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"Eine Weltsensation zur rechten Zeit."Wieland Freund in der Literarischen Welt"Seltsam, dass die erste literarische Entdeckung der Trump-Ära ausgerechnet einen New-York-Roman von Walt Whitman ans Licht zieht. Eine Übersetzung wäre dem deutschen Publikum zu wünschen."Lothar Müller in der Süddeutschen Zeitung

Produktbeschreibung
"Eine Weltsensation zur rechten Zeit."Wieland Freund in der Literarischen Welt"Seltsam, dass die erste literarische Entdeckung der Trump-Ära ausgerechnet einen New-York-Roman von Walt Whitman ans Licht zieht. Eine Übersetzung wäre dem deutschen Publikum zu wünschen."Lothar Müller in der Süddeutschen Zeitung
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Autorenporträt
Walt Whitman war einer der einflussreichsten US-amerikanischen Dichter des 19. Jahrhunderts, dessen bekanntestes Werk die mehrfach erweiterte Gedichtsammlung ¿Leaves of Grass¿ (1855) ist. Er wurde am 31. Mai 1819 in West Hills, Long Island, New York in den Vereinigten Staaten geboren und verstarb am 26. März 1892 mit 72 Jahren in Camden, New Jersey.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.05.2017

Ein Waisenjunge unterdrückt seine Unfugstendenzen

Walt Whitmans Roman "Jack Engle" wurde erst kürzlich entdeckt. Drei Verlage lieferten sich ein Wettrennen um die deutsche Erstausgabe. Heute erscheinen zwei Übersetzungen. Welche ist besser?

Ein kleiner Fortsetzungsroman, den eine New Yorker Zeitung vor 165 Jahren anonym in sechs Folgen herausbrachte und der, wie unzählige andere, zur Unterhaltung der boomenden urbanen Leserschaft gedacht war und dazu eine verschlungene Geschichte mit etwas Typenkomik, reichlich Abenteuerflair und vor allem vielen Kolportageelementen aufbot: Kein Mensch, erst recht kein Verlag, würde sich heute dafür interessieren.

Tatsächlich aber interessiert sich seit drei Monaten jeder für diesen Roman, und gleich drei Verlage haben sich einen aberwitzigen Wettlauf um die deutsche Erstausgabe geliefert (F.A.Z. vom 21. April). Aus gutem Grund. Denn "Jack Engle" stammt von Walt Whitman (1819 bis 1892), dem größten Barden, Sprachmagier und Weltenkünder, den Amerika hervorgebracht hat - oder der Amerika erst eigentlich zu dem gemacht hat, wofür das Land als Glücksversprechen wie als Hoffnungschiffre bis in unsere Tage steht.

Anfang des Jahres wurde bekannt, was selbst wie ein amerikanischer Traum erscheint: Einem findigen Doktoranden namens Zachary Turpin gelingt im Zeitungsarchiv eine sensationelle Entdeckung. Der bis dahin völlig unbekannte Text lässt sich zweifelsfrei als Whitmans Werk identifizieren. Das Elektrisierende ist allerdings seine Datierung, drei Jahre vor der Erstveröffentlichung des Gedichtbands "Grasblätter" (1855), Whitmans großer Selbst- und Weltverkündungshymne, die er über vier Jahrzehnte zum monumentalen Lebenswerk ausbaut. Dass er also zur Entstehungszeit seiner Gedichte, die durch ihre ausschweifenden, freien Formen wie freizügigen Bekenntnisse einen radikalen Neubeginn markieren, diesen kolportagehaften Fortsetzungsroman herausgebracht hat, das überrascht und irritiert - als habe Schiller vor den "Räubern" grad noch eine französische Salonkomödie geschrieben oder Kafka vor dem "Urteil" eine bukolische Ballade.

Man kann also kaum anders, als bei der Lektüre ständig Spuren des großen Hauptwerks zu vermuten und nach Signalwörtern zu suchen, die uns zum eigentlichen Whitman, wie wir ihn zu kennen glaubten, führen. Und man wird fündig, zum Beispiel in der Friedhofsszene kurz vor Schluss, die überhaupt die stärkste in diesem bestenfalls gefälligen Episodenreigen ist. Für die Handlung ohne jeden Belang, verbringt der Held und Erzähler hier einen Tag auf dem Kirchhof der Trinity Church, in der Nähe von Wall Street und Broadway, doch fernab des lärmenden Großstadtgetriebes, grübelt über den Grabsteinen und über Amerikas historische Mission. Und dann unvermittelt dieser Satz: "Langes, wild wucherndes Gras streifte mein Gesicht" (Manesse) oder in der anderen deutschen Fassung: "Langes wucherndes Gras verdeckte mein Gesicht"; im Englischen lautet das Verb tatsächlich, noch erstaunlicher, "covered", also "bedeckte", als habe der Spaziergänger sich hier selbst zwischen die Gräber gelegt. Jedenfalls lädt dieser Moment, der in der programmatisch wie poetisch dichtesten Passage des gesamten Romans auf den Titel des Hauptwerks vorauszudeuten scheint, nachdrücklich ein, über den Zusammenhang von Gelegenheitsschreiberei und Weltliteratur nachzudenken: beide wurzeln offenbar im selben Boden.

Das ist eine zutiefst Whitmansche Erkenntnis, denn das Höchste wie das Nächste, das Feierliche wie das Triviale sind bei ihm verbunden und verweisen aufeinander. "Der Genius der Vereinigten Staaten", heißt es im ersten Vorwort zu den "Grasblättern" wenig später, "liegt stets am stärksten in den einfachen Menschen", und der Barde Amerikas sei mit diesen Menschen eins und einig. Es versteht sich, dass Whitman diese Rolle des Nationaldichters für sich selbst reklamierte. Bevor er sie mit 36 Jahren öffentlich antrat und in den Folgejahren zunehmend durchsetzte, hätte niemand diesen Zeitungsschreiber, Landschullehrer sowie Grundstücksmakler, der im Alter von elf Jahren die eigene Schulbildung beendet hatte, dafür ausersehen. Doch wenn man jetzt sein lebenslang nie mehr erwähntes Frühwerk liest, meint man buchstäblich, das Gras wachsen zu hören.

Worum es geht, ist rasch erzählt. Ein New Yorker Straßenstreuner, der von fürsorglichen Pflegeeltern aufgenommen wurde, kommt einem betrügerischen Rechtsanwalt auf die Schliche, enthüllt dessen Machenschaften, errettet eine unschuldige Schöne, entdeckt seine wie ihre wahre Herkunft sowie ihre schicksalshafte Verbindung miteinander, begegnet nebenbei einer begehrenswerten Tänzerin mit Aktienvermögen, einem rechtschaffenen Arbeiter ohne Rechtschreibkenntnisse, einer klugen Jüdin mit Tochter sowie einem treuen alten Kanzleidiener mit Alkoholproblem - und dann und wann auch einem kleinen farbigen Jungen. Das Vorbild Charles Dickens' ist überdeutlich, ebenso wie sich zahlreiche weitere Anleihen am englischen Kanon, beispielsweise an "Robinson Crusoe", in dieser fingierten Autobiographie finden lassen. Erzählerisch wirkt vieles reichlich unbeholfen oder nachlässig, mit Brüchen in der Perspektive und holprigen Überleitungen zwischen den Szenen.

Mit viel gutem Willen mag man solche Mängel als Mittel zur Gestaltung einer überwältigenden Großstadtwirklichkeit auffassen, die sich der bruchlosen Einholung ins Medium des Literarischen widersetzt. Denn was vor allem fasziniert, sind die gelegentlichen fast beiläufigen Einsprengsel, die uns immer wieder Blicke auf Manhattan, den Nabel von Whitmans Existenz, eröffnen: eine Insel auf dem Weg zur Weltgeltung. In der Ausgabe aus dem jungen Verlag "Das Kulturelle Gedächtnis" kommen noch hübsche zeitgenössische Illustrationen hinzu, die uns die Wall Street beispielsweise als verschlafenes Idyll mit Pferdekutschen zeigen.

Der Vergleich der beiden deutschen Fassungen, die jetzt gleichzeitig erscheinen - eine dritte ist bei dtv fürs kommende Jahr angekündigt -, bietet überdies ein klassisches Lehrstück in Übersetzerfragen. Bei Manesse liefern Renate Orth-Guttmann und Irma Wehrli, zwei der erfahrensten und besten Könnerinnen dieser hohen Kunst, eine kluge, historisch sprachsensible, idiomatisch elegante und sehr ansprechende Version, der man allenfalls vorhalten könnte, dass sie die vielen Holprigkeiten des Originals mitunter glättet. Dagegen müht sich die Version von Stefan Schöberlein, einem jungen Literaturwissenschaftler, der bislang nicht als Übersetzer hervorgetreten ist, um Wörtlichkeit und mutet damit auch den Lesern wie der deutschen Sprache einiges zu. "Mögest Du Platz nehmen", heißt es da beispielsweise (bei Manesse: "Nehmen Sie Platz"), um die antiquierte Redeweise eines Quäkers wiederzugeben, oder auch in schwer erträglicher Verquastheit: "Ihre Güte erstickte jedwede noch nachklingende Unfugstendenz in mir" (gegenüber: "Ihre Herzensgüte erstickte alle dummen Gedanken in mir im Keime"). Besonders wagemutig ist es, auch Redewendungen nicht sinn-, sondern wortgemäß wiederzugeben (und dann mit kulturkundlichen Kommentaren zu versehen), also etwa von einer Dame zu erzählen, die alt genug war, "um sich ihre Weisheitszähne abgestoßen zu haben" (gegenüber: "die Eierschalen abgestreift"). Die Frage wäre also wieder einmal, ob eine Übersetzung den Autor zum Leser oder den Leser zum Autor bringen soll.

Eine Entscheidung für das zweite Verfahren darf keine ungekonnte Übersetzerei entschuldigen, kann aber im Erfolgsfall helfen, sprachlich Sperriges als gezielte Wahl nachzuvollziehen. Dazu nimmt Schöberlein in seine Ausgabe auch noch fünf Zeitungsartikel mit thematisch passenden Stadtreportagen Whitmans auf. Solche Beigaben mögen mit den Eigenwilligkeiten seiner Sprachgebung versöhnen. Man darf jedenfalls schon jetzt gespannt schein, was Jürgen Brôcan, der 2009 eine kongeniale deutsche Übertragung der "Grasblätter" vorgelegt hat, kommendes Jahr aus "Jack Engle" macht.

Dem Autor hätte solche Vielfalt zugesagt. Sein berühmtester Satz lautet: "Ich bin groß, ich enthalte Vielheiten." Whitman lesen war noch nie so lohnend wie in Zeiten, da die Beschwörung von Amerikas Größe zu einem aggressiven Selbstdurchsetzungsruf geworden ist. Whitmans Geste war nie die Abschottung, sondern immer überschwänglichste Umarmung. Es ist nicht schwer, sich dem anzuschließen.

TOBIAS DÖRING.

Walt Whitman: "Jack Engles Leben und Abenteuer". Roman.

Aus dem amerikanischen Englisch von Renate Orth-Guttmann und Irma Wehrli. Manesse, Zürich 2017. 186 S., geb., 22,- [Euro].

Walt Whitman: "Das abenteuerliche Leben des Jack Engle". Roman.

Aus dem Englischen und hrsg. von Stefan Schöberlein. Verlag Das Kulturelle Gedächtnis, Berlin 2017. 192 S., geb., 22,- [Euro].

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