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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.03.2000

Schwarzmalerei soll erhellen
Aber Anwürfe gegen den Dalai Lama fallen auf den Autor zurück

Colin Goldner: Dalai Lama. Fall eines Gottkönigs. Alibri Verlag, Aschaffenburg 1999. 456 Seiten, 40 Abbildungen, 39,- Mark.

Colin Goldner, nach eigenen Angaben von Beruf Klinischer Psychologe und Wissenschaftsjournalist, nennt sein Buch "eine Studie". Sie sei "dazu angetan, den Heiligenschein des Dalai Lama abzumontieren". Nach der Lektüre, schreibt der Autor in der Einleitung, "werden viele Menschen ihr Bild des tibetischen ,Gottkönigs' sowie des von diesem repräsentierten Buddhismus gründlich revidieren müssen".

Eine kühne Behauptung. Tatsächlich müssen sie das nur, wenn sie sich den von Goldner vertretenen Ansichten anschließen, seinem Urteil folgen. Schon das vom Verfasser benutzte Vokabular könnte kritische Geister zum Widerspruch reizen. Goldners Ton ist an vielen Stellen unflätig. Das freundliche Lächeln des Dalai Lama bezeichnet Goldner als "dämliches Grinsen". Wenn der Dalai Lama spricht, kommen aus seinem Mund stets nur "abgedroschene Plattitüden", "Banalreden" und "aneinandergereihte Allgemeinplätze"; meistens "salbadert" das geistliche und weltliche Oberhaupt der Tibeter nach Meinung Goldners, oder es "schwafelt" und "schwadroniert". Seine Werbereisen für die Sache der Tibeter in alle Welt unternimmt der Dalai Lama "in wichtigtuerischer Manier". Einen Sinn vermag Goldner in dieser extensiven Reisetätigkeit nicht zu erkennen.

Goldner spricht im Titel seines Buches vom "Fall eines Gottkönigs". Darüber ließe sich diskutieren. Tatsächlich gehen westliche Tibet-Enthusiasten in ihrer Verehrung für den Dalai Lama bisweilen allzu leicht über die Schwächen dieses Mannes hinweg und verschweigen die Fehler, die er wie jeder Mensch macht. Der Dalai Lama ist nicht unfehlbar und will auch nicht so erscheinen. Kritik an ihm und seiner Exilregierung darf es aber nicht an dem Respekt fehlen lassen, der beiden gebührt. Goldner polemisiert nicht nur respektlos, sondern beleidigend. Er ist besessen von der Vorstellung, er müsse einem möglichst großen Publikum unbedingt die Augen öffnen über eine seiner Meinung nach zu Unrecht hochverehrte "Symbolfigur für Friedfertigkeit, Weisheit und unendliche Gelassenheit". In Wahrheit sei dieses "Image" nur eine "schwärmerische Projektion, basierend auf grober Unkenntnis der tatsächlichen Zusammenhänge". Also müsse man "hinter die Fassade blicken".

Goldner hat dort nur Negatives entdeckt, sowohl, was die Zustände im Tibet der vorchinesischen Zeit angeht, als auch, was die Person des Dalai Lama und die Verhältnisse bei den Exil-Tibetern betrifft. Schwarzmalerei in dieser Menge und in so herabsetzendem, verletzendem Jargon gibt es nicht alle Tage. Wer so etwas schätzt, kommt bei Goldner auf seine Kosten. Wie der Autor mit einem solchen Pamphlet allerdings seriöse Anhänger für seine Thesen gewinnen will, bleibt sein Geheimnis. Wenn alles zuträfe, was er schreibt, müsste die unter chinesischer Herrschaft lebende tibetische Bevölkerung unablässig laut jubeln über ihre Befreiung vom Joch der vom Dalai Lama geleiteten Mönchsdiktatur in ihrem Lande. Merkwürdigerweise tut sie das aber nicht, und der Dalai Lama genießt auch nach 40 Jahren Exil in Indien immer noch allerhöchste Wertschätzung in seiner Heimat. Nach wie vor halten die Tibeter auch hartnäckig an ihrer Religion und an ihrer alten Kultur fest, die Goldner nicht müde wird, schlecht zu machen. Da scheint also wohl doch einiges nicht zu stimmen in Goldners einseitig-polemischer Darstellung der Dinge.

Folter? Alles "maßlos übertrieben", sagt Goldner; ebenso das Gerede über chinesischen Einwanderungsdruck. Für Goldner ist das "antichinesische Propaganda". Obwohl er am Anfang seines Buches bekundet, "um allfälliger Kritik zuvorzukommen", dass sein Interesse "den Menschen in Tibet" gelte, "ihrer sozialen Befreiung und individuellen Selbstbestimmung - frei vom gewalttätigen religiösen Feudalismus der tibetischen Lamas und frei von der chinesischen Militärdiktatur", ist von diesem Interesse in seiner "Studie" wenig zu spüren. Doch urteile jeder selbst, der sich von dem hier Gesagten nicht abschrecken lassen will.

KLAUS NATORP

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