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Wo ist denn nur die Zeit geblieben? Es ist Sonntag und die Zeit ist zu Besuch. Sie ist Laras Freundin. Doch Laras Familie scheint etwas gegen sie zu haben. Sie sprechen davon, sie sich zu vertreiben oder sie gar totzuschlagen. Da hat die Zeit genug. Sie geht. Lara versucht sie wiederzufinden. Doch außer der Katze kann ihr keiner helfen, denn niemand scheint Zeit für die Zeit zu haben. Ein poetisches Buch über die Zeit - und was ihr in unserem Sprachgebrauch widerfährt. Aber auch darüber, was sie eigentlich sein könnte: Eine gute Freundin, die den Blick für die kleinen und schönen Dinge…mehr

Produktbeschreibung
Wo ist denn nur die Zeit geblieben? Es ist Sonntag und die Zeit ist zu Besuch. Sie ist Laras Freundin. Doch Laras Familie scheint etwas gegen sie zu haben. Sie sprechen davon, sie sich zu vertreiben oder sie gar totzuschlagen. Da hat die Zeit genug. Sie geht. Lara versucht sie wiederzufinden. Doch außer der Katze kann ihr keiner helfen, denn niemand scheint Zeit für die Zeit zu haben. Ein poetisches Buch über die Zeit - und was ihr in unserem Sprachgebrauch widerfährt. Aber auch darüber, was sie eigentlich sein könnte: Eine gute Freundin, die den Blick für die kleinen und schönen Dinge schärft. - Der Sprache auf den Mund geschaut - Ein Buch über die Zeit und wie sie in Redewendungen verkannt wird. - Mit filigranen, außergewöhnlichen Bildern von der mehrfach ausgezeichneten Julie Völk

Ausstattung: Durchgehend farbig illustriert
Autorenporträt
Bettina Obrecht wurde 1964 in Lörrach geboren und studierte Englisch und Spanisch. Sie arbeitet als Autorin, Übersetzerin und Rundfunkautorin und wurde für ihre Kurzprosa und Lyrik mehrfach ausgezeichnet. Schon lange hat sie sich in die 'Garde wichtiger Kinderbuchautorinnen hineingeschrieben' (Eselsohr).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.03.2020

Die roten Tulpenblätter zeigen den Frühling an

Warum Kinder noch sehen, was Erwachsene lieber totschlagen wollen: "Dann gehe ich jetzt, sagte die Zeit" von Bettina Obrecht und Julie Völk schenkt einem viel mehr von dieser flüchtigen Kostbarkeit, als es nimmt.

Von Stefan Trinks

Alles dreht sich in diesem Kinderbuch für Erwachsene und Heranwachsende um die Zeit, oder genauer, um die aktuell falsche Wahrnehmung derselbigen. Dass sich Sonntagnachmittage in der Kindheit bei angeregter Lektüre endlos dehnen konnten und die Zeit gefühlt kaum verging, das liegt leider lange zurück und war einmal. Dass Kinder Zeit anders wahrnehmen und ein anderes Auge und Gefühl für sie haben, veranschaulichen die Autorin Bettina Obrecht und die Graphikerin Julie Völk kongenial durch Wort und Bild: "Es war Sonntagnachmittag und die Zeit war da. Sie saß gemütlich im Sessel neben dem Fenster und lächelte vor sich hin. Als Lara hereinkam, winkte sie ihr verstohlen zu", so beginnt das Buch.

Von der ersten Sekunde an gibt es dieses verschworene Vertrauensverhältnis zwischen dem klugen Mädchen und der zotteligen Zeit mit ihren in endlosen Arabesken abwehenden schlohweißen Haaren, den leuchtend roten Apfelbacken und ebensolchen Fußnägeln sowie den alterslos aufgeweckt wirkenden Augen mit langen Wimpern. Sie offenbart sich also dem Kind und bleibt sichtbar nur für das Mädchen. Lara winkt zurück. Die verstohlen-verschworene Freundschaft der beiden wird gleich auf dem ersten Bild unmittelbar deutlich, indem das Mädchen nur mit der unten abgespreizten Hand des einen Arms - der noch dazu eng am Körper bleibt - klandestin beim Eintreten in das Zimmer grüßt, während der andere Arm von der Zeichnerin auffälligerweise weggelassen wird.

Es sind diese kleinen, über die konzentrierten zwanzig Doppelseiten des poetischen Buchs verstreuten Details, die es zu etwas Außergewöhnlichem machen. Natürlich dürfen die vertrauten Symboliken des Vergehens von Zeit nicht fehlen: So fallen etwa Blütenblätter zu Boden, die alte Bildmetapher der Vergänglichkeit, in diesem Fall aber nicht mit erhobenem Moralzeigefinger, doch die Zeit um alles in der Welt zu nutzen, vielmehr - es sind rote Tulpenblätter, die da zeitvergessen herabtrudeln - sind sie vor allem Anzeichen des Frühlings, der sich vor den hohen Fenstern unübersehbar in Gestalt von ausschlagenden Bäumen und lindgrün frischen Blättern ankündigt - die verlässlich stete Abfolge der Jahreszeiten unterstützt die Entschleunigungstendenz des Buches. Auch der "Verlauf" von Zeit ist auf den Bildern immer wieder im wörtlichen Sinn zu erkennen, wenn man beispielsweise einer kleinen Menge ausgelaufenen Kaffees geradezu beim Herablaufen der Tasse und dem darauffolgendem Einsickern in die weiße Tischdecke zusieht.

Die Flüchtigkeit und Ungreifbarkeit der Zeit verbildlicht die Künstlerin Völk zusätzlich, indem sie die Räumlichkeit in ihren Bildern diesmal nahezu aufhebt, ein Verzicht, welcher der Graphikerin bei ihrem in den vorausgegangenen Büchern deutlich sichtbaren Faible für Grundrisse und sorgfältig ausbuchstabierte Architektur wohl nicht leichtgefallen ist. In "Dann gehe jetzt, sagte die Zeit" definieren keine Ecken oder Stoßleisten die Innenräume. Es fehlen auf einer basalen Ebene Schwellenüberschreitungen von einem Zimmer in das nächste, mithin eine Abfolge von Zeit durch ein Vorher und Nachher. So aber schwebt auf einem besonders zarten Bild eine weiße Tür in einem gelb aquarellierten Nichtraum, in dem die junge Protagonistin und die Zeit ebenso ort- wie zeitlos schweben.

Das Ganze ist mit Anleihen an Matisse in einem zeitlos aufgefrischten FünfzigerJahre-Stil gehalten, etwa wenn auf den Hintergründen in pastelligem Gelborange oder Lindgrün eine Lampe aus geklöppelter Spitze hängt, die direkt aus einem Film mit Herrn Rossi oder dem Rosaroten Panther entsprungen sein könnte; die Lockenarabeseken der verkörperten Zeit passen ohnehin bestens in diese kurvige Zeit der Fünfziger mit ihren geschwungenen Schriftzügen. Völk wäre aber nicht eine mehrfach mit Preisen ausgezeichnete Künstlerin, wenn sie diese in Teilen übernommene Zeitstimmung nicht subtil angepasst und modernisiert hätte - als roter Faden ihrer ureigenen Handschrift ziehen sich rote Gegenstände wie der bequeme Lehnstuhl der luftig verkörperten Zeit, Laras rote Schuhe, ihr Schemel und die durchgängig roten Stühle durch die Bilder. Auf einem ebenfalls roten Diwan hinter dem Rätsel lösenden Großvater wiederum liegt eine Fernsehfernbedienung, Attribut des professionellen Zeittotschlägers unserer Tage.

Aber nur das Mädchen nimmt eben - wie einst Momo - die Zeit unverstellt wahr; sie ist eine wahrhaft philosophische Zeit-Versteherin. Die Erwachsenen hingegen ergehen sich in abgedroschenen Redensarten wie "die Zeit totschlagen oder vertreiben", wo sie eigentlich Sudokus und Kreuzworträtsel lösen, oder dass diese "Geld" sei, wodurch jedes Schillersche Freispiel mit Kindern auf eine schiefe monetäre Vergleichsebene gehoben wird.

Das Buch ist somit ein doppeltes, dennoch unpeinliches Achtsamkeitsmanifest: Es ist ein traumschön gemaltes Plädoyer dafür, künftig auf unser Sprechen über die Zeit zu achten und Kinder nicht mit kontraproduktiven oder gar schädlichen, weil unhinterfragten Metaphern zu impfen. Und achtsamer gegen das gedankenlose Zeit-Totschlagen zu werden, wobei das vorliegende Buch sehr hilfreich sein kann.

Bettina Obrecht, Julie Völk: "Dann gehe ich jetzt, sagte die Zeit".

Tulipan Verlag, München 2020. 40 S., geb., 15,- [Euro]. Ab 5 J.

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