1957: Georges Perec ist einundzwanzig. Er ist eingeschrieben im Fach Geschichte, doch in die Vorlesungen geht er nicht mehr. Er will schreiben, doch er kommt kaum dazu. Im Sommer 1955 hat er sich an einem ersten Buch versucht, dessen Text bis heute verschollen ist, im Sommer 1956 eine Psychoanalyse begonnen. Im Sommer 1957 fährt er nach Jugoslawien, wo er in wenigen Wochen seinen zweiten größeren Text schreibt. Zurück in Paris, redigiert er in aller Eile das Manuskript, diktiert es einer Schulfreundin, schickt es an Verlage, die es aber allesamt ablehnen, sodass er es einem Belgrader…mehr
1957: Georges Perec ist einundzwanzig. Er ist eingeschrieben im Fach Geschichte, doch in die Vorlesungen geht er nicht mehr. Er will schreiben, doch er kommt kaum dazu. Im Sommer 1955 hat er sich an einem ersten Buch versucht, dessen Text bis heute verschollen ist, im Sommer 1956 eine Psychoanalyse begonnen. Im Sommer 1957 fährt er nach Jugoslawien, wo er in wenigen Wochen seinen zweiten größeren Text schreibt. Zurück in Paris, redigiert er in aller Eile das Manuskript, diktiert es einer Schulfreundin, schickt es an Verlage, die es aber allesamt ablehnen, sodass er es einem Belgrader Malerfreund überlässt.
In dem schließlich wiedergefundenen und hier erstmals auf Deutsch publizierten Text begegnen wir einer Literatur zwischen jugendlichem Drang, ausgeprägtem Erzähltalent und reifendem Stilwillen: Ein amouröses Dreieck und weltgeschichtliche Katastrophe konvergieren in einer Erzählung, hinter der sich bereits die zentralen Motive von Perecs späterem Werk abzeichnen.
Georges Perec war einer der wichtigsten Vertreter der französischen Nachkriegsliteratur und Filmemacher. Als Sohn polnischer Juden musste Perec als Kind die deutsche Besetzung Frankreichs miterleben. Sein Vater fiel 1940 als Freiwilliger in der französischen Armee, seine Mutter wurde 1943 nach Auschwitz verschleppt. Kurz vor ihrer Verhaftung konnte sie ihren Sohn mit einem Zug des Roten Kreuzes aufs Land schicken und ihm so das Leben retten. 1967 trat Perec der literarischen Bewegung Oulipo bei, die Raymond Queneau ins Leben gerufen hatte. Das Kürzel Oulipo steht für »L' Ouvroir de Littérature Potentielle«, d.h. »Werkstatt für Potentielle Literatur«. Die Schriftsteller von Oulipo, die aus dem »Collège de Pataphysique«, surrealistischen Gruppierungen oder dem Kollektiv »Nicolas Bourbaki« stammten, erlegten ihren Werken bestimmte literarische oder mathematische Zwänge auf, etwa den Verzicht auf bestimmte Buchstaben. Perecs Werk »Anton Voyls Fortgang« kommt so ganz und gar ohne den Buchstaben E aus. In den 70er Jahren begann Perec ebenfalls mit Erfolg Filme zu drehen. Kurz vor seinem 46. Geburtstag starb Georges Perec an Lungenkrebs.
Rezensionen
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Tobias Lehmkuhl freut sich, dass Georges Perecs 1957 entstandener, 2018 erstmals im Original veröffentlichter Roman "Das Attentat von Sarajevo" nun vom Perec- und Oulipo-Experten Jürgen Ritte ins Deutsche übersetzt wurde. Lange musste der Roman auf seine Veröffentlichung warten, vermutlich auch, weil Perec den Text nach einer Jugoslawien-Reise diktierte und ihn vergaß, glaubt Lehmkuhl. Lohnenswert findet er die Lektüre der die Dreiecks-Geschichte um einen in Sarajevo verheirateten Philosophen, der in Belgrad eine Geliebte hat, nicht zuletzt ihrer "scheinbaren Unfertigkeit" und der vielen offenen Fragen wegen.
»Wie das Attentat von Sarajevo des Jahres 1957 genau aussieht, sei hier nicht verraten. Aus den Liebeswirren geht auf jeden Fall einer als Sieger hervor: Der Erzähler, dem niemand die Deutungshoheit über seine Geschichte streitig macht.« Tobias Lehmkuhl, Süddeutsche Zeitung
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