Die aktuelle Biografie des Vierzehnten Dalai Lama ermöglicht einen intimen Einblick in die bewegte Lebensgeschichte des spirituellen Oberhaupts der Tibeter. Verfasst von seinem Sekretär Tenzin Geyche Tethong, zeichnet der mit rund vierhundert bisher unveröffentlichten Fotografien, Interviews und persönlichen Erinnerungen aufwendig gestaltete Bildband das denkwürdige Porträt einer der eindrucksvollsten Persönlichkeiten unserer Zeit. Tethong schildert das dramatische Leben des inzwischen sechsundachtzigjährigen Dalai Lama, der im Alter von zwei Jahren als Wiedergeburt seines Vorgängers aufgefunden wurde, als Fünfzehnjähriger der Großmacht China entgegentreten musste und seit über sechzig Jahren seine Heimat Tibet nicht wiedergesehen hat. Ergänzt werden die zeitgeschichtlichen Dokumente durch Abbildungen von Wandgemälden und Buchillustrationen, die die historische Stellung der Dalai Lamas veranschaulichen.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Julia C. Schneider begrüßt diese Biografie des Dalai Lama, denn sie ruft das Schicksal der Tibeter in Erinnerung, das in den vergangenen Jahren aus dem Blickfeld der internationalen Öffentlichkeit gerückt ist. Wer will sich schon mit China anlegen. Schneider rekapituliert in ihrer Besprechung ausführlich die Geschichte Tibets unter chinesischer Herrschaft wie auch das Leben des Lhamo Döndrub, der als Einjähriger im Jahr 1936 als Wiedergeburt des Dalai Lamas identifiziert wurde und somit an die Spitze der tibetischen Theokratie gelangte. Zu dem Buch selbst, das ein mit Tenzin Geyche Tethong ein enger Mitarbeiter des Dalai Lama verfasst hat, schweigt sie sich aus.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.08.2021Unermüdlich für Tibet
Eine Biographie über den Dalai Lama und den Konflikt mit China
Pünktlich zum 85. Geburtstag des vierzehnten Dalai Lama im Jahr 2020 erschien seine illustrierte Biographie, die nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Tenzin Geyche Tethong, bis 2006 enger Mitarbeiter des Dalai Lama, hat sie zusammen mit Bildredakteurin Jane Moore verfasst. Vor allem die teilweise nie zuvor veröffentlichten Fotos, die auch aus den Familienalben des Dalai Lama stammen, lassen Leser und Betrachter die Lebensgeschichte dieses Mannes, die nicht ohne die jüngere Geschichte Tibets erzählt werden kann, oft sehr persönlich nachverfolgen. Obwohl der Dalai Lama seit mehr als sechzig Jahren Tibet, als dessen Oberhaupt ihn viele Tibeter immer noch sehen, nicht mehr betreten konnte, sieht er sein Leben aufs Engste mit dem Schicksal der Menschen dort verknüpft und setzt sich bis heute friedlich, aber beharrlich für ihre Belange ein.
1935 kam Lhamo Döndrub als einfacher Bauernsohn in der tibetischen Provinz Amdo zur Welt und wurde 1936 als Wiedergeburt des Dalai Lama identifiziert. Aufgrund der chaotischen politischen Lage musste er zunächst im Kloster Kumbum bleiben und konnte erst 1939 nach Lhasa reisen. Die Geschenke, die die britische Gesandtschaft ihm zu seiner Inthronisierung 1940 brachte, machen deutlich, dass der Dalai Lama zwar ein lebender Bodhisattva, trotz allem jedoch noch ein Kind war: Er bekam ein Tretauto und ein Dreirad. In Lhasa lebte er getrennt von seiner Familie, sah sie jedoch häufig. Sechs seiner Geschwister überlebten das Kindesalter, mit ihnen sowie mit seiner Mutter hatte beziehungsweise hat er ein enges Verhältnis.
Während seiner Minderjährigkeit vertrat ihn ein Regent als Regierungsoberhaupt. Die dunklen Seiten der tibetischen Theokratie zeigen sich in der Inhaftierung und Ermordung des Regenten Reting Rinpoche durch seinen Konkurrenten Tadrag Rinpoche. Es handelte sich um eine Konkurrenzkampf, dem wohl auch der Vater des Dalai Lama zum Opfer fiel. Er starb 1947, vermutlich an einer Vergiftung.
1949 wurde die Volksrepublik China gegründet. Schnell rückte Tibet in den Mittelpunkt des geopolitischen Interesses Chinas. Bereits 1950 besetzte die Volksbefreiungsarmee (VBA) die tibetische Provinz Kham. Um der chinesischen Aggression zu begegnen, wurde der Dalai Lama mit nur fünfzehn Jahren zum Regierungsoberhaupt, doch dies konnte die Besetzung ganz Tibets durch die VBA nicht verhindern. Die persönliche Bedrohung des Dalai Lama wurde immer klarer. Als am 10. März 1959 der Tibet-Aufstand aufflammte, riet das Staatsorakel von Nechung zur Flucht. Am Abend des 17. März verließ der Dalai Lama Lhasa Richtung Indien. Er sollte seine Heimat nie wiedersehen.
Die indische Regierung, die bis heute in den chinesisch-tibetischen Beziehungen eine wichtige Rolle spielt, bot dem Dalai Lama und vielen tibetischen Flüchtlingen in Dharamsala Zuflucht. Als der Dalai Lama 1959 den Fall Tibets vor die Vereinten Nationen brachte, blickten alle Staaten auf Indien. Indien unterzeichnete den Resolutionsentwurf allerdings nicht, und deshalb taten es auch die anderen Staaten nicht. Erst vor dem Hintergrund des indisch-chinesischen Grenzkriegs stimmte Indien dem dritten Entwurf einer Tibet-Resolution 1965 schließlich zu.
Die USA verfolgten zunächst eine klare Anti-China-Politik. Dazu gehörte auch die Unterstützung der tibetischen Widerstandsgruppe Chushi Gangdruk durch die CIA. 1969 stellte Präsident Richard Nixon die Unterstützung allerdings ein, da dies Maos Bedingung für die chinesisch-amerikanische Annäherung war. Die Chushi Gangdruk kämpften dennoch von Nepal aus weiter. Als Nepal sie 1974 entwaffnen wollte, rief der Dalai Lama die Kämpfer auf, sich zu ergeben. Einige nahmen sich aus Verzweiflung das Leben: Sie wollten dem Dalai Lama nicht widersprechen, aber auch nicht kapitulieren.
Während die tibetischen Flüchtlinge in Indien ihre Kultur pflegen konnten, war die Situation der Tibeter, die unter chinesischer Herrschaft lebten, von Unterdrückung geprägt. Dennoch bot Deng Xiaoping dem Dalai Lama 1979 an, eine Gesandtschaft nach Tibet zu schicken, um ihn von den positiven Entwicklungen dort zu überzeugen. Vielleicht glaubte Deng selbst, dass die Lebenssituation der Tibeter sich unter kommunistischer Herrschaft verbessert habe. Eine tibetische Delegation durfte fünf Monate lang durch Tibet reisen, wo sie von den Tibetern begeistert empfangen wurde. Der Bericht der Delegierten war schließlich vernichtend: Die Tibeter würden als Menschen zweiter Klasse behandelt, Sprache, Lebensweise und Religion seien bedroht.
1987 machte der Dalai Lama mit dem Fünf-Punkte-Plan einen konkreten Lösungsvorschlag zur Tibet-Frage. Peking lehnte jedoch jegliche Gespräche ab, was Proteste in Tibet, die bis 1989 andauerten, nach sich zog. Nachdem zu Beginn von Dengs Amtszeit noch Hoffnung geherrscht hatte, zeigte der Einsatz von Schusswaffen in Lhasa - ebenso wie später auf dem Tiananmen-Platz - dass Peking nicht an friedlichen Lösungen interessiert war. Die letzten großen Proteste waren 2008 die Unruhen in Lhasa, danach waren es vor allem Selbstverbrennungen, mit denen einzelne Tibeter ihrem Protest gegen die chinesische Regierung Ausdruck verliehen.
Trotz der immer größer werdenden Bekanntheit und Beliebtheit des Dalai Lama, nicht zuletzt wegen der Verleihung des Friedensnobelpreises 1989, und seiner zahllosen Treffen mit politischen und religiösen Führungspersönlichkeiten aus aller Welt ist Tibet nach wie vor nicht autonom. Vor allem aber können Tibeter in Tibet ihre Sprache, Religion und Kultur nicht frei ausleben. In den vergangenen Jahren scheint das internationale Interesse an dieser völkerrechtswidrigen Situation aufgrund wirtschaftspolitischer Erwägungen und einer lähmenden Verzweiflung angesichts der vielen Menschrechtsverstöße Chinas weiter abgenommen zu haben. Es ist gut, dass dieses Buch die Situation Tibets anhand der Biographie des Dalai Lama als wichtigsten Fürsprechers wieder deutlich in Erinnerung ruft.
JULIA C. SCHNEIDER.
Tenzin Geyche Tethong: Dalai Lama. Eine illustrierte Biografie. Mit einem Vorwort von Tendzin Choegyal (Ingari Rinpoche).
Insel Verlag, Berlin 2021. 351 S., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine Biographie über den Dalai Lama und den Konflikt mit China
Pünktlich zum 85. Geburtstag des vierzehnten Dalai Lama im Jahr 2020 erschien seine illustrierte Biographie, die nun auch in deutscher Übersetzung vorliegt. Tenzin Geyche Tethong, bis 2006 enger Mitarbeiter des Dalai Lama, hat sie zusammen mit Bildredakteurin Jane Moore verfasst. Vor allem die teilweise nie zuvor veröffentlichten Fotos, die auch aus den Familienalben des Dalai Lama stammen, lassen Leser und Betrachter die Lebensgeschichte dieses Mannes, die nicht ohne die jüngere Geschichte Tibets erzählt werden kann, oft sehr persönlich nachverfolgen. Obwohl der Dalai Lama seit mehr als sechzig Jahren Tibet, als dessen Oberhaupt ihn viele Tibeter immer noch sehen, nicht mehr betreten konnte, sieht er sein Leben aufs Engste mit dem Schicksal der Menschen dort verknüpft und setzt sich bis heute friedlich, aber beharrlich für ihre Belange ein.
1935 kam Lhamo Döndrub als einfacher Bauernsohn in der tibetischen Provinz Amdo zur Welt und wurde 1936 als Wiedergeburt des Dalai Lama identifiziert. Aufgrund der chaotischen politischen Lage musste er zunächst im Kloster Kumbum bleiben und konnte erst 1939 nach Lhasa reisen. Die Geschenke, die die britische Gesandtschaft ihm zu seiner Inthronisierung 1940 brachte, machen deutlich, dass der Dalai Lama zwar ein lebender Bodhisattva, trotz allem jedoch noch ein Kind war: Er bekam ein Tretauto und ein Dreirad. In Lhasa lebte er getrennt von seiner Familie, sah sie jedoch häufig. Sechs seiner Geschwister überlebten das Kindesalter, mit ihnen sowie mit seiner Mutter hatte beziehungsweise hat er ein enges Verhältnis.
Während seiner Minderjährigkeit vertrat ihn ein Regent als Regierungsoberhaupt. Die dunklen Seiten der tibetischen Theokratie zeigen sich in der Inhaftierung und Ermordung des Regenten Reting Rinpoche durch seinen Konkurrenten Tadrag Rinpoche. Es handelte sich um eine Konkurrenzkampf, dem wohl auch der Vater des Dalai Lama zum Opfer fiel. Er starb 1947, vermutlich an einer Vergiftung.
1949 wurde die Volksrepublik China gegründet. Schnell rückte Tibet in den Mittelpunkt des geopolitischen Interesses Chinas. Bereits 1950 besetzte die Volksbefreiungsarmee (VBA) die tibetische Provinz Kham. Um der chinesischen Aggression zu begegnen, wurde der Dalai Lama mit nur fünfzehn Jahren zum Regierungsoberhaupt, doch dies konnte die Besetzung ganz Tibets durch die VBA nicht verhindern. Die persönliche Bedrohung des Dalai Lama wurde immer klarer. Als am 10. März 1959 der Tibet-Aufstand aufflammte, riet das Staatsorakel von Nechung zur Flucht. Am Abend des 17. März verließ der Dalai Lama Lhasa Richtung Indien. Er sollte seine Heimat nie wiedersehen.
Die indische Regierung, die bis heute in den chinesisch-tibetischen Beziehungen eine wichtige Rolle spielt, bot dem Dalai Lama und vielen tibetischen Flüchtlingen in Dharamsala Zuflucht. Als der Dalai Lama 1959 den Fall Tibets vor die Vereinten Nationen brachte, blickten alle Staaten auf Indien. Indien unterzeichnete den Resolutionsentwurf allerdings nicht, und deshalb taten es auch die anderen Staaten nicht. Erst vor dem Hintergrund des indisch-chinesischen Grenzkriegs stimmte Indien dem dritten Entwurf einer Tibet-Resolution 1965 schließlich zu.
Die USA verfolgten zunächst eine klare Anti-China-Politik. Dazu gehörte auch die Unterstützung der tibetischen Widerstandsgruppe Chushi Gangdruk durch die CIA. 1969 stellte Präsident Richard Nixon die Unterstützung allerdings ein, da dies Maos Bedingung für die chinesisch-amerikanische Annäherung war. Die Chushi Gangdruk kämpften dennoch von Nepal aus weiter. Als Nepal sie 1974 entwaffnen wollte, rief der Dalai Lama die Kämpfer auf, sich zu ergeben. Einige nahmen sich aus Verzweiflung das Leben: Sie wollten dem Dalai Lama nicht widersprechen, aber auch nicht kapitulieren.
Während die tibetischen Flüchtlinge in Indien ihre Kultur pflegen konnten, war die Situation der Tibeter, die unter chinesischer Herrschaft lebten, von Unterdrückung geprägt. Dennoch bot Deng Xiaoping dem Dalai Lama 1979 an, eine Gesandtschaft nach Tibet zu schicken, um ihn von den positiven Entwicklungen dort zu überzeugen. Vielleicht glaubte Deng selbst, dass die Lebenssituation der Tibeter sich unter kommunistischer Herrschaft verbessert habe. Eine tibetische Delegation durfte fünf Monate lang durch Tibet reisen, wo sie von den Tibetern begeistert empfangen wurde. Der Bericht der Delegierten war schließlich vernichtend: Die Tibeter würden als Menschen zweiter Klasse behandelt, Sprache, Lebensweise und Religion seien bedroht.
1987 machte der Dalai Lama mit dem Fünf-Punkte-Plan einen konkreten Lösungsvorschlag zur Tibet-Frage. Peking lehnte jedoch jegliche Gespräche ab, was Proteste in Tibet, die bis 1989 andauerten, nach sich zog. Nachdem zu Beginn von Dengs Amtszeit noch Hoffnung geherrscht hatte, zeigte der Einsatz von Schusswaffen in Lhasa - ebenso wie später auf dem Tiananmen-Platz - dass Peking nicht an friedlichen Lösungen interessiert war. Die letzten großen Proteste waren 2008 die Unruhen in Lhasa, danach waren es vor allem Selbstverbrennungen, mit denen einzelne Tibeter ihrem Protest gegen die chinesische Regierung Ausdruck verliehen.
Trotz der immer größer werdenden Bekanntheit und Beliebtheit des Dalai Lama, nicht zuletzt wegen der Verleihung des Friedensnobelpreises 1989, und seiner zahllosen Treffen mit politischen und religiösen Führungspersönlichkeiten aus aller Welt ist Tibet nach wie vor nicht autonom. Vor allem aber können Tibeter in Tibet ihre Sprache, Religion und Kultur nicht frei ausleben. In den vergangenen Jahren scheint das internationale Interesse an dieser völkerrechtswidrigen Situation aufgrund wirtschaftspolitischer Erwägungen und einer lähmenden Verzweiflung angesichts der vielen Menschrechtsverstöße Chinas weiter abgenommen zu haben. Es ist gut, dass dieses Buch die Situation Tibets anhand der Biographie des Dalai Lama als wichtigsten Fürsprechers wieder deutlich in Erinnerung ruft.
JULIA C. SCHNEIDER.
Tenzin Geyche Tethong: Dalai Lama. Eine illustrierte Biografie. Mit einem Vorwort von Tendzin Choegyal (Ingari Rinpoche).
Insel Verlag, Berlin 2021. 351 S., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Es ist gut, dass dieses Buch die Situation Tibets anhand der Biographie des Dalai Lama als wichtigsten Fürsprechers wieder deutlich in Erinnerung ruft.« Julia C. Schneider Frankfurter Allgemeine Zeitung 20210831