Immer wieder ist in Kafkas Texten von Fotografien die Rede, so als ob sie etwas könnten, das sein Schreiben nicht kann. Kafka fühlt sich herausgefordert durch dieses Medium, das seinem Schreiben Bedrohung und produktiver Stachel zugleich ist. Im Fokus dieser Studie steht somit ein doppeltes Phänomen: Einerseits Kafkas literarisches Interesse am anderen Medium, der Fotografie. Andererseits aber auch inwiefern die Fotografie zum Katalysator für ein anderes Schreiben wird, ein Schreiben, das sich, in Auseinandersetzung und Konkurrenz mit fotografischen Verfahren, über seine eigenen Grenzen hinaus schreibt. I. Bilder der Auflösung - Verwandlung vor dem Bild - Auflösen und Lebendigwerden - Das Abbild des Hungerns? Die Erzählung Ein Hungerkünstler - II. Präsenz der Absenz - Die Briefe an Felice - Einsatz der Bilder - Die Gegenleistung: Das Bild Felices - Die Bestätigung der Präsenz der Absenz - Brautschau. Raban und das Bild seiner Braut - Vor dem Geschehen - Blick auf das Bild - Kafkabesucht Goethe - III. Bildlektüre auf der Kippe - Die Fotografie Klamms - Karl Roßmann und das Foto seiner Eltern - Aus dem Gleichgewicht: Das Foto im Proceß - Fort-Schreiben der Leere des Bildes: ,Das große Theater von Oklahoma' - IV. Nichts zu sehen? K. vermißt das Schloß - Das Schloß von unten - Ersatz-Apparate -Landvermessen: aussichtslos - Klamms Briefe - Beobachten - Das Phantombild Klamm - Das Schloß von innen - V. Das Sehen sehen - Starren - Metamorphosen des Sehens - Von Fotos, Blicken und Briefen: Milena blendet Kafka - Vorstellung und Entzug - Milenas Fotografie - Blick und Brief
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2009Ein Bild von ihr
Die Literatur der Moderne zeichnet sich durch ihr angespanntes Wettbewerbsverhältnis zu den Bildmedien aus. Als der Film das herkömmliche Erzählen zu übertrumpfen schien, entwickelten die Schriftsteller bekanntermaßen "filmische" Erzählverfahren. Welche produktive Irritation schon das statische Bildmedium Fotografie auslöste, wurde bisher kaum erfasst. Gesa Schneider spielt die Frage anhand des Werks von Franz Kafka durch. Unter dem Stichwort der "fotografischen Poetik" gibt sie die These aus, dass die Fotografie für den Autor Fremdkörper und Herausforderung zugleich gewesen sei. Das galt für den Romancier wie für den Privatmann Kafka. Schneider zeigt, wie sich die Korrespondenz zwischen ihm und Felice 1912/13 monatelang über den Austausch von Fotos etablierte und sich zunehmend mit einem Paradoxon beschäftigen musste: Das entfernte Gegenüber rückt im Abbild zwar näher, gewinnt in der verewigten Momentaufnahme aber ein Eigenleben in der Phantasie des Betrachters. Auch an Milena schreibt Kafka später: "Ein wirkliches Bild von Dir habe ich noch nicht." In Gesa Schneiders Arbeit wird deutlich, wie die Faszination für das optische Bild bei Kafka der Verärgerung weicht. Ob in der "Verwandlung", im "Hungerkünstler" oder im "Prozess" - stets wird die Defizienz der Fotografie problematisiert, dass der Fotograf einen Moment zwar dokumentiert, ihn aber nicht lesbar macht. Ebenso wenig lesbar ist übrigens die Schlussfolgerung Gesa Schneiders, dass sich bei Kafka "Optisches ins Schreiben einschreibe" und "die Schrift dynamisiere". Floskeln sind die Polaroids der Philologen. (Gesa Schneider: "Das andere Schreiben". Kafkas fotografische Poetik. Königshausen & Neumann, Würzburg 2008. Br., 168 S., 24,90 [Euro].) luck
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Literatur der Moderne zeichnet sich durch ihr angespanntes Wettbewerbsverhältnis zu den Bildmedien aus. Als der Film das herkömmliche Erzählen zu übertrumpfen schien, entwickelten die Schriftsteller bekanntermaßen "filmische" Erzählverfahren. Welche produktive Irritation schon das statische Bildmedium Fotografie auslöste, wurde bisher kaum erfasst. Gesa Schneider spielt die Frage anhand des Werks von Franz Kafka durch. Unter dem Stichwort der "fotografischen Poetik" gibt sie die These aus, dass die Fotografie für den Autor Fremdkörper und Herausforderung zugleich gewesen sei. Das galt für den Romancier wie für den Privatmann Kafka. Schneider zeigt, wie sich die Korrespondenz zwischen ihm und Felice 1912/13 monatelang über den Austausch von Fotos etablierte und sich zunehmend mit einem Paradoxon beschäftigen musste: Das entfernte Gegenüber rückt im Abbild zwar näher, gewinnt in der verewigten Momentaufnahme aber ein Eigenleben in der Phantasie des Betrachters. Auch an Milena schreibt Kafka später: "Ein wirkliches Bild von Dir habe ich noch nicht." In Gesa Schneiders Arbeit wird deutlich, wie die Faszination für das optische Bild bei Kafka der Verärgerung weicht. Ob in der "Verwandlung", im "Hungerkünstler" oder im "Prozess" - stets wird die Defizienz der Fotografie problematisiert, dass der Fotograf einen Moment zwar dokumentiert, ihn aber nicht lesbar macht. Ebenso wenig lesbar ist übrigens die Schlussfolgerung Gesa Schneiders, dass sich bei Kafka "Optisches ins Schreiben einschreibe" und "die Schrift dynamisiere". Floskeln sind die Polaroids der Philologen. (Gesa Schneider: "Das andere Schreiben". Kafkas fotografische Poetik. Königshausen & Neumann, Würzburg 2008. Br., 168 S., 24,90 [Euro].) luck
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main