Bernd Seidensticker bietet eine anschauliche Einführung in die Geschichte des Theaters in griechischer und römischer Zeit. Er beschreibt seine Entstehung und Entwicklung, erläutert dramatische Formen, erklärt die Organisation des Theaters und seinen Aufbau, informiert über Schauspieler, Chöre und Musiker und beleuchtet Kunst und Technik der Inszenierung.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.12.2010KURZKRITIK
Schmuddelkind
Bernd Seidenstickers
Einführung in das antike Theater
„Die Inszenierung vermag zwar die Zuschauer zu ergreifen; sie ist jedoch das Kunstloseste und hat am wenigsten etwas mit der Dichtkunst zu tun.“ Literarisierung und Kanonisierung betrieb schon Aristoteles in seiner „Poetik“. Wer heute ein Bändchen mit dem Titel „Das antike Theater“ zur Hand nimmt, erwartet deshalb auch heute noch wesentlich Literaturgeschichte: von Aischylos bis Seneca.
Doch genau darum geht es Bernd Seidensticker, Emeritus der Freien Universität Berlin, diesmal nicht. Der Titel aus der Beck’schen Reihe „Wissen“ zielt einzig auf die Praxis: den institutionellen und finanziellen Rahmen des griechischen und römischen Theaters, die Sozialstruktur von Schauspielern und Publikum. Ins Zentrum rückt so exakt die Inszenierung: Kostüme, Masken und Maschinen sowie die Musik, deren unterschiedlicher Einfluss auf die Gattungen kaum überschätzt werden kann.
Wo die Theaterwissenschaft das Performative schon lange gegen das Literarische aufwertet, hat es der Klassische Philologe mit einer Paradoxie zu tun: Die Mehrzahl überlieferter Dramentexte – das gilt für Griechenland wie für Rom – bezeichnet nur den Beginn eines Theaterbetriebs im professionellen Sinn; weder Euripides noch Plautus haben einen der bekannten Steinbauten je von innen gesehen. Selbstverständlich bedient Seidensticker hier den Einführungscharakter, indem er den „kanonischen“ Zeiten breitesten Raum gibt. Aber die Texte nur als Quelle unter vielen dutzend, mit zahlreichen Abbildungen illustrierend, ordnet er chronologisch ein, was zur Vorstellung vom Klassischen bloß verschmolzen ist. Seidensticker hierarchisiert Gattungen nicht gegeneinander und meidet, für eine Einführung überraschend skeptisch, jede Wertung, wo nur die Quellen fehlen. Konsequent bekommt deshalb die römische Kaiserzeit mit ihren körperlichen und schauspielerorientierten Formen noch einmal ein eigenes Kapitel.
Die ältere „Einführung in das antike Theaterwesen“ von Horst-Dieter Blume ist vergriffen. „Das antike Theater“ zielt souverän auf das Schmuddelkind Theater selbst. MICHAEL STALLKNECHT
BERND SEIDENSTICKER: Das antike Theater. Verlag C. H. Beck, München 2010. 127 Seiten, 8,95 Euro.
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Schmuddelkind
Bernd Seidenstickers
Einführung in das antike Theater
„Die Inszenierung vermag zwar die Zuschauer zu ergreifen; sie ist jedoch das Kunstloseste und hat am wenigsten etwas mit der Dichtkunst zu tun.“ Literarisierung und Kanonisierung betrieb schon Aristoteles in seiner „Poetik“. Wer heute ein Bändchen mit dem Titel „Das antike Theater“ zur Hand nimmt, erwartet deshalb auch heute noch wesentlich Literaturgeschichte: von Aischylos bis Seneca.
Doch genau darum geht es Bernd Seidensticker, Emeritus der Freien Universität Berlin, diesmal nicht. Der Titel aus der Beck’schen Reihe „Wissen“ zielt einzig auf die Praxis: den institutionellen und finanziellen Rahmen des griechischen und römischen Theaters, die Sozialstruktur von Schauspielern und Publikum. Ins Zentrum rückt so exakt die Inszenierung: Kostüme, Masken und Maschinen sowie die Musik, deren unterschiedlicher Einfluss auf die Gattungen kaum überschätzt werden kann.
Wo die Theaterwissenschaft das Performative schon lange gegen das Literarische aufwertet, hat es der Klassische Philologe mit einer Paradoxie zu tun: Die Mehrzahl überlieferter Dramentexte – das gilt für Griechenland wie für Rom – bezeichnet nur den Beginn eines Theaterbetriebs im professionellen Sinn; weder Euripides noch Plautus haben einen der bekannten Steinbauten je von innen gesehen. Selbstverständlich bedient Seidensticker hier den Einführungscharakter, indem er den „kanonischen“ Zeiten breitesten Raum gibt. Aber die Texte nur als Quelle unter vielen dutzend, mit zahlreichen Abbildungen illustrierend, ordnet er chronologisch ein, was zur Vorstellung vom Klassischen bloß verschmolzen ist. Seidensticker hierarchisiert Gattungen nicht gegeneinander und meidet, für eine Einführung überraschend skeptisch, jede Wertung, wo nur die Quellen fehlen. Konsequent bekommt deshalb die römische Kaiserzeit mit ihren körperlichen und schauspielerorientierten Formen noch einmal ein eigenes Kapitel.
Die ältere „Einführung in das antike Theaterwesen“ von Horst-Dieter Blume ist vergriffen. „Das antike Theater“ zielt souverän auf das Schmuddelkind Theater selbst. MICHAEL STALLKNECHT
BERND SEIDENSTICKER: Das antike Theater. Verlag C. H. Beck, München 2010. 127 Seiten, 8,95 Euro.
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