Vor den Toren Hamburgs, im Dreieck zwischen Hamburg, Buxtehude und Stade erstreckt sich entlang der Unterelbe eine einzigartige Kulturlandschaft: das größte zusammenhängende Obstanbaugebiet Deutschlands, ja sogar Nordeuropas, das Alte Land. Wenn Apfel- und Kirschbäume Ende April/Anfang Mai in Blüte stehen, verzaubert ein weiß- und zartrosafarbenes kilometerlanges Blütenmeer das Alte Land. Doch der Besuch lohnt sich über das ganze Jahr, z.B. wenn die Kirschen am Straßenrand feilgeboten werden oder sich zur Erntezeit die Apfelbäume unter der Last ihrer knackigen und saftigen Früchte biegen. Und es gibt viele historische Baudenkmale zu entdecken: stattliche Adelshöfe und Bauernhäuser, prachtvolle Prunkpforten laden ebenso zum Verweilen und Erkunden des Landstrichs wie Kirchen und Windmühlen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.11.2008Äpfel und Kirschen frisch vom Hof
Wenn das Alte Land in den Werken von Gotthold Ephraim Lessing nicht vorkommt, so liegt das vielleicht auch an dessen feuchtem und zunächst nicht eben fröhlichem Hochzeitstag. 1776 hatte der Dichter endlich genug Taler beisammen, um seine langjährige Verlobte Eva König zur Frau zu nehmen. Die Feier sollte am 8. Oktober auf dem Anwesen eines Hamburger Kaufmanns in dem Ort Jork auf der anderen Elbseite gefeiert werden. Doch als Lessing eintraf, stürzte er mitsamt seinem guten Anzug in einen der zahllosen Entwässerungsgräben. Er habe, "wie die meisten Hamburger", den Ort nicht gekannt. Und das muss wirklich lange her sein. Denn spätestens wenn im Mai die Apfel- und Kirschbäume im größten zusammenhängenden Obstanbaugebiet Nordeuropas weiß und rot blühen, setzt sich der Tross der Hamburger mit Auto, Fähre und Fahrrad erstmals in Bewegung, ebbt über den Sommer nur ein bisschen ab und schwillt zur Ernte der Früchte, die frisch vom Hof gekauft werden können, noch einmal mächtig an. Das "Alte Land" zwischen Harburg, Buxtehude und Stade ist - mit Jork als Zentrum - die ländliche Sommerfrische der Städter und entgegen seinem Namen neues Land: Holländische Wasserbautechniker trotzten es seit dem zwölften Jahrhundert mit Gräben und Deichen der Elbe ab. Alle achtzehn Meter zogen sie einen neuen Kanal, das schon trockengelegte Land davor nannten sie angeblich das "alte" - wie es im Süden der Niederlande noch heute üblich ist. Die Elbe aber forderte durch die Jahrhunderte ihre Marschgebiete zurück - der Geschichte der Sturmfluten ist in dem akribisch zusammengetragenen und fakten- und geschichtenreichen Handbuch denn auch eine eigene Darstellung gewidmet. Auch wer als Hamburger das Alte Land zu kennen meint, staunt angesichts der Dichte des kleinen Bändchens, was man auf nur dreißig Kilometer Länge und zehn Kilometer Breite noch alles entdecken kann: Eine Fülle an restaurierten Prunkpforten an alten Hofeingängen, allein zehn Kirchen, vier davon mit Barockorgeln des Orgelbaumeisters Arp Schnitger, sowie prächtige Bauernhäuser mit kunstvollem Fachwerk aus Altländer Lehmziegeln, die auch in Hamburg verbaut wurden - etwa im "Chilehaus". Dazu vierunddreißig kleine Orte mit genau beschriebenen architektonischen Besonderheiten, etwa den holländisch anmutenden, sich hinter dem Deich duckenden Häusern. Schade nur, dass die acht geschilderten Radtouren, Wanderrouten und Skaterstrecken in den beiden Übersichtskarten nicht eingetragen sind.
rea.
"Das Alte Land" von Oliver Falkenberg und Linda Sundmaeker. Edition Temmen, Bremen 2007. 160 Seiten, 204 Abbildungen. Broschiert, 9,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wenn das Alte Land in den Werken von Gotthold Ephraim Lessing nicht vorkommt, so liegt das vielleicht auch an dessen feuchtem und zunächst nicht eben fröhlichem Hochzeitstag. 1776 hatte der Dichter endlich genug Taler beisammen, um seine langjährige Verlobte Eva König zur Frau zu nehmen. Die Feier sollte am 8. Oktober auf dem Anwesen eines Hamburger Kaufmanns in dem Ort Jork auf der anderen Elbseite gefeiert werden. Doch als Lessing eintraf, stürzte er mitsamt seinem guten Anzug in einen der zahllosen Entwässerungsgräben. Er habe, "wie die meisten Hamburger", den Ort nicht gekannt. Und das muss wirklich lange her sein. Denn spätestens wenn im Mai die Apfel- und Kirschbäume im größten zusammenhängenden Obstanbaugebiet Nordeuropas weiß und rot blühen, setzt sich der Tross der Hamburger mit Auto, Fähre und Fahrrad erstmals in Bewegung, ebbt über den Sommer nur ein bisschen ab und schwillt zur Ernte der Früchte, die frisch vom Hof gekauft werden können, noch einmal mächtig an. Das "Alte Land" zwischen Harburg, Buxtehude und Stade ist - mit Jork als Zentrum - die ländliche Sommerfrische der Städter und entgegen seinem Namen neues Land: Holländische Wasserbautechniker trotzten es seit dem zwölften Jahrhundert mit Gräben und Deichen der Elbe ab. Alle achtzehn Meter zogen sie einen neuen Kanal, das schon trockengelegte Land davor nannten sie angeblich das "alte" - wie es im Süden der Niederlande noch heute üblich ist. Die Elbe aber forderte durch die Jahrhunderte ihre Marschgebiete zurück - der Geschichte der Sturmfluten ist in dem akribisch zusammengetragenen und fakten- und geschichtenreichen Handbuch denn auch eine eigene Darstellung gewidmet. Auch wer als Hamburger das Alte Land zu kennen meint, staunt angesichts der Dichte des kleinen Bändchens, was man auf nur dreißig Kilometer Länge und zehn Kilometer Breite noch alles entdecken kann: Eine Fülle an restaurierten Prunkpforten an alten Hofeingängen, allein zehn Kirchen, vier davon mit Barockorgeln des Orgelbaumeisters Arp Schnitger, sowie prächtige Bauernhäuser mit kunstvollem Fachwerk aus Altländer Lehmziegeln, die auch in Hamburg verbaut wurden - etwa im "Chilehaus". Dazu vierunddreißig kleine Orte mit genau beschriebenen architektonischen Besonderheiten, etwa den holländisch anmutenden, sich hinter dem Deich duckenden Häusern. Schade nur, dass die acht geschilderten Radtouren, Wanderrouten und Skaterstrecken in den beiden Übersichtskarten nicht eingetragen sind.
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"Das Alte Land" von Oliver Falkenberg und Linda Sundmaeker. Edition Temmen, Bremen 2007. 160 Seiten, 204 Abbildungen. Broschiert, 9,90 Euro.
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