Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2022In der Gefahrenzone
Über die Rivalität zwischen den USA und China
Mit Putins Krieg gegen die Ukraine ist uns Europäern wieder klar geworden, wie stark Wirtschaft und Sicherheitspolitik zusammenhängen. Weil Chinas Wirtschaft ungefähr das zehnfache Gewicht der russischen hat, könnten Spannungen, Sanktionen und erst recht ein Wirtschaftskrieg zwischen China und dem Westen unsere Volkswirtschaften schwer beschädigen. Deshalb ist das Buch der beiden Politikwissenschaftler Hal Brands (Johns Hopkins University) und Michael Beckley (Tufts University), die beide dem konservativen American Enterprise Institute verbunden sind, nützlich. Nach ihrer Auffassung wächst Chinas Wirtschaft immer langsamer und steht vor riesigen Problemen, was die Kriegsgefahr zwischen China und Amerika bald wesentlich erhöht.
Brands und Beckley unterstellen, dass China globale Führungsmacht werden will. Dieser Anspruch ist nicht verwunderlich, Chinas Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren viel schneller als die amerikanische gewachsen, die chinesische Volkswirtschaft ist schon jetzt in Kaufkraftparitäten gerechnet größer als die amerikanische. Und Chinas Bevölkerung ist mehr als viermal so groß wie die amerikanische. Die chinesischen Nuklearstreitkräfte könnten in den 2030er Jahren die amerikanische Größenordnung erreichen.
Brands und Beckley bezweifeln aber, dass Chinas Wirtschaft die ökonomische Basis für eine Hegemonialmacht bereitstellt. Denn Chinas Bevölkerung altert, schrumpft und leidet an einem Frauendefizit. Noch vor 20 Jahren kamen auf jeden Alten (über 65) zehn Arbeitskräfte, bald werden es zwei sein. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts könnte sich Chinas Bevölkerungszahl halbieren. Auch Chinas natürliche Ressourcen reichen nicht aus. Getreide und Energie müssen zunehmend importiert werden. Wasser ist im Norden knapp. Die ökologische Krise verschmutzt die Flüsse und verdirbt das Ackerland. Das institutionelle Umfeld wird mit der Rezentralisierung der Entscheidungen anfälliger für Fehler.
Auch das geopolitische Umfeld wird immer feindseliger. In der Endphase des Kalten Krieges zwischen Ost und West waren China und Amerika durch eine gemeinsame Gegnerschaft gegen die Sowjets verbunden. China konnte westliches Wissen, Kapital und Märkte nutzen und deshalb schnell wachsen. Jetzt nehmen Zugangssperren und Feindseligkeit zu. Chinas Wirtschaft steckt in einer Produktivitätskrise, einer Überschuldungskrise und einer Legitimitätskrise, weil die Regierung keine Wohlstandszuwächse mehr liefern kann. Reiche Chinesen und Unternehmer suchen oft ausländische Wohnsitze. Millionen Beamte und Kader mussten Säuberungen erdulden.
Nach ihrer Analyse der chinesischen Wirtschaft entwickeln die Autoren eine Hypothese über Kriegsursachen. Sie postulieren, dass sich das Risiko von expansiver Politik und Krieg erhöht, wenn sich nach einer Phase jahrelangen Wachstums die Aussichten verschlechtern, weil in der Wachstumsphase die Mittel dafür geschaffen worden seien und die Verschlechterung der Aussichten das Motiv dafür liefere. Sie glauben, dass diese Hypothese einen Beitrag zur Erklärung vieler Kriege leistet, etwa zur deutschen Rolle im Ersten Weltkrieg oder der japanischen Rolle im Zweiten Weltkrieg. Sogar zur Erklärung von Putins Angriff auf die Ukraine soll die Hypothese beitragen. Brands und Beckley befürchten, dass Xi Jinping noch in den 2020er Jahren zu dem Schluss kommt, dass die chinesische Fähigkeit zum Angriff auf Taiwan vorübergehend sei und deshalb bald genutzt werden müsse.
Wie zu Beginn des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion komme es auch jetzt auf die richtigen Prioritäten an. Damals mussten Westeuropa und Japan vor dem sowjetischen Zugriff geschützt werden. Jetzt komme es auf digitale Hochtechnologien und den Schutz von Taiwan an. Wie zu Zeiten des Kalten Krieges sollte ein Wirtschaftsblock entstehen, der die rivalisierende Macht, also China, weitgehend ausschließt und Exportkontrollen unterwirft, damit der Westen seine Überlegenheit in wichtigen Bereichen, wie etwa Hochleistungschips, verteidigen kann. Zur Verteidigung Taiwans wird ein kostspieliges Wettrüsten empfohlen. Das läuft auf eine Steigerung des amerikanischen Rüstungsetats von 3,2 auf 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinaus.
Jenseits der Gefahrenzone in diesem Jahrzehnt erwartet uns ein neuer kalter Krieg. Aber China wird gleichzeitig mit vielen Problemen konfrontiert: Erstens: Die Gesellschaft altert dramatisch. Zweitens: Chinesische Kredite an arme Länder werden ab 2030 fällig, und deren Empfänger werden Zahlungsschwierigkeiten haben. Die Regierung wird sich dann entweder bei den heimischen Steuerzahlern oder im Ausland unbeliebt machen. Drittens: Irgendwann, vielleicht in den 2030er Jahren, wird sich die in Autokratien schwierige Nachfolgefrage stellen. Brands und Beckley erwarten zwar in der nächsten Zeit eine enge Zusammenarbeit von China und Russland, hoffen aber auf lange Sicht auf zunehmende Spannungen zwischen beiden Staaten.
Das Buch behandelt den schwelenden Konflikt zwischen China und dem Westen auf interessante und nachvollziehbare Weise. Den Autoren scheint aber nicht aufgefallen zu sein, dass nicht nur China, sondern auch der Westen unter schwachem Produktivitätswachstum und Überschuldung leidet. Man sollte das Buch lesen, um die Herausforderungen zu bedenken, die auf uns zukommen können. ERICH WEEDE
Hal Brands und Michael Beckley: Danger Zone. The Coming Conflict with China. Norton, New York 2022, 275 Seiten, 24 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Über die Rivalität zwischen den USA und China
Mit Putins Krieg gegen die Ukraine ist uns Europäern wieder klar geworden, wie stark Wirtschaft und Sicherheitspolitik zusammenhängen. Weil Chinas Wirtschaft ungefähr das zehnfache Gewicht der russischen hat, könnten Spannungen, Sanktionen und erst recht ein Wirtschaftskrieg zwischen China und dem Westen unsere Volkswirtschaften schwer beschädigen. Deshalb ist das Buch der beiden Politikwissenschaftler Hal Brands (Johns Hopkins University) und Michael Beckley (Tufts University), die beide dem konservativen American Enterprise Institute verbunden sind, nützlich. Nach ihrer Auffassung wächst Chinas Wirtschaft immer langsamer und steht vor riesigen Problemen, was die Kriegsgefahr zwischen China und Amerika bald wesentlich erhöht.
Brands und Beckley unterstellen, dass China globale Führungsmacht werden will. Dieser Anspruch ist nicht verwunderlich, Chinas Wirtschaft ist in den vergangenen Jahren viel schneller als die amerikanische gewachsen, die chinesische Volkswirtschaft ist schon jetzt in Kaufkraftparitäten gerechnet größer als die amerikanische. Und Chinas Bevölkerung ist mehr als viermal so groß wie die amerikanische. Die chinesischen Nuklearstreitkräfte könnten in den 2030er Jahren die amerikanische Größenordnung erreichen.
Brands und Beckley bezweifeln aber, dass Chinas Wirtschaft die ökonomische Basis für eine Hegemonialmacht bereitstellt. Denn Chinas Bevölkerung altert, schrumpft und leidet an einem Frauendefizit. Noch vor 20 Jahren kamen auf jeden Alten (über 65) zehn Arbeitskräfte, bald werden es zwei sein. Bis zum Ende des 21. Jahrhunderts könnte sich Chinas Bevölkerungszahl halbieren. Auch Chinas natürliche Ressourcen reichen nicht aus. Getreide und Energie müssen zunehmend importiert werden. Wasser ist im Norden knapp. Die ökologische Krise verschmutzt die Flüsse und verdirbt das Ackerland. Das institutionelle Umfeld wird mit der Rezentralisierung der Entscheidungen anfälliger für Fehler.
Auch das geopolitische Umfeld wird immer feindseliger. In der Endphase des Kalten Krieges zwischen Ost und West waren China und Amerika durch eine gemeinsame Gegnerschaft gegen die Sowjets verbunden. China konnte westliches Wissen, Kapital und Märkte nutzen und deshalb schnell wachsen. Jetzt nehmen Zugangssperren und Feindseligkeit zu. Chinas Wirtschaft steckt in einer Produktivitätskrise, einer Überschuldungskrise und einer Legitimitätskrise, weil die Regierung keine Wohlstandszuwächse mehr liefern kann. Reiche Chinesen und Unternehmer suchen oft ausländische Wohnsitze. Millionen Beamte und Kader mussten Säuberungen erdulden.
Nach ihrer Analyse der chinesischen Wirtschaft entwickeln die Autoren eine Hypothese über Kriegsursachen. Sie postulieren, dass sich das Risiko von expansiver Politik und Krieg erhöht, wenn sich nach einer Phase jahrelangen Wachstums die Aussichten verschlechtern, weil in der Wachstumsphase die Mittel dafür geschaffen worden seien und die Verschlechterung der Aussichten das Motiv dafür liefere. Sie glauben, dass diese Hypothese einen Beitrag zur Erklärung vieler Kriege leistet, etwa zur deutschen Rolle im Ersten Weltkrieg oder der japanischen Rolle im Zweiten Weltkrieg. Sogar zur Erklärung von Putins Angriff auf die Ukraine soll die Hypothese beitragen. Brands und Beckley befürchten, dass Xi Jinping noch in den 2020er Jahren zu dem Schluss kommt, dass die chinesische Fähigkeit zum Angriff auf Taiwan vorübergehend sei und deshalb bald genutzt werden müsse.
Wie zu Beginn des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion komme es auch jetzt auf die richtigen Prioritäten an. Damals mussten Westeuropa und Japan vor dem sowjetischen Zugriff geschützt werden. Jetzt komme es auf digitale Hochtechnologien und den Schutz von Taiwan an. Wie zu Zeiten des Kalten Krieges sollte ein Wirtschaftsblock entstehen, der die rivalisierende Macht, also China, weitgehend ausschließt und Exportkontrollen unterwirft, damit der Westen seine Überlegenheit in wichtigen Bereichen, wie etwa Hochleistungschips, verteidigen kann. Zur Verteidigung Taiwans wird ein kostspieliges Wettrüsten empfohlen. Das läuft auf eine Steigerung des amerikanischen Rüstungsetats von 3,2 auf 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hinaus.
Jenseits der Gefahrenzone in diesem Jahrzehnt erwartet uns ein neuer kalter Krieg. Aber China wird gleichzeitig mit vielen Problemen konfrontiert: Erstens: Die Gesellschaft altert dramatisch. Zweitens: Chinesische Kredite an arme Länder werden ab 2030 fällig, und deren Empfänger werden Zahlungsschwierigkeiten haben. Die Regierung wird sich dann entweder bei den heimischen Steuerzahlern oder im Ausland unbeliebt machen. Drittens: Irgendwann, vielleicht in den 2030er Jahren, wird sich die in Autokratien schwierige Nachfolgefrage stellen. Brands und Beckley erwarten zwar in der nächsten Zeit eine enge Zusammenarbeit von China und Russland, hoffen aber auf lange Sicht auf zunehmende Spannungen zwischen beiden Staaten.
Das Buch behandelt den schwelenden Konflikt zwischen China und dem Westen auf interessante und nachvollziehbare Weise. Den Autoren scheint aber nicht aufgefallen zu sein, dass nicht nur China, sondern auch der Westen unter schwachem Produktivitätswachstum und Überschuldung leidet. Man sollte das Buch lesen, um die Herausforderungen zu bedenken, die auf uns zukommen können. ERICH WEEDE
Hal Brands und Michael Beckley: Danger Zone. The Coming Conflict with China. Norton, New York 2022, 275 Seiten, 24 Euro.
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