Dieses Buch unternimmt ein Experiment: Wie im Labor werden zwei der aggressivsten "Säuren" moderner Theoriebildung in eine Schale gegossen, um dann zu beobachten, wie sich das Gemisch verhält. Charles Darwin und Michel Foucault stehen beide für ein Denken, das in radikaler Weise mit Traditionen bricht und den Unterschied zwischen Natur und Kultur ebenso in Frage stellt wie das angebliche Wesen der Dinge: Alles verflüssigt sich unter ihrem genealogischen, auf die Herkunft von älteren Formen achtenden Blick und verrät so, daß die Dinge "keine Identität" und "kein Wesen" haben bzw. daß die Vorstellung von einer stabilen Ordnung der Natur sinnlos ist. Sowohl Darwin als auch Foucault stehen damit für eine Spielart des historischen Denkens, die - so die These dieses Buches - die bequemen, stabilen Gewißheiten des Biologismus einerseits und des Kulturalismus andererseits unterminiert. Es zeigt sich, daß Darwin die Natur in paradoxer Weise als das Historische per se versteht, während Foucault wie selbstverständlich die scheinbar unüberwindliche Schranke zwischen Natur und Kultur unterläuft. Darwin baut kulturelle Mechanismen in die Selektionsprozesse der biologischen Arten ein, und Foucault hat, was kaum bekannt ist, sein antikulturalistisches Denken auf eine eingehende Darwin-Lektüre gestützt, die Philipp Sarasin hier zum ersten Mal und anhand zum Teil neuer Quellen im Detail nachzeichnet. Angezettelt wird ein spannender Dialog zwischen zwei Theoretikern, die auf ihren Gebieten von herausragendem Einfluß sind, bislang aber kaum je zusammengedacht wurden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.03.2009Waren Sie in Wanne-Eickel?
Der umtriebige Wissenschaftshistoriker Philipp Sarasin meint: Foucault stammt von Darwin ab. Beide Denker fragen, was das Gewordensein der Dinge für ihre Geltung bedeutet.
Hier hat ganz offenkundig jemand Freude an der Provokation. Es gehe um "ein Experiment", heißt es gleich auf der ersten Seite: "Wie zwei korrosive Säuren, die man unter Laborbedingungen zusammenrührt, um eine chemische Reaktion auszulösen, sollen zwei Autoren miteinander in Verbindung gebracht werden." Beiden Autoren sei die "ätzende Schärfe ihrer Dekonstruktionen" gemeinsam, aber auch sonst gebe es "Ähnlichkeiten", die "kein Zufall" seien.
Die Rede ist von Charles Darwin, geboren 1809 und Begründer einer allgemeinen Theorie der Entwicklung der biologischen Arten, sowie von Michel Foucault, geboren 1926 und seit vier Jahrzehnten als Vordenker einer neuen Form der Wissens- und Machtgeschichte bekannt. Das Buch, das im Darwin-Jahr nun beide Autoren gemeinsam vorstellt, stammt von dem umtriebigen Züricher Wissenschaftshistoriker Philipp Sarasin. Wie in einer "Petrischale mit zwei Säuren, deren Charakteristika durch diese ungewohnte Vermischung zur Kenntlichkeit gesteigert werden sollen", soll die Konfrontation der beiden Ansätze funktionieren.
Kein Stein bleibt unumgedreht
Darwin und Foucault - ein terminjournalistischer Gag? Nein, Sarasin hat ein Buch von nicht geringem Umfang geschrieben, und er meint es einigermaßen ernst. Um ein "Experimentalsystem" soll es gehen, was einen auf Laborforschung zugeschnittenen Konzeptbegriff des Naturwissenschaftsforschers Jörg Rheinberger auf das lesende und vergleichende Tun des Historikers überträgt. Genussvoll wählt Sarasin denn auch gleich am Anfang das Verb "abstammen" zur Formulierung seiner zentralen These: Ähnlichkeiten zwischen den Werken Darwins und Foucaults seien kein Zufall. Sie zeigten vielmehr "eine Genealogie, die einem dunkel vorkommen mag. Foucault stammt von Darwin ab."
Sarasin sichtet beide Werke abwechselnd, und zwar am Leitfaden der für sie charakteristischen Zugriffsweise auf ihre jeweiligen Gegenstandsfelder: Für Darwin sind dies zoologische und botanische Funde, für Foucault ist es das wissenshistorische Material. Reißverschlussartig schiebt Sarasin vor diesem Hintergrund Abschnitte ineinander: zu Darwins Sammeltätigkeit, zu Foucaults Rekonstruktion biologischer Texte, zu Darwins Evolutionsthese, zu Foucaults Geschichtsphilosophie, zu Darwins "Nominalismus", zu Foucaults Ereignisdenken, zu Diagrammen jeweils bei beiden, zu ihrem Genealogie- und Geschichtsbegriff. Das klingt kompliziert, ist jedoch bestens lesbar und gerade in der lässigen Gestaltung der Übergänge souverän komponiert. Als your local guide bezeichnet Sarasin sich irgendwann einmal - was den geradezu touristischen Reiz des angebotenen Weges durch die beiden normalerweise so nie zu parallelisierenden Abschnitte der Naturwissenschaftsgeschichte und der historiographietheoretischen Zeitgeschichte genau trifft: Im Dickicht der Disziplinengeschichte spazierend, kann man die Fülle der Assoziationen nur bestaunen.
Im Blick auf Darwin zeigt Sarasin, dass es nicht etwa biologische, sondern auf die Natur projizierte kulturelle Kategorien sind, aus denen Darwin seine berühmte Theorie vom durch Variation und Selektion erklärlichen Ursprung der Arten gewinnt. Der später zum populären Schlagwort geronnene "Kampf" um die Existenz meint bei Darwin nicht rohe Gewalt, sondern sensible, auch zeichenvermittelte Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt. Außerdem finden sich Überlegungen zur Genese von Sympathie und Altruismus bei Darwin - Sarasin nennt das eine "Genealogie der Moral" und schlägt damit eine von vielen Brücken zu Nietzsche, der bei Sarasin durchweg als Foucaults Stichwortgeber gilt.
Steht der Autor des Ursprungs der Arten mit einem Bein im Reich der Kultur, so soll für den Historiker Foucault das Umgekehrte gelten. Mehr als an der Oberfläche sichtbar habe Foucault "das ,Leben' selbst und seine biologischen Eigenarten" als Möglichkeitsbedingung des Menschen und auch der Freiheit erkannt". Sarasin vermeidet einen direkten Naturalismusvorwurf, spricht aber von einer "natürlichen Anthropologie" und einem "Realismus" Foucaults. Was damit genau gemeint ist, bleibt offen. Jedenfalls aber geht es um mehr als darum, dass Geschichte für Foucault nicht nur aus Texten besteht.
Wo Denkbewegungen sich kreuzen, gibt es Kreuzungspunkte. In Sachen Darwin und Foucault lässt Sarasin buchstäblich keinen Stein unumgedreht und auch keinen auf dem anderen. Da sind theoretische Merkpunkte - für beide Autoren zählt in der Geschichte allein das Individuelle, beide sind radikale Prozesstheoretiker, beide sind Antistatistiker, beide verwenden den Begriff "Genealogie". Und da sind gewissermaßen klimatische Verwandtschaften - beide bedienen sich eines an Kraftvektoren erinnernden Modells von Kampf, Krieg oder Macht, beide haben sich in bestimmten Phasen ihrer Theoriearbeit mit dem Marktmodell der liberalen Ökonomietheorie beschäftigt. Mit Akribie präpariert Sarasin sämtliche der spärlichen expliziten Bezüge Foucaults auf Darwin sowie die Biologie nach Darwin heraus und versucht sie als Zustimmung zu lesen. Das Fazit lautet schließlich, Foucault habe seinen "antihegelianischen" Begriff von Geschichte "nicht zuletzt von Darwin her entwickelt". Auch die moderne Genetik habe Foucault im Grunde fasziniert.
So lebendig sich das alles liest - ein Preis des Experiments sind Fragezeichen, was handfeste Einsichten angeht. Was bleibt von den vielen gefühlten, als stillschweigende Bezüge gedeuteten Ähnlichkeiten? Warum wird so viel über mutmaßliche Hintergedanken von Autoren und deutlich weniger über theoretische Relevanzen erzählt? Allerlei "kann" immer "kein Zufall sein", eines "erinnert" an das andere, ein "Verdacht" dränge sich auf und so fort. Negativbefunde (Foucault und Darwin wenden sich gegen ein kontinuierliches Geschichtsbild) lassen an den bekannten Scherz denken, jemand, der noch nicht in Wanne-Eickel war, müsse den Bruder eines Bekannten kennen, denn der sei ebenfalls noch nicht in Wanne-Eickel gewesen.
Texte als Probebühne
Ausgerechnet den Hegelschen Begriff des "Konkreten" nimmt Sarasin mit Blick auf das 19. Jahrhundert als Beleg für eine unterschwellig naturwissenschaftliche Orientierung Foucaults - und verfehlt, dass Letzterer im Zusammenhang mit dem historisch Singulären und dem "Werden" trotz aller Hegel-Skepsis natürlich zuallererst Hegel vor Augen hat. Insgesamt fällt auf, wie bei Sarasin vieles isoliert als Entdeckung Darwins erscheint, was die Geschichtstheorie der Epochenschwelle lang vor Darwin ausformuliert hat - und also für Nietzsche wie für Foucault auf ganz normalen "kulturwissenschaftlichen" Linien zur Rezeption bereitlag. Wenig überzeugend ist auch Sarasins Parallelisierung des Darwinschen struggle for existence, des Ringens um das physische Überleben, mit Nietzsches und Foucaults Machttheorie. Während Darwin ein schlichtes Durchsetzungsmodell vor Augen hat, spielen der eigene körperliche Tod und der physische Überlebenskampf bei Nietzsche und Foucault für die offene Steigerungslogik von Machtverhältnissen gerade keine konstitutive Rolle.
Insgesamt täuscht die Symmetrie in Sarasins Präsentation von Darwin und Foucault. Dass Darwin kein monistischer "Biologist" war, weiß man eigentlich. Die Darwin betreffende Diagonale der im Buch angelegten Überkreuzbewegung ist insofern ein gelungener, aber wenig spektakulärer Beitrag zum Darwin-Jahr. Allenfalls dort schüttelt man etwas den Kopf, wo Sarasin ungewöhnlich wohlmeinend Darwins Ethik von allem "Darwinismus" abrückt und die sexual selection als nichtnaturalistisches Theorem deutet, obwohl es auch hier um einen Triebkampf - den der Männchen um die Weibchen - geht.
Der Rückstieg Foucault - Nietzsche - Darwin hingegen geht ans Eingemachte, will und wird Wirbel in die Foucault-Forschung bringen und versteht sich an keiner Stelle von selbst. Fast alle Zitate, die Sarasin als Votum Foucaults verkauft, sind Zusammenhängen entnommen, in denen Foucault fremde Theoriestücke referiert. Sie stammen zudem aus Texten, die allenfalls als Probebühne ernsthafter Theoriebildung durchgehen können - aus Rezensionen oder Vorlesungsmanuskripten nämlich. Vielfach gibt Sarasin zu, dass er allenfalls Untertöne ausdeutet. Gleichwohl bleibt es bei dem Anspruch, es werde nun endlich Foucault vom Kopf auf die Füße gestellt.
Zum Abschluss aber noch einmal das Bild der beiden aggressiven Säuren, die in der Laborsituation scheinbar ganz von allein miteinander reagieren. Sarasins Buch ist, mit Verlaub, das Gegenteil einer Petrischale, in die Darwin und Foucault einfach nur hineingegeben werden. Der Experimentator greift vielmehr fortwährend kräftig und manipulationsfreudig in sein "Experimentalsystem" ein. Womöglich also ist das Lösungsmittel, in welches die korrosiven Säuren - Darwin und Foucault - da geraten sind, noch ätzender als die beiden Säuren selbst.
PETRA GEHRING
Philipp Sarasin: "Darwin und Foucault". Genealogie und Geschichte im Zeitalter der Biologie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 456 S., geb., 24,80 [Euro].
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Der umtriebige Wissenschaftshistoriker Philipp Sarasin meint: Foucault stammt von Darwin ab. Beide Denker fragen, was das Gewordensein der Dinge für ihre Geltung bedeutet.
Hier hat ganz offenkundig jemand Freude an der Provokation. Es gehe um "ein Experiment", heißt es gleich auf der ersten Seite: "Wie zwei korrosive Säuren, die man unter Laborbedingungen zusammenrührt, um eine chemische Reaktion auszulösen, sollen zwei Autoren miteinander in Verbindung gebracht werden." Beiden Autoren sei die "ätzende Schärfe ihrer Dekonstruktionen" gemeinsam, aber auch sonst gebe es "Ähnlichkeiten", die "kein Zufall" seien.
Die Rede ist von Charles Darwin, geboren 1809 und Begründer einer allgemeinen Theorie der Entwicklung der biologischen Arten, sowie von Michel Foucault, geboren 1926 und seit vier Jahrzehnten als Vordenker einer neuen Form der Wissens- und Machtgeschichte bekannt. Das Buch, das im Darwin-Jahr nun beide Autoren gemeinsam vorstellt, stammt von dem umtriebigen Züricher Wissenschaftshistoriker Philipp Sarasin. Wie in einer "Petrischale mit zwei Säuren, deren Charakteristika durch diese ungewohnte Vermischung zur Kenntlichkeit gesteigert werden sollen", soll die Konfrontation der beiden Ansätze funktionieren.
Kein Stein bleibt unumgedreht
Darwin und Foucault - ein terminjournalistischer Gag? Nein, Sarasin hat ein Buch von nicht geringem Umfang geschrieben, und er meint es einigermaßen ernst. Um ein "Experimentalsystem" soll es gehen, was einen auf Laborforschung zugeschnittenen Konzeptbegriff des Naturwissenschaftsforschers Jörg Rheinberger auf das lesende und vergleichende Tun des Historikers überträgt. Genussvoll wählt Sarasin denn auch gleich am Anfang das Verb "abstammen" zur Formulierung seiner zentralen These: Ähnlichkeiten zwischen den Werken Darwins und Foucaults seien kein Zufall. Sie zeigten vielmehr "eine Genealogie, die einem dunkel vorkommen mag. Foucault stammt von Darwin ab."
Sarasin sichtet beide Werke abwechselnd, und zwar am Leitfaden der für sie charakteristischen Zugriffsweise auf ihre jeweiligen Gegenstandsfelder: Für Darwin sind dies zoologische und botanische Funde, für Foucault ist es das wissenshistorische Material. Reißverschlussartig schiebt Sarasin vor diesem Hintergrund Abschnitte ineinander: zu Darwins Sammeltätigkeit, zu Foucaults Rekonstruktion biologischer Texte, zu Darwins Evolutionsthese, zu Foucaults Geschichtsphilosophie, zu Darwins "Nominalismus", zu Foucaults Ereignisdenken, zu Diagrammen jeweils bei beiden, zu ihrem Genealogie- und Geschichtsbegriff. Das klingt kompliziert, ist jedoch bestens lesbar und gerade in der lässigen Gestaltung der Übergänge souverän komponiert. Als your local guide bezeichnet Sarasin sich irgendwann einmal - was den geradezu touristischen Reiz des angebotenen Weges durch die beiden normalerweise so nie zu parallelisierenden Abschnitte der Naturwissenschaftsgeschichte und der historiographietheoretischen Zeitgeschichte genau trifft: Im Dickicht der Disziplinengeschichte spazierend, kann man die Fülle der Assoziationen nur bestaunen.
Im Blick auf Darwin zeigt Sarasin, dass es nicht etwa biologische, sondern auf die Natur projizierte kulturelle Kategorien sind, aus denen Darwin seine berühmte Theorie vom durch Variation und Selektion erklärlichen Ursprung der Arten gewinnt. Der später zum populären Schlagwort geronnene "Kampf" um die Existenz meint bei Darwin nicht rohe Gewalt, sondern sensible, auch zeichenvermittelte Interaktion des Individuums mit seiner Umwelt. Außerdem finden sich Überlegungen zur Genese von Sympathie und Altruismus bei Darwin - Sarasin nennt das eine "Genealogie der Moral" und schlägt damit eine von vielen Brücken zu Nietzsche, der bei Sarasin durchweg als Foucaults Stichwortgeber gilt.
Steht der Autor des Ursprungs der Arten mit einem Bein im Reich der Kultur, so soll für den Historiker Foucault das Umgekehrte gelten. Mehr als an der Oberfläche sichtbar habe Foucault "das ,Leben' selbst und seine biologischen Eigenarten" als Möglichkeitsbedingung des Menschen und auch der Freiheit erkannt". Sarasin vermeidet einen direkten Naturalismusvorwurf, spricht aber von einer "natürlichen Anthropologie" und einem "Realismus" Foucaults. Was damit genau gemeint ist, bleibt offen. Jedenfalls aber geht es um mehr als darum, dass Geschichte für Foucault nicht nur aus Texten besteht.
Wo Denkbewegungen sich kreuzen, gibt es Kreuzungspunkte. In Sachen Darwin und Foucault lässt Sarasin buchstäblich keinen Stein unumgedreht und auch keinen auf dem anderen. Da sind theoretische Merkpunkte - für beide Autoren zählt in der Geschichte allein das Individuelle, beide sind radikale Prozesstheoretiker, beide sind Antistatistiker, beide verwenden den Begriff "Genealogie". Und da sind gewissermaßen klimatische Verwandtschaften - beide bedienen sich eines an Kraftvektoren erinnernden Modells von Kampf, Krieg oder Macht, beide haben sich in bestimmten Phasen ihrer Theoriearbeit mit dem Marktmodell der liberalen Ökonomietheorie beschäftigt. Mit Akribie präpariert Sarasin sämtliche der spärlichen expliziten Bezüge Foucaults auf Darwin sowie die Biologie nach Darwin heraus und versucht sie als Zustimmung zu lesen. Das Fazit lautet schließlich, Foucault habe seinen "antihegelianischen" Begriff von Geschichte "nicht zuletzt von Darwin her entwickelt". Auch die moderne Genetik habe Foucault im Grunde fasziniert.
So lebendig sich das alles liest - ein Preis des Experiments sind Fragezeichen, was handfeste Einsichten angeht. Was bleibt von den vielen gefühlten, als stillschweigende Bezüge gedeuteten Ähnlichkeiten? Warum wird so viel über mutmaßliche Hintergedanken von Autoren und deutlich weniger über theoretische Relevanzen erzählt? Allerlei "kann" immer "kein Zufall sein", eines "erinnert" an das andere, ein "Verdacht" dränge sich auf und so fort. Negativbefunde (Foucault und Darwin wenden sich gegen ein kontinuierliches Geschichtsbild) lassen an den bekannten Scherz denken, jemand, der noch nicht in Wanne-Eickel war, müsse den Bruder eines Bekannten kennen, denn der sei ebenfalls noch nicht in Wanne-Eickel gewesen.
Texte als Probebühne
Ausgerechnet den Hegelschen Begriff des "Konkreten" nimmt Sarasin mit Blick auf das 19. Jahrhundert als Beleg für eine unterschwellig naturwissenschaftliche Orientierung Foucaults - und verfehlt, dass Letzterer im Zusammenhang mit dem historisch Singulären und dem "Werden" trotz aller Hegel-Skepsis natürlich zuallererst Hegel vor Augen hat. Insgesamt fällt auf, wie bei Sarasin vieles isoliert als Entdeckung Darwins erscheint, was die Geschichtstheorie der Epochenschwelle lang vor Darwin ausformuliert hat - und also für Nietzsche wie für Foucault auf ganz normalen "kulturwissenschaftlichen" Linien zur Rezeption bereitlag. Wenig überzeugend ist auch Sarasins Parallelisierung des Darwinschen struggle for existence, des Ringens um das physische Überleben, mit Nietzsches und Foucaults Machttheorie. Während Darwin ein schlichtes Durchsetzungsmodell vor Augen hat, spielen der eigene körperliche Tod und der physische Überlebenskampf bei Nietzsche und Foucault für die offene Steigerungslogik von Machtverhältnissen gerade keine konstitutive Rolle.
Insgesamt täuscht die Symmetrie in Sarasins Präsentation von Darwin und Foucault. Dass Darwin kein monistischer "Biologist" war, weiß man eigentlich. Die Darwin betreffende Diagonale der im Buch angelegten Überkreuzbewegung ist insofern ein gelungener, aber wenig spektakulärer Beitrag zum Darwin-Jahr. Allenfalls dort schüttelt man etwas den Kopf, wo Sarasin ungewöhnlich wohlmeinend Darwins Ethik von allem "Darwinismus" abrückt und die sexual selection als nichtnaturalistisches Theorem deutet, obwohl es auch hier um einen Triebkampf - den der Männchen um die Weibchen - geht.
Der Rückstieg Foucault - Nietzsche - Darwin hingegen geht ans Eingemachte, will und wird Wirbel in die Foucault-Forschung bringen und versteht sich an keiner Stelle von selbst. Fast alle Zitate, die Sarasin als Votum Foucaults verkauft, sind Zusammenhängen entnommen, in denen Foucault fremde Theoriestücke referiert. Sie stammen zudem aus Texten, die allenfalls als Probebühne ernsthafter Theoriebildung durchgehen können - aus Rezensionen oder Vorlesungsmanuskripten nämlich. Vielfach gibt Sarasin zu, dass er allenfalls Untertöne ausdeutet. Gleichwohl bleibt es bei dem Anspruch, es werde nun endlich Foucault vom Kopf auf die Füße gestellt.
Zum Abschluss aber noch einmal das Bild der beiden aggressiven Säuren, die in der Laborsituation scheinbar ganz von allein miteinander reagieren. Sarasins Buch ist, mit Verlaub, das Gegenteil einer Petrischale, in die Darwin und Foucault einfach nur hineingegeben werden. Der Experimentator greift vielmehr fortwährend kräftig und manipulationsfreudig in sein "Experimentalsystem" ein. Womöglich also ist das Lösungsmittel, in welches die korrosiven Säuren - Darwin und Foucault - da geraten sind, noch ätzender als die beiden Säuren selbst.
PETRA GEHRING
Philipp Sarasin: "Darwin und Foucault". Genealogie und Geschichte im Zeitalter der Biologie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2009. 456 S., geb., 24,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Sehr eingenommen zeigt sich Stefan Niklas von Philipp Sarasins 400-seitigen Essay über Darwin und Foucault. Das Buch des Zürcher Historikers bringt für ihn auf höchst anregende Weise diese beiden Denker zusammen und fördert immer wieder Überraschungen zutage. Dabei hebt Niklas hervor, dass es Sarasin nicht um Einflüsse Darwins auf Foucault oder um die Lektüre Darwins durch die Brille Foucaults gehe, sondern um "Wahlverwandschaften" der Denkweisen. Dass Darwin und Foucault für den Gegensatz von Biologismus und Kulturalismus stehen, kann Sarasin seines Erachtens überzeugend entkräften. Dem Autor gelingt es nach Ansicht von Niklas auch, durch Gegenüberstellung beider Denkmodelle viele Ähnlichkeiten herausarbeiten: Beide waren Nominalisten, beide suchten Genealogien, beide entdeckten nicht nur eine, sondern viele Herkünfte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Das Verdienst des einnehmend geschriebenen Buches: einen zum Klassiker erstarrten Denker, Darwin nämlich, unvoreingenommen und genau zu lesen. Selbst Biologen dürften hier die eine oder andere Entdeckung machen.« Urs Hafner Neue Zürcher Zeitung 20090207