Bücher, die mich bewegen, machen es mir schwer, darüber zu schreiben.
Sie sind jedoch geduldig, fließen in mich ein bis zu dem Tag, wo sie Aufmerksamkeit fordern.
Sie setzen auf einen Dialog mit meinen Erfahrungen. Und wenn sie mich eingefangen haben, tauchen sie immer wieder auf. Manchmal in
einem Satz, manchmal in einer Bemerkung, manchmal in einem Schicksal oder wenn ich über etwas…mehrBücher, die mich bewegen, machen es mir schwer, darüber zu schreiben.
Sie sind jedoch geduldig, fließen in mich ein bis zu dem Tag, wo sie Aufmerksamkeit fordern.
Sie setzen auf einen Dialog mit meinen Erfahrungen. Und wenn sie mich eingefangen haben, tauchen sie immer wieder auf. Manchmal in einem Satz, manchmal in einer Bemerkung, manchmal in einem Schicksal oder wenn ich über etwas stolpere, das gar nicht in meine Erfahrungen passt.
Dann drängt es mich, Mittler zwischen Buch und Leser zu werden.
Was so blass vom Cover daherkommt, hat es in sich. Endlich ein Autor, der gegen den Strom schwimmt, der sich mit seinen Erfahrungen und Wissen dem Tsunami, in wenigen Jahren multipliziere sich die Diagnose Demenz auf das Zigfache, entgegenstellt, in die Tiefe geht und auf vieles aufmerksam macht, was sonst, wenn überhaupt, nur im Nebensatz gesagt wird.
Demenz ist also keine Krankheit?
Das könnte den Krankenkassen gefallen und viele, die an der Krankheit verdienen, erschrecken, die Angehörigen aber, die unter der Last der Betreuung leiden, empören.
Die einen würden gerne der Überschrift zujubeln, die anderen wiegeln ab, indem sie sagen: Die Experten sehen das aber anders.
Doch Reimer Gronemeyer ist viel zu wach und stellt sich gleich zu Beginn auf solche Äußerungen ein. Er macht sich "klein", indem er in seinem Vorwort den Teppich für sein brisantes Buch auslegt und einlenkend fragt:
"Und was verstehe ich eigentlich von dem Thema? Ich habe keine Erfahrung mit der Pflege dementer Menschen. Muss ich deshalb den Mund halten?"
Es klingt wie eine Rechtfertigung, wenn er weiter schreibt: "Ich habe allerdings ein wenig Erfahrung im Umgang mit Menschen, die hilfsbedürftig sind. Das hat mich dankbar gemacht und empfindsam für das Geschenk, das ein unbeschädigtes Leben nun einmal ist …"
Hier aber kommt er nur denen entgegen, die meinen, Erfahrungswissen sei kein Wissen. Im Alter würde man eh alles durcheinanderbringen. Das aber multipliziert die negative Haltung sogenannter Experten.
Doch zum Glück aller, die neugierig genug sind, schrieb Gronemeyer sein vorliegendes Buch weiter.
So erzählt er gleich zu Beginn von einem Erlebnis, das nachdenklich stimmt und der Hysterie ein Fragezeichen hintenan setzt. Eine Alltagsgeschichte, die ihm widerfahren ist, in der ein Fremder, der nicht wissen konnte, dass da gerade ein Professor von einer Vorlesung kam, ihn auf das Äußere reduziert, dienend allen Klischees von grauen Haaren. Für den Fremden war er ein grauer Kopf, der sich gerade bemühte, der modernen Technik in Eile Herr zu werden. Vielleicht ein Verwirrter?
Doch bereits hier erfährt der skeptische Leser, dass es dem Autor nicht um die Aberkennung der Schwere einer nachgewiesenen Diagnose von Demenz geht, sondern um einen anderen Umgang miteinander, einen Zugang, der in den Medien zu oft versperrt bleibt.
Er schreibt auf S. 21: "Wir leben nicht mehr in dem Dorf, in dem jeder weiß, wohin die verwirrte Frau im Nachthemd gehört, die gerade am Fenster vorbeigeht. Diese verlorene Nachtbarschaftlichkeit muss ersetzt werden durch …"
Und er erinnert sich nachfolgend an eine Situation mit einer verwirrten Frau, die ihn ratlos und beschämt zurückgelassen hat.
Immer wieder auch in den folgenden Kapiteln bezieht sich der Soziologe, auf die reichen Erfahrungen seines Lebens, verbunden mit Erkenntnissen aus der Wissenschaft, und fordert den Leser auf, sensibler mit diesem Thema und den betroffenen und Angehörigen umzugehen. Er weist einfühlsam und klar darauf hin, dass wir Menschen einander brauchen, um würdig das 4. Lebensalter erleben zu können.
"Das 4. Lebensalter, Demenz, ist keine Krankheit" könnte uns dabei helfen, nicht immer nur auf Experten zu setzen, sondern unseren eigenen Kopf einzuschalten. Vielleicht hilft das ja auch gegen eine eigene Demenz oder die Angst davor.
Neue Bahnen im Kopf zu aktivieren, hat noch nie jemanden geschadet.
Margarete Noack