Kann Deutschland Heimat werden für eine nach dem Krieg geborene Jüdin? Barbara Honigmann ist 1984 von Ost-Berlin nach Straßburg gezogen. Von dort, von ihrer neuen fremden Heimat aus, erkundet sie die zwei Seiten ihres Lebens: Das "Damals", die vergangenen Spuren ihrer Familiengeschichte, und das "Danach", ihre Gegenwart, die von der Vergangenheit geprägt bleibt. Ein überaus persönliches Buch, das davon erzählt, wie eng Gestern und Heute verknüpft sind.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.05.1999Friede, Freude, Sauerteig
Koscher light: Barbara Honigmann feiert ihren Straßburger Alltag
"Selbstporträt als Jüdin" heißt eines der neun Kapitel in Barbara Honigmanns jüngstem Buch, eine Überschrift, die das gesamte bisherige Werk der fünfzigjährigen Autorin charakterisiert. Von dem "großen Sprung" in ihrer Biographie hat sie schon in verschiedenen früheren Büchern erzählt: Die Tochter jüdischer Emigranten verbrachte ihre Kindheit und Jugend im Osten Berlins, wohin ihre Eltern nach dem Krieg aus dem englischen Exil zurückgekehrt waren. Die eigene Vergangenheit, gar die Auseinandersetzung mit der jüdischen Tradition, blieb für die Eltern ein Tabu. Barbara Honigmann entwickelte jedoch früh ein ausgeprägtes Interesse an ihrer Herkunft, das sie selbstironisch als "jüdischen Tick" bezeichnet.
Als Malerin, Dramaturgin und Theaterautorin blieb sie in der durchorganisierten Gesellschaft der DDR eine Außenseiterin und übernahm im Freundeskreis die Rolle einer "Gertrude Stein vom Prenzlauer Berg". In Ost-Berlin fand die junge Frau Kontakt zu anderen Juden und übersiedelte 1984 nach Straßburg. Dort lebt sie seitdem mit ihrer Familie in der großen jüdisch-orthodoxen Gemeinde, die stark von den sephardischen Einwanderern aus Nordafrika geprägt wird und sich von zionistischem Eifer freundlich distanziert. Honigmanns Roman "Soharas Reise" (1996) zeichnete ein buntes Bild dieser jüdischen Lebenswelt mitten im heutigen Europa.
Diesmal erzählt Barbara Honigmann allerdings nicht von erfundenen Gestalten, sondern führt ihre Leser unmittelbar in ihren eigenen Straßburger Alltag. Dazu gehört das Tora-Studium, das sie seit über zehn Jahren gemeinsam mit vier Freundinnen betreibt und das einen wichtigen Fixpunkt in ihrem Wochenrhythmus bildet. Anschaulich schildert die Autorin die Versuche der Familienmütter, die traditionellen Gebote der jüdischen Religion mit den großen und kleinen Widrigkeiten des Alltags zu verbinden, was oft genug Kompromisse notwendig macht. Mit fröhlichem Selbstbewußtsein bezeichnet Barbara Honigmann ihre Version gelebten Judentums als "koscher light". Den jüdischen Festkalender respektiert ihre Familie allerdings gewissenhaft, deshalb muß vor dem Pessahfest zum Kummer der Hausfrauen auch noch der letzte Krümel Sauerteig aus den Wohnungen gefegt werden.
Der Reiz dieser Schilderungen liegt vor allem in ihrer Alltäglichkeit, fehlt hierzulande doch seit langem die Anschauung lebendiger jüdischer Tradition. Deshalb versteht Barbara Honigmann ihre Aufzeichnungen auch als Plädoyer für größere Normalität im Zusammenleben: "Die Deutschen wissen gar nicht mehr, was Juden sind, wissen nur, daß da eine schreckliche Geschichte zwischen ihnen liegt, und jeder Jude, der auftauchte, erinnerte sie an diese Geschichte, die immer noch weh tut und auf die Nerven geht."
Honigmann macht sich allerdings keine Illusionen darüber, wie anstrengend und langwierig dieser Weg zu größerer Unbefangenheit zwischen Juden und Deutschen ist, hat sie sich doch selbst für ein Leben außerhalb Deutschlands entschieden. Mit diesem persönlichen Exodus reiht sie sich ein in eine lange Kette jüdischer Wanderer, für die sie in den alten biblischen Geschichten wie in ihrer eigenen Familie zahlreiche Beispiele findet. Die Spurensuche in ihrer Verwandtschaft führt zu Gräbern in London und Wien, wobei aus persönlichen Erinnerungen ein facettenreiches Mosaik der Geschichte der europäischen Juden im 19. und im 20. Jahrhundert entsteht.
Ihre eigene Kunst stellt die Schriftstellerin und Malerin in die väterliche Linie des liberalen Judentums. Über drei Generationen haben die Männer ihrer Familie Literatur als Möglichkeit der Aufklärung und der persönlichen Entwicklung erfahren. Unbeeindruckt von der Dominanz männlicher Vorbilder konzentriert sich Barbara Honigmann in ihrem Buch jedoch vor allem auf die weiblichen Aspekte des familiären Alltags, und obwohl sie dies nicht ausdrücklich für sich beansprucht, zeigt sich hier im Ansatz eine feministische Auslegung jüdischer Überlieferungen, die die traditionelle Verteilung der Geschlechterrollen nachhaltig in Frage stellt. Denn wenn die Künstlerin ihre Schaffensfreude bei der Entstehung eines Romans oder eines Selbstbildnisses beschreibt, greift sie auf Vokabeln des biblischen Schöpfungsberichtes zurück, versetzt sich also kühn in die Position Gottes, der das ursprüngliche Chaos in eine sinnvolle Ordnung verwandelt. Zugleich erzählt sie stolz von der Anerkennung, mit der ein marokkanischer Rabbiner ihre Bilder der Straßburger Freunde betrachtet - als hätte es nie das Bilderverbot der Tora gegeben. So übernimmt die Kunst eine zentrale Aufgabe in der Artikulation jüdischen Selbstverständnisses. Das weckt Neugier auf Barbara Honigmanns nächsten Roman.
SABINE DOERING
Barbara Honigmann: "Damals, dann und danach". Carl Hanser Verlag, München und Wien 1999. 136 S., geb., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Koscher light: Barbara Honigmann feiert ihren Straßburger Alltag
"Selbstporträt als Jüdin" heißt eines der neun Kapitel in Barbara Honigmanns jüngstem Buch, eine Überschrift, die das gesamte bisherige Werk der fünfzigjährigen Autorin charakterisiert. Von dem "großen Sprung" in ihrer Biographie hat sie schon in verschiedenen früheren Büchern erzählt: Die Tochter jüdischer Emigranten verbrachte ihre Kindheit und Jugend im Osten Berlins, wohin ihre Eltern nach dem Krieg aus dem englischen Exil zurückgekehrt waren. Die eigene Vergangenheit, gar die Auseinandersetzung mit der jüdischen Tradition, blieb für die Eltern ein Tabu. Barbara Honigmann entwickelte jedoch früh ein ausgeprägtes Interesse an ihrer Herkunft, das sie selbstironisch als "jüdischen Tick" bezeichnet.
Als Malerin, Dramaturgin und Theaterautorin blieb sie in der durchorganisierten Gesellschaft der DDR eine Außenseiterin und übernahm im Freundeskreis die Rolle einer "Gertrude Stein vom Prenzlauer Berg". In Ost-Berlin fand die junge Frau Kontakt zu anderen Juden und übersiedelte 1984 nach Straßburg. Dort lebt sie seitdem mit ihrer Familie in der großen jüdisch-orthodoxen Gemeinde, die stark von den sephardischen Einwanderern aus Nordafrika geprägt wird und sich von zionistischem Eifer freundlich distanziert. Honigmanns Roman "Soharas Reise" (1996) zeichnete ein buntes Bild dieser jüdischen Lebenswelt mitten im heutigen Europa.
Diesmal erzählt Barbara Honigmann allerdings nicht von erfundenen Gestalten, sondern führt ihre Leser unmittelbar in ihren eigenen Straßburger Alltag. Dazu gehört das Tora-Studium, das sie seit über zehn Jahren gemeinsam mit vier Freundinnen betreibt und das einen wichtigen Fixpunkt in ihrem Wochenrhythmus bildet. Anschaulich schildert die Autorin die Versuche der Familienmütter, die traditionellen Gebote der jüdischen Religion mit den großen und kleinen Widrigkeiten des Alltags zu verbinden, was oft genug Kompromisse notwendig macht. Mit fröhlichem Selbstbewußtsein bezeichnet Barbara Honigmann ihre Version gelebten Judentums als "koscher light". Den jüdischen Festkalender respektiert ihre Familie allerdings gewissenhaft, deshalb muß vor dem Pessahfest zum Kummer der Hausfrauen auch noch der letzte Krümel Sauerteig aus den Wohnungen gefegt werden.
Der Reiz dieser Schilderungen liegt vor allem in ihrer Alltäglichkeit, fehlt hierzulande doch seit langem die Anschauung lebendiger jüdischer Tradition. Deshalb versteht Barbara Honigmann ihre Aufzeichnungen auch als Plädoyer für größere Normalität im Zusammenleben: "Die Deutschen wissen gar nicht mehr, was Juden sind, wissen nur, daß da eine schreckliche Geschichte zwischen ihnen liegt, und jeder Jude, der auftauchte, erinnerte sie an diese Geschichte, die immer noch weh tut und auf die Nerven geht."
Honigmann macht sich allerdings keine Illusionen darüber, wie anstrengend und langwierig dieser Weg zu größerer Unbefangenheit zwischen Juden und Deutschen ist, hat sie sich doch selbst für ein Leben außerhalb Deutschlands entschieden. Mit diesem persönlichen Exodus reiht sie sich ein in eine lange Kette jüdischer Wanderer, für die sie in den alten biblischen Geschichten wie in ihrer eigenen Familie zahlreiche Beispiele findet. Die Spurensuche in ihrer Verwandtschaft führt zu Gräbern in London und Wien, wobei aus persönlichen Erinnerungen ein facettenreiches Mosaik der Geschichte der europäischen Juden im 19. und im 20. Jahrhundert entsteht.
Ihre eigene Kunst stellt die Schriftstellerin und Malerin in die väterliche Linie des liberalen Judentums. Über drei Generationen haben die Männer ihrer Familie Literatur als Möglichkeit der Aufklärung und der persönlichen Entwicklung erfahren. Unbeeindruckt von der Dominanz männlicher Vorbilder konzentriert sich Barbara Honigmann in ihrem Buch jedoch vor allem auf die weiblichen Aspekte des familiären Alltags, und obwohl sie dies nicht ausdrücklich für sich beansprucht, zeigt sich hier im Ansatz eine feministische Auslegung jüdischer Überlieferungen, die die traditionelle Verteilung der Geschlechterrollen nachhaltig in Frage stellt. Denn wenn die Künstlerin ihre Schaffensfreude bei der Entstehung eines Romans oder eines Selbstbildnisses beschreibt, greift sie auf Vokabeln des biblischen Schöpfungsberichtes zurück, versetzt sich also kühn in die Position Gottes, der das ursprüngliche Chaos in eine sinnvolle Ordnung verwandelt. Zugleich erzählt sie stolz von der Anerkennung, mit der ein marokkanischer Rabbiner ihre Bilder der Straßburger Freunde betrachtet - als hätte es nie das Bilderverbot der Tora gegeben. So übernimmt die Kunst eine zentrale Aufgabe in der Artikulation jüdischen Selbstverständnisses. Das weckt Neugier auf Barbara Honigmanns nächsten Roman.
SABINE DOERING
Barbara Honigmann: "Damals, dann und danach". Carl Hanser Verlag, München und Wien 1999. 136 S., geb., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Kein prunkender Stil und erst recht keine >Erzähltechnik< soll die Schwere den Inhaltes überwölben. So spricht diese Autorin von einer Existenz zwischen den Zeiten: mutig, direkt, schonungslos klar und da, wo sie die Kreise der Vergangenheit in ihrer heutigen Umgebung zusammenzieht, mit einer einzigartigen, berührenden Wärme."
Hanns-Joseph Ortheil, Neue Zürcher Zeitung, 04./05.12.1999
Hanns-Joseph Ortheil, Neue Zürcher Zeitung, 04./05.12.1999