Das Mittelalter", sagt Nietzsche, "ist die Zeit der größten Leidenschaften". Wie diese Leidenschaften sich austobten im 13. und 14. Jahrhundert, zeigt Karlheinz Deschner im 7. Band seiner Kriminalgeschichte des Christentums über das Spätmittelalter. Am Anfang steht der Staufer Kaiser Heinrich VI., der von 1190 bis 1197 regierte und das dominium mundi, die Weltherrschaft, beanspruchte - auch ohne Absegnung durch den Papst.
Am Ende der Epoche steht Kaiser Ludwig IV. der Bayer, der das Heilige Römische Reich bis 1347 regierte. Mächtigster Gegenspieler des Imperiums während dieser beiden Jahrhunderte war Papst Gregor IX. (1227 bis 1241), der vom Kaiser sein angemaßtes Recht auf immer neue Kreuzzüge einforderte und im Inneren für Staatssicherheit sorgte durch Einführung der Inquisition.
Deschners akribische, hieb- und stichfeste Beweisführung anhand von Zeugnissen, die sonst verschwiegen oder geschönt werden, enthüllt das allerchristlichste Mittelalter als Hoch-Zeit skrupelloser Machttechniker auf Europas Thronen und auf dem Heiligen Stuhl.
Am Ende der Epoche steht Kaiser Ludwig IV. der Bayer, der das Heilige Römische Reich bis 1347 regierte. Mächtigster Gegenspieler des Imperiums während dieser beiden Jahrhunderte war Papst Gregor IX. (1227 bis 1241), der vom Kaiser sein angemaßtes Recht auf immer neue Kreuzzüge einforderte und im Inneren für Staatssicherheit sorgte durch Einführung der Inquisition.
Deschners akribische, hieb- und stichfeste Beweisführung anhand von Zeugnissen, die sonst verschwiegen oder geschönt werden, enthüllt das allerchristlichste Mittelalter als Hoch-Zeit skrupelloser Machttechniker auf Europas Thronen und auf dem Heiligen Stuhl.
Christentum als Kriminalgeschichte: Karlheinz Deschner arbeitet zum siebtenmal aus zweiter Hand
Karlheinz Deschner, durch zahlreiche Veröffentlichungen bekannt als flammender Kritiker der christlichen Kirchen, legt den siebten Band seiner "Kriminalgeschichte des Christentums" vor. Ein erster Band ist 1986 erschienen - und seither kam alle zwei bis drei Jahre ein weiterer heraus. Deschner versucht, die gesamte Geschichte des (abendländischen) Christentums aus der Perspektive einer vehementen Anklage gegen seine Verbrechen darzustellen. Das zwingt dazu, weit auszuholen, muß er doch den Ablauf der Ereignisse zumindest andeuten. Der Blick bleibt auf die dunklen Seiten, auf Verbrechen, Massaker, Blutvergießen, auf repressive Gewalt und Mord, auf Betrug, Täuschung, Lüge und Verrat gerichtet, ohne daß der Bezug auf "das Christentum" anders präsent bliebe als dadurch, daß Christen diese Greuel verübten.
So sieht sich der Leser mit einem Marsch durch das dreizehnte und vierzehnte Jahrhundert konfrontiert, bei dem möglichst kein dunkler Fleck übergangen, kein menschlicher Abgrund unbesucht, keine Mitleid oder Entsetzen erregende Nachricht ohne Erwähnung bleiben soll. Die behandelte Zeit ist wahrhaftig reich an Schattenseiten. Krieg und Kriegsgeschrei in Italien, Deutschland und Frankreich - wenn auch die Bühne des mittelalterlichen römischen Kaiserreichs fast ausschließlich den Stoff liefert, als wären in Spanien, in England, in Polen oder Schweden nicht ähnliche Schandflecke auszumachen.
Dem Autor ist Fleiß beim Lektürestudium nicht abzusprechen. Er hat sich durch knapp 450 Titel gekämpft. Durch Anmerkungen ermöglicht er dem Leser auch eine gewisse Kontrolle. Freilich belegt er dort nicht jedes strittige Detail, zumal nicht jedes Zitat aus den wenigen Quellen, da er seine Nachweise nur in Anmerkungsnestern an ganze Abschnitte hängt. Die Kriterien, nach denen er die Literatur auswählt, sind schwer zu erkennen. Jedenfalls haben die narrativen Großleistungen der Geschichtswissenschaft sichtbare Spuren hinterlassen. So werden für die Stauferkaiser die positivistischen "Jahrbücher des deutschen Reiches" ausführlich herangezogen, für Friedrich II. gab Ernst Kantorowicz die Blickrichtung vor, für das Papsttum geben teils Ferdinand Gregorovius, teils die aus einem stark antifranzösischen Affekt mitbestimmte politische Analyse von Johannes Haller Stichworte. Die neueren Nachschlageriesen, das "Lexikon des Mittelalters" und das "Lexikon für Theologie und Kirche", werden häufig frequentiert.
Doch wird bei den Autoritäten nicht auf einheitliche Qualität geachtet. Da gibt es solide Studien (die freilich ihrer Konzeption nach zum Teil noch dem Anfang des neunzehnten Jahrhunderts verpflichtet sind), daneben aber stehen Pamphlete, in die Jahre gekommene Kampfschriften und neuere Polemiken, die sich einer festen Tendenz verschreiben. Neben Nachrichten findet sich darum unvermittelt auch polemische Zuspitzung - und veraltete Wertung. Deschner kontrastiert seine Darlegungen gerne mit ironisch präsentierten Urteilen katholischer Historiker: Wenn ein Autor als "Jesuit", "katholischer Kirchenhistoriker" oder "Kardinal" vorgestellt wird, soll jeder offenbar wissen, daß hier bestenfalls Irrtum, wenn nicht Irreführung zu erwarten ist. Der Gipfel der Distanzierung wird erreicht, wenn ein Buch als "mit Imprimatur erschienen" charakterisiert werden kann.
Fehler und Mißverständnisse bleiben nicht aus. Die notorisch unzuverlässigen (weil häufig stark überhöhten) Angaben der Quellen über die Zahl der Opfer werden meist ohne Zurückhaltung aus zweiter Hand angeführt. Gewiß, jedes einzelne Opfer hat Anspruch auf Respekt, aber die Greuelzahlen in dichter Folge wirken letztlich abstumpfend. Die Gerüchte über Giftanschläge, die im Spätmittelalter jeden plötzlichen Tod eines Potentaten erklären sollten, werden immer wieder aufgetischt: Sie sind jedoch allenfalls geeignet, die Ängste der Zeit zu repräsentieren, nicht als Beleg einer Kriminalgeschichte.
Andererseits werden wesentliche Punkte für ein gerechtes Urteil schlicht übersehen, besonders hält der Verfasser sich nirgends mit rechtsgeschichtlichen oder geistesgeschichtlichen Hintergründen auf. Daß das Königreich Sizilien seit dem zwölften Jahrhundert den Papst als Oberlehnsherren anerkannte, wird zwar einmal erwähnt, nirgends aber zur Begründung päpstlicher Politik gegenüber den Staufern in Rechnung gestellt. Daß der von Deschner nicht besonders geschätzte Kirchenvater Augustin die Theorie des gerechten Krieges aus der römischen Antike in die theologischen Überlegungen einführte und damit doch dem Kampfeswillen sozialer Großverbände auch gewisse Zügel anlegte, wird höhnisch zugedeckt. Daß Bernhard von Clairvaux für den zweiten Kreuzzug ungemein erfolgreich warb, wird berichtet, daß er die Hetzpredigten des Zisterziensermönches Radulf gegen die Juden ebenso energisch unterband, erfährt der Leser nicht.
Differenzierung ist nicht die Sache des Buches. Es geht um Anklage, nicht um den Versuch gerechter Wertung. Erklärungen, die das Buch dem Leser mit flammender Verachtung für Jammer und Elend, für das Schlachten und Morden, für Not und Hunger anbietet, sind durchweg schlicht: Kirchliche Prälaten und Fürsten erregen allemal den Verdacht, "sich die Taschen zu füllen". Es genügt aber nicht, der Kirche und ihren Amtsträgern falschen Glaubenseifer und bare Scheinheiligkeit vorzuhalten. Die Welt ist schlecht und die Menschen, vor allem die Kirchenleute und die Fürsten, desgleichen - es soll Romane geben, die das besser sagen.
JÜRGEN MIETHKE
Karlheinz Deschner: "Kriminalgeschichte des Christentums". Band 7: Das 13. und 14. Jahrhundert. Von Kaiser Heinrich VI. (1190) zu Kaiser Ludwig dem Bayern (gestorben 1347). Rowohlt Verlag, Reinbek 2001. 574 S., geb., 22,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Als "markantesten" und "umstrittensten" Kritiker der Geschichte des Christentums stellt der LL zeichnende Rezensent Karlheinz Deschner vor, von dem nun der siebente Band seines "monumentalen Hauptwerks", der Kriminal-, der Verbrechensgeschichte des Christentums vorliegt, der das 13. und 14. Jahrhundert umfasst. Es ist die Zeit permanenter Kämpfe zwischen Papst- und Kaisertum, der Kreuzzüge, und der beginnenden Inquisition, weiß der Rezensent. Seine anfängliche Befürchtung, die Schilderung fortgesetzter Verbrechen im Namen einer angeblichen Liebesreligion, könnte wegen ihrer Monotonie auf Dauer ermüdend wirken und der kritischen Intention unfreiwillig zuwiderlaufen, erweißt sich als grundlos. Denn Deschner zeigt sich für den Rezensenten auch in der Rolle des Historikers in erster Linie als Schriftsteller. Deschners Sinn für den brutalen Zynismus der Geschichte, die grausame Dissonanz von Lehre und Wirklichkeit, lasse sich die bösen Pointen nicht entgehen. Resümee des Rezensenten: "Deschners Kriminalgeschichte hat auch hier ihren Ruf redlich verdient."
© Perlentaucher Medien GmbH
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Gemessen an Karlheinz Deschner sind die kritischen Kirchen- und Drewermänner unserer Tage nichts als freundliche Herren mit religiösen Skrupeln. Süddeutsche Zeitung