Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.2004Neuer Stoff zum Schmökern
Mode muß man nicht immer nur tragen, man kann sie auch lesen: die besten Neuerscheinungen.
Sexy Nachruf
Tom Ford hat nicht nur die italienische Marke Gucci, sondern die gesamten neunziger Jahre geprägt. Nun hat er seine eigene Retrospektive herausgebracht: "Tom Ford", 416 Seiten, geschätzte fünf Kilo schwer. Nachdem der Designer überraschend den Gucci-Konzern verließ, ist der Bildband so etwas wie ein Nachruf geworden. Hier wird noch einmal einer Dekade gedacht, in der Ford Anti-Grunge betrieb, indem er Eleganz, Sex und Glamour verstofflichte - mal unterkühlt, mal mit den freizügigsten Anzeigenkampagnen, die die Zunft bis dahin kannte. Er sei "jemand, der eine Art von Kunst für den Massenmarkt herstellt", sinniert er in seiner Biographie. "Ich glaube, daß ich Masse bin. So bin ich eben."
ipp.
Tom Ford: "Tom Ford", Collection Rolf Heyne, München, 416 Seiten, 150 Euro.
Die Sprache der Kleidung
Hätten Sie's gewußt? Anchored pants, bodice, cockling cut? Genau: Steghose, Oberteil, Glockenschnitt. Robe vague, patron, fil de lisière? Richtig: Hängerkleid, Schnittmuster, Kantenfaden. Giubbetto, paramontura di merletto, colletto arrotolato? Ja: Blouson, Spitzenbesatz, Rollkragen. In der Mode kommt man nicht ohne Englisch, Französisch und Italienisch aus. Wie überheblich der leichtfertige Glaube ist, das alles ohnehin zu können, zeigt schon ein kurzer Blick in das neue "Praxiswörterbuch Bekleidung und Mode". Was ein manteau de loden ist oder ein low-cut décolleté, kann man sich vorstellen. Daß Amerikaner pants statt trousers tragen, weiß man. Aber es beginnt schon bei den falschen Freunden: Wer ein Kostüm im Französischen nicht tailleur nennt, sollte lieber schweigen und nachschlagen. Man kann sich streiten, ob man den englischen blazer auch noch als Blazer (Deutsch), blazer (Französisch), blazer (Italienisch), blazer (Spanisch) aufführen muß. Aber diesen Glaubenskrieg überlassen wir gern den Lexikographen - wie beim Cardigan. Diese beiden Wörter jedenfalls beherrschen wir schon perfekt in mehreren Sprachen.
kai.
Praxiswörterbuch Bekleidung und Mode, Langenscheidt/Schiele & Schön, Berlin, 172 Seiten, 16,95 Euro.
Schule der Verführung
"Sei tagsüber eine Raupe und abends ein Schmetterling", riet schon Coco Chanel. Leicht gesagt. Abendkleider sind in der Regel zu eng, um bequem zu sein, und zu schmal geschnitten, um darin tanzen zu können. Ewig ungelöst auch die Frage, was man drunter trägt - entweder irgend etwas fällt heraus oder etwas malt sich ab. Dennoch werden immer mehr davon gekauft. Auch die Geschichte des Abendkleids ist ein einziger Widerspruch: Während die einen Designer das Glamouröse lieben, zeigen die anderen nur das atemraubend Nötigste. Stets bewegten sich die Trends zwischen diesen Polen - gleich ob Feminin Style, Flapper-Chic oder Free Style dran war. Wer den Bildband von Alexandra Black aus der Hand legt, fühlt sich wie nach einem Fünf-Gänge-Dinner - leicht überfressen, aber hochzufrieden.
AvM.
Alexandra Black: Das Abendkleid, Collection Rolf Heyne, 336 Seiten, 48 Euro.
Schauen schauen
Wie war das eigentlich damals, als man in der Conciergerie saß, der Wein noch in der Kehle lag und die Models aussahen wie Schreckgespenster auf dem Weg zum Schafott? Wie sah es noch gleich aus, als kurz vor dem Abriß des gigantischen Postsortiergebäudes am Montparnasse die Mode vor Betonpfeilern paradierte? Dries van Noten erlaubt sich keine Werbekampagne - er steckt sein Geld in große Inszenierungen. Der beste belgische Modemacher schildert in seinem Buch noch einmal genau, wie er die bisher fünfzig Schauen seines Lebens auf die Beine stellte. Aber nicht nur die Bilder all dieser Schauen aus zwölf Jahren machen dieses Buch so spektakulär wie die Schauen selbst. Es ist der bescheidene Auftritt van Notens, der das allzu typische Designer-Selbstlob in Grenzen hält: Der Hinweis auf den Schauenregisseur Etienne Russo, den größten seines Fachs, fehlt nicht.
kai.
Dries van Noten: 01-50. Selbstverlag, Antwerpen, 328 Seiten, 80 Euro. Erhältlich nur in Boutiquen, die Dries van Noten führen - in Deutschland bei Petra Teufel (Hamburg), Angela Grashoff (Stuttgart), Città di Bologna (Köln), Boutique Evelyn (Bremen), Moderaum Kersting (Bonn).
Die Mode-Hauptstadt auf einen Blick
Lange hat es gedauert, bis Berlin wieder zur Modestadt wurde. Erst kam der Nationalsozialismus und machte die Kreativität der Zwanziger und frühen Dreißiger zunichte. Dann baute die DDR eine Mauer und beendete die zarte Blüte der Fünfziger. Und dann war lange wenig. Seit der Wende ist Berlin wieder da. Aber wer, wo, wie, wann, was, warum? Kurt Geisler stellt die Szene in Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain vor. "Kinky Beaulinky", "Choucroute", "Kaviar Gauche", "Just Mariot", "Hotinaf", "Unrath & Strano", "Smeilinener" - das sind keine botanischen Bezeichnungen, sondern oft ziemlich pseudo-originelle Namen junger Labels. Geisler kann sich für die meisten begeistern, findet's, wenn ihm die Worte fehlen, meist "frech" oder auch mal, weil er an Wortspieleritis leidet, "unbiederstehlich", verhunzt die Namen von Mary Quant und Yves Saint Laurent und sagt's auch mal banal: "Der Weg ist das Ziel. Dieser Satz gilt für Berlin allemal." Aber all das ist egal: Endlich hat man die sechzig wichtigsten Marken vor Augen, mit biographischen Angaben, Erläuterungen zur Mode und Hinweisen für Käufer. Willkommen in der Modemetropole!
kai.
Kurt Geisler: Laufsteg Berlin, Facetten einer Modestadt, Bebraverlag Berlin, 191 Seiten, 19,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mode muß man nicht immer nur tragen, man kann sie auch lesen: die besten Neuerscheinungen.
Sexy Nachruf
Tom Ford hat nicht nur die italienische Marke Gucci, sondern die gesamten neunziger Jahre geprägt. Nun hat er seine eigene Retrospektive herausgebracht: "Tom Ford", 416 Seiten, geschätzte fünf Kilo schwer. Nachdem der Designer überraschend den Gucci-Konzern verließ, ist der Bildband so etwas wie ein Nachruf geworden. Hier wird noch einmal einer Dekade gedacht, in der Ford Anti-Grunge betrieb, indem er Eleganz, Sex und Glamour verstofflichte - mal unterkühlt, mal mit den freizügigsten Anzeigenkampagnen, die die Zunft bis dahin kannte. Er sei "jemand, der eine Art von Kunst für den Massenmarkt herstellt", sinniert er in seiner Biographie. "Ich glaube, daß ich Masse bin. So bin ich eben."
ipp.
Tom Ford: "Tom Ford", Collection Rolf Heyne, München, 416 Seiten, 150 Euro.
Die Sprache der Kleidung
Hätten Sie's gewußt? Anchored pants, bodice, cockling cut? Genau: Steghose, Oberteil, Glockenschnitt. Robe vague, patron, fil de lisière? Richtig: Hängerkleid, Schnittmuster, Kantenfaden. Giubbetto, paramontura di merletto, colletto arrotolato? Ja: Blouson, Spitzenbesatz, Rollkragen. In der Mode kommt man nicht ohne Englisch, Französisch und Italienisch aus. Wie überheblich der leichtfertige Glaube ist, das alles ohnehin zu können, zeigt schon ein kurzer Blick in das neue "Praxiswörterbuch Bekleidung und Mode". Was ein manteau de loden ist oder ein low-cut décolleté, kann man sich vorstellen. Daß Amerikaner pants statt trousers tragen, weiß man. Aber es beginnt schon bei den falschen Freunden: Wer ein Kostüm im Französischen nicht tailleur nennt, sollte lieber schweigen und nachschlagen. Man kann sich streiten, ob man den englischen blazer auch noch als Blazer (Deutsch), blazer (Französisch), blazer (Italienisch), blazer (Spanisch) aufführen muß. Aber diesen Glaubenskrieg überlassen wir gern den Lexikographen - wie beim Cardigan. Diese beiden Wörter jedenfalls beherrschen wir schon perfekt in mehreren Sprachen.
kai.
Praxiswörterbuch Bekleidung und Mode, Langenscheidt/Schiele & Schön, Berlin, 172 Seiten, 16,95 Euro.
Schule der Verführung
"Sei tagsüber eine Raupe und abends ein Schmetterling", riet schon Coco Chanel. Leicht gesagt. Abendkleider sind in der Regel zu eng, um bequem zu sein, und zu schmal geschnitten, um darin tanzen zu können. Ewig ungelöst auch die Frage, was man drunter trägt - entweder irgend etwas fällt heraus oder etwas malt sich ab. Dennoch werden immer mehr davon gekauft. Auch die Geschichte des Abendkleids ist ein einziger Widerspruch: Während die einen Designer das Glamouröse lieben, zeigen die anderen nur das atemraubend Nötigste. Stets bewegten sich die Trends zwischen diesen Polen - gleich ob Feminin Style, Flapper-Chic oder Free Style dran war. Wer den Bildband von Alexandra Black aus der Hand legt, fühlt sich wie nach einem Fünf-Gänge-Dinner - leicht überfressen, aber hochzufrieden.
AvM.
Alexandra Black: Das Abendkleid, Collection Rolf Heyne, 336 Seiten, 48 Euro.
Schauen schauen
Wie war das eigentlich damals, als man in der Conciergerie saß, der Wein noch in der Kehle lag und die Models aussahen wie Schreckgespenster auf dem Weg zum Schafott? Wie sah es noch gleich aus, als kurz vor dem Abriß des gigantischen Postsortiergebäudes am Montparnasse die Mode vor Betonpfeilern paradierte? Dries van Noten erlaubt sich keine Werbekampagne - er steckt sein Geld in große Inszenierungen. Der beste belgische Modemacher schildert in seinem Buch noch einmal genau, wie er die bisher fünfzig Schauen seines Lebens auf die Beine stellte. Aber nicht nur die Bilder all dieser Schauen aus zwölf Jahren machen dieses Buch so spektakulär wie die Schauen selbst. Es ist der bescheidene Auftritt van Notens, der das allzu typische Designer-Selbstlob in Grenzen hält: Der Hinweis auf den Schauenregisseur Etienne Russo, den größten seines Fachs, fehlt nicht.
kai.
Dries van Noten: 01-50. Selbstverlag, Antwerpen, 328 Seiten, 80 Euro. Erhältlich nur in Boutiquen, die Dries van Noten führen - in Deutschland bei Petra Teufel (Hamburg), Angela Grashoff (Stuttgart), Città di Bologna (Köln), Boutique Evelyn (Bremen), Moderaum Kersting (Bonn).
Die Mode-Hauptstadt auf einen Blick
Lange hat es gedauert, bis Berlin wieder zur Modestadt wurde. Erst kam der Nationalsozialismus und machte die Kreativität der Zwanziger und frühen Dreißiger zunichte. Dann baute die DDR eine Mauer und beendete die zarte Blüte der Fünfziger. Und dann war lange wenig. Seit der Wende ist Berlin wieder da. Aber wer, wo, wie, wann, was, warum? Kurt Geisler stellt die Szene in Mitte, Prenzlauer Berg und Friedrichshain vor. "Kinky Beaulinky", "Choucroute", "Kaviar Gauche", "Just Mariot", "Hotinaf", "Unrath & Strano", "Smeilinener" - das sind keine botanischen Bezeichnungen, sondern oft ziemlich pseudo-originelle Namen junger Labels. Geisler kann sich für die meisten begeistern, findet's, wenn ihm die Worte fehlen, meist "frech" oder auch mal, weil er an Wortspieleritis leidet, "unbiederstehlich", verhunzt die Namen von Mary Quant und Yves Saint Laurent und sagt's auch mal banal: "Der Weg ist das Ziel. Dieser Satz gilt für Berlin allemal." Aber all das ist egal: Endlich hat man die sechzig wichtigsten Marken vor Augen, mit biographischen Angaben, Erläuterungen zur Mode und Hinweisen für Käufer. Willkommen in der Modemetropole!
kai.
Kurt Geisler: Laufsteg Berlin, Facetten einer Modestadt, Bebraverlag Berlin, 191 Seiten, 19,80 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main