Morana ist in Zagreb geboren und lebt inzwischen in München, ihr Vater ist zum dritten Mal verheiratet und lebt in Amerika, die Stiefmütter werden immer jünger, ihre Mutter ist krank und Kristijan - ihr bester Freund - auch. Moranas Eltern waren Balkan-Hippies, ihre Kindheit und Jugend ein etwas chaotisches, aber liebenswertes Flickwerk aus Tradition und blockfreiem Sozialismus und eher westlich geprägtem Hedonismus, komisch und etwas orientierungslos. Aber dann kamen die Ereignisse der neunziger Jahre, der Zerfall Jugoslawiens und der Krieg, und nichts hat Morana, ihre Familie und ihre Freunde darauf vorbereitet. Heute sind sie in alle Welt verstreut. In kurzen prägnanten Szenen, ironisch, grotesk, klug und voller Mitgefühl, zeichnet Rujana Jeger das Bild einer Generation, die sich jenseits von Familie und Tradition, Staat und Beruf, zwischen Konsum, Krieg, Liebe und Chaos selbst ihren Weg bahnen muß.
«Darkroom» zeichnet das Bild eines Zustandes, wie ihn eine junge Generation überall auf der Welt heute vorfindet, allerdings verschärft durch Erfahrungen und Umbrüche, die anderen erspart geblieben sind. Dafür hat Rujana Jeger eine überzeugende und faszinierende literarische Form gefunden, trotzig, traurig, komisch, schön.
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«Darkroom» zeichnet das Bild eines Zustandes, wie ihn eine junge Generation überall auf der Welt heute vorfindet, allerdings verschärft durch Erfahrungen und Umbrüche, die anderen erspart geblieben sind. Dafür hat Rujana Jeger eine überzeugende und faszinierende literarische Form gefunden, trotzig, traurig, komisch, schön.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.09.2004Bürgerkrieg mit Iggy Pop
Kroatiens Generation X: Rujana Jegers zickiges Romandebüt
In der neueren deutschen Literatur rechnen derzeit die Kinder von 1968 so rüde mit ihren Eltern ab wie jene seinerzeit mit ihren Nazi-Vätern. Mit Grausen wendet sich die Generation Golf von den egoistischen, lieb- und verantwortungslosen Hippie-Eltern ab, die ihnen die Jugend offenbar zur Hölle machten. Rujana Jeger, wie ihre Erzählerin Morana 1968 in Zagreb geboren, empfindet ein ganz ähnliches Schicksal eher als Glücksfall. Der serbische Vater war ein yogibärtiger Vorzeigehippie, der Marx, Che und Buddha studierte und seine Tochter als Betriebsunfall der sexuellen Revolution verbuchte; noch heute pflegt der Alt-Achtundsechziger in der gelobten Stadt San Francisco mit Räucherstäbchen, Meditationsübungen und immer jüngeren Frauen die Erinnerung an die selige Zeit der Kirschen. Auch die kroatische Mutter kümmerte sich mehr um die Löcher in ihrer Aura und ihre hedonistisch-narzißtische Selbstverwirklichung als um die Erziehung ihrer Tochter.
Dennoch läßt Jeger nichts auf ihre Eltern kommen. Papa ist für sie immer noch ein Held, Mutter die beste Freundin, mit der sie nicht nur die Kleider und die magische Weltanschauung teilt. "Ich wünschte mir, eines Tages sie zu sein", schreibt sie im Nachwort. "Nun, dieser Tag ist offenbar gekommen. Deswegen ist es gut, daß ich sie liebe, denn es wäre doch unangenehm, sich ständig an eine Person zu erinnern, die einen nervt." Das gilt erst recht für den schnurrigen, schnurrbärtigen Großvater: Die postfeministische Enkelin nimmt ihm nicht übel, daß er als Partisan sein Gewehr mehr als Frau und Kinder liebte.
Die Eltern sind längst geschieden und in alle Winde zerstreut, und eben das macht sie Morana so lieb. Nicht nur, daß die verworrenen Verhältnisse in der Patchwork-Familie nur der Spiegel der ethnischen Zerrissenheit ihrer Heimat sind: Eine heile Welt erschiene einer Frau, die sich als "schlechtgelauntes, misanthropisches, sarkastisches Geschöpf, aufbrausend und verschwenderisch", beschreibt, als ziemlich langweilig. Morana ist "glücklich traurig", das Chaos in ihrem erweiterten Bewußtsein Fortsetzung des Bürgerkriegs mit anderen Mitteln. Sie hält sich an Alkohol und Drogen und strikt vegetarische Diät. Sie mag Lara-Croft-Computerspiele, Shoppen und Ficken, aber noch mehr Hunde, Pflanzen und Bücher wie "Mein Weg zur Hexenkunst".
Sie fühlt sich unter Schwulen, Punkern und Junkies forever young und spürt doch schon an ihrem dreißigsten Geburtstag, daß ihre "Garantie abgelaufen" ist. Ihre Sprache ist lakonisch derb und obszön, aber zugleich empfindsam und zärtlich. Wenn Morana nach zehn Jahren München heimkehrt, steigen ihr vor den Läden, wo sie Piroschken mit Käse aß und Mama ihre ersten Fiorucci-Jeans kaufte, die Tränen in die Augen. Ihr bester Freund Kristijan, ein Heiliger der Gosse und homosexueller Zyniker, der L'Oreal-Gesichtscreme als Gleitmittel nimmt, leiht dem Buch sein Motto: "Das Leben ist wie ein Darkroom. Du weißt nie, wer dich fickt und wen du fickst. Aber es ist zu aufregend, als daß du einfach so rausgehen könntest."
Das rotzig-trotzige Lebensgefühl klingt für unsere Ohren ziemlich abgeschmackt und anachronistisch, aber zum Glück erschöpft sich Rujana Jegers erster Roman nicht in Bürgerschreckposen und falschem Pathos. Bei aller Schnoddrigkeit schaut die Journalistin - sie schreibt Kolumnen für die kroatischen Ausgaben von "Elle" und "Cosmopolitan" - immer genau hin und verfügt über ein feines Gespür für Rhythmus, Schnitte und Pointen. "Ich sitze in einem Café und heule", heißt eine ihrer kleinen, oft nur wenige Zeilen umfassenden Alltagsvignetten. "Es ist Krieg, 1992. Kristijan hat eine Zeitungsnotiz ausgeschnitten, die Leute sollen Plastiktüten mit in den Schutzkeller nehmen für ihre Notdurft. Ich heule weiter. Was ist, fragt Kristijan, willst du in eine Tüte scheißen?"
"Darkroom" ist weniger ein Roman als ein Album der jugoslawischen Generation X mit gestochen scharfen Polaroids, Erinnerungsfetzen, Glossen, Tagebuchnotizen und E-Mails. Aufgewachsen im Krieg, war für diese Jugend die neue Platte von Iggy Pop oder Velvet Underground wichtiger als Sarajevo oder Srebrenica. Nicht daß Morana unpolitisch wäre; aber ihr Hauptschlachtfeld sind doch die Clubs, Kinos, Boutiquen und Coffeeshops zwischen Amsterdam, München und Ljubljana. Ihr Leben besteht aus Drogen, Sex und Rock 'n' Roll, und das "Take a walk on the wild side" ist für sie mehr als nur eine Phrase. So wird Ernst Jüngers ästhetisch unterkühltes Abenteurertum als Coolness im Zeitalter virtueller Wirklichkeit reproduziert: "Kommt zu mir, hatte Kristijan gesagt, wir essen was und schauen uns die Bombardierung von Belgrad an."
Sprunghaft, widersprüchlich und unverkrampft subjektiv, ist dieser "Darkroom" noch in seinen düsteren Schockeffekten und banalen Lebensweisheiten ein Hoffnungsschimmer. Jegers Mutter, die bekannte kroatische Autorin Slavenka Drakulic, legte kürzlich ein Buch über die Kriegsverbrecherprozesse von Den Haag vor. Ihre Tochter läßt die Vergangenheit hinter sich, ohne Herkunft, Heimat und Familie zu verraten. Sie ist noch immer Mamas kleine "Hippieprinzessin" und Papas Liebling: "Dein Geschreibsel ist wunderschön. Dein Alter" schreibt ihr Vater, und das ist, selbst wenn sein Blick von Rührung, Joints und der Entfernung getrübt sein mag, nicht ganz falsch. Rujana Jeger ist kosmopolitisch und Cosmopolitan-Luxusfrau, zickig, wütend und kleinmädchenhaft sentimental, mit einem Wort: eine ganz normal verrückte junge Frau. Ihr Darkroom Jugoslawien ist nicht dunkler oder heller als Westeuropa.
MARTIN HALTER
Rujana Jeger: "Darkroom". Roman. Aus dem Kroatischen übersetzt von Brigitte Döbert. C. H. Beck Verlag, München 2004. 153 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kroatiens Generation X: Rujana Jegers zickiges Romandebüt
In der neueren deutschen Literatur rechnen derzeit die Kinder von 1968 so rüde mit ihren Eltern ab wie jene seinerzeit mit ihren Nazi-Vätern. Mit Grausen wendet sich die Generation Golf von den egoistischen, lieb- und verantwortungslosen Hippie-Eltern ab, die ihnen die Jugend offenbar zur Hölle machten. Rujana Jeger, wie ihre Erzählerin Morana 1968 in Zagreb geboren, empfindet ein ganz ähnliches Schicksal eher als Glücksfall. Der serbische Vater war ein yogibärtiger Vorzeigehippie, der Marx, Che und Buddha studierte und seine Tochter als Betriebsunfall der sexuellen Revolution verbuchte; noch heute pflegt der Alt-Achtundsechziger in der gelobten Stadt San Francisco mit Räucherstäbchen, Meditationsübungen und immer jüngeren Frauen die Erinnerung an die selige Zeit der Kirschen. Auch die kroatische Mutter kümmerte sich mehr um die Löcher in ihrer Aura und ihre hedonistisch-narzißtische Selbstverwirklichung als um die Erziehung ihrer Tochter.
Dennoch läßt Jeger nichts auf ihre Eltern kommen. Papa ist für sie immer noch ein Held, Mutter die beste Freundin, mit der sie nicht nur die Kleider und die magische Weltanschauung teilt. "Ich wünschte mir, eines Tages sie zu sein", schreibt sie im Nachwort. "Nun, dieser Tag ist offenbar gekommen. Deswegen ist es gut, daß ich sie liebe, denn es wäre doch unangenehm, sich ständig an eine Person zu erinnern, die einen nervt." Das gilt erst recht für den schnurrigen, schnurrbärtigen Großvater: Die postfeministische Enkelin nimmt ihm nicht übel, daß er als Partisan sein Gewehr mehr als Frau und Kinder liebte.
Die Eltern sind längst geschieden und in alle Winde zerstreut, und eben das macht sie Morana so lieb. Nicht nur, daß die verworrenen Verhältnisse in der Patchwork-Familie nur der Spiegel der ethnischen Zerrissenheit ihrer Heimat sind: Eine heile Welt erschiene einer Frau, die sich als "schlechtgelauntes, misanthropisches, sarkastisches Geschöpf, aufbrausend und verschwenderisch", beschreibt, als ziemlich langweilig. Morana ist "glücklich traurig", das Chaos in ihrem erweiterten Bewußtsein Fortsetzung des Bürgerkriegs mit anderen Mitteln. Sie hält sich an Alkohol und Drogen und strikt vegetarische Diät. Sie mag Lara-Croft-Computerspiele, Shoppen und Ficken, aber noch mehr Hunde, Pflanzen und Bücher wie "Mein Weg zur Hexenkunst".
Sie fühlt sich unter Schwulen, Punkern und Junkies forever young und spürt doch schon an ihrem dreißigsten Geburtstag, daß ihre "Garantie abgelaufen" ist. Ihre Sprache ist lakonisch derb und obszön, aber zugleich empfindsam und zärtlich. Wenn Morana nach zehn Jahren München heimkehrt, steigen ihr vor den Läden, wo sie Piroschken mit Käse aß und Mama ihre ersten Fiorucci-Jeans kaufte, die Tränen in die Augen. Ihr bester Freund Kristijan, ein Heiliger der Gosse und homosexueller Zyniker, der L'Oreal-Gesichtscreme als Gleitmittel nimmt, leiht dem Buch sein Motto: "Das Leben ist wie ein Darkroom. Du weißt nie, wer dich fickt und wen du fickst. Aber es ist zu aufregend, als daß du einfach so rausgehen könntest."
Das rotzig-trotzige Lebensgefühl klingt für unsere Ohren ziemlich abgeschmackt und anachronistisch, aber zum Glück erschöpft sich Rujana Jegers erster Roman nicht in Bürgerschreckposen und falschem Pathos. Bei aller Schnoddrigkeit schaut die Journalistin - sie schreibt Kolumnen für die kroatischen Ausgaben von "Elle" und "Cosmopolitan" - immer genau hin und verfügt über ein feines Gespür für Rhythmus, Schnitte und Pointen. "Ich sitze in einem Café und heule", heißt eine ihrer kleinen, oft nur wenige Zeilen umfassenden Alltagsvignetten. "Es ist Krieg, 1992. Kristijan hat eine Zeitungsnotiz ausgeschnitten, die Leute sollen Plastiktüten mit in den Schutzkeller nehmen für ihre Notdurft. Ich heule weiter. Was ist, fragt Kristijan, willst du in eine Tüte scheißen?"
"Darkroom" ist weniger ein Roman als ein Album der jugoslawischen Generation X mit gestochen scharfen Polaroids, Erinnerungsfetzen, Glossen, Tagebuchnotizen und E-Mails. Aufgewachsen im Krieg, war für diese Jugend die neue Platte von Iggy Pop oder Velvet Underground wichtiger als Sarajevo oder Srebrenica. Nicht daß Morana unpolitisch wäre; aber ihr Hauptschlachtfeld sind doch die Clubs, Kinos, Boutiquen und Coffeeshops zwischen Amsterdam, München und Ljubljana. Ihr Leben besteht aus Drogen, Sex und Rock 'n' Roll, und das "Take a walk on the wild side" ist für sie mehr als nur eine Phrase. So wird Ernst Jüngers ästhetisch unterkühltes Abenteurertum als Coolness im Zeitalter virtueller Wirklichkeit reproduziert: "Kommt zu mir, hatte Kristijan gesagt, wir essen was und schauen uns die Bombardierung von Belgrad an."
Sprunghaft, widersprüchlich und unverkrampft subjektiv, ist dieser "Darkroom" noch in seinen düsteren Schockeffekten und banalen Lebensweisheiten ein Hoffnungsschimmer. Jegers Mutter, die bekannte kroatische Autorin Slavenka Drakulic, legte kürzlich ein Buch über die Kriegsverbrecherprozesse von Den Haag vor. Ihre Tochter läßt die Vergangenheit hinter sich, ohne Herkunft, Heimat und Familie zu verraten. Sie ist noch immer Mamas kleine "Hippieprinzessin" und Papas Liebling: "Dein Geschreibsel ist wunderschön. Dein Alter" schreibt ihr Vater, und das ist, selbst wenn sein Blick von Rührung, Joints und der Entfernung getrübt sein mag, nicht ganz falsch. Rujana Jeger ist kosmopolitisch und Cosmopolitan-Luxusfrau, zickig, wütend und kleinmädchenhaft sentimental, mit einem Wort: eine ganz normal verrückte junge Frau. Ihr Darkroom Jugoslawien ist nicht dunkler oder heller als Westeuropa.
MARTIN HALTER
Rujana Jeger: "Darkroom". Roman. Aus dem Kroatischen übersetzt von Brigitte Döbert. C. H. Beck Verlag, München 2004. 153 S., geb., 17,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Bei Rujana Jegers "Darkroom" handelt es sich um einen großen, gewaltigen "Darkroom" namens Jugoslawien, erklärt Rezensent Martin Halter. Doch die sexuelle Anspielung im Titel hat zugleich ihre Bewandtnis, , meint Halter, denn "Darkroom" besitze einen rüden, teilweise obszönen und manchmal zärtlichen Ton, der das Buch weniger einem Roman als einem "Album" ähneln lasse, einem Album der jugoslawischen Generation X. Man kann sich aussuchen, ob damit das Platten- oder Fotoalbum gemeint ist. Beides vermutlich. Denn das Leben dieser jugoslawischen Generation, aufgewachsen im Krieg, spielt sich mehr zwischen Clubs, Boutiquen und Coffeeshops ab, kreist um Drogen, Sex und Rock'n Roll, hat Halter erfahren. Ganz anders als bei der hiesigen jungen Literatengeneration "Golf", staunt der Rezensent, findet keine bitterböse Abrechnung mit den 68er-Eltern statt, welche die Autorin, 1968 in Zagreb geboren, doch früh sich selbst überlassen hätten. Bei Jeger spiegeln die verworrenen familiären Verhältnisse die ethnische Zerrissenheit ihres Landes, der sie ihr "rotzig-trotziges Lebensgefühl" und ihren schnoddrigen, auf uns manchmal fast abgeschmackt wirkenden Schreibstil entgegensetzt, schreibt Halter. Doch keine Bange, gibt er Entwarnung, Rujana Jeger hat mehr zu bieten als schrilles Pathos und Bürgerschreckposen, nämlich viele kleine und treffende Momentaufnahmen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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