Was tun Gedichte im Raum einer Kommunikation, die schnelllebig ist und kaum Pausen zulässt? Wohin trägteine Sprache, die sich über ihre Tragweite nicht sicher ist? "das kommt uns alles kaum bekannt vor, hand aufs herz": Das amortisiert sich nicht. Tristan Marquardts Gedichte legen den Finger vom Resultat auf den Prozess. Sie versichern: Wenn es dunkel ist, trägt ein Schatten auf die Schicht Licht, die eine Lampe auf die Dunkelheit gelegt hat, eine weitere Schicht Dunkelheit auf. Wenn es dunkel ist, hebt ein Schatten unter der Schicht Licht, die eine Lampe auf die Dunkelheit gelegt hat, die Dunkelheit wieder hervor. Betritt man sein Zimmer über eine Rückraumgrenze, geht man "in sein zimmer hinaus". Und wenn man auf die Straße geht, ist das nicht der Park, "aber mit ein, zwei kleinen änderungen könnte er es sein". So greifen Marquardts Texte konstruierend in das ein, was längst schon konstruiert und vorhanden ist und woran doch immer weiter noch gearbeitet wird. Im Bau Begriffenes.Was sich nicht aufrechnen lässt. Körper sondergleichen. So "als hätte man gerade das cembalo erfunden, aber vergessen, wo man es hingestellt hat."
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.06.2013Suchmaschinenverse
Digitales Herz schlägt auch: Tristan Marquardts Lyrik
Amor steckt auch noch im "Amortisieren". Dabei muss der Herzschlag eher gedämpft klingen, wo sich die Selbstwahrnehmung über einen Body-Mass-Index vermittelt. Das Schöne definierte Max Bense seinerzeit informationstheoretisch als unwahrscheinliche Ordnung von Zeichen, und wenn in Tristan Marquardts Gedichten Zufall und Ordnung miteinander kämpfen, spricht darin ein lyrisches Ich der Internetgeneration trotzdem auch von Liebe.
Beängstigend ordentlich erscheint der regelmäßige Wechsel von Gedichten ohne Strophengliederung und Fünfstrophern zu je vier Zeilen; dazwischen steht alle zehn Seiten ein "Katalog", der Wörter wie "schatten", "spuren" und "grenzen" nach Art eines metasprachlichen Glossars definieren möchte. Aber auch der Zufall ist nicht mehr, was er einmal war. In seiner berühmten Anleitung für ein dadaistisches Gedicht empfahl Tristan Tzara 1920 das Zerschneiden eines Zeitungsartikels; Marquardt nutzt manchmal Ergebniszeilen, die ausgewählte Suchwörter bei Google liefern. Übrigens hinterließ Tzara die kryptische Verheißung, das Zufallsgedicht werde seinem Verfasser ähneln. Unter Marquardts Fragmenten einer Wahrnehmungsgeschichte des eigenen Körpers (und einiger fremder) erfüllt sie das Google-Kapitel am wenigsten.
Benns Formel für lyrische Coolness - schnoddriger Zeitjargon, abstraktes Vokabular, vorgefundenes Material - tut noch immer Dienst. Der Zeitjargon stammt aus den digitalen Medien; ein "schwenk" und ein "zwischenspeichern" bringen manchmal sogar Liebe und Politik aus der großen Remix-Maschine zum Vorschein: "deplatziertes umzusetzen ist das einzige gelenk des widerstands", oder entdecken die Literatur der Arbeitswelt als Kalauer wieder: "kumpel, in etwa, rupf die gans und greif zur feder". Aber dieses "Gelenk"' hat wenig Muskeln, und in manchen Passagen klingt der Jargon bloß großspurig. Das Private liegt Marquardt näher als der "arabische volksaufstand", und neben den vielen Medienzitaten steht ein begrenztes Bildvokabular mit Elementen wie Baum, Blick, Hand, Hund, Schatten, Tisch. Erstaunlich bleibt, wie die drei Texte "blickinsassen", in der Mitte des Bands und als einzige aus Zeilenpaaren gebaut, aus dem scheinbar schlichten Repertoire die Grundlage einer "geschichte des blicks", seiner Selbstreflexivität und seiner Potentiale zu schaffen vermögen. Wo zum Ich ein Du ins Spiel kommt, gelingen dichte, assoziationsreiche Texte, die synästhetische Qualitäten entfalten und mit gewissem Recht auf Widmungsträger wie Ulf Stolterfoht und Andrej Tarkowski verweisen. Hier wird der Jargon klangsensibel eingesetzt und mehrsinnig gebrochen.
Marquardt weiß, dass Metaphern Sinn und sinnliche Erfahrung kaum noch kurzschließen, wenn die Grenze zwischen Realität und Virtualität ständig übersprungen wird. Vielleicht bleibt dem Lyriker da tatsächlich nichts anderes als "das interieur ausleuchten. erhöh die pixelzahl, schraub das tempo runter, schau genau hin" - oder gleich die resignative Variante des Mediennomaden: "einfach eintauchen, schnorcheln, augenweiden klarmachen, pics schießen". "ich bin nackt, du trägst haut" - wer die Asymmetrie von Selbst- und Fremdwahrnehmung so prägnant zu fassen vermag, kann aber auch mehr als das eigene "interieur" aus dem globalen Mediennetz fischen.
MARTIN MAURACH
Tristan Marquardt: "das amortisiert sich nicht". Gedichte.
Verlag kookbooks, Berlin 2013. 76 S., br., 19,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Digitales Herz schlägt auch: Tristan Marquardts Lyrik
Amor steckt auch noch im "Amortisieren". Dabei muss der Herzschlag eher gedämpft klingen, wo sich die Selbstwahrnehmung über einen Body-Mass-Index vermittelt. Das Schöne definierte Max Bense seinerzeit informationstheoretisch als unwahrscheinliche Ordnung von Zeichen, und wenn in Tristan Marquardts Gedichten Zufall und Ordnung miteinander kämpfen, spricht darin ein lyrisches Ich der Internetgeneration trotzdem auch von Liebe.
Beängstigend ordentlich erscheint der regelmäßige Wechsel von Gedichten ohne Strophengliederung und Fünfstrophern zu je vier Zeilen; dazwischen steht alle zehn Seiten ein "Katalog", der Wörter wie "schatten", "spuren" und "grenzen" nach Art eines metasprachlichen Glossars definieren möchte. Aber auch der Zufall ist nicht mehr, was er einmal war. In seiner berühmten Anleitung für ein dadaistisches Gedicht empfahl Tristan Tzara 1920 das Zerschneiden eines Zeitungsartikels; Marquardt nutzt manchmal Ergebniszeilen, die ausgewählte Suchwörter bei Google liefern. Übrigens hinterließ Tzara die kryptische Verheißung, das Zufallsgedicht werde seinem Verfasser ähneln. Unter Marquardts Fragmenten einer Wahrnehmungsgeschichte des eigenen Körpers (und einiger fremder) erfüllt sie das Google-Kapitel am wenigsten.
Benns Formel für lyrische Coolness - schnoddriger Zeitjargon, abstraktes Vokabular, vorgefundenes Material - tut noch immer Dienst. Der Zeitjargon stammt aus den digitalen Medien; ein "schwenk" und ein "zwischenspeichern" bringen manchmal sogar Liebe und Politik aus der großen Remix-Maschine zum Vorschein: "deplatziertes umzusetzen ist das einzige gelenk des widerstands", oder entdecken die Literatur der Arbeitswelt als Kalauer wieder: "kumpel, in etwa, rupf die gans und greif zur feder". Aber dieses "Gelenk"' hat wenig Muskeln, und in manchen Passagen klingt der Jargon bloß großspurig. Das Private liegt Marquardt näher als der "arabische volksaufstand", und neben den vielen Medienzitaten steht ein begrenztes Bildvokabular mit Elementen wie Baum, Blick, Hand, Hund, Schatten, Tisch. Erstaunlich bleibt, wie die drei Texte "blickinsassen", in der Mitte des Bands und als einzige aus Zeilenpaaren gebaut, aus dem scheinbar schlichten Repertoire die Grundlage einer "geschichte des blicks", seiner Selbstreflexivität und seiner Potentiale zu schaffen vermögen. Wo zum Ich ein Du ins Spiel kommt, gelingen dichte, assoziationsreiche Texte, die synästhetische Qualitäten entfalten und mit gewissem Recht auf Widmungsträger wie Ulf Stolterfoht und Andrej Tarkowski verweisen. Hier wird der Jargon klangsensibel eingesetzt und mehrsinnig gebrochen.
Marquardt weiß, dass Metaphern Sinn und sinnliche Erfahrung kaum noch kurzschließen, wenn die Grenze zwischen Realität und Virtualität ständig übersprungen wird. Vielleicht bleibt dem Lyriker da tatsächlich nichts anderes als "das interieur ausleuchten. erhöh die pixelzahl, schraub das tempo runter, schau genau hin" - oder gleich die resignative Variante des Mediennomaden: "einfach eintauchen, schnorcheln, augenweiden klarmachen, pics schießen". "ich bin nackt, du trägst haut" - wer die Asymmetrie von Selbst- und Fremdwahrnehmung so prägnant zu fassen vermag, kann aber auch mehr als das eigene "interieur" aus dem globalen Mediennetz fischen.
MARTIN MAURACH
Tristan Marquardt: "das amortisiert sich nicht". Gedichte.
Verlag kookbooks, Berlin 2013. 76 S., br., 19,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Das digitale Netz und sein Vokabular findet Martin Maurach in den Gedichten von Tristan Marquardt "beängstigend" ordentlich abgebildet. Zu ordentlich für Maurach. Auch wenn er Zufall und Ordnung hier miteinander im Clinch sieht, klingen ihm Wörter, wie "zwischenspeichern" und "pixelzahl" nicht wirklich überzeugend im Ohr, sondern mitunter "bloß großspurig". Erst wenn zu dem mit Suchmaschinenbegriffen hantierenden Ich in den Texten ein Du hinzu kommt, gelingen laut Rezensent dichte, synästhetische Stücke mit Assoziationsreichtum, wie etwa die entwaffnende Beobachtung: "ich bin nackt, du trägst haut."
© Perlentaucher Medien GmbH
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