Das Attentat ist eine im politischen und gesellschaftlichen Alltag allgegenwärtige Möglichkeit: Politiker, Stars, Prominente schützen sich mit immer rigideren Sicherheitssystemen und immer mehr Bodygards gegen eine wachsende Bedrohung. Manfred Schneider geht in seinem faszinierenden Buch der Geschichte,dem Wesen und Folgen des Attentats auf den Grund. An einer Vielzahl von Beispielen, von Brutus' Cäsarenmord, über die Ermordung Marats, bis zu den Attentaten auf John F. Kennedy oderJohn Lennon, skizziert er die psychologische Struktur des Attentäters, dessen Tat immer für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Sein Ziel ist es, im Auge der Welt zu erscheinen. Doch es gibt auch eine Geschichte der Interpretationen: Fragen nach den Gründen, den Verschwörern und den Wirkungen auf die Geschichte.Schneider zeigt, dass sich der Wahnsinn der Täter als Wahnsinn der Interpreten wiederholt und im Wahnsinn einer Hochsicherheitsgesellschaft mündet.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.12.2010Vom Schreiben und Schießen
Schon der Untertitel von Manfred Schneiders megalomanischem Werk über "Das Attentat" - "Kritik der paranoischen Vernunft" - lässt keinen Zweifel daran, dass der Germanist gewillt ist, sich selbst in die Familie der Großautoren einzuschreiben und wenn nicht alles, so doch das meiste, was die Vernunft bisher über sich selbst ersonnen hat, als Täuschung zu entlarven (Verlag Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2010. 768 S., geb., 39,90 [Euro]). Das sind schon zwei Motive, die Schneider auch den Attentätern zuschreibt. Auch sie wähnten sich in einer genealogischen Reihe mit den anderen Großen ihrer Zunft, auch sie seien getrieben von der Überzeugung, hinter den Masken von Geschichte und Gegenwart das eigentlich Ursächliche zu erkennen.
Attentäter, so schreibt Schneider, "sind in der Regel keine brillanten Autoren". Das wiederum kann man über ihn nicht sagen. Im Gegenteil: Er streift mit Eleganz und Gelehrsamkeit durch die Epochen der Attentate. Freilich versucht er dabei vergeblich, noch aus dem unbedeutendsten Detail einen schlagenden Beweis für seine Hauptthese zu generieren, dass nämlich das Attentat ein Symptom der "paranoischen Vernunft" sei, die in ihrer "Kontingenzleugnung" unsere Zeit kennzeichne. Die Paranoia, schreibt Schneider zu seinem eigenen Verhängnis, sei weder Wahnsinn noch dumm, sondern "scharfsinnig und süchtig nach Beweisen". Allein: Ihr kohärentes Deutungssystem stütze sich auf die falschen Grundannahmen.
So gebannt ist Schneider von seiner eigenen These und Erzählkunst, dass er das eigentliche Thema, das Attentat, bisweilen aus den Augen verliert und nebenbei noch daran scheitert, geschichtsphilosophisch die gesamte Geschichtsphilosophie erledigen zu wollen. Selbst für eine Definition war auf den gut 750 Seiten kein Platz mehr, und so geht von Brutus über 9/11 bis hin zu Winnenden alles mögliche als Attentat durch. In der paranoianahen Logik Schneiders ist das durchaus schlüssig, schließlich sind für ihn auch alle nur erdenklichen Personen "Agenten" der paranoischen Vernunft: die Attentäter, die durch sie ermordeten potentiellen Attentäter und diejenigen potentiellen Attentäter, die sich einen Reim auf das Attentat zu machen versuchen.
Schneider beginnt seine episodische Erzählung in der römischen Antike, er hebt aber hervor, dass das Attentat vor allem ein Phänomen der Moderne sei: Die Attentäter repräsentierten "unser Verhältnis zu dieser modernen Welt". Wenn man da an die Mörder von Lennon oder Kennedy denkt, kann einem um unsere Zeit nur angst und bange werden. Für die Paranoia der Al-Qaida-Terroristen, heißt es an anderer Stelle, sei es "die einfachste Interpretation, wenn sie den westlichen Unglauben zur Ursache aller Weltübel erklärt". Für Schneider, so könnte man anfügen, ist es das einfachste, wenn er die Paranoia zur Ursache aller Weltübel erklärt. Dass auch er dafür - wie die Attentäter - die "allerhöchsten Motive" gehabt haben mag, sei ihm unbenommen. Im Übrigen kann man ihm auch nicht absprechen, dass er mit seinem Buch - wenn auch unfreiwillig - einen Beweis für eine seiner Thesen geliefert hat, wonach es eine Verwandtschaft gibt zwischen dem Akt des Schreibens und dem des Schießens. Was sein Buch jedoch nicht beantwortet ist, warum es die meisten dann doch beim Schreiben belassen.
TIMO FRASCH
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schon der Untertitel von Manfred Schneiders megalomanischem Werk über "Das Attentat" - "Kritik der paranoischen Vernunft" - lässt keinen Zweifel daran, dass der Germanist gewillt ist, sich selbst in die Familie der Großautoren einzuschreiben und wenn nicht alles, so doch das meiste, was die Vernunft bisher über sich selbst ersonnen hat, als Täuschung zu entlarven (Verlag Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2010. 768 S., geb., 39,90 [Euro]). Das sind schon zwei Motive, die Schneider auch den Attentätern zuschreibt. Auch sie wähnten sich in einer genealogischen Reihe mit den anderen Großen ihrer Zunft, auch sie seien getrieben von der Überzeugung, hinter den Masken von Geschichte und Gegenwart das eigentlich Ursächliche zu erkennen.
Attentäter, so schreibt Schneider, "sind in der Regel keine brillanten Autoren". Das wiederum kann man über ihn nicht sagen. Im Gegenteil: Er streift mit Eleganz und Gelehrsamkeit durch die Epochen der Attentate. Freilich versucht er dabei vergeblich, noch aus dem unbedeutendsten Detail einen schlagenden Beweis für seine Hauptthese zu generieren, dass nämlich das Attentat ein Symptom der "paranoischen Vernunft" sei, die in ihrer "Kontingenzleugnung" unsere Zeit kennzeichne. Die Paranoia, schreibt Schneider zu seinem eigenen Verhängnis, sei weder Wahnsinn noch dumm, sondern "scharfsinnig und süchtig nach Beweisen". Allein: Ihr kohärentes Deutungssystem stütze sich auf die falschen Grundannahmen.
So gebannt ist Schneider von seiner eigenen These und Erzählkunst, dass er das eigentliche Thema, das Attentat, bisweilen aus den Augen verliert und nebenbei noch daran scheitert, geschichtsphilosophisch die gesamte Geschichtsphilosophie erledigen zu wollen. Selbst für eine Definition war auf den gut 750 Seiten kein Platz mehr, und so geht von Brutus über 9/11 bis hin zu Winnenden alles mögliche als Attentat durch. In der paranoianahen Logik Schneiders ist das durchaus schlüssig, schließlich sind für ihn auch alle nur erdenklichen Personen "Agenten" der paranoischen Vernunft: die Attentäter, die durch sie ermordeten potentiellen Attentäter und diejenigen potentiellen Attentäter, die sich einen Reim auf das Attentat zu machen versuchen.
Schneider beginnt seine episodische Erzählung in der römischen Antike, er hebt aber hervor, dass das Attentat vor allem ein Phänomen der Moderne sei: Die Attentäter repräsentierten "unser Verhältnis zu dieser modernen Welt". Wenn man da an die Mörder von Lennon oder Kennedy denkt, kann einem um unsere Zeit nur angst und bange werden. Für die Paranoia der Al-Qaida-Terroristen, heißt es an anderer Stelle, sei es "die einfachste Interpretation, wenn sie den westlichen Unglauben zur Ursache aller Weltübel erklärt". Für Schneider, so könnte man anfügen, ist es das einfachste, wenn er die Paranoia zur Ursache aller Weltübel erklärt. Dass auch er dafür - wie die Attentäter - die "allerhöchsten Motive" gehabt haben mag, sei ihm unbenommen. Im Übrigen kann man ihm auch nicht absprechen, dass er mit seinem Buch - wenn auch unfreiwillig - einen Beweis für eine seiner Thesen geliefert hat, wonach es eine Verwandtschaft gibt zwischen dem Akt des Schreibens und dem des Schießens. Was sein Buch jedoch nicht beantwortet ist, warum es die meisten dann doch beim Schreiben belassen.
TIMO FRASCH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.01.2011Ich bin Gott und töte
Attentate dienen der Selbstbehauptung: Manfred Schneider
führt sie auf die List einer paranoischen Vernunft zurück
Das Foto zeigt den Nachtmahr der Moderne: Ein Mensch stürzt kopfüber in die Tiefe, die Beine embryonal angewinkelt, die Arme an den Körper gepresst. Pfeilschnell schießt er dem Tod entgegen, steil abfallende Glasfassaden entlang. Hat der Mann Augen und Mund geschlossen? Kann er noch denken, fühlen, schreien, ehe der Aufprall sein Fleisch zu Brei schlägt? John Drews Aufnahme, unmittelbar vor dem Zusammenbruch der Twin Towers am 11. September 2001 entstanden, reißt ihren Betrachter in einen Gefühlstaumel. Sie dokumentiert „die heilige Zeit eines fallenden Engels“, schreibt der Germanist Manfred Schneider – jene Sekunden, bevor das Opfer eines Attentats eins wird mit dem Tod.
Ein ganzes Gelehrtenleben lang hat Schneider vor allem die Randlagen seiner Disziplin sondiert. Ob er Karl Kraus’ „Paradies des Nörglers“ (1977) bereiste, „Die Besessenen in der Kunst“ aufsuchte (1988) oder „Endzeitstimmung und Kulturrecycling“ (1995) untersuchte – stets inszeniert der Philologe die Psychopathologie des Alltags mit umwerfender sprachlicher Eleganz. Mitunter scheint er Pointen wichtiger zu nehmen als den Prozess der Argumentation. Der Leser dankt es ihm.
Wer nicht unterhalten, sondern nur säuberlich belehrt werden will, mag auch Schneiders neuer Studie über „Das Attentat“ vorhalten, dass ihr Kernbegriff, die „paranoische Vernunft“, darin allzu lax gehandhabt und ins Uferlose, weil Allerweltsbefindliche ausgedehnt wird. Und doch erweist sich der Achthundertseitenwälzer als hochgradig faszinierende Lektüre, weil sein mit unzähligen Wahnepisoden gespickter Erzählschwall jeden mahnend erhobenen Zeigefinger überrollt.
Der Wahn, in welcher Maske auch immer, liefert in Schneiders Lesart den Universaltreibstoff des Attentats. Er entspringt einer „paranoischen Fatumsgewissheit“, die weder Zweifel noch Zufall kennt und sämtliche Zeichen „extrem artifiziell“ deutet und letztlich zur tödlichen Mission montiert. Was jeder Außenstehende als Durchbrennen der Vernunft-Sicherung klassifiziert, gehorcht stattdessen einer „besonderen Betriebsart der Vernunft“, nämlich jener paranoischen Variante, die in der Moderne auf Hochtouren läuft: Allerorten wittern die Bewohner der entzauberten Welt Konspiration, zugleich bringt der mediale Budenzauber einen „neuen Fundamentalismus des Bildes“ hervor und ruft damit ein Heer schicksalsgläubiger Bilderstürmer auf den Plan.
Der Ikonoklasmus markiert für Schneider von jeher das Kerngeschäft des Terrors, und so hat er seine Attentäter-Galerie mit einschlägigen Porträts von François Ravaillac über Charlotte Corday bis Lee Harvey Oswald und Mohammed Atta bestückt. Ob die Angreifer Könige (Heinrich IV.), Revolutionsführer (Jean-Paul Marat), Präsidenten (John F. Kennedy) oder die westliche Hybris (in Gestalt des World Trade Center) niedermachten, im Grunde zielt ihr vernichtender Akt stets auf das Bild, die „Repräsentation“ an sich, die sie durch das eigene Konterfei zu ersetzen hoffen – was im
20. Jahrhundert kein Problem ist: „Terror ist ein globales TV-Programm“, schreibt Schneider.
Und immer gibt es einen virtuellen Marktplatz nebenan, auf dem der Kreislauf, in dem das Attentat nur eine Station ist, noch müheloser gedeiht. Getreu der Devise, dass die Wahrheit stets im Unsichtbaren haust, speisen sich Anschlagsszenarien aus Verschwörungshypothesen und setzen umgekehrt neue Wahngebilde in die Welt. So hat sich etwa die Ermordung Kennedys zu einem „nationalen Konspirationsmythos“ gebläht, der Indizien und Filmschnipsel zu irrwitzigen Verdachtsketten reiht und damit das Räderwerk der Paranoia am Laufen hält. Die Internet-Hydra des Verdachts wackelt mit Abermillionen Häuptern und bewirkt so eine ewige Proliferation des Schreckens.
Eines freilich verbindet die Attentäter quer durch die Jahrhunderte. Sie sind medial auf dem Quivive, beziehen ihre Munition aus Büchern, Filmen, neuerdings auch aus Ego-Shootern, die sie scheinbar in den Stand Gottes katapultieren oder zumindest als dessen rechte Hand ausweisen. „Ich bin Gott! Kill Mankind“, kritzelte Eric Harris, ehe er 1999 seinen Amoklauf durch die Columbine Highschool antrat. Manfred Schneider zeigt, aus welchem Stoff solche Teufelstaten gemacht sind. DORION WEICKMANN
MANFRED SCHNEIDER: Das Attentat. Kritik der paranoischen Vernunft. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2010. 766 Seiten, 39 Euro.
Die Journalistin Dorion Weickmann lebt in Berlin.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Attentate dienen der Selbstbehauptung: Manfred Schneider
führt sie auf die List einer paranoischen Vernunft zurück
Das Foto zeigt den Nachtmahr der Moderne: Ein Mensch stürzt kopfüber in die Tiefe, die Beine embryonal angewinkelt, die Arme an den Körper gepresst. Pfeilschnell schießt er dem Tod entgegen, steil abfallende Glasfassaden entlang. Hat der Mann Augen und Mund geschlossen? Kann er noch denken, fühlen, schreien, ehe der Aufprall sein Fleisch zu Brei schlägt? John Drews Aufnahme, unmittelbar vor dem Zusammenbruch der Twin Towers am 11. September 2001 entstanden, reißt ihren Betrachter in einen Gefühlstaumel. Sie dokumentiert „die heilige Zeit eines fallenden Engels“, schreibt der Germanist Manfred Schneider – jene Sekunden, bevor das Opfer eines Attentats eins wird mit dem Tod.
Ein ganzes Gelehrtenleben lang hat Schneider vor allem die Randlagen seiner Disziplin sondiert. Ob er Karl Kraus’ „Paradies des Nörglers“ (1977) bereiste, „Die Besessenen in der Kunst“ aufsuchte (1988) oder „Endzeitstimmung und Kulturrecycling“ (1995) untersuchte – stets inszeniert der Philologe die Psychopathologie des Alltags mit umwerfender sprachlicher Eleganz. Mitunter scheint er Pointen wichtiger zu nehmen als den Prozess der Argumentation. Der Leser dankt es ihm.
Wer nicht unterhalten, sondern nur säuberlich belehrt werden will, mag auch Schneiders neuer Studie über „Das Attentat“ vorhalten, dass ihr Kernbegriff, die „paranoische Vernunft“, darin allzu lax gehandhabt und ins Uferlose, weil Allerweltsbefindliche ausgedehnt wird. Und doch erweist sich der Achthundertseitenwälzer als hochgradig faszinierende Lektüre, weil sein mit unzähligen Wahnepisoden gespickter Erzählschwall jeden mahnend erhobenen Zeigefinger überrollt.
Der Wahn, in welcher Maske auch immer, liefert in Schneiders Lesart den Universaltreibstoff des Attentats. Er entspringt einer „paranoischen Fatumsgewissheit“, die weder Zweifel noch Zufall kennt und sämtliche Zeichen „extrem artifiziell“ deutet und letztlich zur tödlichen Mission montiert. Was jeder Außenstehende als Durchbrennen der Vernunft-Sicherung klassifiziert, gehorcht stattdessen einer „besonderen Betriebsart der Vernunft“, nämlich jener paranoischen Variante, die in der Moderne auf Hochtouren läuft: Allerorten wittern die Bewohner der entzauberten Welt Konspiration, zugleich bringt der mediale Budenzauber einen „neuen Fundamentalismus des Bildes“ hervor und ruft damit ein Heer schicksalsgläubiger Bilderstürmer auf den Plan.
Der Ikonoklasmus markiert für Schneider von jeher das Kerngeschäft des Terrors, und so hat er seine Attentäter-Galerie mit einschlägigen Porträts von François Ravaillac über Charlotte Corday bis Lee Harvey Oswald und Mohammed Atta bestückt. Ob die Angreifer Könige (Heinrich IV.), Revolutionsführer (Jean-Paul Marat), Präsidenten (John F. Kennedy) oder die westliche Hybris (in Gestalt des World Trade Center) niedermachten, im Grunde zielt ihr vernichtender Akt stets auf das Bild, die „Repräsentation“ an sich, die sie durch das eigene Konterfei zu ersetzen hoffen – was im
20. Jahrhundert kein Problem ist: „Terror ist ein globales TV-Programm“, schreibt Schneider.
Und immer gibt es einen virtuellen Marktplatz nebenan, auf dem der Kreislauf, in dem das Attentat nur eine Station ist, noch müheloser gedeiht. Getreu der Devise, dass die Wahrheit stets im Unsichtbaren haust, speisen sich Anschlagsszenarien aus Verschwörungshypothesen und setzen umgekehrt neue Wahngebilde in die Welt. So hat sich etwa die Ermordung Kennedys zu einem „nationalen Konspirationsmythos“ gebläht, der Indizien und Filmschnipsel zu irrwitzigen Verdachtsketten reiht und damit das Räderwerk der Paranoia am Laufen hält. Die Internet-Hydra des Verdachts wackelt mit Abermillionen Häuptern und bewirkt so eine ewige Proliferation des Schreckens.
Eines freilich verbindet die Attentäter quer durch die Jahrhunderte. Sie sind medial auf dem Quivive, beziehen ihre Munition aus Büchern, Filmen, neuerdings auch aus Ego-Shootern, die sie scheinbar in den Stand Gottes katapultieren oder zumindest als dessen rechte Hand ausweisen. „Ich bin Gott! Kill Mankind“, kritzelte Eric Harris, ehe er 1999 seinen Amoklauf durch die Columbine Highschool antrat. Manfred Schneider zeigt, aus welchem Stoff solche Teufelstaten gemacht sind. DORION WEICKMANN
MANFRED SCHNEIDER: Das Attentat. Kritik der paranoischen Vernunft. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2010. 766 Seiten, 39 Euro.
Die Journalistin Dorion Weickmann lebt in Berlin.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Absolut überzeugt ist Rezensent Robin Celikates von Manfred Schneiders Geschichte des Attentäters zwar nicht, aber gern gelesen hat er sie doch. Was Schneider in seinen literaturgeschichtlichen und kulturtheoretischen Reflexionen über die Figur des Attentäters - von Brutus über Lee Harvy Oswald bis Mohammed Atta - herausarbeitet, stellt Celikates so dar: "Der Attentäter neigt zu Überinterpretationen. Meist sieht er sich als Agenten der Geschichte, seine Logik sei zwar Irrsinn, aber nicht Unvernunft, seine Paranoia nicht irrational, sondern "hyperrational". Nicht immer, schreibt Celikates freundlich, seien Schneiders Spekulationen durch die historischen Tatsachen gedeckt, mitunter sieht der Rezensent das Material arg strapaziert, und eine Einordnung in den politischen Kontext wäre bei einer Person wie Carlos bestimmt sinnvoll gewesen. Aber an seinem insgesamt positiven Urteil über dieses "zeitgemäße wie gewichtige" Werk ändern diese Einwände nichts.
© Perlentaucher Medien GmbH
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