Wahlmanipulation, Erpressung, Rufmord,Handel mit Kinderpornografie: Viele traditionelleFormen der Kriminalität bedienen sichzunehmend moderner Informations- und Kommunikationstechnologien - die Digitalisierung der Kriminalität schreitet voran. Dazu kommen neue Formen der Computerkriminalität, die erst mit der jetzt erreichten Verbreitung und Nutzungvon Computern möglich sind.Das "Darknet", ein besonders gut abgeschotteterBereich der Netzwelt, zieht dabei Kriminellean wie Motten das Licht, da dort Verschlüsselungund Anonymisierung garantiert werden.Während diese Funktionalitäten auch von ehrlichenWhistleblowern oder Bürgerrechtsaktivistengenutzt werden können, überwiegt derMissbrauch.Cornelius Granig beleuchtet die Anfänge der kriminellen Nutzung von Rechentechnologien, erläutert spektakuläre Vorfälle aus dem deutschsprachigen Raum und spannt einen Bogen vom Missbrauch moderner Technologien durch Diktaturen bis hin zu den Angriffen von Einzeltäternaus dem Darknet. Er spricht mit Polizeibehördenüber Strategien zur Bekämpfung von Computerkriminalität und zeigt, dass wir schonseit Jahrzehnten digitalen Gefahren ausgesetztsind, deren Dimension ständig größer wird.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.08.2019Geht auch ohne Darknet
Cornelius Granig erläutert Computerkriminalität
Der Titel dieses Buches müsste eigentlich in Anführungszeichen gesetzt sein. Denn um das Darknet im engeren Sinn, also jenen Bereich des World Wide Web, der für normale Suchmaschinen und Browser nicht zugänglich ist, geht es nur auf etwa einem Zehntel der Buchseiten. Und so angemessen dieser geringe Umfang sich angesichts der Tatsache ausnimmt, dass das Darknet weit weniger als ein Prozent des Internets ausmacht und wohl nur ein geringer Prozentsatz seines Datenverkehrs illegal ist, so reißerisch und irreführend ist es, den vielfach dramatisierten Begriff metaphorisch auf die Computerkriminalität im Allgemeinen zu beziehen.
Der Autor Cornelius Granig schreibt im Vorwort: "In diesem Buch wird das ,große Darknet' beschrieben, das dunkle Netz, in dem die Digitalisierung der Kriminalität voranschreitet und in der Computerkriminalität in all ihren vielfältigen Formen Verbreitung findet." Damit freilich ist nicht viel gewonnen, denn diskutabel ist auch die Frage, was man alles zur "Computerkriminalität" zählen möchte. Wobei der Autor diese Problematik zwar nicht verschweigt, im Verlauf des Buches aber allzu oft Grenzphänomene wie das "Dirty Campaigning" und geheimdienstliche Operationen in den großen Crime-Topf mit hineinwirft. Eine Erpressung oder ein Betrugsfall, bei denen statt des Briefs oder des Telefons das Internet als Kommunikationsmittel genutzt wird, mag von den Ermittlungsbehörden unter die Computerkriminalität gefasst werden müssen. Zu unterscheiden ist sie von jener Form der Kriminalität, bei der durch digitale Werkzeuge eine neue Qualität von Gefahrenlagen entsteht.
So ist die Verleumdung seit Bestehen der sozialen Medien nicht nur viel durchschlagskräftiger, es sind auch das Auffinden des Urhebers und die Tilgung von Diffamierungen über Ländergrenzen hinweg schwieriger geworden. Am beunruhigendsten aber sind wohl digitale Angriffe auf die kritische Infrastruktur von Nationen, wie sie etwa der Stuxnet-Computerwurm in Iran ausgelöst hat, die eines Tages vielleicht sogar das Potential besitzen werden, das Internet als Ganzes zu gefährden. Auch das sich ausbreitende "Internet der Dinge" wird neue Einfallstore schaffen.
Nicht zu unterschätzen sind bei vielen digitalen Verbrechen auch die kleinen analogen Beiträge zum großen kriminellen Ganzen: Ohne jemanden, der einen USB-Stick mit Schadsoftware in ein Computersystem einführt, geht es oft nicht. Und nicht selten ist es einfacher, wie jüngst im Fall eines Datenlecks bei AT&T, den Zugang zu verschlüsselten Systemen einfach durch Bestechung von Mitarbeitern zu schaffen. Diese Differenzierungen sind wichtig, um übertriebene Dämonisierungen von bestimmten "Cybercrimes" zu vermeiden.
Das echte Darknet jedenfalls - überlebenswichtig für Dissidenten in repressiven Regimes, berüchtigt wegen seiner Handelsplätze für Drogen oder Kinderpornographie - braucht man bei vielen digitalen Verbrechen nicht, wenn es auch der Computerkriminalität insgesamt durch die angebotenen illegalen Dienstleistungen Auftrieb gibt.
Sämtliche vom Autor der Computerkriminalität zugerechnete Bereiche werden lehrbuchmäßig, oft enzyklopädisch dargestellt, als handle es sich um Schulungsunterlagen für Sonderermittler. Aufgelockert werden die Texte durch anschauliche Tabellen, gut recherchierte Zahlen und viele Kurzinterviews, die oft einen erhellenden Blick nach Österreich, Liechtenstein und in die Schweiz werfen.
Unerfreulich hingegen sind die vielen ausführlichen Zitate, in denen das vorher Umrissene lang und breit wiederholt wird. Sonderbar wirkt, dass fast jedem interviewten Experten die Frage gestellt wird, ob er eine Cyberversicherung abgeschlossen habe. Wobei man auf diese dann wieder unter den "Top-10-Sicherheitstipps" im siebten Kapitel des Buches stößt, in dem es heißt, es gebe inzwischen viele Versicherungsunternehmen, die eine solche anböten. Doch wird die Police einer namentlich genannten Versicherung dann besonders hervorgehoben, anschließend mit sämtlichen Leistungen beschrieben.
Und folgt man dem schon auf dem Titelcover signalhaft aufgedruckten Link zu einer Serviceseite, die laut Impressum vom Beratungsunternehmen des Autors bereitgestellt wird, findet man sogar einen Servicelink, der direkt zu dieser einen Versicherung führt. Das sind Auswüchse des vernetzten Publizierens, die in ihrer Suggestivität ein wenig misstrauisch machen.
UWE EBBINGHAUS
Cornelius Granig: "Darknet". Die Welt im Schatten der Computerkriminalität.
Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2019. 304 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Cornelius Granig erläutert Computerkriminalität
Der Titel dieses Buches müsste eigentlich in Anführungszeichen gesetzt sein. Denn um das Darknet im engeren Sinn, also jenen Bereich des World Wide Web, der für normale Suchmaschinen und Browser nicht zugänglich ist, geht es nur auf etwa einem Zehntel der Buchseiten. Und so angemessen dieser geringe Umfang sich angesichts der Tatsache ausnimmt, dass das Darknet weit weniger als ein Prozent des Internets ausmacht und wohl nur ein geringer Prozentsatz seines Datenverkehrs illegal ist, so reißerisch und irreführend ist es, den vielfach dramatisierten Begriff metaphorisch auf die Computerkriminalität im Allgemeinen zu beziehen.
Der Autor Cornelius Granig schreibt im Vorwort: "In diesem Buch wird das ,große Darknet' beschrieben, das dunkle Netz, in dem die Digitalisierung der Kriminalität voranschreitet und in der Computerkriminalität in all ihren vielfältigen Formen Verbreitung findet." Damit freilich ist nicht viel gewonnen, denn diskutabel ist auch die Frage, was man alles zur "Computerkriminalität" zählen möchte. Wobei der Autor diese Problematik zwar nicht verschweigt, im Verlauf des Buches aber allzu oft Grenzphänomene wie das "Dirty Campaigning" und geheimdienstliche Operationen in den großen Crime-Topf mit hineinwirft. Eine Erpressung oder ein Betrugsfall, bei denen statt des Briefs oder des Telefons das Internet als Kommunikationsmittel genutzt wird, mag von den Ermittlungsbehörden unter die Computerkriminalität gefasst werden müssen. Zu unterscheiden ist sie von jener Form der Kriminalität, bei der durch digitale Werkzeuge eine neue Qualität von Gefahrenlagen entsteht.
So ist die Verleumdung seit Bestehen der sozialen Medien nicht nur viel durchschlagskräftiger, es sind auch das Auffinden des Urhebers und die Tilgung von Diffamierungen über Ländergrenzen hinweg schwieriger geworden. Am beunruhigendsten aber sind wohl digitale Angriffe auf die kritische Infrastruktur von Nationen, wie sie etwa der Stuxnet-Computerwurm in Iran ausgelöst hat, die eines Tages vielleicht sogar das Potential besitzen werden, das Internet als Ganzes zu gefährden. Auch das sich ausbreitende "Internet der Dinge" wird neue Einfallstore schaffen.
Nicht zu unterschätzen sind bei vielen digitalen Verbrechen auch die kleinen analogen Beiträge zum großen kriminellen Ganzen: Ohne jemanden, der einen USB-Stick mit Schadsoftware in ein Computersystem einführt, geht es oft nicht. Und nicht selten ist es einfacher, wie jüngst im Fall eines Datenlecks bei AT&T, den Zugang zu verschlüsselten Systemen einfach durch Bestechung von Mitarbeitern zu schaffen. Diese Differenzierungen sind wichtig, um übertriebene Dämonisierungen von bestimmten "Cybercrimes" zu vermeiden.
Das echte Darknet jedenfalls - überlebenswichtig für Dissidenten in repressiven Regimes, berüchtigt wegen seiner Handelsplätze für Drogen oder Kinderpornographie - braucht man bei vielen digitalen Verbrechen nicht, wenn es auch der Computerkriminalität insgesamt durch die angebotenen illegalen Dienstleistungen Auftrieb gibt.
Sämtliche vom Autor der Computerkriminalität zugerechnete Bereiche werden lehrbuchmäßig, oft enzyklopädisch dargestellt, als handle es sich um Schulungsunterlagen für Sonderermittler. Aufgelockert werden die Texte durch anschauliche Tabellen, gut recherchierte Zahlen und viele Kurzinterviews, die oft einen erhellenden Blick nach Österreich, Liechtenstein und in die Schweiz werfen.
Unerfreulich hingegen sind die vielen ausführlichen Zitate, in denen das vorher Umrissene lang und breit wiederholt wird. Sonderbar wirkt, dass fast jedem interviewten Experten die Frage gestellt wird, ob er eine Cyberversicherung abgeschlossen habe. Wobei man auf diese dann wieder unter den "Top-10-Sicherheitstipps" im siebten Kapitel des Buches stößt, in dem es heißt, es gebe inzwischen viele Versicherungsunternehmen, die eine solche anböten. Doch wird die Police einer namentlich genannten Versicherung dann besonders hervorgehoben, anschließend mit sämtlichen Leistungen beschrieben.
Und folgt man dem schon auf dem Titelcover signalhaft aufgedruckten Link zu einer Serviceseite, die laut Impressum vom Beratungsunternehmen des Autors bereitgestellt wird, findet man sogar einen Servicelink, der direkt zu dieser einen Versicherung führt. Das sind Auswüchse des vernetzten Publizierens, die in ihrer Suggestivität ein wenig misstrauisch machen.
UWE EBBINGHAUS
Cornelius Granig: "Darknet". Die Welt im Schatten der Computerkriminalität.
Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 2019. 304 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Morton Freidel erkennt den schmalen Grat, auf dem Stefan Mey mit seinem Buch balanciert. Einerseits findet er die Kenntnis und die Nüchternheit angenehm, mit denen der Autor das Darknet und den Tor-Browser beschreibt. So kann Mey ihm überzeugend erklären, warum die US-Regierung das Tor-Projekt weiter unterstützt, obgleich sich im Darknet nachweislich vor allem Kriminelle tummeln. Andererseits schießt der Autor laut Rezensent stellenweise übers Ziel hinaus. Dann wirkt der Text auf Freidel fast wie eine Apologie des Darknet als Utopie der Freiheit.
© Perlentaucher Medien GmbH
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