Ein Spitzenpolitiker steht Rede und Antwort
Thomas de Maizière steht Rede und Antwort. Dabei nimmt er die Politik und sich selbst in die Pflicht, weil er nicht möchte, dass in diesem Land die Banken, die Unternehmen, die Gewerkschaften regieren. Wann aber funktioniert Politik, wann dient sie den Menschen - und wann nicht? Welchen Anspruch hat er an sich selbst? Kurzum, was heißt das: Macht und Regieren?
In diesem Buch gewährt de Maizière außergewöhnlich tiefe Einblicke in das Innenleben der Politik. Er äußert sich offen über bedeutende politische Ereignisse wie die Verhandlungen zur Wiedervereinigung oder den Kampf der Großen Koalition gegen die Weltfinanzkrise. Mit Leidenschaft verteidigt er die Politik - und spart dabei nicht mit Kritik, auch an der eigenen Partei. Gleichzeitig wehrt er sich vehement gegen die weitverbreitete Stimmung, Politiker seien korrupt, egoistisch und könnten das Land nicht regieren. Er spricht über das Fundament seiner Werte, die Verantwortung von Soldaten und die historische Schuld des Militärs im Zweiten Weltkrieg; über die Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit und erlaubte Notlügen; über seinen Glauben an die Auferstehung; wie ihn Niederlagen und Verletzungen weiterbringen und welche Ratschläge seines Vaters er noch heute berücksichtigt.
Thomas de Maizière steht Rede und Antwort. Dabei nimmt er die Politik und sich selbst in die Pflicht, weil er nicht möchte, dass in diesem Land die Banken, die Unternehmen, die Gewerkschaften regieren. Wann aber funktioniert Politik, wann dient sie den Menschen - und wann nicht? Welchen Anspruch hat er an sich selbst? Kurzum, was heißt das: Macht und Regieren?
In diesem Buch gewährt de Maizière außergewöhnlich tiefe Einblicke in das Innenleben der Politik. Er äußert sich offen über bedeutende politische Ereignisse wie die Verhandlungen zur Wiedervereinigung oder den Kampf der Großen Koalition gegen die Weltfinanzkrise. Mit Leidenschaft verteidigt er die Politik - und spart dabei nicht mit Kritik, auch an der eigenen Partei. Gleichzeitig wehrt er sich vehement gegen die weitverbreitete Stimmung, Politiker seien korrupt, egoistisch und könnten das Land nicht regieren. Er spricht über das Fundament seiner Werte, die Verantwortung von Soldaten und die historische Schuld des Militärs im Zweiten Weltkrieg; über die Verpflichtung zur Wahrhaftigkeit und erlaubte Notlügen; über seinen Glauben an die Auferstehung; wie ihn Niederlagen und Verletzungen weiterbringen und welche Ratschläge seines Vaters er noch heute berücksichtigt.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Heinrich Wefing kann diesem Buch des Verteidigungsministers Thomas de Maizière viel abgewinnen, der sich darin als ein tüchtiger Vertreter der preußischen Funktionärsaristokratie präsentiert, der Politik eher aus dem Apparat heraus gestaltet als in der Hitze des öffentlichen Gefechts. Im Gespräch mit dem SZ-Redakteur erzählt de Maizière von seiner Jugend als Sohn eines Bundeswehr-Offiziers in Bonn, seine Beamtenkarriere in verschiedenen Ministerien, seine Arbeit als Ministers. Enthüllungen sollte man sich lieber nicht erwarten, baut Wefing falschen Erwartungen vor, was man von de Maizière erfahren kann, ist die Erklärung politischer Technik: Wie werden Informationen gesteuert, wie Regierungspolitik gestaltet, Koalitionen organisiert. Interessant erscheinen Wefing aber auch die inhaltlichen Fragen, die de Maizière aufwirft, etwa wie abhängig eine Informationsgesellschaft von Großkonzernen werden darf.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"[Es] ist ein eingehendes Interview entstanden, das de Maizière Gelegenheit gibt, einige Gedanken zu entfalten, in Ruhe, nicht in fernsehtauglichen Schnipseln." Die Zeit
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.02.2019Berlin direkt
Thomas de Maizière erzählt verständlich und präzise,
wie Politik funktioniert. Nur einmal wird er scharf
VON DETLEF ESSLINGER
Man wüsste ja zu gerne, wie diese „selbstbewussten Unternehmensführer“ hießen, über die er schreibt. Sie konnten „eine Frage der Bundeskanzlerin nicht beantworten, weil sie nicht Teil der vorbereiteten Unterlagen war“, sie wurden dann „plötzlich unsicher und fahrig“. Oder welche Kabinettskollegen er hier meint: „lautstark und polemisch in der Sprache“, aber Pressekonferenzen schon deshalb scheuend, „weil sie wussten, dass sie da nicht bestehen können“. Und wer mag wohl der „bedeutende Journalist“ gewesen sein, der ihm gebeichtet habe, „dass er seine Kommentare nicht für die normalen Zeitungsleser, sondern eigentlich für uns Politiker schreibt“. Tsss, solche Leute gibt’s?
Seit knapp einem Jahr ist Thomas de Maizière kein Minister mehr. Zur „Wiederankunft“ im normalen Leben, wie er selber sagt, legt er nun ein Buch vor, für das er bereits in der Regierung die Idee hatte. Es erscheint an diesem Montag und ist nicht als Memoiren angelegt; zum Glück. Memoiren sind oft Dutzendware: erstens, weil Schreiben ein Handwerk ist, wie Regieren übrigens auch; indes ein Handwerk, das die wenigsten Politiker beherrschen. Die Folge ist, dass schreibende Politiker viel erwähnen, aber kaum erzählen – sowie, dass man immer bald merkt, worum es in all der Unbeholfenheit letztlich geht: um eine Selbstseligsprechung des Autors.
Thomas de Maizière weist darauf hin, dass bei ihm kein Ghostwriter, sondern nur er am Werk war. Und, was soll man sagen: Er kann schreiben. Auf den 252 Seiten stehen Hauptsachen in Hauptsätzen. Es ist praktisch frei von Phrasen. Seine Thesen unterlegt er mit Beispielen aus seinem Erleben. Zugleich liefert er schon vom Konzept her keine Dutzendware. Wahrscheinlich die wenigsten wissen ja, dass Regieren eben auch ein Handwerk ist; geschweige denn, wie es funktioniert. Wer nichts weiß, stellt aber gern Vermutungen an, und bei manchen Menschen mutieren Vermutungen zu absonderlichen Gewissheiten. Zum Teil sind daran auch Politiker schuld; im Grunde haben sie, wie Angehörige anderer Berufe auch, eine Bringschuld, ihre Tätigkeit zu entmystifizieren. Bei ihr gibt es geschriebene und ungeschriebene Regeln, wie ebenfalls in jedem anderen Beruf auch.
Wegen dieser Bringschuld hat de Maizière geschrieben; das sagt er ausdrücklich. Seine Erfahrungen benutzt er, um Systemisches zu zeigen: wie eine Regierung gebildet wird. Welche Phasen eine Wahlperiode hat. Wie man aus Krisen lernt. Was die Unterschiede in der Arbeit eines Kanzleramts-, eines Verteidigungs- und eines Innenministers sind; all das war er.
Kanzleramtsminister zum Beispiel sollten lieber nicht in die Öffentlichkeit drängen. Tun sie es doch, treten sie garantiert einem Fachminister auf den Fuß und erschweren sich nur ihren Job. Der besteht ja zu einem guten Teil aus der Vermittlung zwischen Fachministern. Deshalb ist es für Helge Braun gut, dass praktisch keiner ihn im Café erkennen würde. (Helge Braun ist der derzeitige Kanzleramtsminister.) De Maizière erklärt, was man als Minister unbedingt können muss: lesen während Autofahrten. „Wem dabei schlecht wird, der wird sein Arbeitspensum kaum schaffen.“ Er beschreibt, warum Koalitionsverträge lang sein müssen: weil jeder, auch das THW, erwähnt werden will. Und warum sie so langweilig zu lesen sind: weil Fachpolitiker sich nicht redigieren lassen. Er erklärt, warum es neuerdings vor Koalitionsverhandlungen immer erst Sondierungsgespräche gibt, die das Ziel einer Einigung in einzelnen Fragen haben – weil Sondierungen nach den ungeschriebenen Regeln der Öffentlichkeit an Differenzen in der Sache scheitern dürfen, Koalitionsverhandlungen aber nicht. Also wollen „die Kritiker einer Koalition sicher sein, dass ihre Interessen schon früh gehört werden und nicht zu kurz kommen“.
Indem er Strukturen erzählt statt Ereignisse, klärt er über beides auf. Warum hat die FDP im Herbst 2017 die Jamaika-Verhandlungen auch abgebrochen? Wegen der Länder. Die FDP wollte die Einkommensteuer senken. Diese aber wird zwischen Bund und Ländern geteilt. Also müssen Landespolitiker jeder Senkung zustimmen, also waren auch die SPD-Ministerpräsidenten implizit an den Gesprächen zwischen Union, FDP und Grünen beteiligt. Sie teilten mit, dass sie keiner Senkung zu ihren Lasten zustimmen würden – was für alle regierenden Landespolitiker aus Union, FDP und Grünen sehr praktisch war. „Meine Erfahrung ist“, schreibt de Maizière, „dass sehr viele, vielleicht die meisten Konflikte in solchen Verhandlungen nicht parteipolitischer Art sind.“ Wer übrigens selber ab und an Verhandlungen zu führen hat, dem gibt er zehn Grundregeln an die Hand. Die erste: „Verhandele stets so, dass du nicht einseitig der Bittsteller bist.“
Es gibt Menschen, die kommen schlecht weg in dem Buch. De Maizière ist aber so vornehm, sie nicht zu identifizieren; mit einer Ausnahme: gelegentlich er selbst. Er gibt zu, 2013 das Kostendebakel um die Aufklärungsdrohne Euro Hawk als Verteidigungsminister „schlecht gemanagt“ zu haben; die Sache hätte fast zum Rücktritt geführt. Und er erzählt, wie er 2015 wegen einer Terrorwarnung ein Länderspiel in Hannover absagte, wie er in der Pressekonferenz gefragt wurde, ob die Lage vorbei sei und er nicht sagen wollte, dass da noch eine Bombenwarnung für den Hauptbahnhof war. Also sagte er: „Ein Teil dieser Antwort würde die Bevölkerung verunsichern.“ Tagelang wurde er verulkt dafür. „Natürlich hätte es bessere Antworten gegeben als die von mir gewählte, etwa: ,Die Lage ist vorbei, wenn alle sicher zu Hause sind‘. Aber sie ist mir nicht eingefallen.“
Zum Job von Politikern gehört es, öffentlich zu reden. Manche können es nicht, manche können es, und manche von letzteren reden trotzdem langweilig. Warum? Über Angela Merkel schreibt de Maizière, sie sei „sicher nicht die beste aller Redner“. Aber die Kanzlerin müsse wie kein anderes Regierungsmitglied jedes Wort auf die Goldwaage legen. Denn jede Andeutung werde sofort verbreitet, „und zwar in der Kurzform einer Agenturmeldung. Aus einer Andeutung wird dann eine Ankündigung oder ein Versprechen gemacht.“ Ihm selbst sei nachgesagt worden, zu sachlich zu sein. Aber angesichts von Terror sei es für einen Innenminister wichtig, seine Emotionen zu kontrollieren. „Sonst achten die Menschen nur auf die Emotionen des Ministers, und nicht darauf, was er an Warnungen mitzuteilen hat.“
Eine Schärfe aber leistet er sich. Erstens gehört so etwas zu jedem richtigen Buch, zweitens hat dieser Autor keine Lust, sie sich zu verkneifen. Ausführlich beschreibt er, wie er im September 2015 mit seinen Juristen darüber debattierte, ob man die Flüchtlinge überhaupt zurückweisen dürfe. „Wenn sich ein Minister nach langen Diskussionen einer Rechtsauffassung anschließt und eine Entscheidung trifft, die er für rechtmäßig hält, die aber manchen nicht gefällt, dann ist der Vorwurf eines Rechtsbruchs ehrabschneidend.“ Gemeint ist das Wort Horst Seehofers, in Deutschland gebe es seit 2015 eine „Herrschaft des Unrechts“. Dieser ist übrigens in etwa der einzige derzeitige Spitzenpolitiker, dessen Name in dem Buch kein einziges Mal fällt.
Indem er Strukturen erzählt
statt Ereignisse,
klärt er über beides auf
Erst Kanzleramtsminister, dann Innen-, dann Verteidigungs- und später wieder Innenminister: Thomas de Maizière 2011 mit Kanzlerin Angela Merkel.
Foto: FABRIZIO BENSCH/Reuters
Thomas de Maizière:
Regieren. Innenansichten der Politik. Herder-
Verlag, Freiburg 2019. 252 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Thomas de Maizière erzählt verständlich und präzise,
wie Politik funktioniert. Nur einmal wird er scharf
VON DETLEF ESSLINGER
Man wüsste ja zu gerne, wie diese „selbstbewussten Unternehmensführer“ hießen, über die er schreibt. Sie konnten „eine Frage der Bundeskanzlerin nicht beantworten, weil sie nicht Teil der vorbereiteten Unterlagen war“, sie wurden dann „plötzlich unsicher und fahrig“. Oder welche Kabinettskollegen er hier meint: „lautstark und polemisch in der Sprache“, aber Pressekonferenzen schon deshalb scheuend, „weil sie wussten, dass sie da nicht bestehen können“. Und wer mag wohl der „bedeutende Journalist“ gewesen sein, der ihm gebeichtet habe, „dass er seine Kommentare nicht für die normalen Zeitungsleser, sondern eigentlich für uns Politiker schreibt“. Tsss, solche Leute gibt’s?
Seit knapp einem Jahr ist Thomas de Maizière kein Minister mehr. Zur „Wiederankunft“ im normalen Leben, wie er selber sagt, legt er nun ein Buch vor, für das er bereits in der Regierung die Idee hatte. Es erscheint an diesem Montag und ist nicht als Memoiren angelegt; zum Glück. Memoiren sind oft Dutzendware: erstens, weil Schreiben ein Handwerk ist, wie Regieren übrigens auch; indes ein Handwerk, das die wenigsten Politiker beherrschen. Die Folge ist, dass schreibende Politiker viel erwähnen, aber kaum erzählen – sowie, dass man immer bald merkt, worum es in all der Unbeholfenheit letztlich geht: um eine Selbstseligsprechung des Autors.
Thomas de Maizière weist darauf hin, dass bei ihm kein Ghostwriter, sondern nur er am Werk war. Und, was soll man sagen: Er kann schreiben. Auf den 252 Seiten stehen Hauptsachen in Hauptsätzen. Es ist praktisch frei von Phrasen. Seine Thesen unterlegt er mit Beispielen aus seinem Erleben. Zugleich liefert er schon vom Konzept her keine Dutzendware. Wahrscheinlich die wenigsten wissen ja, dass Regieren eben auch ein Handwerk ist; geschweige denn, wie es funktioniert. Wer nichts weiß, stellt aber gern Vermutungen an, und bei manchen Menschen mutieren Vermutungen zu absonderlichen Gewissheiten. Zum Teil sind daran auch Politiker schuld; im Grunde haben sie, wie Angehörige anderer Berufe auch, eine Bringschuld, ihre Tätigkeit zu entmystifizieren. Bei ihr gibt es geschriebene und ungeschriebene Regeln, wie ebenfalls in jedem anderen Beruf auch.
Wegen dieser Bringschuld hat de Maizière geschrieben; das sagt er ausdrücklich. Seine Erfahrungen benutzt er, um Systemisches zu zeigen: wie eine Regierung gebildet wird. Welche Phasen eine Wahlperiode hat. Wie man aus Krisen lernt. Was die Unterschiede in der Arbeit eines Kanzleramts-, eines Verteidigungs- und eines Innenministers sind; all das war er.
Kanzleramtsminister zum Beispiel sollten lieber nicht in die Öffentlichkeit drängen. Tun sie es doch, treten sie garantiert einem Fachminister auf den Fuß und erschweren sich nur ihren Job. Der besteht ja zu einem guten Teil aus der Vermittlung zwischen Fachministern. Deshalb ist es für Helge Braun gut, dass praktisch keiner ihn im Café erkennen würde. (Helge Braun ist der derzeitige Kanzleramtsminister.) De Maizière erklärt, was man als Minister unbedingt können muss: lesen während Autofahrten. „Wem dabei schlecht wird, der wird sein Arbeitspensum kaum schaffen.“ Er beschreibt, warum Koalitionsverträge lang sein müssen: weil jeder, auch das THW, erwähnt werden will. Und warum sie so langweilig zu lesen sind: weil Fachpolitiker sich nicht redigieren lassen. Er erklärt, warum es neuerdings vor Koalitionsverhandlungen immer erst Sondierungsgespräche gibt, die das Ziel einer Einigung in einzelnen Fragen haben – weil Sondierungen nach den ungeschriebenen Regeln der Öffentlichkeit an Differenzen in der Sache scheitern dürfen, Koalitionsverhandlungen aber nicht. Also wollen „die Kritiker einer Koalition sicher sein, dass ihre Interessen schon früh gehört werden und nicht zu kurz kommen“.
Indem er Strukturen erzählt statt Ereignisse, klärt er über beides auf. Warum hat die FDP im Herbst 2017 die Jamaika-Verhandlungen auch abgebrochen? Wegen der Länder. Die FDP wollte die Einkommensteuer senken. Diese aber wird zwischen Bund und Ländern geteilt. Also müssen Landespolitiker jeder Senkung zustimmen, also waren auch die SPD-Ministerpräsidenten implizit an den Gesprächen zwischen Union, FDP und Grünen beteiligt. Sie teilten mit, dass sie keiner Senkung zu ihren Lasten zustimmen würden – was für alle regierenden Landespolitiker aus Union, FDP und Grünen sehr praktisch war. „Meine Erfahrung ist“, schreibt de Maizière, „dass sehr viele, vielleicht die meisten Konflikte in solchen Verhandlungen nicht parteipolitischer Art sind.“ Wer übrigens selber ab und an Verhandlungen zu führen hat, dem gibt er zehn Grundregeln an die Hand. Die erste: „Verhandele stets so, dass du nicht einseitig der Bittsteller bist.“
Es gibt Menschen, die kommen schlecht weg in dem Buch. De Maizière ist aber so vornehm, sie nicht zu identifizieren; mit einer Ausnahme: gelegentlich er selbst. Er gibt zu, 2013 das Kostendebakel um die Aufklärungsdrohne Euro Hawk als Verteidigungsminister „schlecht gemanagt“ zu haben; die Sache hätte fast zum Rücktritt geführt. Und er erzählt, wie er 2015 wegen einer Terrorwarnung ein Länderspiel in Hannover absagte, wie er in der Pressekonferenz gefragt wurde, ob die Lage vorbei sei und er nicht sagen wollte, dass da noch eine Bombenwarnung für den Hauptbahnhof war. Also sagte er: „Ein Teil dieser Antwort würde die Bevölkerung verunsichern.“ Tagelang wurde er verulkt dafür. „Natürlich hätte es bessere Antworten gegeben als die von mir gewählte, etwa: ,Die Lage ist vorbei, wenn alle sicher zu Hause sind‘. Aber sie ist mir nicht eingefallen.“
Zum Job von Politikern gehört es, öffentlich zu reden. Manche können es nicht, manche können es, und manche von letzteren reden trotzdem langweilig. Warum? Über Angela Merkel schreibt de Maizière, sie sei „sicher nicht die beste aller Redner“. Aber die Kanzlerin müsse wie kein anderes Regierungsmitglied jedes Wort auf die Goldwaage legen. Denn jede Andeutung werde sofort verbreitet, „und zwar in der Kurzform einer Agenturmeldung. Aus einer Andeutung wird dann eine Ankündigung oder ein Versprechen gemacht.“ Ihm selbst sei nachgesagt worden, zu sachlich zu sein. Aber angesichts von Terror sei es für einen Innenminister wichtig, seine Emotionen zu kontrollieren. „Sonst achten die Menschen nur auf die Emotionen des Ministers, und nicht darauf, was er an Warnungen mitzuteilen hat.“
Eine Schärfe aber leistet er sich. Erstens gehört so etwas zu jedem richtigen Buch, zweitens hat dieser Autor keine Lust, sie sich zu verkneifen. Ausführlich beschreibt er, wie er im September 2015 mit seinen Juristen darüber debattierte, ob man die Flüchtlinge überhaupt zurückweisen dürfe. „Wenn sich ein Minister nach langen Diskussionen einer Rechtsauffassung anschließt und eine Entscheidung trifft, die er für rechtmäßig hält, die aber manchen nicht gefällt, dann ist der Vorwurf eines Rechtsbruchs ehrabschneidend.“ Gemeint ist das Wort Horst Seehofers, in Deutschland gebe es seit 2015 eine „Herrschaft des Unrechts“. Dieser ist übrigens in etwa der einzige derzeitige Spitzenpolitiker, dessen Name in dem Buch kein einziges Mal fällt.
Indem er Strukturen erzählt
statt Ereignisse,
klärt er über beides auf
Erst Kanzleramtsminister, dann Innen-, dann Verteidigungs- und später wieder Innenminister: Thomas de Maizière 2011 mit Kanzlerin Angela Merkel.
Foto: FABRIZIO BENSCH/Reuters
Thomas de Maizière:
Regieren. Innenansichten der Politik. Herder-
Verlag, Freiburg 2019. 252 Seiten, 24 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.04.2019Banker ohne Vorbereitung
Erfahrungen mit Wirtschaftsführern und Lobbyisten
Thomas de Maizière hatte 28 Jahre lang Regierungsverantwortung in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und dem Bund. Dort war er Chef des Kanzleramtes, Verteidigungsminister und Innenminister. Nun hat er ein Buch mit dem Titel "Regieren" vorgelegt. Und tatsächlich geht es dort ums Regieren, es geht um Institutionen, Mechanismen, Rollen, Erwartungen, Inszenierungen, Alltag, Krisen, Loyalität, Illoyalität, Kritik und Haltungen. Das Buch ist kein politisches Testament, keine Bewerbung für andere Aufgaben, keine Rechtfertigung vergangener Entscheidungen (beziehungsweise nur ganz selten). Es ist ein Lehrbuch übers Regieren und sollte von jedem gelesen werden, der Minister werden will, und von jedem, der beruflich mit Ministern zu tun hat.
Dazu gehören Wirtschaftsführer, Lobbyisten und Unternehmer. Viele von ihnen machen sich ein falsches Bild von den Abläufen innerhalb des "Berliner S-Bahn-Rings", wie de Maizière die "Blase" geographisch eingrenzt. Regierungsgeschäfte verlaufen anders als Verhandlungen in Vorstandsetagen und ganz anders, als es Studenten in Vorlesungen zum Staatsrecht lernen.
Als Minister hatte de Maizière immer eine Ausgabe des Märchens "Der kleine Häwelmann" von Theodor Storm dabei. Dabei geht es um einen kleinen Jungen, der immer mehr und noch mehr Aufmerksamkeit beansprucht, nicht genug bekommen kann, in seinem Bettchen aus dem Haus fliegt und immer "mehr, mehr" schreit. "Ein solches Verhalten habe ich oft bei Interessenverbänden und Unternehmen kennengelernt", resümiert de Maizière: "Es konnte nie genug sein. Jeder Fortschritt, den sie zuvor eingefordert hatten, war nicht genug."
Er habe dann in solchen Gesprächen die Geschichte vom kleinen Häwelmann erzählt oder sogar ein Exemplar an die Betroffenen gesendet: "Bewirkt hat es wahrscheinlich wenig, außer Erstaunen. Manche waren sicher beleidigt." Für de Maizière sind Interessenverbände unersättlich. "Genauso wie es legitim ist, dass die Verbände ihre Interessen einseitig vertreten, ist es notwendig, dass die Regierung die Interessen der Allgemeinheit vertritt."
Spannend ist, wie de Maizière die Arbeit der Berliner Lobbyisten bewertet: "So unterschiedlich der Hintergrund der Interessenverbände ist, so ähnlich ist die Arbeitsweise. Es gibt Geschäftsstellen mit hauptamtlichen Mitarbeitern. Es gibt Zeitschriften und Newsletter, die inzwischen die Posteingänge der E-Mail-Adressen so zustopfen, dass sie kaum noch zur Kenntnis genommen werden. Es werden Parlamentarische Abende veranstaltet, Preise verliehen, Konzerte durchgeführt, Partys gemacht und Gutachten vergeben."
Zu den Parlamentarischen Abenden schreibt der frühere Politiker: "Die Veranstalter geben sich große Mühe. Ein wirklicher Imagegewinn ist damit trotzdem nicht verbunden. Es gibt zu viele derartige Veranstaltungen, und sie unterscheiden sich inzwischen oft nur danach, ob die Location cool ist." Er hätte diese Veranstaltungen daher nur selten besucht, sich aber regelmäßig im Ministerium mit den Verbänden getroffen. Das sei nicht kritikwürdig. Aber: "Es gibt Verbände, denen es gelungen ist, aus den Ministerien zuweilen Vorlagen an den Minister zu bekommen, bevor der Minister sie auf dem Tisch hat. So ist es beim Bundeswehrverband. Man hört es auch aus dem Gesundheitsministerium. Das ist nicht in Ordnung." Im Buch beschreibt de Maizière, eher beiläufig, mit welchem Trick er undichten Quellen im Ministerium auf die Spur gekommen ist.
Welcher Lobbyismus scheitert? Besonders beachtet würden in der Politik immer die Positionspapiere der Kirchen, schreibt der Christdemokrat, aber er warnt: "Je gefälliger und austauschbarer die Stellungnahmen werden, wenn sie ihr Spezifisches verlieren und sich äußern wie jeder andere Interessenverband, dann werden sie von der Regierung auch so behandelt: als wichtig, aber wie andere unter ferner liefen." So werde eine Stellungnahme der Kirchen zum Mindestlohn oder zum Rentenniveau nicht mehr beachtet als die des Deutschen Gewerkschaftsbundes. "Deshalb ist hier Zurückhaltung angeraten", schreibt de Maizière.
Was ihm auch nicht gefallen habe, seien schlecht vorbereitete Bankenchefs: "Ich habe gemeinsam mit dem Kollegen Peer Steinbrück in der Finanzkrise Vorstandsvorsitzende von Banken erlebt, die zuvor in der Öffentlichkeit vor Kraft nicht laufen konnten, in der Krise aber nicht nur klein mit Hut, sondern auch substanzlos waren bei der Beschreibung der Krise oder bei der Analyse der Lage der eigenen Bank. Ich habe selbstbewusste Unternehmensführer bei der Bundeskanzlerin erlebt, die eine Frage der Kanzlerin nicht beantworten konnten - obwohl sie nahelag -, weil sie nicht Teil der vorbereiteten Unterlagen war, und die dann plötzlich unsicher und fahrig wurden."
Und was schreibt de Maizière über ebendiese Bundeskanzlerin? "Sie hat den mit Abstand schwierigsten, anspruchsvollsten und arbeitsreichsten Job in der Regierung. Ihr Arbeitspensum ist immens, dass man allein davor nur den Hut ziehen kann, wie sie das schafft. Die Bundeskanzlerin muss zu allen wichtigen Themen auskunftsfähig sein. Allein das verlangt harte Arbeit, ein gutes Gedächtnis und eine ungeheure Intelligenz." Er habe Angela Merkel oft als warmherzig, witzig und dem Gesprächspartner als Menschen zugewandt erlebt.
Ob er auch ihr einmal die Geschichte vom kleinen Häwelmann erzählt hat? Diese endet übrigens mit dem Absturz des Jungen in ein großes Gewässer. Zuletzt schreibt Storm, etwas unvermittelt, an den Leser seines Märchens: "Wenn ich und du nicht gekommen wären und den kleinen Häwelmann in unser Boot genommen hätten, so hätte er doch leicht ertrinken können!" De Maizière hat 28 Jahre lang viele kleine Häwelmänner an die Hand genommen. Sein Antrieb war die Loyalität zu unserem Staat, den er nie hat ertrinken lassen. Respekt.
JOCHEN ZENTHÖFER
Thomas de Maizière: Regieren. Herder, Freiburg 2019. 252 Seiten. 24 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Erfahrungen mit Wirtschaftsführern und Lobbyisten
Thomas de Maizière hatte 28 Jahre lang Regierungsverantwortung in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und dem Bund. Dort war er Chef des Kanzleramtes, Verteidigungsminister und Innenminister. Nun hat er ein Buch mit dem Titel "Regieren" vorgelegt. Und tatsächlich geht es dort ums Regieren, es geht um Institutionen, Mechanismen, Rollen, Erwartungen, Inszenierungen, Alltag, Krisen, Loyalität, Illoyalität, Kritik und Haltungen. Das Buch ist kein politisches Testament, keine Bewerbung für andere Aufgaben, keine Rechtfertigung vergangener Entscheidungen (beziehungsweise nur ganz selten). Es ist ein Lehrbuch übers Regieren und sollte von jedem gelesen werden, der Minister werden will, und von jedem, der beruflich mit Ministern zu tun hat.
Dazu gehören Wirtschaftsführer, Lobbyisten und Unternehmer. Viele von ihnen machen sich ein falsches Bild von den Abläufen innerhalb des "Berliner S-Bahn-Rings", wie de Maizière die "Blase" geographisch eingrenzt. Regierungsgeschäfte verlaufen anders als Verhandlungen in Vorstandsetagen und ganz anders, als es Studenten in Vorlesungen zum Staatsrecht lernen.
Als Minister hatte de Maizière immer eine Ausgabe des Märchens "Der kleine Häwelmann" von Theodor Storm dabei. Dabei geht es um einen kleinen Jungen, der immer mehr und noch mehr Aufmerksamkeit beansprucht, nicht genug bekommen kann, in seinem Bettchen aus dem Haus fliegt und immer "mehr, mehr" schreit. "Ein solches Verhalten habe ich oft bei Interessenverbänden und Unternehmen kennengelernt", resümiert de Maizière: "Es konnte nie genug sein. Jeder Fortschritt, den sie zuvor eingefordert hatten, war nicht genug."
Er habe dann in solchen Gesprächen die Geschichte vom kleinen Häwelmann erzählt oder sogar ein Exemplar an die Betroffenen gesendet: "Bewirkt hat es wahrscheinlich wenig, außer Erstaunen. Manche waren sicher beleidigt." Für de Maizière sind Interessenverbände unersättlich. "Genauso wie es legitim ist, dass die Verbände ihre Interessen einseitig vertreten, ist es notwendig, dass die Regierung die Interessen der Allgemeinheit vertritt."
Spannend ist, wie de Maizière die Arbeit der Berliner Lobbyisten bewertet: "So unterschiedlich der Hintergrund der Interessenverbände ist, so ähnlich ist die Arbeitsweise. Es gibt Geschäftsstellen mit hauptamtlichen Mitarbeitern. Es gibt Zeitschriften und Newsletter, die inzwischen die Posteingänge der E-Mail-Adressen so zustopfen, dass sie kaum noch zur Kenntnis genommen werden. Es werden Parlamentarische Abende veranstaltet, Preise verliehen, Konzerte durchgeführt, Partys gemacht und Gutachten vergeben."
Zu den Parlamentarischen Abenden schreibt der frühere Politiker: "Die Veranstalter geben sich große Mühe. Ein wirklicher Imagegewinn ist damit trotzdem nicht verbunden. Es gibt zu viele derartige Veranstaltungen, und sie unterscheiden sich inzwischen oft nur danach, ob die Location cool ist." Er hätte diese Veranstaltungen daher nur selten besucht, sich aber regelmäßig im Ministerium mit den Verbänden getroffen. Das sei nicht kritikwürdig. Aber: "Es gibt Verbände, denen es gelungen ist, aus den Ministerien zuweilen Vorlagen an den Minister zu bekommen, bevor der Minister sie auf dem Tisch hat. So ist es beim Bundeswehrverband. Man hört es auch aus dem Gesundheitsministerium. Das ist nicht in Ordnung." Im Buch beschreibt de Maizière, eher beiläufig, mit welchem Trick er undichten Quellen im Ministerium auf die Spur gekommen ist.
Welcher Lobbyismus scheitert? Besonders beachtet würden in der Politik immer die Positionspapiere der Kirchen, schreibt der Christdemokrat, aber er warnt: "Je gefälliger und austauschbarer die Stellungnahmen werden, wenn sie ihr Spezifisches verlieren und sich äußern wie jeder andere Interessenverband, dann werden sie von der Regierung auch so behandelt: als wichtig, aber wie andere unter ferner liefen." So werde eine Stellungnahme der Kirchen zum Mindestlohn oder zum Rentenniveau nicht mehr beachtet als die des Deutschen Gewerkschaftsbundes. "Deshalb ist hier Zurückhaltung angeraten", schreibt de Maizière.
Was ihm auch nicht gefallen habe, seien schlecht vorbereitete Bankenchefs: "Ich habe gemeinsam mit dem Kollegen Peer Steinbrück in der Finanzkrise Vorstandsvorsitzende von Banken erlebt, die zuvor in der Öffentlichkeit vor Kraft nicht laufen konnten, in der Krise aber nicht nur klein mit Hut, sondern auch substanzlos waren bei der Beschreibung der Krise oder bei der Analyse der Lage der eigenen Bank. Ich habe selbstbewusste Unternehmensführer bei der Bundeskanzlerin erlebt, die eine Frage der Kanzlerin nicht beantworten konnten - obwohl sie nahelag -, weil sie nicht Teil der vorbereiteten Unterlagen war, und die dann plötzlich unsicher und fahrig wurden."
Und was schreibt de Maizière über ebendiese Bundeskanzlerin? "Sie hat den mit Abstand schwierigsten, anspruchsvollsten und arbeitsreichsten Job in der Regierung. Ihr Arbeitspensum ist immens, dass man allein davor nur den Hut ziehen kann, wie sie das schafft. Die Bundeskanzlerin muss zu allen wichtigen Themen auskunftsfähig sein. Allein das verlangt harte Arbeit, ein gutes Gedächtnis und eine ungeheure Intelligenz." Er habe Angela Merkel oft als warmherzig, witzig und dem Gesprächspartner als Menschen zugewandt erlebt.
Ob er auch ihr einmal die Geschichte vom kleinen Häwelmann erzählt hat? Diese endet übrigens mit dem Absturz des Jungen in ein großes Gewässer. Zuletzt schreibt Storm, etwas unvermittelt, an den Leser seines Märchens: "Wenn ich und du nicht gekommen wären und den kleinen Häwelmann in unser Boot genommen hätten, so hätte er doch leicht ertrinken können!" De Maizière hat 28 Jahre lang viele kleine Häwelmänner an die Hand genommen. Sein Antrieb war die Loyalität zu unserem Staat, den er nie hat ertrinken lassen. Respekt.
JOCHEN ZENTHÖFER
Thomas de Maizière: Regieren. Herder, Freiburg 2019. 252 Seiten. 24 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main