Darwin zur Einführung
Keine wissenschaftliche Lehre hat das Selbstverständnis des Menschen in einem Ausmaß erschüttert wie Charles Darwins Theorie von den Ursachen der biologischen Vielfalt. Und kein anderes naturwissenschaftliches Modell wurde so vielfältig auf andere Gebiete übertragen wie sein Satz von der natürlichen Auslese. Charles Darwin hat den Menschen in die Tierwelt eingereiht. Thomas P. Weber reiht Darwin in die Riege seiner Vorläufer und Nachfahren ein. Darwin und die neuen Biowissenschaften beschreibt, wie der Begründer der Evolutionslehre die Geschichte des Lebens entzauberte. Nach den nationalsozialistischen Jahren des Rassenwahns wurde der Darwinismus in Deutschland zum Tabu. Thomas P. Weber leistet späte Aufklärung. Thomas P. Weber stellt Darwin in seinem Umfeld vor: Die Vorläufer bis zu Goethe und Kant, die Widerstände, gegen die sich sein Weltbild behaupten musste, die Folgerungen seiner Überlegungen bis hin zu den gefährlichen Erben und der modernen Evolutionslehre, die im Lichte molekularbiologischer Forschung sicheres Wissen in Frage stellt und neues, scheinbar sicheres Wissen erzeugt.
Keine wissenschaftliche Lehre hat das Selbstverständnis des Menschen in einem Ausmaß erschüttert wie Charles Darwins Theorie von den Ursachen der biologischen Vielfalt. Und kein anderes naturwissenschaftliches Modell wurde so vielfältig auf andere Gebiete übertragen wie sein Satz von der natürlichen Auslese. Charles Darwin hat den Menschen in die Tierwelt eingereiht. Thomas P. Weber reiht Darwin in die Riege seiner Vorläufer und Nachfahren ein. Darwin und die neuen Biowissenschaften beschreibt, wie der Begründer der Evolutionslehre die Geschichte des Lebens entzauberte. Nach den nationalsozialistischen Jahren des Rassenwahns wurde der Darwinismus in Deutschland zum Tabu. Thomas P. Weber leistet späte Aufklärung. Thomas P. Weber stellt Darwin in seinem Umfeld vor: Die Vorläufer bis zu Goethe und Kant, die Widerstände, gegen die sich sein Weltbild behaupten musste, die Folgerungen seiner Überlegungen bis hin zu den gefährlichen Erben und der modernen Evolutionslehre, die im Lichte molekularbiologischer Forschung sicheres Wissen in Frage stellt und neues, scheinbar sicheres Wissen erzeugt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.07.2005Darwin macht man nichts vor
Thomas Weber schaut in das Räderwerk der Evolution
Ein Jubiläum nicht nur der Wissenschaftsgeschichte, sondern unser aller "Weltanschauung" wirft seine langen Schatten voraus. 1859, also vor demnächst hundertfünfzig Jahren, veröffentlichte Charles Darwin sein Hauptwerk "Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl" ("On the origin of species"). Die umwälzende Wirkung dieses Buchs ging weit über die Biologie hinaus bis hinein in die Politik. Es steht zu erwarten, daß in den nächsten Jahren manche einschlägigen Untersuchungen an der Schwelle zu "Darwins Hundertfünfzigstem" publiziert werden. In diesem Kontext hat auch die Lektüre des Darwin-Buchs von Thomas Weber, ausgewiesen als "Einführung", ihre eigene Jubiläumsaktualität. Das Bild Darwins und der Entwicklung der Evolutionstheorie ist von Mythen und Übervereinfachungen geprägt, meint Weber. Etwa in der folgenden Weise: Da geht Charles Darwin, der verwöhnte Sohn reicher Eltern, auf Weltreise, beobachtet auf den Galapagosinseln Schildkröten und Finken, liest noch ein wenig Malthus und wird nach einem Geistesblitz zu einem der größten Wissenschaftler aller Zeiten.
In seinem Werk über Darwin, dessen Vorläufer und "die neuen Biowissenschaften" unternimmt Weber den Versuch, den "wirklichen" Darwin in einer "Archäologie des Darwinismus" freizuschaufeln und seine Eingebundenheit in die Diskurse seiner Zeit aufzuzeigen. Denn "historische Fallstudien", so der Autor, "sind ein hervorragendes Mittel, diese Mystifizierung zu überwinden und ein kritisches Verständnis der Wissenschaft zu fördern". Ein Verständnis, das ihm angesichts der ganz unterschiedlichen Schulen, die sich mit zum Teil sehr weit reichenden Erklärungsansprüchen auf Darwin berufen, dringend nötig zu sein scheint.
Als roter Faden zieht sich die Debatte um Form und Funktion durch Darstellung der Auseinandersetzungen vor Darwin, Darwins eigene Überlegungen und die aktuellen Debatten um die Deutung der sogenannten Hox-Gene, die den Aufbau von Körperstrukturen oder ganzer Körpersegmente steuern. Die Debatte um Form und Funktion fand ihren letzten Höhepunkt vor der Darwinschen Theorie in den 1830er Jahren in der Auseinandersetzung zwischen den Professoren am Pariser Naturhistorischen Museum Georges Cuvier und Geoffroy de Saint Hilaire. Ihre Wurzeln kann man, wie Weber darlegt, bis zu Platon und Aristoteles zurückstricken und schwerlich ohne Paley und Whewell, Kant und Goethe verstehen. Cuvier wies als erster das Aussterben von Tierarten nach und verstand die Erdgeschichte als Abfolge von Katastrophen, die eine bestehende Fauna vernichteten, worauf Gott aus vollkommen angepaßten Wesen eine neue schuf. Geoffroy hingegen suchte nach Homologien im Bauplan der Tiere, der sich nicht Gottes Wirken, sondern allgemeingültigen Gesetzen verdankte, und brachte so die Möglichkeit der Einheit aller Lebewesen ins Gespräch.
Darwins Leistung sollte später darin bestehen, eine naturalistische Erklärung für die Entstehung und Veränderung dieser Baupläne zu finden. Die berühmte Reise hat dem jungen Darwin dabei vor allem das Selbstbewußtsein eingebracht, die Probleme, die er immer deutlicher erkannte, auch zu lösen, meint Weber. Bis hierher ist die Geschichte gut bekannt. Spannend wird es, wenn Weber Newton und den Philosophen John Herschel an die herausgehobene Stelle treten läßt, die in den Geschichten des Darwinismus gewöhnlich Malthus zugedacht wird.
Die Wissenschaft des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, so Weber, fand ihre Rechtfertigung im Erfolg des Newtonschen Systems. Das gilt für die Moralphilosophie wie für die Ökonomie, die Gesellschaftstheorie und die Naturwissenschaften. Darwins Theorie war demnach kein Kind des Frühkapitalismus, eher waren beide Geschwister, erwachsen aus der Übertragung Newtonscher Prinzipien auf die belebte Welt. Im Sonnensystem stabilisieren sich durch die Wechselwirkungen der Kräfte die Bahnen der Planeten, in der Ökonomie pendeln sich durch Angebot und Nachfrage stabile Preise ein, in der Evolution durch Variation und Selektion stabile Populationen. Inspiriert von Newton, versuchten die zeitgenössischen Wissenschaftler "wahre" statt lediglich hypothetisch angenommene Ursachen für Naturphänomene zu finden. Eine Position, die Herschel zu einem Ideal der Wissenschaften ausbaute, dem gerecht zu werden sich Darwin, der bekanntlich der "Newton des Grashalms" werden wollte, stets bemühte.
Darwin ersetzte den Archetyp der Formverfechter durch den historischen Vorfahren und die Teleologie, also die Gerichtetheit auf ein inneres Ziel, durch den Mechanismus der Auslese. So fand er eine überzeugende Antwort auf die Frage nach der Teleologie des Lebendigen, die in seiner Zeit aktuell war, die sich heute aber niemand mehr zu stellen und daher auch nicht zu beantworten braucht. Mit der Darlegung solcher historischen Zusammenhänge zielt Weber auf die modernen Auseinandersetzungen um Zufall und Notwendigkeit in der Evolution.
Weber beschließt sein Buch mit einem Blick auf neuere Schulen insbesondere aus der Entwicklungsbiologie, die auf der Basis neuerer Erkenntnisse der Genetik vordarwinistische Positionen aufzugreifen scheinen. Vielleicht hat die "natürliche Auslese" als Motor der Evolution doch deutlich weniger Freiheit, Organismen zu gestalten, als man bisher glaubte. Doch sich nun für oder gegen Darwin entscheiden zu wollen, wäre erneut eine unzulässige Übervereinfachung der komplexen Materie. Wer mitreden will, muß eben genauer hinsehen, vor allem wenn es um Ergebnisse geht, die, wie diejenigen der Genetik, große gesellschaftliche Bedeutung haben. Dazu liefert Webers Darwin-Archäologie eine gut zu lesende Grundlage, die freilich über den Rahmen einer Einführung, die der Untertitel ankündigt, weit hinausgeht.
MANUELA LENZEN
Thomas P. Weber: "Darwin und die neuen Biowissenschaften". Eine Einführung. DuMont Literatur- und Kunstverlag, Köln 2005. 270 S., br., 12,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Thomas Weber schaut in das Räderwerk der Evolution
Ein Jubiläum nicht nur der Wissenschaftsgeschichte, sondern unser aller "Weltanschauung" wirft seine langen Schatten voraus. 1859, also vor demnächst hundertfünfzig Jahren, veröffentlichte Charles Darwin sein Hauptwerk "Die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl" ("On the origin of species"). Die umwälzende Wirkung dieses Buchs ging weit über die Biologie hinaus bis hinein in die Politik. Es steht zu erwarten, daß in den nächsten Jahren manche einschlägigen Untersuchungen an der Schwelle zu "Darwins Hundertfünfzigstem" publiziert werden. In diesem Kontext hat auch die Lektüre des Darwin-Buchs von Thomas Weber, ausgewiesen als "Einführung", ihre eigene Jubiläumsaktualität. Das Bild Darwins und der Entwicklung der Evolutionstheorie ist von Mythen und Übervereinfachungen geprägt, meint Weber. Etwa in der folgenden Weise: Da geht Charles Darwin, der verwöhnte Sohn reicher Eltern, auf Weltreise, beobachtet auf den Galapagosinseln Schildkröten und Finken, liest noch ein wenig Malthus und wird nach einem Geistesblitz zu einem der größten Wissenschaftler aller Zeiten.
In seinem Werk über Darwin, dessen Vorläufer und "die neuen Biowissenschaften" unternimmt Weber den Versuch, den "wirklichen" Darwin in einer "Archäologie des Darwinismus" freizuschaufeln und seine Eingebundenheit in die Diskurse seiner Zeit aufzuzeigen. Denn "historische Fallstudien", so der Autor, "sind ein hervorragendes Mittel, diese Mystifizierung zu überwinden und ein kritisches Verständnis der Wissenschaft zu fördern". Ein Verständnis, das ihm angesichts der ganz unterschiedlichen Schulen, die sich mit zum Teil sehr weit reichenden Erklärungsansprüchen auf Darwin berufen, dringend nötig zu sein scheint.
Als roter Faden zieht sich die Debatte um Form und Funktion durch Darstellung der Auseinandersetzungen vor Darwin, Darwins eigene Überlegungen und die aktuellen Debatten um die Deutung der sogenannten Hox-Gene, die den Aufbau von Körperstrukturen oder ganzer Körpersegmente steuern. Die Debatte um Form und Funktion fand ihren letzten Höhepunkt vor der Darwinschen Theorie in den 1830er Jahren in der Auseinandersetzung zwischen den Professoren am Pariser Naturhistorischen Museum Georges Cuvier und Geoffroy de Saint Hilaire. Ihre Wurzeln kann man, wie Weber darlegt, bis zu Platon und Aristoteles zurückstricken und schwerlich ohne Paley und Whewell, Kant und Goethe verstehen. Cuvier wies als erster das Aussterben von Tierarten nach und verstand die Erdgeschichte als Abfolge von Katastrophen, die eine bestehende Fauna vernichteten, worauf Gott aus vollkommen angepaßten Wesen eine neue schuf. Geoffroy hingegen suchte nach Homologien im Bauplan der Tiere, der sich nicht Gottes Wirken, sondern allgemeingültigen Gesetzen verdankte, und brachte so die Möglichkeit der Einheit aller Lebewesen ins Gespräch.
Darwins Leistung sollte später darin bestehen, eine naturalistische Erklärung für die Entstehung und Veränderung dieser Baupläne zu finden. Die berühmte Reise hat dem jungen Darwin dabei vor allem das Selbstbewußtsein eingebracht, die Probleme, die er immer deutlicher erkannte, auch zu lösen, meint Weber. Bis hierher ist die Geschichte gut bekannt. Spannend wird es, wenn Weber Newton und den Philosophen John Herschel an die herausgehobene Stelle treten läßt, die in den Geschichten des Darwinismus gewöhnlich Malthus zugedacht wird.
Die Wissenschaft des achtzehnten und neunzehnten Jahrhunderts, so Weber, fand ihre Rechtfertigung im Erfolg des Newtonschen Systems. Das gilt für die Moralphilosophie wie für die Ökonomie, die Gesellschaftstheorie und die Naturwissenschaften. Darwins Theorie war demnach kein Kind des Frühkapitalismus, eher waren beide Geschwister, erwachsen aus der Übertragung Newtonscher Prinzipien auf die belebte Welt. Im Sonnensystem stabilisieren sich durch die Wechselwirkungen der Kräfte die Bahnen der Planeten, in der Ökonomie pendeln sich durch Angebot und Nachfrage stabile Preise ein, in der Evolution durch Variation und Selektion stabile Populationen. Inspiriert von Newton, versuchten die zeitgenössischen Wissenschaftler "wahre" statt lediglich hypothetisch angenommene Ursachen für Naturphänomene zu finden. Eine Position, die Herschel zu einem Ideal der Wissenschaften ausbaute, dem gerecht zu werden sich Darwin, der bekanntlich der "Newton des Grashalms" werden wollte, stets bemühte.
Darwin ersetzte den Archetyp der Formverfechter durch den historischen Vorfahren und die Teleologie, also die Gerichtetheit auf ein inneres Ziel, durch den Mechanismus der Auslese. So fand er eine überzeugende Antwort auf die Frage nach der Teleologie des Lebendigen, die in seiner Zeit aktuell war, die sich heute aber niemand mehr zu stellen und daher auch nicht zu beantworten braucht. Mit der Darlegung solcher historischen Zusammenhänge zielt Weber auf die modernen Auseinandersetzungen um Zufall und Notwendigkeit in der Evolution.
Weber beschließt sein Buch mit einem Blick auf neuere Schulen insbesondere aus der Entwicklungsbiologie, die auf der Basis neuerer Erkenntnisse der Genetik vordarwinistische Positionen aufzugreifen scheinen. Vielleicht hat die "natürliche Auslese" als Motor der Evolution doch deutlich weniger Freiheit, Organismen zu gestalten, als man bisher glaubte. Doch sich nun für oder gegen Darwin entscheiden zu wollen, wäre erneut eine unzulässige Übervereinfachung der komplexen Materie. Wer mitreden will, muß eben genauer hinsehen, vor allem wenn es um Ergebnisse geht, die, wie diejenigen der Genetik, große gesellschaftliche Bedeutung haben. Dazu liefert Webers Darwin-Archäologie eine gut zu lesende Grundlage, die freilich über den Rahmen einer Einführung, die der Untertitel ankündigt, weit hinausgeht.
MANUELA LENZEN
Thomas P. Weber: "Darwin und die neuen Biowissenschaften". Eine Einführung. DuMont Literatur- und Kunstverlag, Köln 2005. 270 S., br., 12,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Cord Riechelmann kann dieses Buch von Thomas P. Weber jedem empfehlen, der sich dafür interessiert, in welchem gesellschaftlichen, wissenschaftlichen, politischen und ökonomischen Umfeld Darwins Theorie entstand - jedenfalls solange Wolfgang Lefevres wissenschaftshistorische Studie "Die Entstehung der biologischen Evolutionstheorie" vergriffen ist. Er sieht den Verdienst Webers vor allem darin, dass Vorläufer von Darwin wie Jean-Baptiste Lamarck oder der Bevölkerungstheoretiker Thomas Robert Malthus entsprechend gewürdigt werden. Die Auseinandersetzung Webers mit den neuen Biowissenschaften besteht nach Auskunft des Rezensenten im Wesentlichen in der Darstellung und Kritik der Soziobiologie und der so genannten evolutionären Psychologie.
© Perlentaucher Medien GmbH
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