Unser Buch „Das andere 1968“ wirft einen Blick zurück in die Anfänge der Jugend- und Protestbewegung, die sich Ende der 60er-Jahre entwickelte und das Gesicht der Bundesrepublik nachhaltig veränderte. So sehr die Aktionen der Studentenbewegung medial breit präsent sind und zum Gedächtnis der Republik gehören, so wenig bekannt sind die Bewegungen, die gleichzeitig bei dem Teil der Jugend stattfanden, der nicht auf einen akademischen Beruf vorbereitet wurde. Und es gab auch richtige Begegnungen dieser beiden „Welten“, die in beide Richtungen abfärbten. “Das andere 1968“ stellt eine solche „Grenzüberschreitung“ vor. Zu Wort kommen damalige Akteure. Ihr Aktionsort war das pfälzische Speyer. Hier kamen 1969/70 an das frisch gegründete Speyer-Kolleg viele jungen Menschen zusammen, die ihre Ausbildung gerade abgeschlossen oder auch schon einige Jahre Berufserfahrung hatten, um ihr Abitur auf dem zweiten Bildungsweg nachzuholen. Der Kolleg-Betrieb war zu dieser Zeit klassisch schulisch strukturiert und inhaltlich autoritär organisiert. Dies bedeutete im alltäglichen Schulbetrieb unter anderem das die Schüler:innen, obwohl fast alle älter als 21 Jahre, wie Minderjährige behandelt wurden. Dies führte zwangsläufig zu wachsenden Auseinandersetzungen mit der Schulleitung, die 1970/71 am Speyer-Kolleg zu mehreren Streik- und Boykottaktionen führten. Mit vielen juristischen Nachspielen für die Organisator:innen. Die gesamte Stadtgesellschaft von Speyer war damals in die Vorgänge einbezogen und hatte hierzu eine mehr oder minder fundierte Meinung. Es gab große Veranstaltungen in der Stadthalle zu den Vorgängen am Speyer-Kolleg und den Forderungen der Kollegiat:innen. Diese beschäftigten seinerseits sogar den Mainzer Landtag. Es ging den Initiator:innen der Schülerbewegung um die Frage, ob der zweite Bildungsweg – beziehungsweise Bildung überhaupt – emanzipatorisch oder eher in Richtung Anpassung und Verwertung als spätere Arbeitskraft ausgerichtet sein soll. Die Rede ist von der Lehrlingsbewegung und den politischen Aktivitäte von Jungarbeiter/innen. Die damals engagierten Kollegiat:innen hatten aber auch verschiedene Basisgruppen mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten. Unter anderem hatte eine Basisgruppe enge Beziehungen zu den örtlichen Gewerkschaften. Denn auch in der VFW Fokker – der heutigen PFW Aerospace – gab es zu dieser Zeit eine starke Auszubildendenbewegung und viele gewerkschaftliche Aktivitäten im Betrieb. So wurden unter anderem Vertrauensleute-Schulungen mit Kollegiaten als Dozenten durchgeführt um Erfahrungen auszutauschen. Diese Ereignisse liegen mittlerweile über 50 Jahre zurück und scheinen langsam in Vergessenheit zu geraten. Um dem entgegenzuwirken, haben die beiden Autoren Wolfgang Hien und Herbert Obenland gemeinsam mit dem Göttinger Historiker Peter Birke diese spannende Zeit in „Das andere 1968“ aufgearbeitet.