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Der holländische Biologe Tijs Goldschmidt war von 1981 bis 1993 mit der ökologischen Erforschung des Viktoriasees in Tansania betraut. Mit seinem Buch liefert er eine fundierte Einführung in die Geheimnisse der Evolution und gleichzeitig einen unterhaltsamen persönlichen Bericht über die Höhen und Tiefen, über die manchmal komischen oder auch absurden Momente im Leben eines Feldforschers in Afrika.

Produktbeschreibung
Der holländische Biologe Tijs Goldschmidt war von 1981 bis 1993 mit der ökologischen Erforschung des Viktoriasees in Tansania betraut. Mit seinem Buch liefert er eine fundierte Einführung in die Geheimnisse der Evolution und gleichzeitig einen unterhaltsamen persönlichen Bericht über die Höhen und Tiefen, über die manchmal komischen oder auch absurden Momente im Leben eines Feldforschers in Afrika.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.1997

Ein dorfbekannte Sonderling
Tippelbruder unter den Suaheli: Tijs Goldschmidt fischt im Victoriasee / Von Klaus Harms

Elimo und Mhoja, die beiden Tansanier vom Stamme der Sukuma, lachen wohl auch heute noch über den Mann, der regelmäßig mit ihnen zum Fischen auf den Victoriasee hinausfuhr und sich mit glühendem Eifer ihres unnützen Beifangs annahm. "Furus" nennen sie in ihrer etwas hölzernen Umgangssprache Kisuaheli die kleinen, grätenreichen Fische, die kaum wirtschaftlichen Nutzen versprechen und demzufolge in der Bevölkerung auch kaum Beachtung genießen, weder als Speise- noch als Zierfisch und auch nicht als Teile des komplexen Ökosystems "Victoriasee". Für den dritten Mann im Boot, den niederländischen Evolutionsbiologen Tijs Goldschmidt, sind diese Tiere indes von besonderem Interesse. Goldschmidt, ein Zoomorphologe, beschreibt in seinem Buch seine Eindrücke von seiner mehrjährigen Arbeit in Tansania; es ist eine fesselnd geschriebene Kombination zweier sehr unterschiedlicher Genres: einer wissenschaftlichen Abhandlung über die Evolution und eines Reiseberichtes aus Afrika.

Die Furus des Victoriasees sind etwas Einzigartiges: ein üppiger Artenschwarm, das sind Tiere, die sich aus einer einzigen Stammart (der Gattung Haplochromis) in wohl nur wenigen Jahrtausenden in eine Vielzahl von Spezies aufgespalten haben. Es sind allein im Victoriasee (nicht zuletzt durch Goldschmidts Tätigkeit) über dreihundert sehr eng verwandte Arten bekannt, die ausschließlich in diesem Gewässer vorkommen. Für den Laien und selbst für den Fischer auf dem Victoriasee sieht ein Furu aus wie der andere, nur der Zoomorphologe kann in mühsamer Kleinstarbeit einen Bestimmungsschlüssel erstellen. Goldschmidt ist immer wieder erstaunt, daß selbst Elimo und Mhoja all seine filigran beschriebenen Fische mit ihren subtil unterschiedlichen Formen, Größen und Farben stets etwas verächtlich "Furu" nennen. Die kleinen Buntbarsche haben sich erstaunlich gut und vielseitig dem Leben im Victoriasee angepaßt, Goldschmidts Analogie vom "Ford T" unter den Fischen ist durchaus treffend: Es gibt Algen- und Schneckenfresser, Insekten-und Garnelenvertilger, Fisch- und Planktonfresser, selbst Putzerfische und die bizarren Pädophagen, letztere ernähren sich von den Eiern oder Jungfischen anderer Furus, die sämtlich Maulbrüter sind, indem sie brütende Weibchen anderer Arten attackieren oder ihnen sogar regelrecht das Maul aussaugen.

Wie wird ein Wissenschaftler aus dem holländischen Leiden an die tansanische Küste des größten Binnengewässers von Afrika verschlagen, und was macht er dort, wenn er nicht gerade frisch gefangene Fische für die weitere Untersuchung und Verwahrung in Formalin steckt? Das Alltagserleben in Afrika nimmt durchaus breiten Raum in der Erzählung Goldschmidts ein: Da wird man schon einmal im noch sozialistischen Tansania verhaftet, wenn man außerhalb des Flughafengebäudes einige Gedanken mit Bleistift zu Papier bringt, oder ein Trupp von "Studenten" aus Uganda quartiert sich in seiner Behausung ein. Das Dasein in Afrika ist nicht berechenbar. Wie zum Teufel erhält man die Maße eines Eisenbahntunnels, damit sichergestellt werden kann, daß ein Boot hindurchtransportiert werden kann?

Goldschmidt ist aber in erster Linie Wissenschaftler, der selbst dann über die diffizilen Kosten-Nutzen-Mechanismen der Evolution sinniert, wenn er zuschaut, wie ein Einheimischer um eine Braut wirbt. So verbinden sich die reiseberichtartigen Erzählungen beinahe fugenlos mit evolutionstheoretischen Erörterungen, und die Evolution wird für ihn zum persönlichen Erlebnis. Zwischen den Fieberschüben einer Malaria-Erkrankung diskutiert er die Rolle des Gens für Sichelzellanämie in Malaria-Gebieten. Für die Einheimischen bleibt er ein Sonderling, ein "Mzungu", wie der rastlose Europäer auf Kisuaheli genannt wird, was auch wohl so etwas wie "Landstreicher" heißt - aus Sicht der Suaheli vielleicht zu Recht.

Goldschmidt ist Zoologe; so ist es nicht verwunderlich, daß alle seine Beispiele um die Fauna dieses Planeten kreisen, die Pflanzenwelt und Mikrobiologie bleiben außen vor. Auch ist er Morphologe, der sich mit Gestalt und Form seiner Tiere beschäftigt; submikroskopische Aspekte, etwa die Art des molekularbiologischen Nachweises, daß die Furus einen Artenschwarm bilden, wirken etwas nüchtern, abgeschrieben, so ganz im Kontrast zum lebhaften Erzählstil Goldschmidts, der weniger gern über Mikrobiologie sinniert als über Mikrobiologen. Doch sind das nur kurze, wenngleich zum Verständnis notwendige Passagen. Goldschmidts eigentliche Aufgabe in Tansania - und die seiner Kollegen - war die ökologische Bestandsaufnahme des Victoriasees, nachdem beschlossen worden war, eine Fischmehlfabrik auf tansanischem Gebiet mit mehreren zig Tonnen Buntbarsch täglich zu beliefern. Kann ein Ökosystem diesen massiven Eingriff verkraften?

Mehrere Jahre verweilte Goldschmidt zur Beantwortung dieser Fragestellung am Victoriasee; erst einmal mußte das Funktionieren des Ökosystems überhaupt begriffen werden. In dieser Zeit wurde er Augenzeuge der Evolution, die in diesem See rasant abläuft. Er wurde aber auch Zeuge der Welle an Umwälzungen, die in Form des Nilbarsches anrollte. Der Nilbarsch, in den fünfziger Jahren als wertvoller Speisefisch am Nordufer ausgesetzt, erreichte in den achtziger Jahren das Südufer und vernichtete im Lauf seiner Ausbreitung im See einen Großteil der Furu-Arten, die er einfach auffraß; andere Arten dezimierte er beträchtlich. Die meisten Furu-Spezies können heute nicht wiedergefunden werden. Was für die kleinen Buntbarsche, die für die Fischer nun nicht mehr Beifang waren, sondern sich "verwundernd dreinschauend" im Nilbarschmagen fanden, eine Katastrophe war, wurde zum Segen für die Seefischerei: Mit dem Nilbarsch kam ein Exportartikel, der einen Boom in den ärmlichen Dörfern auslöste. Mhoja und Elimo frohlocken ob des von stattlichen Fischen prall gefüllten Netzes - wie lange wohl noch?

Derweil hat das Ökosystem einen metastabilen Zustand erreicht: Der Nilbarsch ist auf hohem Niveau fest etabliert, die Furus sind stark dezimiert, einige andere Subsysteme sind völlig umgekrempelt. Ob sich der Zustand des Sees halten kann, ist fraglich: Eutrophierung kommt hinzu, Blaualgen überwuchern den See, auch die algenfressenden Furus sind verschwunden, ohne daß ihre Nische von anderen Algenvertilgern eingenommen worden ist. Massensterben an Fischen infolge von Sauerstoffmangel im See ist bereits mehrfach beobachtet worden. Arten kommen und gehen. Über die Theorien und Modelle, wie das passiert, ist in diesem Buch viel zu erfahren.

Der Mensch Goldschmidt ist, das lassen die Passagen des Buches erahnen, die das Gemetzel an den Furus beschreiben, am Ende der Reise todtraurig, denn die meisten Exemplare dieses einzigartigen Artenschwarmes haben den Planeten für immer verlassen. Aber dem Evolutionsbiologen bietet sich die Gelegenheit, Evolution von ihrer Schattenseite aus zu sehen, und das Aussterben von Spezies zu studieren. Der Biologe wird zum Paläontologen mit den besterhaltenen Fossilien, die es überhaupt nur geben kann: ungezählten Furus in Formaldehyd.

Inzwischen werden neue, vorher nie beobachtete Furu-Arten im Victoriasee gesichtet und beschrieben; woher sie kommen, ob und wie sie sich gegen den scheinbar übermächtigen Nilbarsch behaupten können, ist vorerst unklar. Evolution passiert ständig. Charles Darwin, der Begründer der Evolutionstheorie, war selbst nie am Victoriasee - hätte er von der Radiation der kleine Furus gewußt, wäre er hingeeilt! Goldschmidt berichtet uns von dem wunderbaren Erlebnis, Zeuge der Evolution zu sein, die Arten hervorbringt und auch wieder verschwinden läßt, mit Empathie und in lebendiger Erzählung.

Tijs Goldschmidt: "Darwins Traumsee". Nachrichten von meiner Forschungsreise nach Afrika. Aus dem Niederländischen von Janneke Panders. Verlag C. H. Beck, München 1997. 349 S., geb., 48,- DM.

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