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Der Preis des Glücks
Sie wollen das perfekte Paar sein, Kinder und Beruf unter einen Hut bringen, alles irgendwie richtig machen. Und sie finden die ideale Nanny, die ihnen das alles erst möglich macht. Doch wie gut kann man einen fremden Menschen kennen? Und wie sehr kann man ihm vertrauen?
Sie haben Glück gehabt, denken sich Myriam und Paul, als sie Louise einstellen - eine Nanny wie aus dem Bilderbuch, die auf ihre beiden kleinen Kinder aufpasst, in der schönen Pariser Altbauwohnung im 10. Arrondissement. Wie mit unsichtbaren Fäden hält Louise die Familie zusammen, ebenso unbemerkt
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Produktbeschreibung
Der Preis des Glücks

Sie wollen das perfekte Paar sein, Kinder und Beruf unter einen Hut bringen, alles irgendwie richtig machen. Und sie finden die ideale Nanny, die ihnen das alles erst möglich macht. Doch wie gut kann man einen fremden Menschen kennen? Und wie sehr kann man ihm vertrauen?

Sie haben Glück gehabt, denken sich Myriam und Paul, als sie Louise einstellen - eine Nanny wie aus dem Bilderbuch, die auf ihre beiden kleinen Kinder aufpasst, in der schönen Pariser Altbauwohnung im 10. Arrondissement. Wie mit unsichtbaren Fäden hält Louise die Familie zusammen, ebenso unbemerkt wie mächtig. In wenigen Wochen schon ist sie unentbehrlich geworden. Myriam und Paul ahnen nichts von den Abgründen und von der Verletzlichkeit der Frau, der sie das Kostbarste anvertrauen, das sie besitzen. Von der tiefen Einsamkeit, in der sich die fünfzigjährige Frau zu verlieren droht. Bis eines Tages die Tragödie über die kleine Familie hereinbricht. Ebenso unaufhaltsam wie schrecklich.

Autorenporträt
Die französisch-marokkanische Autorin Leïla Slimani gilt als eine der wichtigsten literarischen Stimmen Frankreichs. Ihre Bücher sind internationale Bestseller. Slimani, 1981 in Rabat geboren, wuchs in Marokko auf und studierte an der Pariser Eliteuniversität Sciences Po. Für den Roman 'Dann schlaf auch du' wurde ihr der renommierte Prix Goncourt zuerkannt. Zuletzt erschienen im Luchterhand Literaturverlag der persönliche Band 'Der Duft der Blumen bei Nacht sowie die beiden Romane 'Das Land der Anderen' und 'Schaut, wie wir tanzen'. Letztere sind Teil einer Romantrilogie, die auf der Geschichte von Leïla Slimanis eigener Familie beruht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.08.2017

Warnung vor einem Roman
"Dann schlaf auch du", das neue Buch der Französin Leïla Slimani, erzählt von einem mordenden Kindermädchen und mütterlichen Schuldgefühlen. Es ist klar, es ist schmerzhaft, und es ist großartig

Vielleicht muss man vor diesem Buch warnen: Es könnte sein, dass es schockt. Dass es schmerzt. Dass man nach dieser Rezension sagt: "Auf keinen Fall lese ich das!" Das wäre sogar verständlich. Vor manchen Dingen möchte man sich lieber schützen. Trotzdem wäre es schade. Denn Leïla Slimanis neues Buch, das auf Deutsch gerade unter dem nicht ganz so grausamen Titel "Dann schlaf auch du" erschienen ist (im Französischen heißt es "Chanson Douce", wie in dem Lied "Une chanson douce que me chantait ma maman . . ."), ist wahnsinnig gut. Es geht um eine mordende Nanny, das ist schrecklich, aber der Roman ist großartig. Noch großartiger als Slimanis vorheriger, ihr allererster.

In "Dans le Jardin de l'Ogre" (der auf Deutsch voraussichtlich im kommenden Herbst erscheinen wird) ging es um eine Nymphomanin, eine Frau, die sich durch das zu enge, zu graue Paris wie durch ihr zu enges, zu graues Leben als Ehefrau und Mutter schleppte. Sie erstickte an den Konventionen, den vorgeformten Lebensentwürfen, den vorhersehbaren Gesprächen, an den abstrakten Moralvorstellungen, an der Genügsamkeit, mit der ihre Mitmenschen ihre Existenzen hinnehmen. Adèle war eine Frau, die zerbrach am Dahinplätschern des Alltags und die mit allen Mitteln versuchte, etwas Starkes zu spüren.

In "Dann schlaf auch du" ist alles ein bisschen anders. Erstens geht es nicht um Sex, sondern um Mord. Zweitens ist es hier nicht die Protagonistin, die versucht, sich aus ihrer Taubheit zu befreien, sondern Slimani, die dem Leser eine riesige Ohrfeige gibt. Gleich auf der ersten Seite, als wolle sie ihn wachrütteln, statt sich immer nur selbst weh zu tun. "Das Baby ist tot" lautet der erste Satz des Buches, ein paar Absätze weiter erfahren wir, dass auch seine Schwester, die "wie eine Wilde" (die Übersetzung trifft Slimanis sehr klare Sprache leider nicht immer gut) um ihr Leben gekämpft hat, ihren Verletzungen erliegen wird. Zwei Kinder sterben, erstochen von ihrer Nanny. Das sind die ersten drei Seiten. Danach geht Slimani in der Zeit zurück. Sie erzählt vom sehr normalen Alltag dieser sehr normalen Familie.

Paul und Myriam, die Eltern, sind "Bobos", wie man sie treffender nicht hätte beschreiben können: Sie sind beide Mitte dreißig, Paul ist Musikproduzent, Myriam Juristin, sie leben im 10. Arrondissement von Paris, in einer Wohnung, die eigentlich zu klein ist, aber was soll man tun, Paris eben. Sie haben viele schöne Prinzipien, die sich bisher kaum an der Realität messen mussten, und wenn es um ihre Familie geht, dann schmeißen sie sie auch gerne mal über Bord. Dann ist es nicht frauenfeindlich, sondern nur sinnvoll, dass die Nanny keine Kinder haben soll, weil sie sonst unflexibler ist. Die Familie steht über allem, so muss das sein.

Deshalb entschloss sich Myriam bei der Geburt ihrer Tochter Mila, zu Hause zu bleiben, um nach der Geburt des kleinen Adam festzustellen, dass diese sogenannten "einfachen Freuden" ihr nicht reichen. Die Langsamkeit dieses Daseins erdrückt sie, sie will arbeiten. Also suchen sie eine Nanny. Und finden sie. Louise ist perfekt. Sie kümmert sich um die Kinder (die sie lieben), um den Haushalt (der plötzlich nicht mehr wie ein unbesiegbares Monster erscheint), sie kocht, wäscht, putzt. Sie ist immer da, wenn man sie braucht, aber so diskret, dass sie nie stört. Myriam und Paul leben auf, es scheint, als nehme ihr Leben Fahrt auf, als würde jetzt alles schneller und heller.

Ihnen scheint das so, wir wissen längst, worauf das alles hinausläuft. Manchmal ist es, als würde man einen Horrorfilm schauen, würde sehen, wie die Frau unbekümmert das Zimmer betritt, in dem der Mörder hinter dem Vorhang lauert. Man will den Eltern zurufen: "Schmeißt sie raus!", will, dass sie die Zeichen richtig lesen, die wir als Vorboten erkennen. Aber natürlich kapieren die beiden gar nichts. Es macht sich ein Unwohlsein breit, aber sie verstehen nicht, warum, sie schauen permanent in die falsche Richtung. Sie beschäftigen sich mit Trivialitäten, sind selbstgefällig, machen sich Sorgen darüber, ob sie gute Chefs sind. Sie sind darum bemüht, die soziale Kluft zwischen ihnen und ihren Angestellten zu überdecken, so sehr, dass Myriam sogar ihre neuen Kleider versteckt, weil sie fürchtet, sie könne die Nanny durch ihren eigenen (sehr relativen) Wohlstand demütigen. Wie es wohl für diese Frau ist, den Kindern so viel Liebe zu geben, alles mit ihnen zu teilen und dabei zu wissen, dass sie irgendwann, bald, gehen muss und dann schnell vergessen sein wird - darüber macht sich Myriam keine Gedanken. Louise ist wie einer dieser Schatten, die im Theater zwischen den Akten die Requisiten hin und her schieben: Ohne sie würde es diese Bühnenwelt nicht geben, einen Platz darin, einen im Licht, wird sie trotzdem nie bekommen.

Slimani wechselt immer wieder die Perspektiven und beschreibt sehr eindringlich, wie die vielen Trennungen, dieses seltsame Intermezzo in der Intimsphäre anderer Menschen die Nanny langsam, fast unmerklich zerfressen. Irgendwann denkt Louise: "Ich kann nicht mehr lieben", und danach geht alles sehr schnell. Den Plot für ihren Roman, für den die 35-jährige Slimani im vergangenen Herbst den Prix Goncourt gewonnen hat, fand sie vor ein paar Jahren in einer Zeitung. 2012 erstach eine Nanny in der Upper East Side die beiden Kinder, auf die sie aufpasste. Einfach so, es gab kein Motiv, keinen "Grund". Sie hatte ein paar Geldprobleme und fühlte sich in eine Sackgasse gedrängt.

Leïla Slimani, die schon lange über eine Gouvernante, diese, wie sie sagt, "tragische Figur" schreiben wollte, fand die Geschichte perfekt. Ein bisschen erinnert das Prozedere an Emmanuel Carrère und seinen Non-Fiction-Roman "Amok", in dem ein Mann eines Tages seine gesamte Familie niedermetzelte, nur dass Slimani sich im Gegensatz zu ihrem Kollegen nicht breitbeinig in den Raum stellt, um zu beobachten, was dieser Horror mit ihr macht. Sie nimmt sich raus und beobachtet das Handeln und Fühlen ihrer Figuren. Natürlich tut sie das auch aus ihrer Perspektive, der einer Frau, einer Ehefrau, einer Mutter, einer Schriftstellerin. Leïla Slimanis Thema, das kann man nach zwei Romanen einfach mal behaupten, sind die Frauen. In Frankreich bringt sie gerade auch einen Essay über die weibliche Sexualität in Marokko heraus. Oder besser gesagt: Ihr Thema ist die Frage, wie man als Frau seinen Platz findet, welche Rolle man einnehmen möchte oder sich einzunehmen traut. Wie man mit den Widersprüchen, die diese Rollen ja manchmal in sich tragen, umgeht und inwieweit die (neue) Freiheit zu wählen auch einen Raum für Unzufriedenheit öffnet. Frausein, Muttersein - was bedeutet das eigentlich? Ist das immer so klar?

Für Leïla Slimani, das war auch schon in ihrem ersten Buch zu sehen, ist es das nicht. Es ist mit viel Angst, Scham, Zweifel und viel Schuld verbunden. In "Dann schlaf auch du" kreist sie um diese ewige Schuld der Frau, der Mutter. Vor Gericht heißt es irgendwann, Myriam sei eine egoistische, von Ambitionen getriebene Frau, als wäre der Mord an ihren Kindern nur eine logische Strafe für ihren unerhörten Wunsch nach einem eigenen Leben. Noch vor der Tragödie reden ihr permanent Leute, besonders Frauen, ihre Schwiegermutter, ihre Freundin, die Lehrerin, ein schlechtes Gewissen ein. Natürlich darf sie mehr wollen, scheinen sie zu sagen, gäbe sie sich aber mit weniger zufrieden, dann passierte sicher nie etwas. Nur wäre das, so viel weiß man, wenn man Slimani liest, der größte Horror überhaupt.

ANNABELLE HIRSCH

Leïla Slimani: "Dann schlaf auch du". Roman. Aus dem Französischen von Amelie Thoma. Luchterhand, 224 Seiten, 20 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.11.2017

Der negierte Blick
Die Marokkanerin Leïla Slimani spricht in ihrem mit dem französischen Prix Goncourt ausgezeichneten Roman Urängste an
Die Anforderungen sind groß, die Erwartungen riesig. Wer Kinder bekommt, gerät leicht unter Druck. Was es bedeutet, in einer hoch individualisierten Gesellschaft vom jahrelang trainierten Eigeninteresse auf Altruismus umzustellen, erfahren vor allem Mütter am eigenen Leib. Kaum haben sie sich die Selbständigkeit zurückerobert, die ihnen die Schwangerschaft genommen hat, kleben sie am Double-Bind ihrer Emotionen: tief verflochten in die Liebe zum Kind, müssen sie das Band lockern, wenn sie seinen Bannkreis verlassen wollen, um wieder zur Arbeit zu gehen. Die Angst wird zur ständigen Begleiterin.
Leïla Slimani macht aus dieser Konstellation einen Roman von umwerfender Ambivalenz. Ausgezeichnet mit dem Prix Goncourt, dem wichtigsten Literaturpreis Frankreichs, ist „Chanson douce“, wie „Dann schlaf auch du“ im Original heißt, eher ein unheimliches als ein sanftes Wiegenlied. Wenn der Roman beginnt, ist die Tragödie bereits geschehen: Adam und Mila, die beiden Kinder von Myriam und Paul Massé, sind tot. Die Nanny hat sie umgebracht. Dabei sah es so aus, als sei Louise die Idealbesetzung, fast so, als wäre sie eine moderne Inkarnation von Mary Poppins.
Denn Louise, ebenso zart wie energisch, kümmerte sich nicht nur um das Baby und seine schwierige Schwester. Sie brachte auch den Haushalt der Massés auf Vordermann. Sie putzte und wusch, nähte Knöpfe an, flickte, ordnete, sortierte, kochte und buk. Die viel zu kleine Wohnung in der Rue d’Hauteville im 10. Arrondisement wurde unter ihren Fittichen behaglich. Wenn die Eltern erschöpft nach Hause kamen, schlich sich Louise unauffällig davon.
Alle beneideten das Ehepaar um Louise, die sogar Abendessen für den Freundeskreis kochte. Irgendwann wurde es Zeit, sie auch mal in die Runde zu bitten. Dann saß sie dabei wie eine „Fremde“, eine „Emigrantin“. Dabei ist es die Hausherrin, die aus dem Maghreb stammt, nicht sie. Myriam ist Anwältin, ehrgeizig und perfektionistisch. Zufällig hatte sie einen alten Kommilitonen auf der Straße getroffen, in Mutter-Kluft, auf dem Weg zum Spielplatz. Der hatte sie erst gar nicht erkannt. Aber er wusste noch, wie fleißig sie ist. Sie nahm sofort das Angebot an, in seiner Kanzlei zu arbeiten. Deshalb brauchten sie Louise, die sie und ihr Mann, ein Musikproduzent, der auch als Vater weiterleben will wie bisher, aus einer Vielzahl von Bewerberinnen ausgesucht haben.
Leïla Slimani, 1981 in Rabat geboren und in Marokko aufgewachsen, lebt seit vielen Jahren in Paris. Sie hat an der Sciences Po studiert und als Journalistin gearbeitet. Nach „Dans le jardin de l’ogre“, ihrem Debüt von 2014, ist „Chanson douce“ ihr zweiter Roman. Die Übersetzung von Amelie Thoma fängt seine Atmosphäre trefflich ein, diese Mischung aus kühler Sachlichkeit und unterschwelliger Bedrohung. Das ist das große Kunststück dieses Romans: Er ist einerseits realistisch und zeichnet ein dichtes Porträt der sozialen Verwerfungen im Paris der Gegenwart, das nach den Attentaten noch neurotischer geworden ist. Andererseits verarbeitet er märchenhafte und mythische Elemente, wie sie sich in Wunschträumen und Albträumen niederschlagen.
Dieser Roman rührt an Urängste. Aber er tut es so sachlich und folgerichtig, dass sich die ganzen Paradoxien des albtraumhaften Drucks, in den ambitionierte Eltern geraten, wenn sie ihre Karrieren mit der Kindererziehung in Einklang bringen wollen, wie Schlingpflanzen verknoten. Leïla Slimani erzählt ihren Roman in einzelnen Szenen. Sie sind nicht chronologisch angeordnet, sondern so, dass sie den Leser ganz allmählich in die Tiefenstruktur der Geschichte hineinziehen. Er wird gefüttert mit Elementen, die an das Setting verblasster Filme erinnern: die Patina des Vergangenen überzieht alles mit Melancholie, die mal etwas Leuchtendes bekommt, mal ins Düstere kippt. Wie die Kommissarin, die erst am Ende auftaucht, sucht auch der Leser die ganze Zeit nach dem „Fehler“. Was haben die Eltern übersehen? Warum ist Louise durchgedreht?
Mit einem starken Gespür für die Abgründigkeit von Gefühlen, durch die Überforderungsstruktur moderner Elternschaft maßlos forciert, führt uns Leïla Slimani durch eine Welt, in der Kinder, auch wenn sie noch so sehr geliebt werden, immer im Weg sind. Louise ist in gewisser Weise Myriams Spiegelgestalt. Anders als Paul war sie längere Zeit mit den Kindern allein zu Hause und stürzte in einen Teufelskreis aus Anspannung, Langeweile, Einsamkeit und Scham. Wieder zur Arbeit zu gehen, war für sie eine Befreiung, auch aus den Neidgefühlen, die sie ihrem Mann gegenüber empfand. Weil sie die Situation kennt, weiß sie, was sie Louise zumutet. Sie hat nicht nur den Kindern gegenüber ein schlechtes Gewissen, sondern auch ihr gegenüber, die bereits eine eigene Tochter großgezogen hat. Paul sieht das pragmatisch. Louise sei ihre Angestellte, nicht ihre Freundin.
Doch das Alleinsein mit den Kindern ist nicht Louises eigentliches Problem. Sie wohnt in einer schäbigen Ein-Zimmer-Wohnung in einem heruntergekommenen Bezirk, der Vermieter drangsaliert sie, der verstorbene Ehemann hat ihr nichts als Schulden hinterlassen. Als ein Mann vor ihrer Haustür auf offener Straße „scheißt“, befürchtet sie, sie werde auch so enden, obdachlos, „wie ein Tier“. Der Roman ist von Tier-Metaphern durchzogen. Louise nistet sich immer mehr im Leben der Massés ein. In einer Mischung aus Bequemlichkeit und Gönnerhaftigkeit nehmen sie sie mit in den Urlaub auf eine griechische Insel. Und so bekommt sie ein Bild davon, wie schön das Leben sein kann.
Virtuos inszeniert Leïla Slimani die unselige Verflechtung von unstillbaren Begierden und sozialer Not. Louise wird dafür bezahlt, die Kinder zu hüten, und sie soll das mit genau dem richtigen Maß an Gefühlen tun. Sie soll liebevoll sein und doch jederzeit loslassen, wenn die Eltern ihre Ansprüche anmelden. Als sie spürt, dass sie ihnen langsam lästig wird, ersinnt sie eine Strategie, um sich unentbehrlich zu machen. Sie will sie dazu bewegen, ein weiteres Kind zu bekommen. Immer weiter steigert sie sich in diesen Wahn hinein.
Die im Bett ihrer Arbeitgeber herumschnüffelnde Nanny ist ein starkes Bild für die Grenzverletzung in Sachen Intimität, die in häuslichen Arbeitsverhältnissen fast unvermeidbar ist und stillschweigend übergangen wird. Dass diese Ignoranz auch verletzend ist, der Blick der Angestellten wird negiert, setzt dieser Roman mit großer Wucht in Szene. Louise hasst es, zur Zuschauerin fremder Intimität gemacht zu werden. Und Myriam entdeckt viel zu spät, dass sie sich nie Gedanken gemacht hat, wie Louise lebt. Die abgrundtiefe Einsamkeit der sozial Deklassierten hat mit dem unbehaglichen Alleinsein einer gut situierten Mutter wenig zu tun. Das ist der Sprengstoff, den dieser Roman leichthändig in die Luft jagt.
MEIKE FESSMANN
Die Strategie der Nanny:
Ein weiteres Kind
würde sie unentbehrlich machen
Leïla Slimani: Dann schlaf auch du. Roman. Aus dem Französischen von Amelie Thoma. Luchterhand Literaturverlag, München 2017. 224 Seiten, 20 Euro. E-Book 15,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Roman Bucheli lässt sich nicht überzeugen von Leïla Slimanis Roman. Auch wenn die Autorin mit erzählerischer Virtuosität glänzt, meint er, geht sie ihrer eigenen Story auf den Leim und bringt nicht mehr als eine simpel gestrickte Gesellschaftskritik zustande, derzufolge der Täter (in diesem Fall eine Kinder mordende Nanny) immer auch das erniedrigte und beleidigte Opfer ist. Aller Sarkasmus, mit dem die Autorin doppelte moralische Standards aufspießt, alle Präzision der Komposition halten Bucheli nicht bei der Stange. Zu genau, meint er, weiß die Autorin von Anbeginn, wo das Gute, wo das Böse zu finden ist. Die "penetrant" ausagierte Unausweichlichkeit der Tat, so Bucheli, degradiert die Figuren zu Marionetten.

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»Virtuos inszeniert Leïla Slimani die unselige Verflechtung von unstillbaren Begierden und sozialer Not. Ein Roman von umwerfender Ambivalenz.« Meike Feßmann / Süddeutsche Zeitung