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**Winner of the Nobel Prize in Literature** Winner of the Man Booker International Prize for 2009, Alice Munro is the author of eleven collections of stories, most recently The View from Castle Rock, and a novel, Lives of Girls and Women. She has received many awards and prizes, including three of Canada's Governor General's Literary Awards and two Giller Prizes, the Rea Award for the Short Story, the Lannan Literary Award, the W.H. Smith Book Award in the UK, the National Book Critics Circle Award in the US, and was shortlisted for the Booker Prize for The Beggar Maid. Her stories have…mehr

Produktbeschreibung
**Winner of the Nobel Prize in Literature** Winner of the Man Booker International Prize for 2009, Alice Munro is the author of eleven collections of stories, most recently The View from Castle Rock, and a novel, Lives of Girls and Women. She has received many awards and prizes, including three of Canada's Governor General's Literary Awards and two Giller Prizes, the Rea Award for the Short Story, the Lannan Literary Award, the W.H. Smith Book Award in the UK, the National Book Critics Circle Award in the US, and was shortlisted for the Booker Prize for The Beggar Maid. Her stories have appeared in The New Yorker, Atlantic Monthly, The Paris Review, and other publications, and her collections have been translated into thirteen languages. She lives with her husband in Clinton, Ontario, near Lake Huron in Canada.
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Autorenporträt
Alice Munro
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.07.2010

Reden ist keine Kleinigkeit wie Berühren

Ihre Kurzgeschichten sind wie ein überstürztes, pubertäres Rendezvous: Jetzt liegt das Debüt der kanadischen Meistererzählerin Alice Munro in subtiler Übersetzung auf Deutsch vor.

Eine verschlafene Kleinstadt am See, wo sich das Leben nur zur Sommersaison auf der Promenade einstellt; ein verlassenes Café, wo sich die Aushilfskellnerin mehr für ihre Nagelpflege als für etwaige Gäste interessiert; zwei Halbwüchsige aus der Kreisstadt, erlebnishungrig und gefühlsgierig, die auf der Suche nach der passenden Gesellschaft für den Abend sind: das ist so eine typische Versuchsanordnung, mit der Alice Munro zu Werke geht. Viel braucht diese kanadische Erzählerin von Weltrang nicht, damit sich Spannung in ihren Geschichten aufbaut: keine große Bühne, kein heldenhaftes Personal, erst recht kein welterschütterndes Ereignis, das uns durch Schicksalhaftes aufwühlt oder packt.

Ihr reichen Alltagsillusionen, Sehnsüchte und karge Existenzen, um immer wieder unerbittlich zu erkunden, wie eine Welt zum Einsturz kommt und wer sich wohl am besten in den Trümmern einrichtet. Oftmals ist es genau das Randständige, von dem sie uns erzählt, das umso stärker wirkt, sobald wir erst bemerken, dass jenseits dieses Randes nichts als Ungewissheit existiert. Wer erst ins Rutschen kommt, kann sich an nichts mehr klammern.

Den zugereisten Halbstarken zum Beispiel gelingt es schließlich, zwei Freundinnen ins Auto zu bekommen. Doch irgendwie verläuft die Sache nicht nach Plan: "Ein Mädchen lag in meinem Arm, verächtlich, gefügig, wütend, stumm und unerreichbar. Ich wollte lieber mit ihr reden, als sie zu berühren, aber das kam nicht in Frage; Reden war für sie nicht eine solche Kleinigkeit wie Berühren." Also besorgt man sich eine Flasche starken Fusel, man trinkt und fährt und schläft zusammen. Und als der Abend plötzlich endet, fragt man sich verwundert, wer wen benutzt und wer wem etwas vorgemacht hat.

Auf einmal nämlich redet dieses Mädchen doch noch: "Thanks for the Ride", ruft sie den Jungs im Auto hinterher. "Danke für die Schlittenfahrt" übersetzt Heidi Zerning diesen Schlusssatz, zugleich Titel der Geschichte, treffend. Denn wenn Worte größere Intimität als sinnliche Berührung haben sollen, kommt es auf deren Doppelsinn genauestens an. Das Abenteuer der Verführung kehrt sich um. Zu spät erkennt hier der verstörte männliche Erzähler, wie ihm die Überlegenheit genommen wurde.

Solche Desillusionierungen sind seit langem Markenzeichen der modernen Kurzgeschichte. Auf knappem Raum von vielleicht zwanzig oder dreißig Seiten, die kaum Gelegenheit zu langer psychologischer Entwicklung bieten, pointiert sich alles ganz im Momentanen eines plötzlichen Erkennens, einer Erfahrung der Enttäuschung, des Zerbrechens lang vertrauter Illusionen oder manchmal auch des kurzen Glücks. Die klassische Form der Kurzgeschichte hat deshalb selbst etwas von einem überstürzten, pubertären Rendezvous: zum allmählichen Kennenlernen, Annähern, Warmwerden und Reden miteinander bleibt hier kaum Zeit - sie muss schon zielstrebig zur Sache gehen, den Figuren schnell zu Leibe rücken und uns ohne langes Vorspiel mit ihnen intim werden lassen, bevor diese Gelegenheit gleich auch schon wieder endet. In ihren besten Ausprägungen allerdings gewinnt die Form bei Munro daraus ihre wahre Größe. Wenn ein Roman die Wirklichkeit vereinnahmt und umarmen will, dann lässt Munro ihr mit diesen Geschichten die Distanz: gefügig, stumm und unerreichbar ist ihnen die moderne Lebenswelt - sie bleibt ein Rätsel und bleibt eben dadurch spannend.

"Tanz der seligen Geister" ist der Band, mit dem die damals siebenunddreißigjährige Autorin 1968 in Toronto debütierte. Die fünfzehn Erzählungen darin entstanden in den Jahren ihrer ersten Ehe, als sie drei Kinder großzuziehen, einen Haushalt zu versorgen und eine ordentliche Mittelklasseexistenz zu führen hatte. Wie sie einmal bemerkte, blieb ihr darum jeden Tag nur sehr wenig Zeit zum Schreiben, weshalb sie sich angeblich auf die Kurzgeschichte, die überschaubar schien, verlegte. Im Debütband, der jetzt endlich auf Deutsch vorliegt, mögen solche Zwänge durchaus spürbar sein; manches darin wirkt ein wenig absehbar und zuweilen etwas vorschnell auf die Schlusspointe hingeschrieben. Das Erstaunliche ist aber, wie oft uns diese alten Texte überraschen und ergreifen und - zumal in Zernings subtiler Übersetzung - neu bewegen.

Längst gilt Munro neben Margret Atwood als bedeutendste Autorin Kanadas, ist vielfach preisgekrönt und mit mehr als einem Dutzend Bänden großartiger Erzählungen hervorgetreten. Wenn wir jetzt ihren Anfängen erneut begegnen, zeigt sich schon viel von dieser Meisterschaft. Die Geschichten spielen meist im Kleinbürgermilieu der kanadischen Provinz, um die Mitte des vergangenen Jahrhunderts, fernab der Großstädte, fern auch der Zentren, wo die Standards von Kultur vermutet werden. Und dennoch rückt uns diese Welt sehr nah, wenn wir in ihr das Unstete, das Ungewisse einer Existenz erkennen, die ständig vor dem Einbruch steht und manchmal daraus ihre Freiheit neu gewinnt.

In der Titelgeschichte wird die Ballettmusik von Gluck, unerwartet dargeboten auf dem Sommerfest einer Klavierlehrerin, für einen flüchtigen Moment zum Zeichen einer solchen wunderbaren Wendung: Alle hören dem Musikstück gebannt zu, "als seien sie an etwas erinnert worden, von dem sie vergessen hatten, dass sie es vergessen hatten". Solche Wunder vollbringt auch das Erzählen. Alice Munro erinnert uns daran.

TOBIAS DÖRING

Alice Munro: "Tanz der seligen Geister". Erzählungen. Aus dem Englischen von Heidi Zerning. Dörlemann Verlag, Zürich 2010. 384 S., geb., 23,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.04.2010

Die Pflicht, glücklich zu sein
Das erst jetzt auf Deutsch erschienene Debüt der Kanadierin Alice Munro erzählt von weiblichem Aufbegehren
Wie eine Flaschenpost aus dem Jahr 1968 erscheint erst jetzt die deutsche Ausgabe von Alice Munros Debütband „Dance of the Happy Shades”. Gerade in seiner jahrzehntelangen Verspätung enthüllt er die Kontinuitäten im Schreiben der 1931 in Ontario geborenen Kanadierin, die immer wieder mit Tschechow verglichen und als Kandidatin für den Literaturnobelpreis gehandelt wird.
Hat Alice Munro mit dem Erzählungsband „Wozu wollen Sie das wissen?” (2008) den Leitfaden ihres eigenen Lebens um den ihrer Vorfahren verlängert, so bewegte sich ihr Debüt im Rahmen der Erfahrungen einer Frau von ein paar mehr als dreißig Jahren. Prägend ist der Schatten der Weltwirtschaftskrise, in die Alice Munro hineingeboren wurde, der Bankrott der väterlichen Silberfuchsfarm ebenso wie die Krankheit der Mutter. Prägend sind Erfahrungen der Verarmung und des zähen Kampfes, den Status zu wahren. Sei es durch ondulierte Haare, sei es durch ein selbstgenähtes „Rotes Kleid – 1946”, in dem eine Tochter nicht nur auf dem Highschool-Ball bestehen, sondern auch ihrer „Pflicht, glücklich zu sein” genügen soll.
Solche Pflichten und Regeln bekommen früh etwas Geschlechtspezifisches. Das reicht von „Mädchen tun das nicht” bis zu den Worten, mit denen der durchaus wohlwollende Vater eine Erzählerin vor ihrem kleinen Bruder in Schutz nimmt, nachdem sie ein Pferd hat wegrennen lassen: „,Sie ist bloß ein Mädchen‘, sagte er.” Mit solchen Worten, „die mich erlösten und zugleich endgültig verdammten”, wird ein Schritt jener Zurichtung besiegelt, der die Frauengestalten der Munro von der Bändigung kindlichen Überschwangs über Ehe und Kindererziehung bis zur Altenpflege ins Joch nehmen will. Schreiben ist da Aufbegehren. In „Das Büro” stellt eine angehende Schriftstellerin fest, dass sie nicht zu Hause arbeiten kann, da einer Frau dort immer Hausarbeit abverlangt werde: „Sie ist nicht jemand, der ins Haus spaziert, um es zu benutzen, und dann wieder hinausspaziert. Sie ist das Haus; eine Trennung ist nicht möglich.”
Möglich ist eine Trennung nur als Bruch mit den gängigen Rollen, aber dazu müssen Frau wie Mann sie durchschaut haben. Mit einer für ein Erstlingswerk bemerkenswerten Meisterschaft öffnet Alice Munro einen solchen Durchblick in der ersten Erzählung des Bandes. Sie zeigt auch, dass es falsch wäre, ihr Werk auf die subtile Darstellung weiblicher Schicksale zu reduzieren. „Der Walker Brothers-Cowboy” ist eine Vater-Geschichte, in der die Mutter und ein kleiner Bruder nur am Rande auftreten. Den größten Abstieg hat man schon hinter sich. Der Vater fährt als Hausierer für die Walker Brothers über die Landstraßen der kanadischen Provinz und bietet der Mutter eines Tages an, einmal beide Kinder mitzunehmen, damit sie sich ausruhen könne.
„Was haben wir an uns, dass man sich von uns ausruhen muss?” fragt sich die kindliche Ich-Erzählerin. Solche Nadelstiche des Aufmerkens sind typisch für Munros Erzählweise, erste Ansätze eines Subtextes, der die alltäglichen Handlungselemente ebenso unterläuft wie die scheinbaren Redundanzen immer wieder variierter autobiographischer Vorgaben. Vordergründig scheint der Stachel dieser Frage bald vergessen zu sein. Der Vater singt fröhliche Lieder, während er von einer armseligen Farm zur nächsten fährt, um Hustensaft und Eisentinktur, Hühneraugenpflaster, Abführmittel und „Tabletten gegen Frauenbeschwerden” anzupreisen. Sein Sortiment erscheint wie das Inventar der Lebensbeschwernisse in einer Zeit der Depression, in der es keinen Sozialstaat gab und keine allgemeine Gesundheitsversorgung, sondern nur Selbsthilfe und Hoffnung auf die Quacksalber von Walker Brothers.
Nicht auf jeder Farm sind sie willkommen: „,Pipi, Pipi‘, singt mein Bruder entzückt. ,Jemand hat Pipi runtergekippt!‘” Der Vater trägt es mit Fassung, doch ermahnt die Kinder: „Erzählt das bloß nicht eurer Mutter. Sie versteht wahrscheinlich nicht, was daran so komisch ist.” Dann aber macht er selbst etwas Merkwürdiges, verlässt die Feldwege seines Bezirks und besucht eine Frau, die seinen Kindern unbekannt ist, ihn aber von früher gut zu kennen scheint. Die Frau macht sich schön. Man redet, auch über das gerade erlebte Missgeschick des Vaters. Man trinkt sogar Whiskey, von dem die Mutter immer sagt, dass der Vater ihn nie trinkt. Auch ein Grammophon ist im Haus, und die Frau sagt der Erzählerin, dass sie wohl gar nicht gewusst habe, „dass dein Daddy mal getanzt hat? Tja, dein Daddy, das ist ein begabter Mann.”
Ansonsten bleibt alles im Rahmen eines Anstandsbesuchs, der schließlich mit den üblichen Verlegenheitseinladungen beendet wird, denen nie jemand folgt. Doch der Abstecher hat seinen Zweck erfüllt. Der Vater hat die nur scheinbar leichthändig überspielte Demütigung konterkariert, indem er seiner Tochter einen kurzen Einblick in ein anderes Leben geboten hat, das ihm möglich gewesen wäre und das immer ein Teil von ihm bleiben wird. Es scheint der Erzählerin, „als fließe das Leben meines Vaters aus unserem Auto in den schwindenden Nachmittag, werde dunkel und fremd, wie eine Landschaft, auf der ein Bann liegt, der sie freundlich, normal und vertraut macht, sie jedoch, sobald man ihr den Rücken kehrt, in etwas verwandelt, das man nie kennen wird, mit Wetter aller Art und mit Entfernungen, die man sich nicht vorstellen kann.”
War schon von Redundanzen die Rede, die einem manche dieser frühen Erzählungen bekannt erscheinen lassen, von Variationen über ein vom Leben vorgegebenes Themen- und Motivrepertoire, so hat sich Alice Munro mit dieser Passage die poetische Lizenz dazu erteilt. Hier tun sich Risse auf im kindlichen Urvertrauen der Erzählerin. Hier verwandelt sich das Urvertraute der väterlichen Existenz in etwas Fremdes und Unauslotbares. Hier tut sich immer wieder ein Abgrund auf, den Alice Munro seither mit Worten zu erfassen und zu füllen sucht. Eine Sisyphosarbeit, weil dieser Abgrund keinen Boden hat. In „Der Friede von Utrecht” zeigt Alice Munro das am Schicksal einer alten Frau, welche an einer Form der Parkinsonschen Krankheit leidet, die ihr Sprachvermögen so beeinträchtigt, dass nur ihre engsten Angehörigen sie noch verstehen. Ins Krankenhaus und damit in die Sprachlosigkeit abgeschoben, macht sie noch einen verzweifelten Fluchtversuch, wird danach mit einem Brett fixiert.
Von ihren ebenfalls greisen und um ihr eigenes Schicksal besorgten Tanten erfährt die Erzählerin, dass ihre Schwester Maddy sich geweigert hatte, die Mutter trotz ihrer inständigen Bitten nach Hause zu holen. Hatte Alice Munro in der Erzählung „Ein Gläschen Medizin” ironisch beschrieben, wie eine tatkräftige Freundin die verheerenden Folgen beseitigt, die der Vollrausch eines liebeskranken Mädchens nach sich gezogen hat, hatte sie dabei den „starken weiblichen Trieb, alle zu versorgen, zu trösten und zu beherrschen”, beschworen, so geht es nun um dessen Unterdrückung. Die verweigerte Fürsorge sollte für Maddy ein erster Schritt in ein eigenes Leben sein, gewährt aber keine Garantie: „Warum kann ich es nicht?”, fragt Maddy und erscheint am Ende ebenso hilflos wie ihre abgeschobene Mutter. Deren bange Frage lautete: „Die werden mich doch nicht auf Dauer hierbehalten?”
Ein bekräftigendes „Nein” darauf wäre eigentlich nicht einmal gelogen, weil man im Krankenhaus so wenig auf Dauer bleibt wie auf der Welt. Der titelgebende „Tanz der seligen Geister”, wohl aus Glucks Oper „Orpheus und Eurydike”, klingt in der letzten Erzählung dann fast schon aus dem Jenseits herüber.
Ein geistig behindertes Mädchen spielt dieses Stück auf dem letzten der von Jahr zu Jahr immer peinlicher gewordenen Festen einer alternden Klavierlehrerin. „Manchmal sind solche ganz musikalisch”, sagt eine der Zuhörerinnen. „Wer sind die?” flüstert darauf die Mutter der Ich-Erzählerin. Das ist, ins Allgemeine gewendet, die Frage aller Fragen, die Alice Munro seit über vier Jahrzehnten immer wieder neu zu beantworten sucht.ULRICH BARON
ALICE MUNRO: Tanz der seligen Geister. Erzählungen. Deutsch von Heidi Zerning. Dörlemann Verlag, Zürich 2010. 384 Seiten, 23,90 Euro.
Was haben wir an uns, dass man sich von uns ausruhen muss?
Der starke Trieb, alle zu versorgen, zu trösten und zu beherrschen
Oft mit Tschechow verglichen: Alice Munro, hier 1987. Interfoto / Lebrecht Music Collection
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