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»das alles hier, jetzt.« handelt vom Umgang mit dem Tod einer eng befreundeten Person und einer Reise quer durch Raum und Zeit. Stern beschreibt eindringlich die Ohnmacht in den Wochen nach dem Tod und den Sog des Erinnerns, der die Vergangenheit festhalten will, bevor die Erzählung in einer unerhörten Befreiungsaktion aus der Trauer mündet.Ananke stirbt jung nach kurzer Krankheit und hinterlässt im Freundeskreis eine unerträgliche Lücke. Sie trauern und beschwören die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit: die Erlebnisse in Kinder- und Jugendtagen, die enge Verbundenheit der gesamten Gruppe,…mehr

Produktbeschreibung
»das alles hier, jetzt.« handelt vom Umgang mit dem Tod einer eng befreundeten Person und einer Reise quer durch Raum und Zeit. Stern beschreibt eindringlich die Ohnmacht in den Wochen nach dem Tod und den Sog des Erinnerns, der die Vergangenheit festhalten will, bevor die Erzählung in einer unerhörten Befreiungsaktion aus der Trauer mündet.Ananke stirbt jung nach kurzer Krankheit und hinterlässt im Freundeskreis eine unerträgliche Lücke. Sie trauern und beschwören die Erinnerungen an die gemeinsame Zeit: die Erlebnisse in Kinder- und Jugendtagen, die enge Verbundenheit der gesamten Gruppe, wunderschöne Sommer, auch erste Kon ikte. Die Freunde suchen verzweifelt, finden aber keinen Ausweg aus ihrer Lähmung. Bis eine radikale Idee alles erneut auf den Kopf stellt: Auf geht's zu einem befreienden Road-Trip, mit einem ganz klaren Ziel ...In jeweils kurzen Fragmenten des Jetzt und der Vergangenheit kontrastiert Anna Stern die trauernden Freunde mit der schillernden Welt der guten Erinnerungen, die durch geschlechtsneutrale, unbekannte Vornamen immer auch leicht entrückt wirkt. Im zweiten Teil des Romans, der linear erzählt wird und der Bewegung entsprechend Tempo aufnimmt, entdeckt der Leser eine bisher unbekannte erzählerische Seite von Anna Stern.das alles hier, jetzt.« ist ein rasend schönes und zutiefst menschliches Buch über Familie, Freundschaft und Verlust, über das Erinnern und Aufgehen im Anderen, und ein weiterer Meilenstein im Schaffen einer der bemerkenswertesten Autorinnen der Schweiz.
Autorenporträt
Anna Stern, geboren 1990 in Rorschach, doktoriert und schreibt in Zürich. Zuletzt erschienen »Wild wie die Wellen des Meeres« (2019, Roman, Salis), beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt 2018 mit dem 3sat-Preis ausgezeichnet, »Beim Auftauchen der Himmel« (2017, Erzählungen, lectorbooks), »Der Gutachter« (2016, Roman, Salis) und »Schneestill« (2014, Roman, Salis). »das alles hier, jetzt« ist Anna Sterns vierter und formal gewagtester Roman. Sie ist Förderpreisträgerin der St. Gallischen Kulturstiftung. 2019 zeichnete die Stadt Zürich ihr literarisches Werk aus.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension

Rezensentin Christel Wester lernt, was Trauer bedeutet, mit Anna Sterns Roman. Auch wenn der um einen Verlust und seine Bewältigung kreisende Text durch den Verzicht auf Personal- und Possessivpronomen, Kleinschreibung, Leerseiten und die Einteilung der Seiten in Jetztzeit und Vergangenheit auf Wester mitunter abstrakt und wie eine Versuchsanordnung wirkt, erreicht sie das so festgehaltene Leid der Trauer doch. Das liegt laut Wester daran, dass die Autorin poetisch Stimmungen festhält und schwer zu erfassende Emotionen. Für die behandelte Frage, wie mit einem Verlust umzugehen sei, insgesamt eine durchaus akzeptable Form, findet Wester.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.12.2020

Die Spülung zerreißt den Lauf der Zeit
Sinn und Form in Gendernorm, dabei sprachradikal wie nie zuvor: In Anna Sterns Roman "Das alles hier, jetzt." treffen Leerstellen auf Puzzleteile

Im Anfang war das Wort, und das Wort war Ananke, und das Wort war Verhängnis, und das Wort war Buch. Beim "Glöckner von Notre-Dame" legt Victor Hugo zu Beginn die Karten auf den Tisch: Nur weil der Erzähler den Namen der griechischen Schicksalsgöttin in die Steinwand geritzt gesehen hat, greift er zur Feder.

"ananke stirbt an einem montag im winter, nachmittags zwischen sechzehn und siebzehn uhr." Das ist der erste Satz in "Das alles hier, jetzt.", dem vierten Roman der 1990 geborenen Schweizerin Anna Stern, der kürzlich mit dem Schweizer Buchpreis ausgezeichnet wurde.

Es ist zudem der gesamte Inhalt der ersten Seite. Die zweite ist ebenfalls nicht gefüllt mit Buchstaben. Viel Weiß prägt das Druckbild, aber auch den Text: weiß wie der Schwan, wie der Schnee, wie ein Laken. Die Farbe wird mit dem Rot des Mohns und des Fuchses, vor allem mit dem Rot von Blut kontrastiert. Typographisch trifft das klare Schwarz der Lettern linker Hand auf das etwas blassere zur rechten. Links wird die Gegenwart nach Anankes Tod geschildert, rechts durcheinanderwirbelnde Erinnerungen, kurz vor Schluss übernimmt der linke Strang, und die Handlung wird aufs Ende hin zugestaltet. Das übrigens keinen Punkt hat.

Damit dürfte klar sein: Hier wird keine Standardkost serviert. Den Text prägen durchgehende Kleinschreibung und unorthodoxe Interpunktion, eine Ich-Erzählung in Du-Form und Maskierung des Geschlechts der Figuren.

Zunächst wird das Bild einer relativ unbeschwerten Kindheit gezeichnet. Keine Helikoptereltern, viel Natur, enge Freundschaft. "ihr seid in diesen tagen allein im freibad, und das ganze hat stets einen hauch von abenteuer: swann packt am morgen nicht nur eure badesachen und handtücher in eure rucksäcke, sondern stets auch nektarinen und laugenbrötchen", so dass nur "die furcht davor, den test am ende, wie im ersten jahr, nicht zu bestehen, dich daran hindert, die freiheit, die freude zu genießen." Doch eines Tages schreit Swann Ichor unvermittelt an. Noch mysteriöser indes verhält es sich mit Ichors Reaktion: "ich will nicht dein kind sein." Puzzle bilden den Text, und es wird zu schauen sein, ob alle Teile passen.

Themenstränge sind Trauer und Verlust sowie das Verhältnis von Ich zu Du, von Individuum zu Clique, Familie oder Umwelt. Auch hier ist eine virtuose Komposition zu erkennen. Ananke und Ichor, die Göttin und das Götterblut, Form und Inhalt. Und wenn schon Ichor, dann auch "petrichor", dieser besondere Geruch, wenn es auf trockene Erde regnet, hier von der Figur eingeatmet. Die Clique besteht aus Ichor, Ananke, Cato, Eden und Vienna, die weiteren Figuren tragen ähnlich ungewöhnliche Namen. Stern hat sie gewählt, um die "Geschlechtszuweisung durch den Text zu verunmöglichen". Das Äußere der Figuren wird kaum beschrieben. Eden ist Ichors Zwilling, womit abermals eine Aussage über das Geschlecht vermieden wird und gleichzeitig die "Individualität" ins Spiel kommt; unklar bleibt freilich, ob die beiden ein- oder zweieiig sind.

Auf Anreden wie "Mama" und "Papa" verzichtet Stern ebenso wie auf Personal- und Possessivpronomen. Dabei gelingt ihr das Kunststück, zu einer Sprache zu finden, die trotz der häufigen Wiederholung des Namens nicht infantil wirkt. Als diese Hürde aber gerade genommen ist, heißt es nach einem neukonventionellen "studierenden" plötzlich "zu sehr pirat" oder die "drei besoffenen freunde". Diese maskulinen Formen springen schier in Großbuchstaben aus dem Text heraus. Dahin ist sie, die fiktive Geschlechtslosigkeit.

Bleibt die Frage, welche Möglichkeiten das geschlechtslose Erzählen bietet. Entgrenzt es die Wahrnehmung von Menschen? Zeigt sich hier eine neue Freiheit? Oder verblassen die Menschen? Ist der nächste Schritt die Ersetzung des Namens durch die Steuernummer?

Das "Neutrum" der Figuren geht einher mit Lücken im Text. Das sind nicht die häufig abgebrochenen Sätze, die oft gut ergänzt werden können. Es sind konkrete Leerstellen. Warum ist Cato in Psychotherapie? Warum ist Ichor schon vor Anankes Tod traumatisiert? Spielt eine Autoaggression in der Clique eine Rolle, oder stammen die Narben an den Händen vom Blutritual zur Freundschaftsbesiegelung? Kommt es zu (homoerotischen) Liebesbeziehungen? Aus meist mündlichen Situationen, in denen jemand nicht offen über eine homosexuelle Beziehung sprechen will/mag/kann, ist zuweilen ein solches "Neutrum" bekannt. Bei Stern bleibt all das ebenso unerklärt wie der Streit zwischen Swann und Ichor, was einen Nachgeschmack von Halbherzigkeit erzeugt.

Anführungszeichen und Fragezeichen fehlen. Was aber bedeutet es, wenn eine Frage mit einem Punkt endet? Dass kein Gegenüber da ist, sie zu beantworten? Dass an der Antwort kein Interesse besteht? Der fehlende Punkt am Ende des Romans verspricht zwar Offenheit, die Interpunktion sonst könnte dagegen als Hermetisierung des Textes gelesen werden. Zusammen mit dem geheim gehaltenen Wissen um die Figuren gerät er damit vollends zum Selbstgespräch.

Formexperimente sind immer wieder faszinierend, man denke nur an Georges Perec, der einen Roman ohne den Vokal E geschrieben hat, "Anton Voyls Fortgang", wie er in der deutschen Übersetzung heißt. Oder an die Kleinschreibung in der Lyrik - und Stern lässt ihren Roman auch graphisch wie ein Gedicht ausklingen. Die Bandbreite der Herangehensweisen ist immens. "das licht im container ist klinisch kalt, die spülung zerreißt den lauf der zeit, und du erschrickst, als du dich selbst im spiegel siehst." Der erste Satz aus der Erzählung mit dem umgedreht-gleichen Titel, aus Christa Wolfs "Kein Ort. Nirgends" lautet: "Die arge Spur, in der die Zeit vor uns wegläuft. Vorgänger ihr, Blut im Schuh. Blicke aus keinem Auge, Worte aus keinem Mund." Bei ähnlicher Sprachstruktur entsteht ein völlig anderer Klang. Ob sich Form und Inhalt harmonisch fügen, liegt nicht an einzelnen Erzählverfahren. Nicht einmal an ihrer Radikalität. Anna Stern brilliert in der Handhabung ihrer Sprache. Doch am Ende? Am Ende erdrückt die Form den Inhalt. Hier. Jetzt.

CHRISTIANE PÖHLMANN

Anna Stern: "Das alles hier, jetzt." Roman.

Elster & Salis, Zürich 2020. 288 S., geb., 24,- [Euro].

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