Drama vernichtete. Schließlich aber heiratete sie den Bohemiensatanisten Stanislaw Przybyszewski, mit dem sie in dem Berliner Künstlerkreis um die Kneipe "Das Schwarze Ferkel" unterwegs war. Przybyszewski verkaufte sie dann an seinen Jünger Wladyslaw Emeryk, der sie nach Tiflis mitnahm. Dagny Juel hat selbst Gedichte und kurzeDramen geschrieben, die Karumidze immer wieder zitiert; diese Passagen wurden für die deutsche Fassung eigens aus dem Norwegischen übersetzt.
Wer tritt sonst noch auf in diesem Roman? Zunächst der georgische Mystiker Georges Gurdjieff und der georgische Volksdichter Wascha-Pschawela. Weiter ein sprechender Rabe vom Saturn, der Maler Niko Pirosmani, ein tibetanischer Schamane, August Strindberg und viele andere. Sie alle nehmen an einem "Fest der Liebe" teil, das dann gründlich schiefgeht, weil sich der junge Revolutionär Koba einmischt, der ein Auge auf Dagny geworfen hat. Er wird später als Josef Stalin in die Geschichte eingehen.
Und natürlich spielt das georgische Nationalepos, DER RECKE IM TIGERFELL von Schota Rustaweli, eine wichtige Rolle.

Der Roman erschien zuerst 2011 in Tiflis. Er wurde in englischer Sprache geschrieben, eine Übertragung ins Georgische gibt es (noch) nicht. Bislang wurde er nur ins Türkische übersetzt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Zurab Karumidze (geb. 1957) ist einer der bekanntesten Autoren Georgiens. Sein Werk umfaßt Romane, Kurzgeschichtensammlungen, Novellen sowie ein Buch über Jazz, das den wichtigen georgischen Literaturpreis SABA gewann. Darüber hinaus ist er Herausgeber und Mitherausgeber einiger Essaybände über die georgische Politik und Kultur. Sein Roman DAGNY OR A LOVE FEAST wurde 2012 auf die Longlist des »Dublin International Literary Award« gewählt. Zurab Karumidze lebt in Tiflis und ist als außenpolitischer Berater der georgischen Regierung tätig. Er wird voraussichtlich zur Buchmesse nach Frankfurt kommen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.11.2017

Im Tigerfell der Moderne
Der georgische Autor Zurab Karumidze und sein Roman „Dagny oder ein Fest der Liebe“
Dieser Roman ist ein Plädoyer für die Fantasie. Aber seine Protagonistin hat es tatsächlich gegeben, Dagny Juel, ihres Zeichens Femme fatale, Schriftstellerin, Modell Edvard Munchs und Liebhaberin August Strindbergs, 1901 erschossen von einem Eifersüchtigen, in Tiflis. Schon ihr Lebenslauf liest sich wie erfunden. Kein Wunder, dass sich zahlreiche mehr oder weniger wahre Geschichten um die gebürtige Norwegerin ranken. Im Roman „Dagny oder ein Fest der Liebe“ des georgischen Autors Zurab Karumidze laufen viele dieser Geschichten zusammen. Sie ergeben einen Roman, der so ungewöhnlich wie lesenswert ist – und das Allgemeinwissen seiner Leser nicht selten auf die Probe stellt. Es lohnt sich, ab und an die Suchmaschine zu befragen.
Zum Beispiel zur Protagonistin selbst. „Sie ist mehr als genug mythisch überhöht worden“, lässt Karumidze seinen launischen Erzähler, oder besser: Komplizen gleich auf den ersten Seiten über Dagny feststellen, „und mich fasziniert, ehrlich gesagt, der Mythos ihres Lebens mehr als ihre Aufzeichnungen oder ihre Lebensgeschichte, mit Ausnahme ihrer letzten drei Wochen, die sie in Tiflis verbracht hat und über die wir so gut wie nichts wissen.“ Das erfinderische Auffüllen dieses „so gut wie nichts“ macht Karumidzes Geschichte aus. Um Dagny herum versammelt der Autor ein reichlich merkwürdiges Figurenensemble, größtenteils reale Persönlichkeiten, Zeitgenossen, die sich im wahren Leben allerdings nie begegnet sind.
Ausgangspunkt der Geschichte ist Dagnys im Mai 1901 unternommene Reise nach Tiflis, „ein besonderer Ort am Übergang von Okzident und Orient, ein Ort, an dem sich die Extreme treffen und die Differenz zu Hause ist“. Gemeinsam mit ihrem Mann, dem polnischen Schriftsteller und Satanisten Stanislaw Przybyszewski, will sie hier einen seiner Freunde, ihren späteren Mörder Wladyslaw Emeryk besuchen. Am 18. Mai kommt sie in Tiflis an, zunächst nur in Begleitung ihres Sohnes. Ihr Mann, kurzfristig verhindert, hat versprochen, nachzukommen.
Emeryk, der ihr schon lange verfallen ist, nimmt sie in Empfang. Nicht nur ihm, nahezu allen Männern der Stadt verdreht Dagny mit ihrer erotischen Ausstrahlung sofort den Kopf. So weit die wahre Begebenheit. Der Rest entstammt Karumidzes Fantasie.
Schon am Bahnhof zieht Dagny den griechisch-armenischen Esoteriker Georges Gurdjieff in ihren Bann, der in ihr nicht nur die verwegene Schönheit, sondern vielmehr ein Medium sieht. Denn der „Lehrer heiliger Tänze“ ist nach Tiflis gekommen, um mit einigen seiner Mitstreiter, darunter zum Beispiel der georgische Nationaldichter Wascha-Pschawela, ein „Fest der Liebe“ zu feiern, durch das der Menschheit ein ganzheitliches „objektives Bewusstsein“ ermöglicht werden soll. Auf dieses „Fest“ läuft von da an alles zu. Gudjieff und Dagny, die von dem spirituellen Unternehmen des „Schwarzen Griechen“ begeistert ist, lernen sich kennen. Doch hat auch der junge Stalin ein Auge auf Dagny geworfen. Nicht nur einmal wird er den „Wahrheitssuchern“ in die Quere kommen.
Je mehr sich Dagny in den Bann ihrer schamanischen Freunde ziehen lässt, desto schräger erscheinen Handlung und Schauplatz. Erst recht im wilden zweiten Teil des Romans, als sich herausstellt, dass die Vorbereitungen für das „Fest der Liebe“ von einem kosmischen Wesen angeleitet werden, das auf dem Saturn beheimatet ist und sich den „federlosen Zweifüßlern“ in Gestalt eines Raben offenbart. Das Wesen soll für die reibungslose Vereinigung von Kosmos und Menschheit sorgen, für die „Übertragung“ der bedingungslosen Liebe, deren Medium Dagny und deren Erlangung in „Der Recke im Tigerfell“ beschrieben ist. „Dieser mittelalterliche Versroman über einen in Pardenhaut gekleideten Sucher nach der verlorenen Liebe, der von üblen dunklen Gestalten entführt wird, ist das georgische Nationalepos – ungefähr das, was Verfassung und Grundrechte für die Amerikaner sind.“
Klar, dass der Recke in Karumidzes Roman allgegenwärtig ist. Überhaupt sprüht dieser nur so vor intertextuellen Verweisen, Anspielungen und Zitaten. Mit spielerischer Leichtigkeit verknüpft Karumidze all die kleinen Anekdoten, Geschichten und Mythen über sein Heimatland nicht nur zu einem anspruchsvollen Roman, sondern zugleich zu einem schillernden Kaleidoskop georgischer Geschichte und Kultur. „Eines der Hauptanliegen meines Romans ist es“, erklärte der 1957 in Tiflis geborene Autor in einem Interview, „eine gute Einführung zu geben in die georgischen Narrative und Geheimnisse.“
Auch deswegen hat Karumidze, der vor einigen Jahren mit einer vielfach prämierten Geschichte des Jazz Aufsehen erregte, dieses Buch auf Englisch verfasst. Jetzt ist es in Stefan Weidles tadelloser Übersetzung auch auf Deutsch zu lesen. Zur Einstimmung auf den Auftritt Georgiens als Gastland der nächsten Frankfurter Buchmesse sei es ebenso empfohlen wie all denen, die in „postfaktischen“ Zeiten vergessen haben, welcher Reiz von der literarischen Freiheit ausgeht, es mit der Wahrheit nicht immer so genau nehmen zu müssen.
MORITZ MÜLLER-SCHWEFE
Auch der junge Stalin hat ein
Auge auf Dagny geworfen,
die Femme fatale aus Norwegen
Ihr Nationalepos ist für die
Georgier ungefähr das, was für
Amerikaner die Verfassung ist
Zurab Karumidze: Dagny oder ein Fest der Liebe. Aus dem Englischen von Stefan Weidle. Weidle Verlag, Köln 2017. 288 Seiten, 23 Euro.
E-Book 14,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.12.2017

Unabhängig

Dass unsere Literaturlandschaft so vielfältig ist, verdankt sich engagierten Kleinverlagen, die bei ihren Büchern auf Qualität und Originalität setzen. Drei aktuelle Beispiele.

Wir befinden uns in den "heiligen Tagen", jener Zeit zwischen Weihnachten und Dreikönigstag, in der sich die Russen traditionell unheimliche Geschichten erzählen. Und russische Zeitschriften solche Geschichten drucken. Deshalb verfasste Iwan Bunin schon im Sommer 1914 eine Erzählung, die dann ein halbes Jahr später veröffentlicht werden sollte. Da hieß sie schlicht "Eine Geschichte für die Weihnachtszeit", in späteren Buchausgaben sollte sie den Titel "Eine Archivsache" tragen. Das Unheimliche kommt hier auf leisen Sohlen daher: als ein Archivar namens Fissun, der sich seiner eigenen Bedeutung als Bewahrer allen Geschehens bewusst und doch unterwürfig ist - bis er sich einmal erdreistet, die den höheren Kreisen vorbehaltene Toilette im Verwaltungsgebäude zu benutzen. Die Folgen sind drastisch.

Bunins seltsame Weihnachtsgeschichte entstand unmittelbar vor Kriegsausbruch, als er noch allein für ein russisches Publikum schrieb. Das änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg, und nicht nur deshalb, weil er als Gegner der Revolution ins französische Exil ging, sondern vor allem, weil seine 1915 verfasste Erzählung "Ein Herr aus San Francisco" fünf Jahre später international Furore machte. Sie führte den weltpolitisch prekären Moment ihrer Entstehung am Beispiel eines anonymen Amerikaners vor, und als Bunin 1933 als erster russischer Schriftsteller überhaupt den Literaturnobelpreis erhielt, würdigte Per Hallström, der damalige Sekretär der Schwedischen Akademie, diese Novelle in seiner Ansprache als "Vorzeichen des Untergangs einer Zivilisation, als Verurteilung der großen Schuldigen an einem Drama, das zum Teil durch die Dekadenz der Kultur verursacht wurde". Bunin verdankt seinen Nobelpreis entscheidend dieser Erzählung.

Nun gibt sie dem jüngsten Band seiner im Schweizer Dörlemann Verlag erscheinenden Werkausgabe den Titel: "Ein Herr aus San Francisco" versammelt jene Geschichten, die Bunin 1914 und 1915 schrieb; es sind nur sieben, weil ihn der Kriegsausbruch erschütterte und monatelang verstummen ließ. Aber sie bilden ein Septett, das in der Weltliteratur kaum seinesgleichen hat. Hier öffnet sich ein Meistererzähler, der sich zuvor literarisch nur für das russische Landleben und dessen Abgründe interessiert hatte, der Welt: "Brüder" von 1914 führt das traurige Schicksal eines ceylonesischen Rikscha-Fahrers mit dem eines englischen Kolonialherren zusammen, und "Ein Herr aus San Francisco" führt allegorische und philosophische Motive aus jener Erzählung ebenso weiter wie deren globalen Blick - Bunin fand seine Skepsis gegenüber Menschen und seine Naturbegeisterung nun auch jenseits der russischen Heimat.

Das Bemerkenswerte an dieser Ausgabe ist nicht nur, dass hier soweit möglich jeweils die Erstausgaben als Grundlage der Übersetzungen herangezogen werden - Bunin pflegte für spätere Nachdrucke Veränderungen vorzunehmen -, Dorothea Trottenberg findet auch den richtigen sachlichen deutschen Ton für die Buninsche Präzision, aus der die Naturbeschreibungen wie Glanzlichter erstrahlen. Wobei sich die Bunin-Begeisterung bei Dörlemann dem Erfolg eines winzigen Bandes verdankt, den der Verlag 2003 herausgebracht hatte: Swetlana Geiers Übersetzung der unscheinbaren, aber umso ungewöhnlicheren Liebeserzählung "Ein unbekannter Freund" aus dem Jahr 1923. Damit war Bunin plötzlich wieder auf Deutsch präsent, und mit der chronologisch geordneten Erzählungsausgabe, deren erster Band 2010 erschien, entsteht Stück für Stück die faszinierendste Klassikerausgabe, die wir haben - ein höchst ambitioniertes Langzeitprojekt für einen Kleinverlag, denn Bunin lebte und schrieb bis 1953, und schon die bis 1915 entstandenen Geschichten umfassen sechs Bände. Aber jeder lohnt sich, und der jüngste ist geradezu ein Wunder. Unheimlich in jeder Beziehung.

ANDREAS PLATTHAUS.

Iwan Bunin: "Ein Herr aus San Francisco". Erzählungen 1914/1915.

Aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg. Dörlemann Verlag, Zürich 2017. 240 S., geb., 25,- [Euro].

Gleich zu Beginn fragt der Erzähler sich und seine Leser, was es eigentlich mit der Liebe auf sich habe, zitiert den einschlägigen Korintherbrief und den nicht weniger einschlägigen Jazz-Standard "You don't know what love ist", streift die griechische Mythologie und die Naturkunde, um dann rasch auf den historischen Kern des Romans loszusteuern: Es geht um einen Mord, der am 5. Juni 1901 in Tiflis verübt wurde. Das Opfer war eine knapp vierunddreißigjährige gebürtige Norwegerin namens Dagny Juel, die mit dem polnischen Schriftsteller Stanislaw Przybyszewski verheiratet und mit ihrem fünfjährigen Sohn Zenon und ihrem Liebhaber Wladyslaw Emeryk in die georgische Metropole gereist war.

Einen "Seelenvampir" nennt der Erzähler die Frau, die er zur Hauptfigur seines Romans macht, eine, die "sexuelle Angst in die zerstörerische Ästhetik des Fin de Siècle" verwandelt habe und dergleichen mehr. Was sich an Mythen um Dagny Juel rankt, die Affären mit zeitgenössischen Berühmtheiten wie Edvard Munch, August Strindberg oder dem Verfasser von "Quo Vadis", Henryk Sienkiewicz, unterhielt, greift er auf, spinnt die Fäden weiter, scheut keinen Umweg und landet schließlich in einer phantastischen Geschichte um das romantitelgebende "Fest der Liebe", einberufen in Tiflis von Schamanen, die die Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts vorausahnen und verzweifelt versuchen, sie auf diese Weise zu verhindern. Eine Rolle spielen dabei das georgische Nationalepos, der Heilige Gral, ein ewiger Wettstreit zwischen Löwen und Leoparden, der Naturphilosoph Wascha-Pschawela, der junge Stalin und natürlich Dagny Juel.

"Unglücklicherweise ist das Liebesmahl von Tiflis gescheitert, durch Nachlässigkeit und einen schmutzigen Trick falscher Schamanen", schreibt der Erzähler verheißungsvoll ebenfalls zu Beginn des Romans. Dass wir einer höchst fragwürdigen Stimme lauschen, einem obsessionsgetriebenen Erzähler, der sich gern in Halluzinationen hineintrinkt, wird rasch deutlich, und aus der sich dadurch notwendig aufbauenden reservierten Haltung des Lesers und den immer neuen Volten des Erzählers, der offensichtlich um den Leser ebenso kämpft wie um ein Bild von Dagny, entwickelt der Roman einen eigenen Reiz.

Unterbrochen ist die Handlung, die im Juni 1901 in Tiflis spielt, durch Rückblicke auf Dagnys Leben, die erkennen lassen, welches verhängnisvolle Beziehungsgewebe zwischen ihr, ihrem Mann und ihrem späteren Mörder sowie einer Fülle weiterer Personen schon vor dem Aufbruch nach Georgien bestand, was zugleich immer wieder die Frage aufwirft, wie zwangsläufig die Entwicklung war, die dann zum Mord an Dagny führte.

Der georgische Autor Zurab Karumidze, geboren 1957 in Tiflis und ausgewiesener Jazzkenner, schrieb "Dagny" 2011 ursprünglich auf Englisch, so dass mit dieser Übersetzung das Buch kurioserweise auf Deutsch vorliegt, nicht aber in der Muttersprache des Autors. Vielleicht richtet es sich aber auch gar nicht so sehr an die Georgier selbst: Wer jedenfalls im Jahr des georgischen Gastlandauftritts auf der Frankfurter Buchmesse als Fremder einen Blick auf populäre Mythen und Gestalten der Geschichte des Landes werfen will, vermengt mit haarsträubenden, geradezu Sterne-haften Abschweifungen zur Sprache und Kultur, der findet davon hier reichlich.

TILMAN SPRECKELSEN.

Zurab Karumidze: "Dagny oder Ein Fest der Liebe". Roman.

Aus dem Englischen von Stefan Weidle. Weidle Verlag, Bonn 2017. 288 S., br., 23,- [Euro].

In der Kürze liegt die Würze - das gilt oft insbesondere für die roten Leinen-Bände des Wagenbach-Verlags, die schon manche Weltliteratur enthielten. Auf die Idee, umfangreiche Werke der Weltliteratur einzudampfen und nach Lust und Laune umzuschreiben, damit sie dem aktuellen Zeitgeist entsprechen, würde man in diesem Verlag aber wohl glücklicherweise nicht kommen. In der vorliegenden Satire des 1964 in Rom geborenen Antonio Manzini wird diese Idee dafür umso überspitzter ausgeführt: Da brüsten sich zwei vermeintliche Optimierer der Verlagsbranche damit, wie sie im Sinne einer neuen Lesbarkeit berühmte literarische Werke neu auflegen. Aus Tolstois "Krieg und Frieden" etwa wird kurzerhand der Krieg gestrichen, denn: "Man darf dem Leser keine Angst machen!", außerdem erscheint ihnen, man könne auch den französischen Anfang streichen, es geht auch "ohne Waterloo, kürzer. Nur dreihundert Seiten."

Für Iwan Gontscharows Antihelden Oblomow, den vielleicht größten Faulpelz der Literaturgeschichte, haben sie eine noch radikalere Kur: "Er macht Industrie, er wird Unternehmer und macht Liebe!" Die beiden Herren sind Vertreter eines neuen Mega-Verlagskonzerns, wirken indes wie ein Immobilienhai und ein russischer Inkasso-Eintreiber. Letzterer ist gerade auch dabei, Thomas Manns "Zauberberg" umzuschreiben. Sein Plan: "Weg mit Krankheit, weg Schwindsucht und Tuberkulose, rein Feen und Berggnome. Naphta und Settembrini zwei Elfen, was sonst für Zauberberg, sage ich?"

So unwirklich wie dem Leser erscheinen diese Spukgestalten der Buchindustrie zunächst auch der Hauptfigur der Erzählung: Die heißt Giorgio Volpe und wird als einer der bedeutendsten Schriftsteller Italiens vorgestellt. Er hat zu Beginn der Geschichte gerade ein Romanmanuskript abgeschlossen, das er für sein bestes hält, eine italienische Familiengeschichte aus der Zeit des Faschismus - und nun sitzen die beiden Optimierer mit aufgeklapptem Notebook auf seinem Sofa und wollen sie zur Veröffentlichung in einen Nazi-Porno umschreiben. Volpe hält das für einen Witz, doch als er versucht, seine Lektorin und seinen Verleger, Weggefährten über viele Jahre, zu erreichen, muss er feststellen, dass diese für seinen Verlag nicht mehr arbeiten, ja dass es diesen Verlag schon gar nicht mehr gibt. Stattdessen gibt es ein Unternehmen namens Sigma, in dem bestens manikürte, aber literarisch ahnungslose Rezeptionistinnen schalten und walten und in dem die neue Ober-Chefin die Traditionsautoren der geschluckten Verlage in "Produktcodes" verwandeln will: Das heißt, sie müssen fortan Kochbücher oder Fußballer-Biographien anstelle von Romanen verfassen. Im Zuge der Umstrukturierung des gesamten Buchmarkts wird italienische Literatur fortan durch den Begriff "Kommunikation in heimischer Mundart" ersetzt.

Als Volpe dieses kulturelle Horrorszenario fliehen will und versucht, seinen Roman bei einem noch unabhängigen Kleinverlag unterzubringen, nimmt die Geschichte eine thrillerhafte Wendung, die an Science-Fiction nach Art des "Circle" von Dave Eggers erinnert und in ein unheimliches Ende mündet.

Vieles an der Satire ist so krass überzeichnet, dass man sich tröstend sagen mag: So schlimm ist es ja noch nicht! Aber ihr Grundstoff ist eben doch der Wirklichkeit entnommen, einer Wirklichkeit, die nicht nur in Italien zu einer Konzernisierung der Verlagsbranche und zum Verschwinden editorischer Standards und belletristischer Traditionspflege führt, ja zum Verschwinden der Sprachpflege überhaupt. Die Karikatur der banalisierten und sensationalisierten Inhalte, die Manzini hier zeichnet, hat zudem nicht nur auf dem Buchmarkt, sondern besonders im (Online-)Journalismus schon heute traurigen Realitätsgehalt. Die Genese eines "Spitzentitels" immerhin, wie sie diese Erzählung am Ende beschreibt, vermag zu belustigen.

Wer es vielleicht einmal selbst versuchen will mit einem Spitzentitel, der findet in diesem Buch ein passendes Rezept: "Abenteuer ja. Krankheiten nein. Scheidung nein. Sex viel. Mit Tieren ja. Mann und Frau ja. Frau mit Frau ja. Mann mit Mann nein. Sie verstehen?" Wenn man sich so anschaut, was für Bücher heute massenhaft in den Schaufenstern der verbliebenen Buchhandlungen dekoriert werden, kann einem das Lachen aber auch im Halse steckenbleiben.

JAN WIELE.

Antonio Manzini: "Spitzentitel".

Aus dem Italienischen von Antje Peter. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2017. 80 S., geb., 15,- [Euro].

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